Kapitel 81 - Parabatai or Lover
Kapitel 81 – Parabatai or Lover
--- 2 Tage vor Beginn des Krieges. ---
„Parabatai?", imitierte ich Isabelle krächzend.
Isabelle nickte und zog an meinen Händen, wie wenn sie mir etwas signalisieren wollte. Wie wenn sie mich auf etwas aufmerksam machen wollte, was sie schon längst erkannt hatte. „Ich möchte, dass wir Parabatai werden, Clary."
Mein Mund klappte auf. Eine Welle der Hitze überkam mich. Wie der Kern eines Vulkans, tief im inneren meines Körpers, brodelte sie nach oben, nach außen und durchflutete mich dabei mit einer Hitze, als hätte man mich in einen Magmastrom geschubst. Meine Sinne nahmen das aufkeimende Gemurmel um mich herum nur am Rande wahr.
„Du willst, dass ich deine Parabatai werde?", wiederholte ich langsam und deutlich und fürchtete mich bereits vor den Lachern, die folgen würden. Denn ich war mir sicher, dass ich Isabelle falsch verstanden haben musste.
Doch Isabelles Lächeln gewann an Intensität, als würde dieser plötzliche Tagtraum einfach weiterlaufen. Ihre Finger krallten sich in meine, als fürchtete sie sich, dass ich loslassen würde. Dabei nahm ich den Druck ihrer Haut auf einmal kaum noch wahr. Mein Puls pochte so laut in meinen Ohren, dass ich ihre folgenden Sätze nur mit Mühe verstand. „Ich habe immer gedacht, dass ich weiß, was Freundschaft ist. Freundschaft war für mich immer nur die Beziehung zweier Menschen, die nicht romantischer Natur ist. Ich habe alle, mit denen ich auch nur ab und zu Kontakt hatte, als meine Freunde bezeichnet. Menschen, die eigentlich nur Bekannte sind. Loyalität und Vertrauen war für mich immer Synonym mit Familie, weil ich das nur von dort kannte. Als Nephilim muss man der Gemeinschaft im Kampf vertrauen, aber das ist vorbei, sobald es persönlich wird. Ich habe mir nie etwas dabei gedacht, weil ich diese Art der Bindung nur von Alec und Jace kannte, die selbst Parabatai sind. Kurz gesagt, ich hatte ziemlich lange gar keine Ahnung, was eine Freundschaft überhaupt ist."
„Bis ich dich kennengelernt habe", fuhr Isabelle fort und das Lächeln auf ihren blassen Lippen sah seltsam verzerrt aus. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich begriff, dass es Nervosität war. In Reaktion fielen mir fast die Augen aus dem Kopf, denn ich kannte niemanden, der so selbstsicher und gefasst war wie Isabelle. Sie wäre die Erste, die in einem verlorenen Kampf einen klaren Geist bewahren würde. „Unser Start war ziemlich holprig, aber ich bin so froh, dass ich meine Vorurteile überwunden habe. Denn du hast mir gezeigt, was wahre Freundschaft ist, Clary. Du hast mir dort oben das Leben gerettet und du hast nicht einmal gezögert. Als du zu Blakes Haus gegangen bist, hast du dich mir anvertraut, weil du wusstest, dass ich dich nicht verraten würde. Genauso, wie ich weiß, dass ich dir mein Leben anvertrauen kann. Bis auf meine Familie gab es vor dir niemanden, von dem ich das behaupten kann."
„Ich würde dir mein Leben auch anvertrauen", sagte ich leise, überwältigt von der Bedeutung ihrer Worte. Ein Hauch von ehrlicher Überraschung hing darin, als mir die Tatsache auffiel, die mein Vater als einen Fehler bezeichnet hätte. „Vor drei Monaten hätte ich nicht einmal geglaubt, im Kampf jemals jemand anderem als Jonathan zu vertrauen."
„Viele Schattenjäger haben keinen Parabatai. Man kann das Ritual nur bis zum Ende des 18. Lebensjahres abschließen. Bis dahin muss man erstmal jemanden finden, mit dem man diesen Bund eingehen will. Ich habe nicht damit gerechnet, jemals einen Parabatai zu haben."
„Bist du dir sicher?", fragte ich flüsternd. Es wollte mir nicht in den Kopf, dass sie es war. Dass sie mich wollte. So wie ich bis heute noch nicht ganz begriffen hatte, dass Jace mich wollte. Ja, ich war es wert, geliebt zu werden. Ich war es wert, eine Freundin zu sein. Ich wusste all diese Dinge. Aber dass sie mich auch als die Person sahen, die ich wirklich war, war etwas anderes.
„Das bin ich", antwortete Isabelle voller Entschlossenheit, als hätte sie sich schon viel länger als heute Gedanken darüber gemacht.
„Man wird über dich urteilen", entgegnete ich. „Einige werden es auf deine Eltern schieben. Sie werden sagen, dass sie Valentin nie entsagt haben. Sie werden dich ächten und meiden, weil sie die Morgensterns verachten."
Isabelle rollte nur mit den Augen. „Du lebst in unserem Haus. Du bist jeden Tag von uns umgeben. Ich glaube über dieses Argument sind wir schon lange hinaus. Und selbst wenn nicht, mir ist die Meinung von diesen Leuten scheißegal. Ich könnte mich nicht weniger dafür interessieren, was Imogen Herondale, der Rat oder meine eigenen Eltern denken."
Tränen liefen mir über die Wangen. Ich musste an meine Mutter denken. Hatte sie sich das hier vorgestellt, als sie mich von meinem Vater fortgezwungen hatte? Hatte sie daran geglaubt, dass ich tatsächlich Anschluss in dieser Gesellschaft finden würde, von der sie einst ein Teil gewesen war?
„Ich frage dich jetzt ganz offiziell. Clarissa Morgenstern, erweist du mir die höchste Ehre und wirst meine Parabatai?"
Ich zögerte nicht. „Ja", sprudelte es aus mir heraus. Und dann lagen wir uns in den Armen.
Alles danach war ein Wirbel aus Glückwünschen, Gelächter und Tränen. Viel Zeit zum Feiern blieb uns jedoch nicht. Meine Rune hatte Isabelle so viel Kraft gekostet, dass sie nicht einmal aufrecht stehen konnte. Die Iratzen halfen nur begrenzt und die Stillen Brüder vermuteten, dass wir beide eine lange Nacht Schlaf bräuchten und wir morgen weitersehen würden. Danach entließen sie uns aus den Basilias.
Adam war aufgebrochen, um der Inquisitorin über seine Informationen in Kenntnis zu setzen. Alec hatte ihn eingeladen, die nächsten Nächte bei uns im Anwesen der Lightwoods zu verbringen. Er hatte ihm das Zimmer neben meinem angeboten. Nun, wo er seine Familie an den Rat ausgeliefert hatte und auch bereit war, alles unter dem Einfluss einer Wahrheitsrune zu wiederholen, würde er in seinem eigenen Zuhause nicht mehr willkommen sein. Dessen war Adam sich sicher. Doch er hatte abgelehnt. Er wollte und konnte seine Geschwister nicht im Stich lassen. Seinen Eltern den Rücken zu kehren, musste eine, wenn nicht die schwerste Entscheidung seines Lebens gewesen sein. Ich kannte sie nur spärlich, hatte auf dem Ball wenige Worte mit ihnen gewechselt. Doch Adams Geschwister waren alle deutlich jünger als er und er wollte sie nicht allein zurücklassen. Denn zum jetzigen Stand war ihr Plan, dass die gesamte Familie Demonhunter Alicante verließ. Eingeschlossen Adam und seiner Brüder. Etwas, was Adam verhindern musste.
Anders als Adam machten wir uns ohne Umschweife auf den Weg nachhause. Isabelle und ich würden uns ausschlafen und Jace und Alec würden ... keine Ahnung. Pläne schmieden vielleicht. Irgendetwas nützliches würden sie finden. Und wenn es auch nur der Beginn einer Idee war, wie wir meinen Vater davon abhalten konnten, Raziel am Lake Lyn heraufzubeschwören. Denn nun, wo wir wussten, wo und wie die Beschwörung stattfinden würde, mussten wir alles daransetzen, Valentin und Jonathan zu überlisten.
Alec schob gerade Isabelles Rollstuhl über die Türschwelle des Anwesens, als sie zu sprechen begann. „Ich habe nachgedacht", sagte sie an mich gewandt, ein neuentstandenes Funkeln in ihren dunklen Pupillen. „Wir können die Zeremonie schon morgen abhalten."
Obwohl wir uns dafür entschieden hatten, den Parabatai-Bund einzugehen, hatte ich keinen Gedanken an die Zeremonie verloren. „So schnell geht das doch nicht. Wir haben noch keinen der Tests durchlaufen. Vor Kriegsbeginn werden wir niemals dazu kommen."
Nur weil zwei Schattenjäger sich gefunden hatten, konnten sie sich nicht einfach die Parabatai-Rune auftragen. Der Zeremonie, welche vor versammeltem Rat stattfand, gingen mehrere Tests voraus, die man gemeinsam absolvieren musste. Inhalt der Tests war geheim und wurden den beiden Anwärtern erst mitgeteilt, wenn es so weit war. Sie waren dazu gedacht, den Bund auf die Probe zu stellen. Um sicherzugehen, dass man wahrhaftig dazu bestimmt war, Parabatai zu werden.
Doch Isabelle schnaubte nur und machte eine wegwerfende Handbewegung. Dass sie dabei halb-zusammengesunken im Rollstuhl saß, machte die ganze Geste nur amüsanter. „Wir waren im Himmel und haben einem Engel getrotzt und überlebt. Wenn jemand sich bewiesen hat, dann ja wohl wir."
„Du magst zwar recht haben", kommentierte Alec geistesabwesend, während er die Tür hinter uns zuschlug. „Allerdings musst du Imogen auch davon überzeugen."
„Sie wird nicht glücklich darüber sein", gab Jace mit tiefer Stimme zu bedenken. Er war schon den ganzen Abend in einer merkwürdigen Stimmung. Seit ich in den Basilias wieder aufgewacht war. Er hatte mir nicht minder glücklich als die anderen gratuliert, nachdem Isabelle und ich uns zu Parabatai erklärt hatten. Und trotzdem ... Etwas stimmte nicht. Er war verstimmt und ich wusste nicht, weshalb. Den ganzen Weg hatte er mich hergetragen, mich jedoch kein einziges Mal direkt angeschaut. Als würde er irgendein Objekt durch die Gegend schleppen und keinen Menschen.
„Gerade deswegen", kicherte Isabelle. „Allein ihr Gesicht zu sehen, wird es wert sein um eine sofortige Zeremonie zu bitten."
Der Gedanke brachte mich schließlich auch zum Schmunzeln. Jace erklomm die Treppen, dicht gefolgt von Alec, der Isabelle nun ebenfalls hochgehoben hatte. Das fade Aroma von alten Holzdielen und abgebrannten Kerzen stieg mir in die Nase, als wir den ersten Stock erreichten. Die Müdigkeit nahm wie von selbst in meinen Adern zu.
„Und was, wenn sie ablehnt?", fragte Alec.
„Dann machen wir es einfach trotzdem." Ich zuckte mit den Schultern, obwohl sie es hinter uns wahrscheinlich gar nicht sehen konnten. „Wir müssen nicht vor dem Rat stehen, um uns die Runen aufzutragen. Die Hälfte des Raums wird es uns sowieso nicht gönnen."
In Alecs Armen prustete Isabelle erneut los. Auf der ersten Etage angekommen wünschten sie uns eine gute Nacht und Jace setzte seinen Weg nach oben fort. Sobald die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel und wir die zweite Treppe hochstiegen, verfielen wir in Stille. Auf einmal erschienen mir die in Holz eingekleideten Wände auf beiden Seiten der Treppe viel zu nah beieinander. Als würde uns kaum Platz bleiben, zwischen ihnen hochzugehen. Als würden sie mit jedem Schritt, den Jace tat, näher zusammenrücken und uns zwischen ihnen einschließen. Eigentlich war ich nicht klaustrophobisch, aber die Stimmung zwischen Jace und mir wirkte fremd und breitete ein unbekanntes Gefühl in meiner Magengrube aus.
Ich wartete; nicht wirklich im Klaren, ob er vielleicht einfach nur erschöpft war oder ich seine Körpersprache möglicherweise falsch gedeutet hatte. In der für Jace typischen Anmut öffnete er die Tür zu meinem Zimmer, ohne seinen Griff um mich zu lockern. Fast lautlos schob er sie nach seinem Eintreten mit einem Fuß ins Schloss und schlenderte anschließend zu meinem weiten Bett hinüber. Vorsichtig setzte er mich auf der Matratze ab und zog seine Arme unter meinem Körper fort. Sobald seine Berührung auf meiner Haut verebbte, war ich mir sicher, dass ich mit meiner Vermutung recht hatte. Ein Blick in sein Gesicht reichte. Die Art, wie er sich von mir zurückzog reichte.
Einen Moment lang schwebte Jace über meinen liegenden Körper gebeugt, seine leeren Augen auf einen Punkt rechts von mir fokussiert. Dann wippte er auf seinen Fußballen nach hinten und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.
Unbehagen machte sich beim Anblick der Maske vor seinem Gesicht in meinen Adern breit. Ich konnte nicht beziffern, was es war, was mich verunsicherte. Ein Instinkt tief in meinem Bauch sagte mir, dass er gleich den Rückzug antreten würde, falls ich nicht intervenierte. Jace bewegte sich rückwärts, fort vom Bett und seine Muskeln deuteten an, dass er sich jede Sekunde umdrehen würde.
Vergangene Nacht hatte er noch unbedingt hier sein wollen, bei mir, und nun schien es so, als würde er nichts lieber, als schnellstmöglich von mir wegkommen.
„Danke, dass du mich vor Alec verteidigt hast", hauchte ich in die Mauer des Schweigens zwischen uns. In der Hoffnung, seine Stimme zu hören. Es war egal was er sagte, solange er irgendetwas sagte. Ich wusste nicht, wo meine eigene aufkeimende Unruhe herrührte.
Jace blinzelte in Reaktion auf meine Worte und einen sich schrecklich langziehenden Moment fürchtete ich, dass er gar nichts erwidern und einfach verschwinden würde. Aber dann begann seine Maske zu bröckeln. Seine Lippen, die fest aufeinandergepresst waren, fingen plötzlich an zu beben, als würde er versuchen, sich vom Reden abzuhalten.
„Du solltest schlafen. Die Brüder haben gesagt, dass es deinen Körper einiges kosten wird, wieder zu Kräften zu kommen", war alles, was Jace erwiderte. Kalt und distanziert und überhaupt nicht besorgt, wie man bei solchen Worten erwarten würde.
„Es geht mir gut", gab ich zurück.
Das abschätzende Lachen, welches den Raum durchriss wie ein scharfes Schwert, ließ meinen Kopf ruckartig hochfahren. „Das schon wieder? Tu nicht so, als würde es dir gut gehen. Du siehst schrecklich aus."
„Wow, vielen Dank für das Kompliment", murmelte ich schnippischer als geplant. „Gut, dass ich meinen Zustand wohl noch besser einschätzen kann als du. Der Tag hätte nicht besser für uns laufen können, also ja, mir geht es mehr als gut."
„Was, willst du jetzt einfach so tun, als wäre nichts passiert?" Der Vorwurf in Jace' Stimme war unüberhörbar. Als hätte ich ein Verbrechen begangen, dessen Geständnis er aus mir herauswürgen wollte.
„Wir wissen, wo der Spiegel ist." Während ich sprach, starrte ich ihm herausfordernd in die Augen. Wenn er sich unbedingt wie ein Idiot verhalten wollte, bitte sehr. „Was ist dein Problem?"
„Mein Problem", betonte Jace, als wäre die Antwort darauf offensichtlich. „Bist du." Der Todesblick, den er mir zuwarf, hätte vom früheren Jace stammen können. Er machte einen weiteren Schritt rückwärts und stand nun mit dem Rücken zu meinem Schrank.
Unterdessen hatte ich mich in den Kissen aufgerichtet, um ihn besser zu mustern. Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt, obwohl ich nicht einmal wusste, weshalb. „Was meinst du?"
„Ich meine, dass du heute fast von einem Engel getötet worden wärst und es dir völlig egal ist. Besser noch, du machst dich darüber lustig."
„Ich verstehe nicht ..."
„Genau das ist dein Problem, Clary. Du verstehst nichts."
„Dann erleuchte mich endlich!", platzte es aus mir heraus wie eine explodierende Bombe. Mit einer Lautstärke, welche Jace zusammenzucken und gegen den Schrank prallen ließ. „Was willst du von mir Jace? Rück raus mit der Wahrheit, anstatt kryptische Bemerkungen zu machen!"
Ich hatte gedacht, meine soziale Unfähigkeit mit Jace endlich hinter mir gelassen zu haben. Anscheinend hatte ich mich in mir selbst getäuscht; mich selbst überschätzt. Denn nein, ich war immer noch nicht in der Lage dazu, ein persönliches Gespräch zu führen, ohne dabei auf kurz oder lang an die Decke zu gehen. Zumindest, wenn meine Schwächen im Vordergrund standen.
Sobald Jace sich fasste, ballte er die Finger zu Fäusten. „Als du dich heute für Isabelle opfern wolltest, hast du da auch nur eine Sekunde an mich gedacht?", presste er unter zusammengebissenen Zähnen hervor.
Etwas sagte mir, dass ich mir meine folgenden Worte genaustens überlegen sollte. Ich legte den Kopf schief, scannte Jace genauer, während ich mir Zeit für eine Antwort ließ. „Es ging viel zu schnell, um sich um überhaupt etwas Gedanken zu machen. Ich habe aus Instinkt heraus gehandelt. Dafür bin ich ausgebildet worden."
„Du bist nicht dafür ausgebildet worden, anderen das Leben zu retten."
„Ohne mich wäre Isabelle gar nicht erst in Gefahr gewesen. Es war meine Pflicht, Ithuriel daran zu erinnern. Worauf willst du hinaus, Jace?"
„Ich will darauf hinaus, dass du heute hättest sterben können. Es bestand eine Chance, dass Isabelle mir deinen Tod hätte mitteilen müssen. Eine Chance, dass du dich für sie geopfert hättest und ich dich noch vor Beginn des Krieges verloren hätte. Weißt du überhaupt, was das mit mir gemacht hat, zu hören, wie ihr darüber kichert, dass ihr dort oben fast gestorben wärt? Zu hören, dass du ohne mit der Wimper zu zucken gestorben wärst, ohne überhaupt an mich zu denken?"
Jace schaute mich nicht an als er sprach. Nein. Er starrte an mir vorbei, aus dem Fenster raus. Sein Blick war so eisern, so voller Emotionen, dass ich nicht sagen konnte, was er fühlte. Zu viel. Eine Mischung vielerlei.
Vor meinem inneren Auge spielte ich die Szenen im Himmel erneut ab. Es war keine Zeit gewesen, an ihn zu denken. Ich hatte in Isabelles Sinne gehandelt, im Sinne der Nephilim und des Konflikts mit meinem Vater. „Hättest du an meiner Stelle anders gehandelt? Wenn Ithuriel, sie wirklich getötet hätte, – und ich habe geglaubt er würde –, hättest du Isabelle dann nicht verteidigt? Wenn du gewusst hättest, dass du eine Chance hast, ihn umzustimmen."
„Ich weiß es nicht, ich war nicht da", schoss Jace zurück, als hätte er dieses Argument im Kopf bereits durchgespielt. „Isabelle ist meine Schwester. Sie ist eine der wichtigsten Personen in meinem Leben. Das ist keine leichtfertige Entscheidung, dessen bin ich mir bewusst. Aber so irrational und schrecklich es sich anhören mag, wenn ich zwischen euch wählen müsste, dann–"
„Es geht hier nicht darum, wenn du wählen würdest!", zischte ich und drückte die kühlen Rückseiten meiner Hände vor meine Augen. „Es geht darum, was richtig ist. Mein Handeln war richtig."
„Nur für das große Ganze. Nicht für mich. Nicht für dich." Jace' Knurren ließ das Zimmer vibrieren. „Ich bin kein Held. Ich würde mich nicht für die Welt opfern, wenn unsere Trennung die Konsequenz wäre. Ich verstehe nicht, warum du eine Heldin sein willst. Der Großteil dieser Welt hasst dich, Clary."
Nun war ich es, die vor seinen Worten zurückzuckte. „Ich bin keine Heldin. Es ging hier nicht um die Welt, sondern um Isabelle. Um meine Freundin. Deine Schwester."
„Denkst du, ich wäre nicht dankbar, für das was du getan hast? Das bin ich. Aber wer sagt, dass du dich beim nächsten Mal, wenn es nicht Isabelle oder Adam oder ich selbst bin, nicht auch in den Weg eines Engels oder Messers oder Dämons wirfst? Es geht um deine Verhaltensmuster. Du hast eine Tendenz, die Leute um dich herum retten zu wollen, egal ob sie es verdienen oder nicht!"
„Aber genau das ist doch der Punkt!", rief ich und riss die Hände fort von meinem Gesicht. Meine Augen trafen Jace'. Er versuchte gar nicht, den brodelnden Mix aus Verzweiflung und Zorn zu verstecken. „Das alles ist das Werk meines Vaters. Die Dämonen am Landhaus, Jonathans Messer und auch unser Besuch bei Ithuriel. Ich kann nicht zulassen, dass mehr wegen meiner Familie den Tod finden."
„Nichts davon ist deine schuld! Du bist nicht für deine Familie verantwortlich, Clary!"
„Wie soll ich damit leben, dass meine Familie frei herumläuft und Unschuldige abschlachtet?" Ich weitete die Augen in Reaktion, zwang mich dazu, nicht zu blinzeln. Denn sobald mich die Dunkelheit einhüllte, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, würde ich wieder die Fratze des Dämons vor mir sehen – die Stapel an Toten, Jace und die anderen an Kreuzen hängend.
„Und was wenn das Glück eines Tages nicht auf deiner Seite ist?", warf Jace herausfordernd und vorwurfsvoll ein. „Was wenn dich dieses Verhalten dein eigenes Leben kostet? Und bevor du etwas sagst, nein. Einfach nein. Dann hast du nicht alles in deiner Macht Stehende getan. Wie soll ich mit deinem Tod leben? Ich kann nicht ohne dich leben. Jedes Mal, als ich dachte, dass ich es könnte, hat das Universum mich vom Gegenteil überzeugt."
Ich konnte Jace' fieberhaftem Blick nicht länger standhalten. Meine Zunge war leer und trocken und in meinem Gehirn herrschte auf einmal knisternde Funkstille. Jace bewegte sich vorwärts und blieb auf halber Strecke zwischen Schrank und Bett wie angewurzelt stehen. „Ich flehe dich an, dich wenigstens eine Minute in meine Lage zu versetzen. Ein Leben ohne dich macht keinen Sinn für mich. Ich will keinen Atemzug in einer Welt nehmen, in der du nicht mehr bist. Das ist, was Liebe für mich bedeutet."
Ich tat, worum er mich bat. Ich schloss meine Augen, drückte bequemerweise die Tränen fort, die sich zu bilden drohten und stellte mir vor, dass es heute andersherum gewesen wäre. Nur der Gedanke an eine Welt, in der Jace nicht existierte, war ... unvorstellbar. Eine Welt ohne sein arrogantes Grinsen, ohne seine sarkastischen Bemerkungen, ohne seine Wärme neben meiner. In dieser fatalen Sekunde wurde mir plötzlich klar, wie schnell ich mich an ihn gewöhnt hatte. Wie schnell er sich in meinem Herzen eingenistet hatte und wie weltzerreißend es sein würde, falls ich ihn verlor. Denn er hatte recht, ich wusste nicht, ob ich überhaupt damit zurechtkommen würde. Nach allem, was ich bereits verloren hatte.
„Wirfst du mir vor, dass ich dich nicht so liebe, wie du mich?", fragte ich freiheraus und diesmal ließ ich die Tränen gewähren. Ich war ein zu großer Feigling, um Jace direkt die Stirn zu bieten.
Über mir hörte ich, wie Jace den Kopf schüttelte. Einige Metallteile seiner Montur klimperten dabei. „Das ist kein Vorwurf. Ich verlange nicht, dass du mich genauso sehr liebst, wie ich dich liebe." Doch im Gegensatz zu seinen Worten bereitete mir sein Ton eine solche Gänsehaut, dass sich der Raum um mich herum zu drehen begann.
„Aber?" Mir stockte der Atem.
„Es ist ein Unterschied, zu wissen, dass deine Partnerin sich aktiv in den Tod stürzen würde, als wenn der Tod sie unvermeidbar ereilt. Ich kann und will nicht mit der Angst leben, dass deine Schuld dich umbringen könnte. Es würde mich mit umbringen. Ich ..." Nun rang er in einem Krächzen mit sich selbst, als würde ihm jede Silbe wehtun. „Ich weiß nicht, ob das mit uns eine gute Idee ist, wenn ich immerzu fürchten muss, dass du dich für andere opferst, nur um eine imaginäre Schuld deiner Familie zu begleichen. Du bist Clarissa Morgenstern, nicht Valentin oder Jonathan Morgenstern. Dich trifft keine Schuld und es wird Zeit, dass du das akzeptierst. Denn sie werden nie mit dem Morden aufhören."
Mit anderen Worten: Wenn du es nicht akzeptierst, können wir nicht zusammen sein.
Von all den Dingen, die ich heute erwartet hatte, war diese Aussage noch tiefer auf meiner Liste gewesen, als den Standort des Engelsspiegel herauszufinden oder eine Parabatai zu kriegen.
Mein Herz sank so tief, dass ich das Gefühl hatte, gar keines mehr zu haben. Auf einmal fehlte dem Zimmer jegliche Luft, als hätte jemand ihm den Sauerstoff entzogen. Meine Sinne verloren alle plötzlich an Intensität – Farben verschwanden, Gerüche wurden fade, meine Ohren pochten.
„Ich will dir nicht vorschreiben, wie du dein Leben zu führen hast", fuhr Jace leise fort, als ich keine Reaktion zeigte. „Ich will dich auch nicht in eine Ecke drängen. Ich will einfach nur, dass du weißt, wie ich mich fühle. Ich will nur, dass du die Angst verstehst, die mich auffrisst."
Die Welt oder Jace.
Meine Wangen glühten. Meine Schweißdrüsen wussten auf einmal nicht, wohin mit all der Hitze, die durch mich rauschte wie eine Zunge himmlischen Feuers. Während ich seine Worte noch verarbeitete, übernahm mein Überlebensinstinkt die Kontrolle. Wie durch ein Fingerschnipsen war ich auf Standby und konnte nur noch von weither wahrnehmen, was sich vor meinen Augen ereignete.
„Danke für deine Ehrlichkeit." Mechanisch spannten meine Stimmbänder sich, teilten sich meine Lippen. „Ich verstehe, dass du so empfindest. Allerdings denke ich, dass es besser wäre, wenn wir das Gespräch morgen weiterführen. Ich bin gerade nicht bei klarstem Verstand."
Soziale Gespräche konnte ich anscheinend wohl doch. Oder nur, wenn ich mich auf dem Rückzug befand. Oder weil die Niederlage so klar war, dass es keinen anderen Ausweg gab. Ein Feigling war ich trotzdem. Dem Elefanten im Zimmer ausweichen war keine Konfliktlösung.
„Natürlich." Jace' aufgesetzte Höflichkeit klang so steif wie ich mich fühlte. Er lehnte sich zu mir herunter und drückte einen flüchtigen Kuss auf meine Wange, welcher sich verdächtig nach Abschied anfühlte. „Es tut mir leid."
„Nein, mir tut es leid", flüsterte ich mit zugeschnürter Kehle.
-
Ein schönes und ein schwieriges Gespräch. Clary und Isabelle werden Parabatai! Habt ihr es erahnen können? Mir war schon früh klar, dass es für Clary darauf hinauslaufen sollte, aber es war lange die Entscheidung zwischen Adam und Isabelle. Adam ist ja mein eigener Charakter und als ich vor all den Jahren mit dieser FF angefangen habe, wusste ich gar nicht so recht, was ich mit ihm anfangen sollte. So ist das, wenn man ohne Planung wild drauf losschreibt und dann paar Jahre später wieder Bock hat, die Geschichte zu Ende zu schreiben haha.
Jace hingegen ... Was denkt ihr über sein Geständnis? Könnt ihr seine Gefühle Clary gegenüber nachvollziehen? Er will nur das Beste für sie, will sie so weit vom Tod fernhalten wie nur möglich. Aber findet ihr, dass er übertreibt?
Über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen! :)
Liebe Grüße
Skyllen
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