Kapitel 78 - Deja-Vu

Kapitel 78 – Deja-Vu

--- 2 Tage vor Beginn des Krieges. ---

Zumindest sah Isabelle aus, als wäre sie tot. Ihre Brust bewegte sich minimal. So leicht, dass ich mit meiner schwächelnden Sehkraft dreimal nachprüfen musste, um sicher zu sein. Der Puls an ihrem Hals war so niedrig, dass sich sofort ein weiteres Schluchzen gegen die Innenseiten meiner Lippen drückte.

„Nein. Das kann nicht sein. Sie war am Leben", murmelte ich vor mich hin, unfähig mich Adam zuzuwenden. „Wir haben das Reich gemeinsam verlassen. Sie müsste schon längst aufgewacht sein. Sie–"

Panik jagte durch meine Adern wie die Glut eines glühenden Eisenstabs. Wieso war ich so vergleichsweise wohlauf? Die Rune hätte sie nicht mehr schwächen dürfen als mich, eigentlich sogar weniger, da ich sie geschaffen hatte. Was, wenn sie nicht wieder aufwachte? Was war los mit ihr?

„Wir müssen sie zu den Stillen Brüdern bringen", flüsterte ich. Adam neben mir bewegte sich nicht. Mein Gesicht fuhr herum und ich fixierte ihn mit jeder Willenskraft, die ich heraufbeschwören konnte. „Sofort!"

Zu meiner Überraschung stellte Adam keinerlei inhaltliche Fragen, wie ich von seiner wissbegierigen Natur erwartet hätte. „Was, soll ich dich einfach hier liegen lassen? Du kannst ja kaum laufen!"

„Hör mir jetzt genau zu, Adam, und mach genau, was ich dir sage." Mein Fauchen war nicht menschlich. „Du stehst jetzt auf, hilfst mir auf die Beine und danach hebst du Isabelle hoch. Und dann werden wir sie zu den Stillen Brüdern bringen. Wenn du mir jetzt nicht hilfst, Adam, dann schwöre ich, werde ich dich umbringen, so wahr mir die Erzengel helfen."

Adam nickte. „Natürlich helfe ich dir, Clary. Kein Grund, direkt gewalttätig zu werden."

Eine Minute später klammerte ich mich an Adams Arm fest und folgte seinen Schritten so gut es ging, während er eine bewusstlose Isabelle in seinen Armen hielt. Wir irrten durch die Gänge der Bibliothek. Die Zeit schien im Schneckentempo fortzulaufen, weil meine Beine zu viel Kraft beanspruchten, als dass meine Augen ihre Sicht noch scharfstellen konnten. Sobald mein unterkühltes Gesicht von einem frischen Wind erfasst wurde, konnte ich den ersten Meilenstein ausmachen.

Die Bibliothek befand sich am Platz der Engel genauso wie die Basilias. In normalem Tempo keine fünf Minuten.

„Schneller, Adam", forderte ich, obwohl ich jetzt bereits kaum mit ihm Schritt halten konnte. Jede Faser meines Körpers flehte nach Erlösung. Nichts lieber wollte ich als mich einfach auf den kalten Steingrund fallen zu lassen. Solange es bedeutete, dass ich meine Füße nicht weiter belasten musste, wäre es das wert gewesen.

Adams Füße beschleunigten sich kaum merklich. Es war genug, um mich fast von meinen eigenen zu reißen. Meine Finger krallten sich stärker in den Mantel seines Oberarms. Ich hatte meinen in der Bibliothek liegen gelassen, dafür war keine Zeit gewesen. Es war kein weiter Weg, versuchte ich mir wieder und wieder einzureden. Ihretwillen.

Falls sie starb, würde es allein meine Schuld sein. Ich durfte Isabelle nicht auf meinem Gewissen haben. Davon würde ich mich nicht erholen können. Es würde mich zerstören wie ein niemals endender Sturm an Messerstichen, die sich nur immer tiefer und tiefer in die Haut bohren, ohne mich jemals ganz zu durchstoßen.

Ein Keuchen riss mich aus meinen verworrenen Gedanken, aber als ich aufschaute, zeigte sich vor meinen Augen nichts als ein tanzendes Meer aus verschmierten, dunklen Farben. Ich würde stillstehen müssen, um irgendetwas zu erkennen.

„Was ist los?" Die Silben kamen kratzig und rau über meine Stimmbänder. Dieser Zustand der Unfähigkeit erinnerte mich ein wenig an das Gefühl von Alkohol in meinen Adern. Nur dass ich meine Muskeln und Gelenke überdeutlich spürte und jede kleinste Bewegung einen weiteren Nagel für meinen Sarg zu hämmern schien. Bereits jetzt fragte ich mich, wie viele Schritte es noch dauern würde, bevor ich zusammenbrach. Ich wusste, dass ich es nicht bis zu den Basilias schaffen würde. Ich hatte mein Können herausgefordert, hatte Isabelle und mich in Gefahr gebracht, als ich den Himmel herausgefordert hatte. Das hier war die Quittung. Ithuriel hatte recht. Wer war nur so arrogant, zu glauben, man könnte sich mit seinen Fähigkeiten in die Liga der Engel katapultieren?

„Es ist kaum jemand hier", erwiderte Adam gegen das Heulen des Windes. „So kurz vor dem Krieg ist jeder beschäftigt. Der Rat hat jeden verpflichtet; jedem Aufgaben zugeteilt. Was bedeutet, dass niemand Zeit hat, einfach durch die Stadt zu schlendern."

Was bedeutete, dass es niemanden gab, der uns helfen konnte. „Du sagtest ... kaum jemand." Der Boden war feucht und die begleitende Kälte schmiegte sich geschmeidig gegen die Unterseite meiner Stiefel, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der Wind zerrte an meiner Kleidung, an meinen Beinen, als würde er mich umwerfen wollen.

„... eine kleine Gruppe auf der anderen Seite des Platzes. Ich könnte schreien, aber ich glaube nicht, dass sie uns über den Sturm hören würden."

Sturm? Ich hatte Adam nur auf halbem Ohre zugehört. Heute Morgen war das Wetter doch noch so frühlingshaft gewesen. Vor meinem inneren Auge war es so leicht, das Gezwitscher der Vögel wachzurufen.

Plötzlich geriet die Welt vor meinen echten Augen aus den Fugen. „Pass auf!" Adams erstickter Ruf schickte einen elektrischen Schlag durch meinen Körper und mein Arm war alles, was mich aufrechthielt. Als ich die Lider aufriss, konnte ich seine bestürzten Züge mit einem Mal beinahe scharf vor mir sehen. Einige Sekunden taumelten wir über den Platz und irgendwo im Hintergrund meines Hirns fiel mir auf, dass wir ungefähr ein Viertel geschafft hatten. Die Ernüchterung fraß mich beinahe so sehr auf wie die Schuld.

Adam zu sehen, trieb ein schlechtes Gewissen durch meine Adern. Sein rechter Arm klammerte sich mit aller Kraft um Isabelles Körper, während er sie mit dem anderen gerade genug losgelassen hatte, um nach mir zu greifen. „Bleib wach, Clary", flehte er atemlos. Der aufbauschende Wind zerzauste sein braunes Haar, unterstrich die Verzweiflung in seinem Ton. „Halte dich an mir fest."

Zögerlich entließen seine Finger mich und glitten zurück unter Isabelles Kniekehlen. Ich krallte meine Hände stärker als zuvor in seinen Mantel, schwor mir, diesmal durchzuhalten. Endlich setzten wir uns wieder in Bewegung. Erst langsam, dann mit jedem Meter umso rasanter. So schnell wie meine übereinander stolpernden, schlitternden, schwerfälligen Füße erlaubten.

Die plötzliche Energie in meinem Blut hielt keine zwanzig Meter. Wo auch immer mein Körper diesen letzten Adrenalinschub herausgekramt hatte, er verlor sich in der Anstrengung und Witterungslage. Meine klare Sicht verabschiedete sich als erstes. Wo eben noch der Brunnen in der Mitte des Platzes gewesen war, flimmerten nun die unscharfen Umrisse eines großen, grauen Schemens.

Ein Schritt. Zwei Schritte. Drei Schritte. Allein die Tatsache, dass ich mich erst verzählte und schließlich völlig den Faden verlor, verdeutlichte meinen Gesundheitszustand. Ich versuchte, in mich zu gehen und jeden Funken an Kraftreserve hervorzulocken, um mich Fuß um Fuß vorwärtszuhieven. Doch einem leeren Speicher konnte man nichts entnehmen.

„Hälfte", murmelte Adam mehr zu sich selbst als zu mir, obwohl seine Stimme informierend klang. Mir entging jedoch nicht, dass ihr die sonst so präsente Perspektive fehlte. Adams Atem ging schwer. Sein fast dreifaches Körpergewicht zu tragen, würde selbst die stärksten Nephilim an ihre Grenzen bringen.

Inzwischen taumelte ich mehr, als dass ich lief. Und obwohl jede noch gesammelte Faser meines Körpers protestierte, zwang meine schwindende Ausdauer mich dazu, Adam immer mehr meines Gewichts aufzubürden. Gerade als ich mich wunderte, wie lange er diese dreifache Belastung würde aushalten können, drängte sich plötzlich eine andere Frage in den Vordergrund. Mein Gehirn arbeitete auf Sparflamme. Die Wörter wirrten durch es hindurch, zogen sich wie Kaugummi auseinander und machten es schwierig, überhaupt klar zu denken. So dauerte es, bis sich ein zusammenhängendes Gefüge ergab.

War es nicht deutlich effektiver, einfach hier und jetzt zusammenzubrechen, um Adam nicht weiter zu behindern? Mein den Geist aufgebender Körper war eine Bürde, welcher Isabelle das Leben kosten könnte. Meiner Einschätzung nach fehlte mir außer einer Menge Energie nichts Lebenswichtiges – zumindest ging ich davon aus. Ich könnte wohl eher einige Zeit hier draußen herumliegen und auf Adams Rückkehr warten. Was für Isabelle nicht der Fall war.

Innerhalb eines Sekundenbruchteils fasste ich meinen Entschluss. Meine Finger lösten sich krampfhaft von Adams Oberarm; die Fingerknöchel steif und starr wie schlecht-geölte Getriebe. Unmittelbar darauf strauchelte ich gen Boden. Ohne seine Stütze konnte ich mich nicht selbstständig aufrecht halten. Adam, der Isabelle in den Armen hielt, konnte mich nicht festhalten und wirbelte nur entsetzt auf dem Absatz herum, während ich auf dem nassen Grund aufprallte.

Die ausgestreckten Innenseiten meiner Hände taten nicht viel, um den Sturz abzufedern. Sie knickten zur Seite weg, sobald mein volles Körpergewicht von der Schwerkraft erfasst wurde. Ein einzelner, gewaltsamer Ruck fuhr meinen Rücken hinab und dann schlug ich mit solcher Vehemenz mit dem Kinn auf, dass ich Sterne sah.

Einen haarauffahrend langen Moment glaubte ich, wieder in einer der Gassen zu liegen, in der Blake und seine Freunde mich vor einigen Wochen abgefangen hatten. Nein, nicht heute. Auch wenn dieser Ort nicht weit entfernt war.

„Clary!" Adams Krächzen hätte einem Aufschrei geglichen, wenn er nicht so erschöpft gewesen wäre. „Steh auf. Komm schon. Es ist nicht mehr weit. Versprochen."

In diesem Augenblick, so abseits unserer Konflikte, Streitereien und Meinungsverschiedenheiten, hinterließ sein Flehen einen Schnitt in meinem Herzen. Wie die Krallen eines Raubtieres, welches mir mit seiner Pranke den Todesstoß versetzt hatte.

Mein Kiefer pochte und glühte und zermalmte mich in einer völlig neuen Art des Schmerzes. Knochen. Irgendwas mit meinem Kieferknochen konnte nicht in Ordnung sein. Verdammte scheiße. Alles, was ich sah, waren grelle Lichtblitze und weiße Punkte, die vor meinen Augen tanzten. In einer Intensität, wie wenn sie niemals wieder damit aufhören würden.

Schwerfällig zog ich meine Arme hoch und hievte mich in einer Rolle auf den Rücken. Ein abgebrochener, röchelnder Atemstoß verließ meine Kehle, als sich der Himmel über mir ausbreitete. Die Kälte und Nässe in meinem Rücken ließen meinen Körper erzittern. Nun wünschte ich doch, den Mantel mitgenommen zu haben.

„Clary!" Adams Ruf nahm einen herrischen Ton an, was wohl besser war als seine Panik. „Kannst du mich hören?"

„Isabelle hat ... keine Zeit", versuchte ich zu sagen. So laut wie meine bröselnden Lippen und die staubtrockene Kehle es erlaubten. „Bring sie zu den Brüdern ... Hol mich danach."

Ich hatte bereits mein erstes Gegenargument auf der Zunge, da ich mir sicher war, dass Adam protestieren würde. So war er immer schon gewesen. Zum zweiten Mal am heutigen Tage überrumpelte er mich als er stattdessen zu nicken schien. Ich war mir nicht sicher, weil ich nur seine undeutlichen Umrisse ausmachen konnte.

„Ich beeile mich", drang über das Geheule des Winds zu mir durch. „Halte durch." Seine Stiefel wirbelten lose Steinchen auf als er sich umdrehte und mit hektischen Schritten davoneilte, die nun einem deutlich schnelleren Takt folgten als eben noch.

Mission erfüllt. Jetzt würde ich warten müssen. Und der Feuchtigkeit trotzen, welche bereits meine Haare am Hinterkopf durchnässt hatte. Ein weiteres Beben durchfuhr meine Glieder.

War denn niemand sonst auf dem Platz der Engel? Wie war das überhaupt möglich? Schließlich befanden wir uns im Herzen von Alicante und das mitten am Tag. Zumindest glaubte ich, dass es mitten am Tag war. Die dunkelgrauen Wolken am Himmel verhießen zwar nichts Gutes, versperrten aber die Sicht auf die Atmosphäre. Tatsächlich hatte ich keine Ahnung, wie viel irdische Zeit uns der Besuch im Himmel gekostet hatte. Falls wir wirklich über mehrere Stunden tot gewesen waren, dann rührte unsere Erschöpfung möglicherweise daher. Eine Rune stundenlang aufrecht zu erhalten und dann eine solch mächtige ... das würde diesen verdammten, gebrechlichen Körper erklären, der zu nichts mehr in der Lage zu sein schien.

Geduld war nie meine Stärke gewesen. Jonathan hatte diese Eigenschaft von unserer Mutter geerbt. Ich hingegen hatte lange gebraucht, um sie mir anzueignen und selbst jetzt war sie weitab von perfekt. Auf diesem regennassen Steinboden zu liegen, während ich langsam aber sicher auskühlte, war eine Lektion in Sachen Geduld, die sich mein Vater nicht besser hätte ausdenken können.

Jeder Windstoß schüttelte meine nutzlosen Muskeln, ließ die Nässe etwas mehr in meine Kleidung einziehen, kratzte über mein Gesicht als einzelne Haarsträhnen aufgewirbelt wurden. Eine Ewigkeit später – wobei es sich wahrscheinlich nur um Minuten handelte – zitterte mein Körper so heftig, dass mir die Zähne klapperten.

Weder Himmel noch Lichteinfall schienen sich zu verändern. Irgendwann nagte die Erschöpfung so sehr an mir, dass ich das Bewusstsein verlor. Von jetzt auf gleich. Ohne Ankündigung. Einen Moment blinzelte ich noch schwach, dann wurde alles schwarz.

Als ich erneut die Lider hob, wusste ich nicht, wie viel Zeit vergangen war. Das Erste, was ich bemerkte, war der rostige Geschmack von Blut auf meiner Zunge. Meine Zähne bibberten immer noch wie verrückt. Wahrscheinlich hatte ich mir auf Wange oder Zunge gebissen als ich abgetreten gewesen war.

Zu meinem Bedauern lag ich immer noch auf dem Platz des Engels. Im Schmutz des Regens, der mittlerweile herabrieselte, aber umgeben von Gemurmel.

Ich zwang meine Augen weiter auseinander und entdeckte eine kleine Gruppe von Gestalten, welche sich um mich scharrte. Wieder war Blake Ashdown meine erste Referenz, mein erster Gedankensprung. Schließlich, in einem beinahe himmlischen Moment der Klarheit, stellte meine Sicht scharf und gab den Blick frei auf drei hochgewachsene, blasse Schatten. Zu blass für Menschen. Vampire, die mich unsicher beäugten. Ich konnte das Erkennen in ihren dunklen Pupillen ablesen. Natürlich erkannten sie mich. Und doch schienen sie sich nicht ganz sicher zu sein, was ich hier tat und ob das hier nur irgendeine hirnrissige ... Aktion war, die ich trieb, oder ob ich tatsächlich am Arsch war.

Einer von ihnen beugte sich stärker über mich, als er meine Reaktion bemerkte. Ihre bleichen Gesichter erinnerten mich so sehr an Isabelles Anblick von eben, dass ich Gänsehaut bekam.

„Brauchst du Hilfe?", war alles, was der Vampir fragte, der mir am nächsten war. Seine schwarz-wirkenden Augen standen stark im Kontrast zu seiner schneeweißen Haut. Keiner von ihnen bewegte die Schultern – anders gesagt, keiner von ihnen atmete. Eigentlich eine irrelevante Tatsache, weil Vampire keinen Sauerstoff benötigten. Die meisten zogen es jedoch vor, um ihre Umgebung und potenzielle Beute zu riechen.

Dass sie nun den Atem anhielten, bedeutete, dass ich bluten musste. Auch wenn ich es nicht spürte. Mein Körper war durchnässt vom Regen. Ich konnte ja kaum meine eigenen Muskeln spüren, abgesehen von ihrer fernen Schwere, die mich wieder und wieder erzittern ließ.

Es sollte wohl an meinem Stolz nagen, dass ich Hilfe von Vampiren benötigte – dass Vampire mir überhaupt Hilfe anboten. Aus Sicht meines Vaters undenkbar. Beschämend.

Einen langanhaltenden Moment starrte ich an ihnen vorbei in den ausgegrauten, entfernten Himmel und dachte an Valentin – an meinen Vater. Wann hatte ich angefangen, seine Lehren abzulegen? Wann hatte ich begonnen, meinen eigenen Kodex zu schreiben? Mein Herz hätte im Anbetracht all des Schmerzes, den er über mich gebracht hatte, nicht schmerzen dürfen. Schwach und emotional, wie ich im Kern war, tat es das trotzdem. So viel tiefer als all dieser beschissene, physische Schmerz. Wie ich ihn verfluchte, meinen eigenen Schöpfer, für sein Werk, seine Ideale, seine Taten.

„Ja", krächzte ich kratzig und nickte zusätzlich, falls sie mich nicht verstanden. Ein überwältigendes Gefühl des Stolzes durchströmte mich und ich musste mich zwingen, das Lächeln zu unterdrücken, welches an meinen Mundwinkeln zerrte, als ich in den Himmel starrte und mir das entrüstete Gesicht Valentins vorstellte – und das stolze Gesicht meiner Mutter. Mein neuer Kodex war einfacher, als ich zu Beginn gedacht hätte: Das tun, was Jocelyn für gut befunden hätte.

Die drei Vampire brauchten keine weitere Aufforderung. Zwei von ihnen gingen neben mir auf die Knie, hakten meine Arme um ihre Schultern und hievten mich mühelos auf die Füße.

Ein Schaudern fuhr meinen Rücken herunter, als meine regennassen Klamotten sich von meiner feuchten Haut lösten. Ein blitzartiges Stechen glitt durch meine Glieder, eine neue Welle der Kälte. Als uns eine kräftige Windböe traf, welche in die Zwischenräume von Kleidung und Haut schlich, breitete sich das nächste, zähneklappernde Beben aus.

Bevor ich erneut die Stimme erhob, räusperte ich mich sicherheitshalber. Nicht, dass es viel brachte. „Die Basilias", murmelte ich gerade laut genug, dass sie ihre Köpfe nicht noch näher zu mir heranbeugen mussten. „Meine Freundin ist bereits dort."

Die drei Vampire tauschten einen neugierigen Blick untereinander aus. Unterdessen versuchte ich, mit meinen Stiefeln Halt auf dem glitschigen Steinboden zu finden. Die Erschöpfung fegte durch mich hindurch wie ein Orkan und verstreute jede Energie, die ich gerade so zu bündeln bewerkstelligt hatte.

„Wo sind die nochmal?", fragte der, der mich nicht stützte.

Mir fielen die Augen zu, während ich ihnen die Wegbeschreibung in abgehakten Sätzen übermittelte. Mein Kiefer schmerzte mit jeder Bewegung. Ein Teil meiner Gedanken war bei Isabelle. Jede noch nicht ausgebrannte Faser meines Körpers hoffte, dass sie es geschafft hatte. Der Rest von mir, der der erdrückenden Müdigkeit noch nicht zum Opfer gefallen war, kämpfte gegen den Nieselregen, welcher über Gesicht und Haare triefte. Der pfeifende Wind machte alles nur ekliger und unaushaltbarer.

Dieser Zustand gepaart mit diesem Wetter war schlimmer als vieles. Nicht schlimmer als Blake. Aber einen nachteiligen Kampf hätte ich dem hier vorgezogen. Diese Kühle, diese Feuchtigkeit, diese Hilflosigkeit ... alles daran erinnerte mich an Blake Ashdown. Es führte dazu, dass meine Muskeln stärker bebten und meine letzten Kräfte nur schneller verbraucht wurden.

Wir bewegten uns durch die bewölkten Sphären und ich bekam nur am Rande meiner Wahrnehmung etwas davon mit. Mit jedem Atemzug glitt ich mehr in einen tranceähnlichen Zustand ab. Die drei könnten mich in die nächste, abgeschiedene Gasse schleifen und gott-wusste was mit mir anrichten und ich würde es erst merken, wenn es zu spät war. Nicht, dass ich sie daran hätte hindern können.

Dafür, dass du eine so tolle Kriegerin sein sollst, landest du überdurchschnittlich oft in diesen Leben-oder-Tod Situationen, tadelte eine Stimme in meinem Kopf, die vom nächsten Windstoß beinahe übertönt wurde.

Ich versuchte die Augen offen zu halten und musste blinzeln, um all das Wasser aus meinen Wimpern zu entfernen. Meine Zunge fuhr über meine feuchten Lippen und gerade beneidete ich die Vampire nicht wenig um ihre Fähigkeit, Aromen im Sauerstoff schmecken zu können. Es hätte mir mehr Aufschluss über meinen Aufenthaltsort gegeben.

Da hallte plötzlich der Ruf meines Namens durch meine persönliche Finsternis. Meine versagenden Sinne gaben sich jede Mühe, ihre Schärfe hochzufahren und ich zwang meine Lider weiter auseinander.

Wir hatten den Platz beinahe überquert, waren nicht mehr weit von den Basilias entfernt. Genau aus der Richtung hielt eine im zunehmenden Regen kaum erkennbare Gestalt auf uns zu. Einen gefühlten Atemzug später kam sie bereits schlitternd vor uns zum Stehen.

Adams braune Haare hingen verklebt auf seiner Stirn. Auch er war vollkommen durchnässt, auch wenn es nicht wirkte, als würde es ihn stören. Die besorgte Unsicherheit von eben war immer noch deutlich auf seinen Zügen erkennbar. Doch sobald er meine Begleiter in Augenschein nahm, verhärtete diese sich in etwas anderes.

„Wir bringen sie in die Basilias", kam es nicht unfreundlich von dem Vampir, der uns anführte.

Adam schüttelte sich, wie wenn es dabei helfen würde, die Nässe loszuwerden. Oder seine Überwindung. Nun, wo ich seine Beziehung zu Blake richtig einordnen konnte, sah ich ihn in Bezug auf die Schattenwesen mit anderen, klareren Augen. „Ich übernehme ab hier", sagte er knapp und streckte die Arme nach mir aus, um mich aus den Klauen der Vampire zu befreien.

Diese machten jedoch keinerlei Anstalt, mich loszulassen. Wäre ich in besserer Verfassung gewesen, hätte ich diesen Austausch zwischen Adam und ihnen vielleicht lehrreich gefunden, um seine Einstellung zu studieren. Doch gerade jetzt war ich einfach nur kurz davor, in mich zusammenzufallen wie ein Kartenhaus.

„Zu zweit sind wir deutlich schneller", erwiderte der Vampir zu meiner Rechten und die beiden wollten sich schon wieder in Bewegung setzen als Adam ihnen den Weg abschnitt.

„Unterweltler sind in den Basilias nicht gestattet", erklärte er mit so deutlichem Nachdruck, dass meine Sinne wie von selbst in den Aktivmodus wechselten. Ich konnte nicht einmal sagen, ob er gerade die Wahrheit sprach. Sicher war ich mir jedoch nicht.

Die Haltung meiner Begleiter änderte sich bei dem Wort Unterweltler schlagartig. Nun war es sogar mir möglich, die Feindseligkeit in der Luft zu erschmecken. Der dritte Vampir drängte sich Adam in den Weg, sodass dieser reflexartig zurückwich. Unsere Prozession setzte sich sofort wieder in Bewegung. „Dann bringen wir sie eben bis zu den Toren."

Adam, unerschütterlich, facettenreich und unverständlich, wollte etwas erwidern. Etwas in mir brannte durch, obwohl ich selbst nur zu gut wusste, was dieser eingetrichterte Hass mit einem anstellen konnte. Ich nahm es ihm nicht übel, zumindest mein zukünftiges Ich nicht, aber in diesem Moment machte der schüttende Regen dies sehr schwierig.

„Sie können mich bis zur Tür begleiten, Adam", fuhr es scharf aus mir heraus. „Ich würde gerne nicht hier draußen verrecken, nur weil du deine Ansichten nicht aus dem Weg schieben kannst."

Selbst in dem allumfassenden Grau, in welches der Sturm uns legte, sah ich das Aufblitzen seiner Pupillen, als seine Augen sich auf mich hefteten. Oh ja, der Konflikt war ihm überdeutlich aufs Gesicht geschrieben. Das Ringen zwischen Wissen und Glaube, Lehre und Wahrheit, Furcht und Vertrauen. Ich konnte mein eigenes Ich in seinen Zügeln gespiegelt sehen. Mein vergangenes Ich. Ein Teil von mir glaubte immer noch daran, dass Adam – mein alter, erster, bester Freund Adam – irgendwo dort drin schlummerte.

Umso erleichterter war ich, als er geschlagen nickte, und uns zuwinkte, um weiterzugehen.

Wir hatten noch keinen Schritt getan, als ein weiterer Ruf durch den Regen tönte. Wieder mein Name. Fast ein Deja-Vu, aber irgendwie ganz anders als vorhin. Panisch. Vor Angst zerfressen. Anders als Adams Stimme, hätte ich seine selbst noch in der Hölle erkannt.

Jace tauchte so plötzlich wie ein Blitz links von Adam auf, dass die Vampire in aufkeimender Abwehr zuckten. Er schob sich an dem dritten Vampir vorbei als bestünde er aus Luft und drängte sich so dicht vor mich, dass ich die verschiedenen Goldtöne in seinen Iriden ausmachen konnte. Obwohl auch er von Kopf bis Fuß durchnässt war, sah er selbst jetzt noch aus wie ein Engel. Die goldenen Locken, durch das Wasser nun dunkel wie Bernstein, fielen auch erschwert durch Wasser graziös um seine Ohren. Der markante Kiefer, in Anstrengung und Kalkulation gespannt, spiegelte eine aufbrodelnde Brutalität wider. Die aufgerissenen Augen, kalt wie gehärtetes Gold, reflektierten hellwach und aufmerksam.

Fort von ihr", zischte Jace unheilversprechend. Wie ein Gott, der nur einen Wimpernschlag davon entfernt war, alles und jeden dem Erdboden gleichzumachen. Die Vampire gehorchten sofort. Innerhalb von Millisekunden hatte Jace unter meine Arme gegriffen und mich an sich gepresst, ohne seinen jagenden Blick auch nur kurzzeitig von mir abzuwenden. Er studierte mich, den absolut peinlichen und katastrophalen Zustand, in dem ich mich befand und ich wusste jetzt schon, wie wütend er sein würde, wenn er die ganze Geschichte zu hören bekam. Isabelle und ich im Himmel, ohne Sicherheit, ohne Rückhalt – er würde durchdrehen.

Aber in diesem Moment war die Welt auf einmal in Ordnung. Weil er hier war. Weil solange er hier war, alles andere nebensächlich wurde. Aber dennoch nichts weiter als ein Moment.

„Was, beim Erzengel, ist hier los?", herrschte Jace in das unaufhörliche Plätschern des Regens. Seine suchenden Augen lösten sich endlich von mir, nur um wie ein wildes Tier umherzufahren – auf der Suche nach der Beute.

Für eine sich ausdehnende Weile schien niemand den Mumm zu haben, ihm eine Antwort zu geben. Ich begriff, weshalb. Jace sah aus, als würde er jeden Augenblick jemanden umbringen – und das nicht auf die gnädige, schnelle Art und Weise. Und dann verharrte sein Kopf so plötzlich, dass ich einen Wirbel in seinem Nacken knacken hören konnte.

Ich musste den eigenen Kopf zurücklehnen, um dem Geschehen zu folgen. Jace' Arme wollten es nicht zulassen; zu eng schlangen sie sich um meinen Rücken. Ohne seine Stütze läge ich längst wieder auf dem eisigen Boden und dieses Wissen schien ihn nur verrückter zu machen. Seine Finger, tief in meine nasse Montur gekrallt, zitterten kaum merklich. Ein schlechtes Gewissen durchflutete mich, während ich das Kinn neigte, um irgendwie an seiner breiten Schulter vorbeizuspähen.

Du", knurrte Jace so leise, so bedrohlich, dass meine eigenen Nackenhaare auffuhren. Durch den rachesüchtigen Ausdruck in seinen Augen wusste ich sofort, wen er da anstarrte, wie wenn er ihn sofort in Stücke reißen wollte.

Adam bewegte sich nicht, atmete allem Anschein nach nicht einmal. Neben ihm war ein klitschnasser Alec aufgetaucht, der ihm den Fluchtweg abschnitt. Meine Vision begann sich zu drehen.

„Es ist nicht so, wie es aussieht", erklärte Adam langsam und hob die Hände. Immer der Neutrale. Immer der Pazifist. „Ich kann es–"

„Ich werde dich töten." Jace drohte nicht, er versprach. Alles an ihm wirkte wie besessen. Anders als die Engelskraft, aus der er in solchen Situationen für Gewöhnlich Kraft schöpfte. Über uns flackerte ein Blitz über den Horizont und den Bruchteil einer Sekunde lang war es so hell, dass Jace tatsächlich aussah wie ein gefallener, todbringender Engel. Alles, was fehlte, waren die schwarzen Federschwingen. Doch das Licht verschwand so schnell wie es gekommen war und tauchte ihn wieder in finstere Schatten. „Ich habe dich schon mal gewarnt, Demonhunter. Du wirst sterben und ich werde dich nicht mit der Gnade gehen lassen, die Blake zuteilwurde."

„Jace", kam es von Alec. Nicht zu spät, denn der folgende Donner war zu ohrenbetäubend, als dass man irgendetwas hätte verstehen können. Wir alle zuckten zusammen und Alec schälte sich aus seinem Mantel, um ihn mir umzulegen, weil Jace keinerlei Anstalten machte, mich loszulassen. „Wir müssen Clary in die Basilias bringen. Sofort."

Der Nachdruck in seinem Ton weckte etwas in Jace zum Leben. Er nickte halb und schaute endlich wieder zu mir herab. Die Zärtlichkeit, in der seine Augen mich berührten, kostete meine Füße den letzten Halt. Die Panik, die folgte, war umso intensiver. „Was auch immer mit dir ist, die Brüder kriegen das wieder hin", versprach er sich selbst. Ohne Mühe hatte er mich hochgehoben und auf dem Absatz kehrtgemacht. Als er losrannte, durch Schwärze und Feuchtigkeit und Kälte, wieder in Richtung Basilias, rüttelte das Deja-Vu stärker denn je an mir.


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Hallo,

zuerst muss ich mich dafür entschuldigen, dass ich ewig keine Updates gepostet habe. Ich war im Urlaub und hatte einfach keine Zeit für Updates. Meine Familie hat mich ziemlich auf Trab gehalten. Aber wenn ihr jemals die Gelegenheit habt, Kroatien und Griechenland zu besuchen, tun es! Es war magisch!

Und jetzt zurück zur Geschichte. Ist Adam der Retter des Tages? Habt ihr eine Idee, worüber er überhaupt mit Clary sprechen wollte? Uuuund natürlich unser Ritter in glänzender Rüstung, Jace, zur letzten Rettung! Ich musste ihm einfach diesen Auftritt geben. :)

Lasst mich wissen, was ihr von diesem Kapitel haltet!

Skyllen

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