Kapitel 88 - The Quiet Before the Storm

Kapitel 88 – The Quiet Before the Storm

--- Weniger als 1 Tag vor Beginn des Krieges. ---

„Hast du gedacht, dass die Leute über deine Taten hinwegblicken würden?", fragte ich Adam eine Weile später, nachdem wir uns an den Rand des Geschehens zurückgezogen hatten, um Isabelle aus der Ferne dabei zu beobachten, wie sie mit einem großgewachsenen, dunkelhäutigen Mann flirtete.

Ohne sich zu berühren, tanzten sie umeinander herum, ihre Körper nur wenige Zentimeter auseinander. Der Mann war definitiv betrunken, aber Isabelles geweiteten Pupillen nach zu urteilen, war sie auch nicht mehr weit davon entfernt. Ebenso wenig wie ich, was allein ihr Verschulden war. Da Adam innerhalb der Nephilim vor Missgunst kaum noch Fuß fassen konnte, schien sich das Blatt für mich derweil gewendet zu haben. Zumindest war das die Ausrede meiner zukünftigen Parabatai gewesen, als sie mich dazu gezwungen hatte, ihren Wingman zu spielen.

Adam zu meiner Linken zuckte die Achseln und der Stoff seiner Montur kratzte über der Mauer, an welcher er lehnte und die das Anwesen der Lightwoods abgrenzte. Als ein tiefes Seufzen seine Kehle verließ, glitt mein Blick schließlich doch zu ihm, obwohl ich Isabelle eigentlich nicht aus den Augen lassen wollte. Seine Haare waren mittlerweile so lang, dass ihm die erdbraunen Strähnen beinahe über die Brauen reichten. In all dem Chaos der vergangenen Woche hatte er keinen Gedanken an sein Auftreten verschwendet. Eine Tatsache von vielen, die mir nicht behagte, weil sie so wenig mit dem Adam gemein hatte, den ich zu kennen geglaubt hatte. Auch wenn es vielleicht besser so war, weil es bedeutete, dass ihm die Dinge so nahe gingen, wie er behauptet hatte.

„Ich hab mir gar nix gedacht", murmelte Adam, nachdem er den Schluck aus seinem Glas vollendet hatte. Sein viertes Glas. Doch anders als vorhin auf dem Dach oder letzte Woche in der Abkommenshalle war er zwar betrunken, aber mit seiner Seele im Frieden. Was auch immer Lyall in seinem Drink gemischt hatte, es hatte etwas von dem Schmerz in seinem Herzen gelindert und seine Muskeln entspannt. Es hatte einen silbernen Schimmer der Nostalgie in seine Augen getrieben. „Ich hatte wohl die ... Erwartung, dass mein Umfeld da sein würde, um mich ... aufzufangen. Meine Familie, meine Freunde. Ich hab nicht ... erwartet, dass ich als einziger übrig sein würde."

„Falls wir diesen Krieg überstehen, wirst du hart für deine Stellung im Rat arbeiten müssen."

Isabelle drehte sich um die eigene Achse und warf den Kopf in einem herzlichen, überschwänglichen Lachen zurück. Ihr hüftlanges, rabenschwarzes Haar schwang wie ein Schleier durch die Luft, trennte sie von den Menschen um sie herum, ließ sie majestätisch und unantastbar aussehen. Die Hände des Mannes legten sich auf ihre Taille, als könnte ihr Geist nur so im Zaum gehalten werden. In seinen dunklen Augen glühte eine Leidenschaft, welche Isabelle mit geheimnisvoller Zurückhaltung erwiderte. Sie senkte das Kinn, warf ihm unter ihren langen Wimpern einen inspizierenden Blick zu, ehe sie sich ihm langsam entgegenlehnte.

„Ich denk, ich hab erstmal genug vom Rat", presste Adam mit dünner Stimme hervor und stellte sein leeres Glas auf dem nächsten Hochtisch ab. „Sie werden meiner Familie nie wieder so vertrauen wie zuvor. Zurecht. Ich hab das Glück, dank ihrer ... finanziellen Situation nicht auf'n Job innerhalb des Rates angewiesen zu sein. Vielleicht ... verschwinde ich für ne Weile, misch mich unter die Menschen. Oder ... besuche ein fernes Institut, in dem mich niemand kennt."

„Also willst du fortgehen?" Die Frage hatte nicht so abwertend klingen sollen, aber ich war abgelenkt. Isabelle und der Mann küssten sich, als gäbe es kein Morgen – was an sich vielleicht auch der Wahrheit entsprach. Gut, dass mindestens die Hälfte der Menge genauso betrunken war wie die beiden. Nun machten die Geschichten, die sie mir erzählt hatte, deutlich mehr Sinn.

Adams Fokus schwankte zwischen dem Geschehen in der Mitte des Gartens und mir. „Ich kann nicht hierbleiben", erklärte er mit einer Beharrlichkeit, die klarmachte, dass er mein Verständnis für diese Sache brauchte. „Ich ... Ich bin immer noch der Mensch, der dich ... verraten hat und der all die ... Verbrechen begangen hat, für die ich verurteilt wurde. Ich hab immer gewusst, dass ich falsch handele. Ich habe mich nur nicht getraut, was zu ändern. Deine Freundschaft hat mir sehr geholfen, aber im Endeffekt kann nur ich mich aus dieser Lage befreien. Wie können andere mir vergeben, wie kann der Rat mir vergeben, wenn ich mir selbst noch nicht vergeben habe?"

Ich verstand seinen Konflikt vielleicht besser als mir lieb war. Ein neues Leben zu starten, wo niemand einen kannte, klang verlockend. Frei von Vorurteilen und Misstrauen. Ein Neustart. Und er hatte recht: Ich für meinen Teil hatte ihm nicht vergeben, auch wenn ich daran arbeitete. „Du kannst bis zum Ende der Welt gehen, aber solange deine Fesseln sich nicht gelöst haben, werden die Dämonen deiner Vergangenheit dir immer folgen. Fortzugehen kann helfen, zu lernen, wer du wirklich bist, aber die Wahrheit ist nicht unbedingt schön. Dein vergangenes Ich war kein guter Mensch. Du befindest dich zwar auf dem Weg der Besserung, aber wie gelingt es einem, zu wachsen? Wie gelingt es, dass diese Wesensänderungen von Dauer sind? Dafür wirst du Freunde brauchen, die dir in dunklen Momenten helfen, auf dem Weg des Lichts zu bleiben."

Diesmal ließ ich zu, dass unsere Augen sich trafen. Grün auf grün – so ähnlich, aber doch so verschieden. Smaragd und Wald. Erfahrung und Unkenntnis. Ende und Anfang. Gleiche Reise, anderer Fortschritt.

„Ich habe die meisten meiner Fesseln lösen können, aber selbst wenn nur eine bleibt, bleibt ein Gewicht, das vollständige Veränderung behindert. Ohne die neuen Menschen um mich herum, hätte ich diese Fesseln niemals lösen können. Ohne Jace und Isabelle, und ohne dich." Ein kaum merkliches Lächeln schob meine Lippen Millimeter in die Höhe. Wehmütig, weil diese letzte Fessel mir im Herzen schmerzte wie ein Feuer, das unter meiner Haut brannte. „Ohne euch wäre ich den Erinnerungen an etwas, was mal war, schon lange erlegen. Etwas, was nie real war, egal wie sehr ich es mir wünsche. Lauf fort, wenn du es für das Richtige hälst, aber fortlaufen tun in erster Linie Feiglinge. Du wirst deine Freunde brauchen, Adam. Mehr als du dir jetzt bewusst bist. Erst wenn du den Berg erklommen hast und auf die Vergangenheit zurückblickst, wirst du überhaupt merken, wie sehr du sie gebraucht hast."

„Vielleicht hast du recht." Seine Mundwinkel zogen sich nach unten wie die herabhängenden Enden eines losen Fadens. Abgesehen davon wirkten seine fast schon schlaffen Gesichtszüge vollkommen regungslos. „Aber es gibt Fehler, die man selbst machen muss, um daraus zu lernen."

Meine Augen zuckten zu Isabelle, die von der provisorischen Tanzfläche verschwunden und nicht unweit von uns gegen die Wand gedrückt wurde. Wenigstens eine von uns schien sich zu amüsieren. Von Jace fehlte jede Spur – wahrscheinlich hatte er sich mit Alec irgendwohin verkrochen, denn dieser war ebenfalls nicht länger an Magnus' Seite aufzufinden. Da Isabelle als Gastgeberin offensichtlich ausfiel, blieb ihnen wohl nichts anderes übrig.

Adam begann halbherzig zu lachen, das Amüsement seines Tons angespannt wie die Seiten einer verstimmten Geige. „Ich sollte mir nen neuen Drink holen", sagte er und stieß sich wacklig von der Mauer fort.

Ich folgte seinem Blick und begegnete einer Person, welche sich mit zügigen Schritten auf uns zubewegte, ein zielstrebiger Ausdruck in den kaffeebraunen Iriden. „Kommt gar nicht in Frage", zischte ich so leise ich konnte. Ehe Adam auch nur einen Schritt machen konnte, schnellte meine Hand zu ihm und umfasste seinen Arm. „Wenn ich mich schon für Isabelle aufopfern muss, dann leistest du mir gefälligst Gesellschaft. Schließlich ist das alles deine schuld!"

Meine Schuld?" Adams Stimme war um einige Oktaven in die Höhe geschossen und das erste Mal seit einer Weile wurde ihr etwas Entferntes wie Leben eingehaucht.

Ich unterstellte ihn einem durchdringenden Blick. „Du hättest Isabelles Wingman sein sollen", war alles, was ich klarstellte. Wenn dich nicht jeder meiden würde, ließ ich absichtlich weg, auch wenn er es sich denken konnte.

Adam öffnete den Mund, als würde er etwas erwidern wollen, wurde jedoch von dem Neuankömmling unterbrochen, welcher uns in diesem Moment erreichte. Ein junger Schattenjäger von neunzehn Jahren namens Sebastian Verlac mit kurzgeschnittenem, vom Wind zerzausten schwarzem Haar. Und obwohl ich seine Bekanntschaft zwangsweise hatte machen müssen, konnte ich nicht leugnen, dass in seinen dunkelbraunen Augen eine Sanftmütigkeit lag, welche selten für Nephilim war.

„Da bin ich wieder!", sagte er mit leichtem französischem Akzent und schenkte mir ein schüchternes Lächeln, welches merklich an Intensität verlor, als er zu Adam herüberschaute. Er reichte mir ein Glas und dann – zu meiner Überraschung – auch Adam eines. „Ich habe gesehen, dass eure Getränke sich dem Ende neigen."

„Sehr aufmerksam", erwiderte ich höflich und konnte die Freude über einen weiteren von Lyalls Drinks nur schwer verbergen. Wie auch immer der Werwolf es anstellte, er war ein Meister darin.

Sebastian nickte und als weder Adam und ich Anstalten machten, die gerade begonnene Konversation am Laufen zu halten, spannte sich sein Lächeln in Anstrengung. Ich konnte ihm in den Augen ablesen, dass er auf mehr gehofft hatte. Nur auf was genau war hier die Frage.

Sebastians und mein Weg hatten sich gekreuzt, als ich mich um Isabelles willen in die Menge junger Schattenjäger begeben hatte, um den Tanzpartner auszuhorchen, welchen sie sich zuvor ausgesucht hatte. Warum auch immer sie es für eine gute Idee gehalten hatte, mich für diesen Job auszuwählen. Ich, mit meinen mangelnden Sozialkompetenzen, war die Letzte, die Wingman spielen sollte. Doch nach wiederholten Protesten, die an ihr abgeprallt waren wie Wasser auf Stein, hatte ich all meinen Mut zusammengenommen und – anstatt Isabelles Auserwählten direkt anzusprechen – Sebastian einfach die Wahrheit gestanden, als diese nicht in Hörweite war: Dass Isabelle auf seinen Freund stand und ich sie verkuppeln wollte. Und da sie, sobald Sebastian seinen Freund auf meine zukünftige Parabatai aufmerksam gemacht hatte, sofort mit diesem zu tanzen begonnen hatte, war es mir erspart geblieben, ihr davon zu berichten. Hauptsache sie hatte bekommen, was sie wollte. Nur dass Sebastian die ganze Sache wohl zum Anlass genommen hatte, um mich wiederum in ein Gespräch zu verwickeln. Wohl weil unsere beiden Freunde nun anderweitig beschäftigt waren. Zumindest hatte ich gehofft, dass es nur das war und ihn – unwissend, wie man jemanden höflich abwimmelte – zurück zu Adam geschleppt.

Nun drehte Sebastian den Kopf, als würde er in der bunten Menschenmenge nach eben diesem Freund suchen – dem Grund, weshalb wir nun überhaupt erst zu dritt hier standen – und als er ihn entdeckte, klickte er anerkennend mit der Zunge. „Die beiden machen keine halben Sachen."

„Definitiv nicht", prustete ich zwischen zwei Schlucken hervor und genoss das warme Gefühl des Alkohols in meinem Bauch. Wie flüssiger Hönig, welcher sich wie eine wohltuende Schicht um meinen Körper schloss und mich in eine süße, trübe Version der Realität abdriften ließ.

„Seid ihr Parabatai?", fragte Adam ihn und deutete auf die schwungvollen Enden einer kohleschwarzen Parabatairune, welche unter dem halb-geöffneten Hemd Sebastians hervorlugte.

Sebastian senkte verwirrt den Kopf und seine Wangen nahmen eine rote Farbe an, während er das Hemd mit einem knappen Nicken zurechtrückte. „Wir sehen uns nicht oft, weil ich in Paris bei meiner Tante lebe und er in Istanbul, aber wir sind schon ewig befreundet."

„Sollten Parabatai nicht eigentlich Seite an Seite leben?", platzte es verwundert aus mir heraus. Mit Jace und Alec hatte ich eine gegensätzliche Art der Parabatai-Verbindung kennengelernt und mir meine Zukunft mit Isabelle ähnlich vorgestellt. Der Gedanke, dass hunderte Kilometer uns trennten, bekam mir nicht.

„Die Rune erlaubt ein intensiveres Gespür für den anderen, non? Weshalb sich die Entfernung nicht wie eine solche anfühlt", erklärte Sebastian und der Akzent verdickte sich, als die Worte übereinander stolperten. „Parabatai zu sein kommt mit Pflichten, die viel größer sind, als sich einfach nur stets in der Nähe des anderen zu befinden. Es stimmt, dass viele den Eid so interpretieren, aber selbst die geringste Entfernung ist kein Ersatz für Vertrauen und Brüderlichkeit. Die Eigenschaften von Parabatai gedeihen auf jedem Nährboden, solange beide Parteien mit ganzem Herzen dabei sind, non?"

„Das ist ... faszinierend", musste ich eingestehen, weil ich die vielen Aspekte und Pflichten, welche mit dem Bund kamen, nie so genau bedacht hatte. Ich wusste einfach, dass Isabelle und ich dafür gemacht waren, Schwestern im Geiste zu sein. Ob wir nun im gleichen Haus lebten oder uns ein Kontinent trennte. Wenn man diese Verbindung spürte, spielten alle anderen Hindernisse keine Rolle mehr, denn nur der Tod war dazu in der Lage, Parabatai zu trennen.

„... aber kein dauerhafter Zustand", beendete Adam meinen Satz. Er tat nicht einmal so, als würde er höflich sein wollen. Nicht so wie früher, als er wortgewandt und kultiviert immer etwas auf der Zunge hatte, um eine Konversation am Laufen zu halten.

Ein verwirrtes Blinzeln huschte über Sebastians Gesicht und ich seufzte in mich hinein. „Was Adam meint, ist ... ob ihr weitere Pläne habt?" Wann war ich nur zur Retterin von Konversationen geworden?

„Pläne?" Sebastian hob eine schwarze Augenbraue und ich fragte mich, ob es die Sprachbarriere oder meine Inkompetenz war.

„Pläne für die Zukunft", präzisierte ich lahm und zwang ein Lächeln auf meine Lippen, das ich in keiner Weise nachempfand.

Ich stellte mir vor, dass ich Isabelle war – die mit jedem irgendwie klarkam und genau wusste, wie man sich in ein gutes Licht rückte. Das hier ist nichts als ein Schauspiel, ermahnte ich mich also, entspannte meine Schultern und lockerte meine Gesichtsmuskeln, um von dieser Maske wegzukommen, die ich in solchen Momenten auf meinen Zügen spürte und wo ich mir sicher war, dass jeder meine Unfähigkeit sofort durchschauen konnte.

Der Alkohol erleichterte das Unterfangen ungemein, weil er meine Hemmschwellen absenkte. Und als ich meine Stimme erhob, um fortzufahren, fühlte ich mich tatsächlich ein wenig wie jemand anders. „Habt ihr gemeinsame Karrierepläne?", fragte ich enthusiastisch wie Isabelle und Adams schiefer Blick reichte mir als Bestätigung. „Der Bund ist schließlich dafür da, um die Talente beider Partner im Kampf zu verstärken. Sich gemeinsam stationieren zu lassen klingt da logisch, oder nicht?"

„Oui, du hast recht." Sebastian nippte an seinem eignen Glas, wobei er noch nicht sonderlich angetrunken aussah. Ein träumerisches Schmunzeln blieb an seinen Zügen hängen, als er seinen Parabatai beobachtete. „Da ich eines Tages die Leitung des Pariser Instituts übernehmen werde, kann ich nicht aus Paris weg. Mavi wird sich zu mir versetzen lassen, sobald seine Geschwister alt genug sind." Er legte eine theatralische Pause ein und schauderte plötzlich, als hätte ihn eine eisige Windböe erfasst. „Bis dahin kann er dann hoffentlich auch die Sprache. Seine Fähigkeiten sind nach sechs Jahren immer noch ... très mal."

Sowohl Adam als auch ich verschluckten uns beinahe an unseren Getränken. „Wenigstens lernt er Französisch", warf Adam ein, der aufgehört hatte, seine Langweile offen zu zeigen und stattdessen auf Konfrontation aus schien. Ich musste mich zusammenreißen, um mein Grinsen zu verstecken, denn auch mein Interesse an diesem Gespräch hielt sich in Grenzen. Doch egal ob aus Unfähigkeit oder anderen Gründen, machte keiner von uns Anstalten, es zu beenden. „Die meisten Franzosen weigern sich partout Englisch zu verstehen."

Etwas auf Sebastians Gesicht zuckte und für einen Moment empfand ich wahrhaftiges Mitgefühl mit ihm, weil ich an seiner Stelle auch keine Antwort parat gehabt hätte.

„Also wirklich, Adam", tadelte ich deshalb ohne jede Hitze in der Stimme. Als ich meine Augen auf ihn heftete, stand ich plötzlich wieder auf dem Dach des Lightwood-Hauses, kurz davor, ihn mit einem Schlag vom Dach zu fegen. Nur dass der Schlag diesmal in Form von Worten erfolgte. „Was für ein Vorurteil. Sebastians Englisch ist tadellos."

„Merci." Sebastian taxierte Adam mit einem Ausdruck, den man fast als Empörung hätte durchgehen lassen können. Er reckte das Kinn und spannte den Kiefer an, wie wenn er weitere Worte zurückhalten wollte.

„Aucun problème", erwiderte ich lächelnd und musste mich ermahnen, die Worte so schwungvoll hervorzubringen, wie Isabelle es machen würde. Als sowohl Sebastian als auch Adam mir halb erstaunte, halb erwartungsvolle Blicke zuwarfen, sah ich meine Chance, ein weiteres Mal in Isabelles Haut zu schlüpfen. Denn sie hätte sicher nicht zweimal mit der Wimper gezuckt, ehe sie ihre Fähigkeiten hätte raushängen lassen. „Ne faites pas attention à mon ami, il ne veut aucun mal."

„Du sprichst französisch?", fragten Sebastian und Adam im Chor und ein ziemlich reales, alkoholisiertes Lachen platzte aus mir heraus.

„Qui ne le fait pas?" Wer denn nicht?

Während sich in Sebastians Augen klare Bewunderung spiegelte, stahl sich etwas Schalkhaftes auf Adams Ausdruck. Seine dunklen Pupillen begannen zu glitzern und ehe ich mich versah, wechselte auch er ins Französische.

„Du sprichst auch französisch?", platzte es entrüstet aus mir heraus, weil ich mit meinem Sprachtalent hatte glänzen wollen.

„Natürlich spreche ich französisch", antwortete Adam in perfektem Französisch, wenn auch mit einem anderen Akzent als ich ihn gelernt hatte. „Ich lebe in Kanada, schon vergessen?"

Sebastians Gesicht hellte sich auf, als hätte er gerade einen Hauptpreis gewonnen. In einem blitzschnellen Zug hatte er sein Glas geleert und klatschte in die Hände. Adam und ich wechselten einen kurzen Blick und weiteten kaum merklich die Augen – fragend. „Dieser Abend wird immer besser", stellte Sebastian auf Französisch fest und rückte näher an uns herum, die letzten Hemmungen auf einmal über Bord geworfen.

Die nächste Viertelstunde unterhielten wir uns auf Französisch über Gott und die Welt. Irgendwann – auch unsere Gläser waren leer – wanderten wir zurück zu Lyall, um Nachschub zu besorgen. Dort angekommen trafen wir auf eine Gruppe französischer und spanischer Vampire und als sich herausstellte, dass ich auch Spanisch fließend sprach, war ich schließlich das Zentrum einer Traube internationaler Schattenweltler, Adam und Sebastian auf beiden meiner Seiten.

Obwohl mir die Situation zu Beginn ziemliches Unbehagen bereitete, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass ich vielleicht doch keine völlige Katastrophe war, was Smalltalk anging – wenn es um Themen ging, die mich tatsächlich interessierten. Und so tranken wir mit Vampiren und Schattenjägern gleichermaßen und diskutierten Politik und Kampftechniken gleichermaßen – Themen, die sehr wahrscheinlich dem morgigen Krieg geschuldet waren, aber Themen mit denen ich dienen konnte.

Ich war bei meinem sechsten Glas angekommen und stand gemeinsam mit einem mittlerweile betrunkenen Sebastian und einer jungen Vampirin auf dem Bartresen, als erst Isabelle und Mavi und dann Jace sich zu uns gesellten. Adam hatte sich zu Lyall hinter den Tresen verkrochen, während Isabelle mühelos auf den Tresen hüpfte und bei dem mitmachen wollte, was wir hier veranstalteten.

Und als Sebastian und die Vampirin wie aus einem Mund beteuerten, dass sie mich in einem Zwei gegen Eins Duell schlagen würden, klatschte Lyall kopfschüttelnd in die Hände und zwang uns alle zurück auf den Boden.

„Vous avez encore eu de la chance tous les deux", warf ich ihnen erst auf Französisch und dann auf Spanisch entgegen – ein weites, arrogantes Lächeln auf meine Lippen geklebt. Da habt ihr beide nochmal Glück gehabt. „Ustedes dos no tienen ninguna posibilidad contra mí." Gegen mich habt ihr keine Chance.

Gejohle und Buhrufe gleichermaßen waren die Antwort und die Vampirin fluchte auf Spanisch, während Sebastian sich an Lyall vorbeidrängelte. „Dann beweise es", forderte er auf Französisch und zeigte herausfordernd auf mich. „Zweikampf."

„Hört auf, auf anderen Sprachen zu sprechen!", forderte Isabelle genervt und warf die Hände in die Höhe.

„Sie wird dich fertigmachen, Verlac." Adam auf Lyalls Linken lachte schallend und musste sich an Jace abstützend, der ihn widerwillig stabilisierte und die Zähne zusammenpresste, als könnte er sich amüsanteres vorstellen. Doch seine Augen funkelten belustigt, während er mich beobachtete. Ich zwinkerte ihm zu, ehe ich mich an Sebastian wandte.

„Ich nehme deine Herausforderung an", erklärte ich auf Englisch und deutete eine Verbeugung an. Da sich die Umgebung schon seit meinem letzten Glas zu drehen begonnen hatte, fiel diese etwas wacklig aus. Nicht, dass es mir Sorge bereitete.

Eine Minute später hatte Isabelle die vordere Seite des Gartens geräumt und das Kampffeld für uns markiert. Die Musik dröhnte mit unnachgiebigem Bass; mein Fuß klopfte im Takt, so sehr war er mir bereits ins Blut übergegangen. Die Mehrheit der Gäste tanzte auf unserer Linken und nahm keinerlei Notiz von uns – aus unterschiedlichsten Gründen. Einige versuchten sich über die tönende Lautstärke wild gestikulierend zu unterhalten, wieder andere hatten sich auf das Dach getraut und führten eigene Kämpfe, als wäre es das normalste auf der Welt. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie alle mehr oder weniger alkoholisiert waren – etwas anderes stellte ich mir mit Lyall an der Bar unmöglich vor. Das hier war nicht nur eine Vorzeige-Nephilim-Party, sondern auch eine Schattenweltler-Party.

„Es gewinnt der, der den anderen als erstes aus'm Ring befördert hat. Wie is egal. Sobald ich klatsche, geht's looos!", rief Isabelle in selbstgefälliger Stimme, aber auch ihre Silben nahmen einen ungewohnten Schwung an. Sie warf wir ein freches Grinsen zu und ihre Zähne reflektierten das Licht der bunten Lichterketten auf eine fast schaurige Art und Weise. „Bereit?"

Sebastian und ich nickten und die spanischen Vampire ließen ein hohes, eintöniges Kreischen los, welches mir eine Gänsehaut bereitete und meine benebelten Sinne schärfte. Wie die Schreie eines Greifvogels im Sturzflug. Als Isabelle Sekunden später in die Hände klatschte, war ich so abgelenkt, dass ich für einige Atemzüge auf meiner Position verharrte.

Sebastian reagierte schneller und stürmte so geradeweg auf mich zu wie ein Pfeil auf das Bullseye. Seine drei Schritte gaben meinem Körper genügend Zeit, um den Fokus auf ihn zu heften und den Nebel in meinen Gliedern zurückzudrängen. Ich konnte spüren wie meine Wangenmuskeln zu arbeiten begannen und ein selbstzufriedenes Lächeln Form annahm. Einen Wimpernschlag ehe seine Hände vorschnellen konnten, glitten meine Füße über das unebene Gras; mein Körper verlagerte sich nach rechts und sobald ich außerhalb seiner Reichweite war, griff ich von der Seite an.

Ein Manöver später kniete Sebastian am Rande des Rings, seine Hände um meinen Arm gekrallt, welchen ich ihm um den Hals geschlungen hatte. Als ich das Gefühl hatte, seine Luft genug abgeschnürt zu haben, wich ich zurück, versetzte ihm einen einfachen Tritt und schaute dabei zu, wie er – Kinn zuerst – ins Gras fiel.

„Beim Erzengel! Ich hab noch nie gegen ein Mädchen verloren", hörte ich Sebastian noch auf Französisch fluchen, ehe Adam und Isabelle herbeigesprungen kamen.

Die beiden wirkten so enthusiastisch über diesen kleinen Sieg, als hätten sie gerade dem Kampf des Jahrhunderts beigewohnt. Erst als einer der Vampire Adam einen Geldschein zusteckte, begriff ich, weshalb. Meinen Augen verengten sich zu Schlitzen, aber die beiden waren nicht mehr zu bremsen.

„Wer will als nächstes?", rief Isabelle herausfordernd. Sie ergriff meine Hand und streckte sie in die Höhe. Doch die Vampire zogen sich allesamt zurück und tauschten flüchtige Blicke untereinander aus. Sie schienen zu wissen, wann eine Wette zwecklos war.

„Was kriege ich, wenn ich gewinne?", flötete eine allzu bekannte Stimme in diesem Moment und trat zwischen der kleinen Menge nach vorne.

„Du verfluchter Spielverderber", knurrte Isabelle und spannte verächtlich die Lippen. „Du darfst nicht mitmachen!"

„Angst, dass ich gewinne?", neckte Jace mit einem spöttischen Grinsen auf den Lippen. Gespielt gelangweilt betrachtete er einen seiner Fingernägel. Alec stand einige Meter hinter ihm betrachtete die Szene mit wachsender Belustigung.

Oh, Jace wusste genau, was er da sagte. „Ich akzeptiere", platzte es aus mir heraus, ehe Isabelle ein protestierendes Geheule loslassen konnte, weil sie meine Reaktion genaustens vorausgesehen hatte.

„Verdammt nochmal, Clary!", warf sie mir nun beleidigt entgegen. „Kannst du deine Ehre nicht ein eeeinziges Mal zurückstellen?" Sie stemmte die Hände in die Hüften und kam schwankend auf ihren Ziehbruder zu, während sie den Finger nach ihm ausstreckte. „Sie ist betrunken und das ist uuunfair!"

Glaubte sie etwa, dass ich mich im alkoholisierten Zustand nicht gegen Jace zur Wehr setzen konnte? Ein kühnes Schnauben entkam mir und ich zwängte mich an Isabelle und Adam vorbei, zurück in den Ring. Vielleicht war es meine Ehre, wer wusste das schon, aber ich würde sicher nicht hier herumstehen und einen Kampf ablehnen, nur weil Isabelle dachte, dass ich es nicht in mir hatte.

„Looos geht's!" Ich schnippte mit dem Finger und starrte Isabelles Protest nieder. „Vielen Dank für dein Vertrauen, Parabatai." Das letzte Wort schnurrte ich.

Isabelles Augen weiteten sich verstört und als sie sich auf die Lippe biss, um die aufgelöste Maske beizubehalten, wusste ich, dass ich mich möglicherweise doch überschätzt hatte. Jace' eingebildetes Grinsen weitete sich, aber auch in seinen Pupillen konnte ich trotz meines verwackelten Sichtfels eine eben noch nicht dagewesene Belustigung erkennen.

Zu spät für einen Rückzieher, mahnte mich mein Stolz. Also zog ich es durch.

„Keine Sorgeee, das haben wir geübt!", sagte Adam und deutete Schlagbewegungen mit seinen Fäusten an, eher er sich an die Seitenlinie stellte. Er meinte wohl unser Trinkgelage oben auf dem Dach. Na klasse.

Doch das hier war anders, wie meinem eingeschlafenen Hirn viel zu spät klar wurde. Das hier war Jace.

„Bereust du es bereits?", stichelte Jace ohne Hitze in der aufgeblasenen Stimme. Er hatte sich auf der gegenüberliegenden Seite des Rings positioniert und seine golden-funkelnden Iriden glitten auf eine Art über meine Figur hinweg, die gar nichts mit einem bevorstehenden Kampf zu tun hatte.

Mein Kopf ratterte förmlich in der Suche nach einer geistreichen Antwort. Letztendlich war ich jedoch mit zu vielen Gedankensträngen auf einmal beschäftigt, um irgendetwas zu erwidern. Jace' Züge wurden weicher, als er den Konflikt in meinen Augen ablas, ohne dass sein Grinsen verschwand. Es war ein seltsamer Anblick. Als würde er mein Gesicht mit seinen Blicken liebkosen und sich zeitgleich über mich lustig machen.

„Ich bereue nix", murmelte ich eine Sekunde bevor Isabelle das Signal zum Start gab.

Ein Blinzeln später tanzten Jace und ich bereits umeinander herum. Zumindest tanzte er. Was ich da tat, hätte man wohl eher als Taumeln bezeichnen müssen. Es gelang mir, seine ersten Versuche, meine Defensive zu durchbrechen, abzuwehren. Wir lieferten uns einen rasanten Schlagabtausch, der meine Welt aus dem Gleichgewicht brachte. Und da tauchte Jace plötzlich unter meinem rechten Arm hindurch – meine Reaktion ließ viel zu lange auf sich warten. Dann stand er seitlich hinter mir, griff nach meinem Arm, sodass ich mich nicht herumdrehen konnte und ich wusste, dass ich verloren hatte.

Keine drei Minuten hatte ich durchgehalten.

„Ich dachte nicht, dass du es mir so leicht machen würdest", flüsterte Jace an meinem Ohr als parallel Gejubel um uns herum ausbrach. Sein Körper drückte sich gegen meine Rückseite. Ich spürte die Wärme, welche von ihm ausging; konnte seinen vertrauten Geruch wahrnehmen. Meine Muskeln entspannten sich wie von selbst, lehnten sich gegen seine Brust und er lachte. „Hoffentlich machst du das morgen nicht bei unseren Feinden."

„Morgen werd ich dich schlagen", versprach ich und schloss die Lider.

„Natürlich wirst du das", murmelte Jace und klang deutlich ernster als gerade noch. Einen Atemzug später befreite er meinen Arm aus seinem Klammergriff und schlang seinen um meine Taille. „Du bist müde."

Das war ich wirklich. Es war ein langer Tag gewesen, der nicht nur meine Kraftreserven geleert, sondern auch an meinen Emotionen gezehrt hatte. „Ich bin ja auch schon seit dem Morgengrauen auf den Beinen."

„Und bist mir dabei aus dem Weg gegangen."

Jace' Arme lockerten nicht ihren Halt um mich, als ich mich langsam zu ihm umdrehte. Isabelle und Adam standen gemeinsam mit Sebastian und Mavi an der Bar; die Köpfe zusammengesteckt, ohne uns weiter zu beachten. Auch die Vampire hatten Reißaus genommen. Abgesehen von der tanzenden Menge, deren Dichte in der vergangenen viertel Stunde abgenommen hatte, waren wir allein.

Ich suchte Jace' Blick; die honigfarbenen Augen bestimmt auf mich gerichtet, als würde er nichts von der Außenwelt mitbekommen. Eine seiner Hände fuhr meinen Rücken hoch, umschloss sanft meine Wange und strich mir eine flüchtige, rote Haarsträhne hinters Ohr. Seine Handinnenfläche rau gegen meine Haut seufzte ich in mich hinein und verlor für mehrere Atemzüge den Faden. Hier zu stehen – umgeben von der Stärke seiner Arme, so nah an seinem warmen Herzschlag – fegte all die Gedanken in den Wind, welche mir gerade noch wichtig erschienen waren. Dabei hatte mir doch gerade noch etwas auf der Zunge gelegen ...

„Ich bin dir nicht aus'm Weg gegangen", sagte ich, als ich den Gedankenstrang wie einen Geistesblitz erneut zu fassen bekam. „Ich hab mich einfach nur in Arbeit gestürzt, um nicht zuhause sein zu müssen."

Jace verdrehte die Augen. „Es läuft auf dasselbe hinaus", behauptete er und hob daraufhin die Brauen. Ein Glitzern schlich sich in seinen Blick und inzwischen kannte ich ihn gut genug, um den Anfang seiner melodramatischen Schübe zu erkennen. Keinen Moment zu spät, denn ich konnte gerade so die Lippen schürzen, als er auch schon anfing. „Oh, welche Qual ich durchleiden muss! Ich habe eine Freundin, die so wenig von mir hält, dass sie lieber Kriegspläne mit meiner rachsüchtigen Großmutter schmiedet!"

Unter normalen Umständen hätte ich gelacht, ihm einen Knuff gegen die Brust verpasst und die Sache klargestellt; ihm vielleicht einen Kuss auf die Lippen gedrückt, damit er zu schmollen aufhörte. Meine Mundwinkel zuckten bereits in Reaktion, als sich unter dem dichten Nebel meines Geistes plötzlich eine Erinnerung in den Vordergrund drängte. Eine Tatsache, die ich bei all den Ablenkungen und all dem Alkohol völlig vergessen hatte.

Mein Körper brauchte sich nicht einmal zu versteifen, damit Jace Wind von meinem Gefühlswechsel bekam. Wahrscheinlich reichte ein Blick in meine Augen, weil ich spürte, wie das Adrenalin schlagartig durch meine Adern schoss und sich meine Sicht klarte.

„Clary?"

Ich öffnete den Mund, wollte etwas sagen – ihm die Wahrheit sagen – aber nun, wo Jace sie ins Gespräch gebracht hatte, spukten ihre Worte in meinem Kopf herum.

Kein Wort über diese Liste. Zu niemandem.

„Clary?", hakte Jace nun energischer nach; allem Anschein nach laut genug, dass es Isabelles Aufmerksamkeit erregte.

Unsere Augen trafen sich auf halber Strecke und auf einmal beschleunigte meine zukünftige Parabatai ihre Schritte. Im Bruchteil weniger Sekunden stand sie auf meiner Rechten; ein kurzer Windhauch, der ihre langen Haare aufwirbelte, der einzige Indikator, dass sie gerade noch woanders gestanden hatte. Ihrem konzentrierten Ausdruck nach zu urteilen, versuchte sie wohl, herauszufinden, was in meinem Kopf vorging.

Ich musste es Jace erzählen, ungeachtet was die Inquisitorin von uns verlangt hatte. Er hatte jedes Recht, zu erfahren, wenn all seine Freunde auf ein Himmelfahrtskommando geschickt werden sollten, auf das er sie nicht begleiten durfte. Ich musste an Alecs Worte nach der Sitzung denken und wunderte mich, dass er seinem Parabatai selbst noch nichts davon erzählt hatte. Hätte Alec etwas erwähnt, dann wäre Jace den Abend hinweg sicher nicht die Entspannung selbst gewesen. Ganz im Gegenteil wäre er wahrscheinlich schon längst in die Garnison marschiert, wo Imogen sich selbst jetzt sicherlich noch aufhielt.

Innerhalb einer Sekunde traf ich eine Entscheidung. Ich befreite mich aus Jace' Armen und führte ihn schließlich durch die Menschen hindurch, an der Terrasse des Hauses vorbei zum seitlichen Teil des riesigen Gartens. Wo Adam von der Gruppe Jungs überrumpelt worden war. Dort – in den Schatten, der Lichterketten – angekommen entließ ich ihn aus dem eisernen Griff, in dem sich meine Finger unbewusst um sein Handgelenk gewickelt hatten. Schweigend trat ich einen Schritt zurück und wartete, bis Isabelle ebenfalls mit den Schatten verschmolz. Ich war mir sicher, dass sie die Lichter bewusst auf diese Weise platziert hatte – weil Isabelle Lightwoods Handlungen stets ein Auge fürs Detail besaßen.

„Du weißt, dass ich die letzten Tage an Strategien gearbeitet habe", setzte ich an, weil sich die Welt trotz des Adrenalins weiter um mich drehte und ich meine Füße förmlich in die Erde stemmen musste, um nicht zu schwanken. Ich griff nach den Gedanken, wie sie gerade kamen und warf sie Jace entgegen, in der Hoffnung, dass er meine Sprünge verstehen würde.

Jace nickte langsam. „Du wolltest mir keine Details verraten, weil du darauf beharrt hast, sie erst fertigzustellen", sagte er und sein Fokus fuhr flüchtig zu Isabelle. Seine Miene hatte sich verdüstert. Die Zähne zusammengebissen versuchte er, zu begreifen, was hier vor sich ging.

„Heute Morgen war ich bei Imogen und habe sie mit ihr geteilt", fuhr ich fort. „Ich habe gehofft, dass sie meine Pläne wenigstens ansatzweise in Erwägung ziehen würde. Dass sie sie vielleicht nimmt und verbessert oder auf ihrer Basis einen neuen Plan entwirft."

„Aber das hat sie nicht", schlussfolgerte er und ein Funken der Aufregung schob sich in seine Pupillen. Er regte sich an meiner Stelle über seine Großmutter auf. „Es tut mir leid, dass sie so stur ist. Ich wünschte, sie würde dir nach allem endlich eine Chance geben. Niemand kennt deinen Vater so gut wie du. Sie müsste es besser wissen!"

Doch ich schüttelte abwimmelnd den Kopf. „Sie hat den Plan übernommen", flüsterte ich in die kühle Nachtluft, welche die Musik und Stimmen vom Garten zu uns herübertrug. Jace machte große Augen. „Der Kriegsausschuss hat keine einzige Änderung vorgenommen. Wir brechen morgen Mittag auf, um Mellartach aus dem Besitz meines Vaters zurückzuholen. Lange bevor die eigentliche Schlacht losgeht. In der verschwindend geringen Hoffnung, dass wir sie völlig verhindern können, noch ehe sie beginnt."

Mehrere Emotionen spiegelten sich auf Jace Gesicht. Die Einzige, die blieb, war eine seriöse Zuversicht, welche mir die Kehle zuschnürte. Er ergriff meine Hände, wärmte meine mit seinen längeren Fingern. „Wir wussten, dass dieser Tag kommen würde, Clary. Wir sind bereit. Du bist bereit."

Ich schluckte die Galle herunter, die sich einen Weg nach oben bahnte. Jace dachte, dass ich mir wegen der Mission Sorgen machte. Dass ich mich vor der Konfrontation mit meiner Familie fürchtete. Isabelle verlagerte unruhig das Gewicht, schwieg jedoch. Tatsache war, dass ich viel zu beschäftigt gewesen war, um mir über den Kampf an sich Gedanken zu machen. Dem Erzengel sei Dank. Selbst jetzt wirkte das Aufeinandertreffen in weite Ferne gerückt.

Dabei bist du in weniger als 24 Stunden womöglich schon längst tot und alle, die dir etwas bedeuten, auch.

„Ich habe keine Angst vor meinem Vater oder vor Jonathan", sagte ich. Es war die Wahrheit. Sowohl Isabelle als auch Jace zuckten beim Namen meines Bruders zurück und erforschten mich eindringlich auf eine gleiche Reaktion. Denn für gewöhnlich mied ich seinen Namen, wo ich nur konnte; ertrug es nicht, ihn zu hören; scheute mich vor dem schieren Gedanken an ihn. Nicht jetzt. Nicht mehr. Nie wieder.

„Ich habe Imogen den Plan mit völliger Offenheit präsentiert. Fakt ist, dass eine sehr große Chance besteht, die gesamte Einheit zu verlieren. Dass es niemand lebendig rausschafft. Valentin ist gerissen und er erwartet uns mit Sicherheit. Imogen weiß genau, in welche Hölle sie uns schickt und was auf dem Spiel steht. Wir stehen alle auf dieser Liste, Jace. Ich bin froh, dass ich draufstehe, weil ich mich sonst ohne ihr Einverständnis weggeschlichen hätte. Aber du stehst nicht auf dieser Liste. Du bist der Einzige, der nicht draufsteht."

„Was meinst du damit, ich stehe nicht auf der Liste?" Jace war zu geschockt um verblüfft auszusehen. „Natürlich stehe ich drauf. Ihr seid alle dabei, also ich auch."

Isabelle schüttelte vehement den Kopf. „Imogen will nicht, dass du auf diese Mission gehst. Sie weiß, was auf dem Spiel steht. Sie hat Angst, dass du es nicht schaffen wirst. Sogar Adam ist dabei!" Den letzten Satz warf sie mit einem empörten Unterton in die Runde.

„Warum ..." Jace stockte und blitzte erst mich und dann Isabelle an. „Warum erfahre ich das erst jetzt?"

„Sie hat uns verboten, dir davon zu erzählen", sagte ich und überbrückte den Abstand zu ihm. Meine Befürchtung, dass er mich nach dieser Aussage nicht in seiner Nähe haben wollte, bewahrheitete sich nicht. Sein linker Arm schlang sich um meine Hüfte, ohne mich an sich zu ziehen. „Wir haben auf sie eingeredet, bis sie zugestanden hat, deinen Status zu überdenken. Sie versucht deine Teilnahme zu verhindern, Jace. Sie–"

Das Knirschen von Erde unter Stiefeln ließ mich innehalten. Unsere Köpfe schwangen herum, als mehrere Gestalten um die Ecke des Anwesens gebogen kamen. Adam, Magnus und Alec. Als wir in ihr Sichtfeld gerieten, blieben sie wie angewurzelt stehen. Magnus' paillettenbesticktes Sakko warf das wenige Licht zurück wie ein glitzernder See, der in Bewegung war.

„Hier seid ihr." Alec löste sich als erster und gesellte sich zu uns. „Ich habe dich gesucht, Jace."

„Hier stimmt doch etwas nicht", bemerkte Magnus forschend, als niemand von uns die Stimme erhob. „Über die Jahrhunderte habe ich ein Gespür dafür entwickelt, wann Nephilim in Aufruhr sind. Und eure Anspannung kann man ja förmlich riechen!"

„Wir haben Jace von der Mission erzählt", berichtete Isabelle an die anderen gewandt.

„Magnus ist auch dabei?" Jace' Tonfall war vor Entrüstung einige Oktaven in die Höhe geschnellt.

„Na, na. Ich bin ja wohl mit Abstand die erfahrenste Person in dem Team." Magnus rümpfte beleidigt die Nase und schnipste ein unsichtbares Staubkorn von seiner makellosen Schulter.

„Er meinte das nicht persönlich", murmelte Alec beschwichtigend, ehe Jace nachholen konnte. Er wandte sich an seinen Parabatai und nagelte diesen mit der Intensität seiner blauen Iriden fest. Ich spürte, wie Jace' Arm um mich versteifte. „Nach unserem Protest hat sie eingelenkt, ihre Entscheidung wenigstens zu überdenken. Sie kann dich nicht davon abhalten, sich uns anzuschließen. Ich habe extra nachgelesen. Der Kodex verbietet es, dass sie Parabatai getrennt in die Schlacht schickt."

„Als wäre Imogen der Kodex jemals wichtig gewesen", murmelte Adam mehr zu sich selbst als zu uns. Er hatte nicht unrecht.

„Ich werde euch begleiten", sagte Jace mit einer Vehemenz, welche seine Stimme erbeben ließ. Das Gold seiner Augen kam im Dunkeln einem dunklen Bronzeton gleich. „Ich werde mich sicher nicht verstecken, während ihr eure Leben riskiert."

„Das haben wir auch nicht erwartet." Isabelle klopfte ihm auf den Rücken. „Klärt ihr das, ich muss zurück zur Party. Es können schließlich nicht alle Gastgeber vom Erdboden verschluckt werden." Sie zwinkerte erst mir und dann Magnus ein letztes Mal zu, bevor sie hinter der Ecke verschwand.

„Also, wie sieht dieser Plan aus, den du mir so lange vorenthalten hast?", fragte Jace nun an mich gewandt.

Ich legte den Kopf in den Nacken, um ihn geradewegs anschauen zu können. Ein grimmiges Lächeln klebte sich an meine Lippen. „Ich werde ihn dir in allen Einzelheiten schildern."


-

Genießt dieses unbeschwerte Kapitel, es war nämlich das Letzte. Trotz einiger Stellen, wie der Charaktervorstellung von Sebastian Verlac, die zur Illustration der alternativen Welt zu Clares Werken dienen, ist doch ein wenig Inhaltliches geschehen. Clarys Unterhaltung mit Adam sollte nicht unterschätzt werden. Wie hat euch das Kapitel gefallen?

Skyllen

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top