Kapitel 75 - Relationships Pt. 2
Kapitel 75 – Relationships Pt. 2
--- 2 Tage vor Beginn des Krieges. ---
Mühsam schleppte ich mich vorwärts, die Bilder meines Albtraums meine einzige Motivation. Bevor wir auch nur in die Nähe der Bücherregale kommen konnten, hatte uns bereits die Bibliothekarin in Augenschein genommen. Eine Frau höheren Alters mit schokoladenbraunen Augen und hochgesteckten blond-grauen Haaren, die in einem bodenlangen, waldgrünen Kleid steckte. Wären da nicht die Runen, die unter dem Saum ihrer Kleidung hervorschauten, hätte sie als gewöhnlicher Mensch durchgehen können. Sie stellte sich als Alandra Gladstone vor und nachdem wir unser Anliegen erläuterten, stellte sie uns in weniger als fünfzehn Minuten eine Liste aller Bücher zusammen, die uns möglicherweise bei unseren Recherchen weiterhelfen könnten.
„Macht euch keine zu großen Hoffnungen", ermahnte sie uns, nachdem wir einen ersten, flüchtigen Blick über die lange Liste schweifen ließen. „Ich kenne die Legenden besser als so einige Mitglieder der Bruderschaft. Doch ich würde meine Hand für die Behauptung ins Feuer legen, dass ihr in meinen Hallen keine klaren Antworten finden werdet. Hinweise höchstens, wenn überhaupt. Nur die Stillen Brüder sind im Besitz der bedeutsamsten Werke unserer Vorfahren. Wenn sie den Auffindungsort des Spiegels nicht kennen, dann wird euch die Liste auch nicht helfen."
„Das klingt ja außerordentlich motivierend", schnaubte Isabelle verbittert, sobald wir außer Hörweite waren.
Anders als sie ließ ich mich nicht von Alandras Pessimismus beeinflussen. „Vielleicht ist sie einfach zu stolz, um zuzugeben, dass diese Bibliothek Geheimnisse birgt, die selbst sie nicht kennt. Jace und Alec sind bereits bei den Brüdern. Doppelt hält besser."
Die Mehrheit der Bücher von der Liste befand sich nah beieinander, innerhalb derselben Sektion. Da die Wahrscheinlichkeit, hier fündig zu werden, deutlich höher war, entschieden wir uns, dort anzufangen. Die ersten zwei Stunden unserer Literaturrecherche vergingen in Schweigen. Wir teilten die Bücher untereinander auf und arbeiteten sie mit mechanischer Selbstständigkeit ab. Seite um Seite, Buch um Buch. Es war immer der gleiche Ablauf: Inhalts- und Stichwortverzeichnis durchgehen, falls es eines gab, die relevanten Passagen lesen und resigniert zum nächsten Wälzer übergehen.
Irgendwann, ich mussten bereits Dutzende Bücher durchgegangen sein, begannen weiße Schatten vor meinen Augenlidern zu tanzen. Ich konnte spüren, wie die Konzentration mir entglitt – als wäre sie ein gespanntes Gummiband, welches sich vor lauter Spannung nun gegen seinen Halter richtete. Blinzelnd hob ich den Kopf, um mich umzuschauen und hatte dabei das Gefühl, aus einer Trance zu erwachen. Ich konnte mich kaum mehr an die letzten Bücher erinnern, oder gar an das, was ich gelesen hatte. Hatte ich sie überhaupt gründlich durchsucht? Meine erschöpften Augen huschten zu den zwei Stapeln auf meiner Linken und ich streckte seufzend die Hand nach dem erstbesten Buch aus, um es ein weiteres Mal zu prüfen – diesmal mit mehr Aufmerksamkeit.
Isabelles Stimme irgendwo hinter meinem Rücken kam mir zuvor. „Die hast du bereits gelesen", sagte sie in einem Ton, der deutlich machte, dass sie mich nur aus dem Augenwinkel wahrnahm. Bevor ich den Mund im Protest öffnen konnte, fuhr sie fort. „Zwei Mal."
Ich presste meine Lider fest zusammen, als könnte das das Brennen in meinen Augen löschen. „Ich finde nichts." Mein Murmeln klang frustrierter als ich mir anmerken lassen wollte. Ich ignorierte die hysterische Schärfe, die sich darunter an die Oberfläche kämpfte. „Nur die alten Legenden und Geschichten, die ich schon abermals gehört habe. Immer etwas anders, immer von irgendwem anders erzählt."
„Fast alles aus zweiter Hand", stimmte Isabelle mir zu. „Es erinnert mich ein bisschen an die Bibel. Als würden wir nach Aufzeichnungen von Jesus selbst suchen, während in Wahrheit keine der Erzählungen von ihm stammen. Jonathan Shadowhunter hatte in der Gründerzeit gar keine Zeit irgendwas aufzuschreiben. Das haben alles seine Nachfahren gemacht."
Es stimmte. Allen Geschichten, auch wenn sie aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet wurden, fehlte es an prägnanten Details, die nur jemandem aus der ersten Perspektive aufgefallen wären. Natürlich hatte Jonathan Shadowhunter sein Wissen weitergegeben, ebenso hatte er sicherlich von seinem Zusammentreffen mit Raziel berichtet, aber er hatte nicht viel davon eigenhändig und aus seiner Sichtweise niedergeschrieben.
„Es kann doch nicht sein, dass diese riesige, gottverdammte Bibliothek nichts zu bieten hat", brach es schimpfend aus mir heraus und die brodelnde Wut in meinem Inneren war kaum auszuhalten. Ich schlug das Buch in meinem Schoß mit einem dumpfen Knall zu und musste meine Finger zusammenballen, um es nicht quer durch den Gang zu werfen.
„Ich habe auch noch nichts gefunden und ja, es nervt, aber mit genau den Erwartungen sind wir doch hergekommen." Isabelle stand von dem polierten Mahagonitisch auf, an dem sie bis jetzt gelesen hatte und schlenderte zu mir herüber. Anders als sie hatte ich es mir auf dem Boden gemütlich gemacht, die noch ungelesenen Bücher wie ein Rettungsring um meinen Körper ausgebreitet. Die Exemplare, die sich als nutzlos erwiesen hatten, ruhten in zwei Stapeln außerhalb meines Sichtfeldes.
„Ich habe trotzdem gehofft, dass in all der Arroganz des Rates über die Jahrhunderte vielleicht irgendetwas übersehen wurde. Nur ein kleiner Satz, ein Wort, das man als Metapher verstehen könnte. Irgendwas." Doch da war nichts. Keine Uneindeutigkeiten. Nur Jonathan Shadowhunter, Raziel und die zwei Engelsinsignien. Kein Raum für Interpretationen.
„Ich auch", gab sie zu und lachte ein schrilles Lachen. „Es wäre eine echte Erleichterung, diesem Chaos wenigstens irgendetwas entgegensetzen zu können." Sie schob die Bücher zur Seite und lehnte sich neben mich an das Regal. Ihr leichter Rosenduft wehte zu mir herüber und ich musste unwillkürlich die Augen schließen.
„Wie geht es dir damit? Mit dem möglichen Ende der Nephilim meine ich. Du wirkst immer so gefasst, als könnte dich selbst der sadistischste Plan meines Vaters nicht beeindrucken." Tatsache war, dass ich in letzter Zeit so viel mit mir selbst beschäftigt gewesen war, dass ich alles außerhalb meiner direkten Blase vernachlässigt hatte. Vor allem seitdem Jace und ich uns nähergekommen waren, war alles andere irgendwie in den Hintergrund gerückt. Nicht absichtlich. Neben der ständigen Angst vor Jonathan und Valentin und der ganzen Sache mit Blake hatte mir die Energie für mehr Interaktion gefehlt. Ich konnte nur hoffen, dass Isabelle es mir nicht übelnahm.
„Ich glaube, ich habe die ganze Sache noch nicht so richtig realisiert", sagte sie bedacht. „Anders als bei dir ist dieser Krieg für mich nichts Persönliches. Ich bin auf ihn vorbereitet so wie ich es für jeden anderen Kampf auch bin."
„Standen deine Chancen in einem Kampf denn auch jemals so schlecht wie dieses Mal?" Meinem erzwungen neckischen Ton war der Ernst der Lage herauszuhören.
„Natürlich nicht", gab sie zurück und räusperte sich, als würde sie sich überwinden müssen, weiterzusprechen. „Es stand aber auch nie mehr auf dem Spiel. Dieser Krieg könnte das Blatt für meine Eltern wenden. Sie könnten endlich aufhören, für Verbrechen zu bezahlen, die sie ohnehin bereits zutiefst bereuen."
„Da ist noch mehr", stellte ich leise fest und verließ mich bei dieser Annahme allein auf mein Bauchgefühl. Isabelle war keine Fremde mehr für mich, auch wenn in ihrer Welt meist nur die berauschenden Gefühle existierten.
„Dieser Krieg ..." Isabelle seufzte und diesmal hatte der Klang nichts Melodramatisches oder Inszeniertes. „Er hat mich eine Beziehung gekostet, die mir sehr viel bedeutet hat."
Mein Gehirn begann ganz von allein zu rattern, versuchte Sinn aus ihren Worten zu schöpfen, verstand sie aber nicht. Was deutete sie da an? Ich wusste nur wenig über ihr Leben in New York, bevor ich aufgetaucht war. „Ich verstehe nicht ganz", gab ich schließlich zu.
„Wie du vielleicht schon mitbekommen hast, kommen wir in New York eigentlich ziemlich gut mit den Schattenwesen klar", sagte Isabelle, schaute mich dabei jedoch nicht an, sondern starrte geradewegs in das Regal vor uns. Nun wo sie so nah neben mir saß, konnte ich auf einmal die Risse in ihrer Fassade sehen.
Ihre Maskara hatte leichte Schmierspuren auf ihren Augenringen hinterlassen. Die Zähne hatte sie abwesend in ihre Unterlippe gebohrt. Viele ihrer Finger wiesen aufgekratzte Stellen rund um die Nägel auf. Und ihr Blick allgemein – ihr ging es schrecklich. Wie war mir das bisher nicht aufgefallen?
Weil du immer nur auf dich selbst fixiert bist, stellte eine eiserne Stimme in meinem Kopf fest. Tadelnd und vorwurfsvoll. Diese Tatsache schockierte mich so sehr, dass ich fast verpasst hätte, als Isabelle weitersprach.
„Ich hatte von uns allen den besten Draht zu ihnen", erklärte sie und etwas das sich verdächtig nach Sehnsucht anhörte, schlich sich in ihren Ton. „Alec hat Gesellschaft schon immer gemieden und Jace hat sich mit seinen Schnapsideen in der Unterwelt schnell relativ unbeliebt gemacht. Aber als Parabatai hatten sie immer einander. Dadurch habe ich viel Zeit außerhalb des Instituts verbracht und dort meine ersten richtigen Freundschaften geschlossen."
Nun wo Isabelle die Unterwelt erwähnt hatte, machte es in meinem Hirn plötzlich Klick. „Meliorn", hauchte ich. Die Art wie sie das Gesicht verzog war Antwort genug. Überrascht richtete ich mich auf und sie drehte den Kopf in meine Richtung, um meine Reaktion einzuordnen. Ihre kastanienbraunen Iriden waren wachsam und auf der Hut, als fürchtete sie sich vor meinem Urteil. Isabelle überhaupt so unsicher zu sehen, warf mich schon halb aus der Bahn. Für gewöhnlich war sie das Licht in jedem Raum, die Musik um welche sich alles drehte, das Herz jeder Interaktion. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter. „Wart ihr nur Freunde oder ... mehr?"
„Wir waren alles und nichts zugleich", murmelte Isabelle zaghaft.
Die Aussage traf mich in die Brust wie ein galoppierendes Pferd, das mich über den Haufen rannte. Natürlich war da etwas gewesen. All die Anspielungen die sie gemacht hatte.
Wie sie der Feenkönigin am Lichten Hofe die Stirn geboten hatte. Ich kenne einige Elben. Ich weiß, dass sie dem niemals zustimmen würden. Die Königin hatte in Erwiderung sogar seinen Namen fallen lassen, mit diesem tückisch wissenden Lächeln auf ihren roten Lippen. Doch zu dem Zeitpunkt war ich so abgelenkt von ihren Enthüllungen über meine Familie gewesen, dass ich dem keine tiefere Beachtung geschenkt hatte.
Wie sie sich mit leuchtenden Augen für den Ball aufgebrezelt hatte, ganz aufgeregt über das Event. Meliorn wird diesen Tag bis zu seinem Tod bereuen. Nur um sich Raphael Santiago um den Hals zu schmeißen, als würde sie wollen, dass jeder sie mit ihm sah. All ihre Bemerkungen über Meliorn waren Seitenstiche gewesen. Ich hatte sie nicht ernst genommen – hatte nicht begriffen, dass unter ihren Sticheleien echter Schmerz steckte.
Mir wurde klar, dass sie seinen Namen bereits so oft erwähnt hatte und ich kein einziges Mal darauf eingegangen war oder auch nur gefragt hatte, wer er denn war. Dafür, dass ich zu einem Menschendurchschauer erzogen worden war, war ich eine wirklich schlechte Freundin.
„Wir waren nie ein Paar oder sowas in der Art. Unsere Verbindung war erst rein körperlich und hat sich mit der Zeit zu mehr entwickelt. Nicht ... wie bei dir und Jace oder wie man es sich normalerweise vorstellen würde. Selbst bei mir hat er diese mysteriöse Elbenart nie ganz abgelegt. Aber ich weiß, dass er etwas für mich empfunden hat, ganz gleich was die Feenkönigin sagt. Auch wenn es nur auf seine feenhafte, verdrehte Art und Weise war."
„Und durch das Bündnis der Elben mit meinem Vater könnt ihr euch nicht mehr sehen", schlussfolgerte ich.
Isabelle nickte. „Das letzte Mal als ich ihn gesehen habe war am Tag vor dem Angriff auf das Institut. Es waren nur ein paar flüchtige Stunden, um all dem Trubel, die eure Ankunft ausgelöst hat, zu entkommen. Ich hätte nie gedacht ... dass es das letzte Mal sein könnte, ihn zu sehen. Wir haben uns nicht mal richtig verabschiedet, weil er fortgerufen wurde."
„Es tut mir so leid, Isabelle", flüsterte ich und legte ihr zögerlich einen Arm um die Schulter. Sie lehnte sich in mich hinein, lehnte ihren Kopf gegen meinen. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass sie die Lider fest zusammengedrückt hatte, wie wenn sie im Inneren gegen einen Gefühlsansturm zu kämpfen hatte. „Es tut mir leid, dass ich dir eine so schlechte Freundin gewesen bin. Ich ... hätte schon viel eher merken müssen, wie es dir geht."
„Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen", murmelte sie kaum hörbar. Ihr Mund war nur halb geöffnet, während sie sprach. „Für Gewöhnlich muss man mir ja nichts aus der Nase ziehen. Ich hätte mich dir viel eher anvertrauen können. Ich ... keine Ahnung, irgendwie habe ich wohl gehofft, dass die Königin ihre Allianz noch einmal überdenken würde. Oder dass die Elben sich gegen ihre Entscheidung stellen würden. Aber sie hatte wohl recht. Er ist nur ein Halbelb, er kann lügen. Was weiß ich schon über ihn? Seine Loyalität gilt sicherlich nicht mir. Ich bin nur eine Schattenjägerin."
Nur eine Schattenjägerin zu sein, klang völlig falsch und fremd in meinen Ohren. Denn für Gewöhnlich waren wir die, die genau das über andere sagten. Wir waren die Erhabenen und Besseren und die Schattenwelt musste sich unserem Gemüt beugen. Nicht, dass ich diese Meinung teilte, aber die Dinge waren nun einmal für den längsten Teil unserer Geschichte so gewesen.
„Falls wir siegreich aus diesem Krieg hervorgehen, werden wir mit den Elben keinen Frieden schließen." Ich wollte die Wahrheit nicht aussprechen, wusste aber keinen Weg daran vorbei. Sich falsche Hoffnungen zu machen, würde sie später nur noch mehr verletzen.
Wieder nickte Isabelle. „Ich weiß. Das mit uns hätte eh nie eine Zukunft gehabt. Sich etwas anderes einzureden war idiotisch von mir. Aus meiner Sicht sind wir gleich, aber nicht aus seiner. Die Elbenkönigin würde es ohnehin nicht dulden. Geschweige denn meine Eltern."
„Halten die Elben sich für etwas Besseres als wir?"
„Viele Schattenwesen haben nichts als Verachtung für uns übrig, genauso wie viele Schattenjäger für sie. Dieser Hass ist schwer abzulegen. Mit uns befreundet zu sein ist eine Sache, aber einen Schattenjäger seinen Liebhaber zu nennen stößt selbst im weltoffenen New York an manchen Ecken auf Verachtung. Die Beute geht ja auch nicht mit ihrem Jäger ins Bett, so ihre Logik."
„Ich hatte immer das Gefühl, dass die Fronten langsam auftauen würden", gab ich zähneknirschend zu. Wohl eine weitere Fehlinterpretation meinerseits.
„In unserer Blase vielleicht." Ein halbes Grinsen schlich sich auf Isabelles Gesicht. „Es gibt einen Grund, warum Luke, Raphael und Magnus im Gremium sitzen und nicht irgendwer sonst. Sie sind einige der wenigen, die daran glauben, dass man sich mit uns auf Augenhöhe bewegen könnte. Ohne sie würde es dieses Bündnis gar nicht geben und wir wären alle am Arsch."
Das machte Sinn. Als einstiger Nephilim hatte Luke die besondere Position, beide Seiten des jahrhundertealten Konflikts nachempfinden zu können. Seine Mitarbeit und sein Engagement waren so viel wertvoller als Imogen ihm zugestand. Ohne ihn hätte sie schon vor langer Zeit die Kontrolle über den Rat verloren.
„Denkst du, dass deine Eltern etwas gegen Meliorn hätten?"
„Sie waren beide im Kreis, schon vergessen?" Sie wirkte nicht stolz über diese Tatsache.
„Natürlich nicht, aber du meintest doch, dass sie es bereuen würden."
„Das tun sie auch. Aber nur weil sie nicht mehr die Vernichtung der gesamten Unterwelt anstreben, heißt das nicht, dass sie die Schattenwesen jetzt zum Kaffeekranz einladen würden."
Ich konnte das Bild, meinem Vater ein Schattenwesen als jemanden vorzustellen, mit dem ich Kontakt pflegte, nicht einmal vor meinem inneren Auge heraufbeschwören. Unmöglich. Undenkbar.
Isabelle musterte mich und ihre Miene hellte sich etwas auf. „Sie würden nicht ausflippen", gestand sie schließlich, offensichtlich ebenfalls einen eigenen Gedanken vor Augen, der sie schmunzeln ließ. „Sie würden es für eine Phase halten, die irgendwann von selbst vergeht. Und so lange sie anhält würden sie sich hinter einem Mantel der Ignoranz verstecken. Weil ein Schattenwesen in ihren Köpfen gar nicht seriös in Frage käme."
„Das klingt traurig."
Isabelle zuckte die Achseln. „Viele aus der Generation unserer Eltern sind so. Sie schweigen das Thema tot und denken, dass es sich von selbst aus der Welt schafft. Wenn wir uns in Schattenwesen verlieben, dann werden wir als experimentierfreudig und unser Geschmack als exotisch bezeichnet. Es findet keine Ernsthaftigkeit, weil man ab dem heiratsfähigen Alter dazu gedrängt wird, sich einen angemesseneren Partner zu suchen."
Davon wusste ich. Ich kannte die jüngste Geschichte unseres Volkes so gut wie in- und auswendig. Arrangierte Hochzeiten waren noch vor wenigen Generationen üblich gewesen. Selbst im Jahrgang meiner Eltern teilweise noch. Es war kein Geheimnis, dass Namen wie Herondale, Blackthorn oder Carstairs mit Prestige und Wohlstand einhergingen. Diese Familien hatten ihren Einfluss über Jahrhunderte aufgebaut. Vor nicht allzu langer Zeit hatten auch die Lightwoods zu dieser Elite gehört. Valentins Kreis hatte dies zunichte gemacht.
„Früher oder später wird jemand diesen Teufelskreis durchbrechen müssen."
„Tja, ich werde es auf jeden Fall nicht sein." Isabelle lachte beinahe, auch wenn der Laut kein bisschen belustigt wirkte. Nur frustriert und geschlagen. Bevor ich nachfragen konnte, griff sie nach meiner Hand und verschränkte sie mit ihrer. „Was auch immer er für mich empfindet, es ist nicht genug. Es reicht nicht, um einen Unterschied zu machen."
Isabelles Finger waren kalt gegen meine Haut und ich drückte sie instinktiv, bedeckte sie mit meiner anderen Hand. „Dann ist er nicht der Richtige, Isabelle. Du hast so viel mehr verdient. Du brauchst jemanden, der dich vergöttert. Könntest du denn überhaupt mit weniger als hundert Prozent leben?"
„Es würde mich quälen", gestand sie leise und senkte den Blick. „Ich will geliebt werden." Sie seufzte tief und schwermütig. „Ich will jemanden, der mich so ansieht wie Jace dich. Oder wie Alec Magnus. Oder–"
Ich verschluckte mich an meinem Atem und Isabelle zuckte vor Schreck. Ein überraschter Husten schüttelte mich und als ich sie mit geweiteten Pupillen anstarrte, lachte sie. „Alec und Magnus? Magnus Bane?" Oder gab es noch einen Schattenjäger namens Magnus, dem ich einfach nie begegnet war?
Isabelle kicherte so amüsiert, dass sie sich eine Hand auf den Bauch legen musste. Ihre Augen strahlten ihre typische Wärme aus und von jetzt auf gleich hatte sie sich wieder in die Version ihrer selbst verwandelt, die mir vertraut war. „Ja, Magnus Bane", stellte sie verschwörerisch fest, umklammerte dann meinen Arm und lehnte sich zu mir herüber, als würde sie mir ein strengbehütetes Geheimnis anvertrauen. „Alec mag zwar denken, dass keiner sein stummes Schmachten mitbekommt, aber er ist nicht gerade subtil. Und ich bin seine Schwester. Natürlich sehe ich, wenn er sich bei seinen unfähigen Flirtversuchen zum Affen macht."
„Er flirtet?" Mir fiel die Kinnlade herunter. Ich konnte mir Alec beim besten Willen nicht dabei vorstellen. Ein Bild, das noch schwerer heraufzubeschwören war als Imogen mit einem herzlichen Lächeln auf den Lippen. Und das war schon verdammt schwierig.
„Nicht, dass er es merken würde. Aber sein Unterbewusstsein, weiß genau, was es da tut. Und Magnus weiß es auch." Ihre Iriden funkelten verschmitzt.
„Warte was– Magnus geht darauf ein?!" Das Staunen hatte meine Stimme einige Oktaven in die Höhe getrieben.
„Und wie er das tut!" Mittlerweile hatte sich Isabelles Kichern in ein schallendes Gelächter verwandelt. Tränen rannten ihr über die Wangen und ihr Anblick trieb mich über den Abgrund. Ich prustete los.
Wir waren immer noch lauthals am Lachen als Alandra Gladstones Kopf plötzlich am Ende des Ganges auftauchte. Sie lugte hinter den Bücherregalen hervor, presste sich den Zeigefinger an die geschlossenen Lippen und erinnerte uns mit einem tadelnden Zischen an die einzuhaltende Lautstärke. Für den Moment, den es brauchte, dass sie wieder wie ein wehender Wind hinter den Büchern verschwand, waren wir mucksmäuschenstill. Dann musste Isabelle sich eine Hand über den Mund pressen, um uns vor einem Rausschmiss zu bewahren.
„Ab jetzt werde ich wohl an nichts anderes mehr denken können, wenn ich die beiden zusammen sehe." Der Gedanke vergnügte mich.
„Keine Sorge, du wirst morgen Abend genug Zeit dafür haben, die beiden anzustarren." Als ich fragend die Brauen hob, zeigte Isabelle mir strahlend ihre Zähne. Ein schalkhafter Vorhang zog sich über ihre Züge. „Da wir die letzte Party dank deines nervigen Bruders sausen lassen mussten, schmeiße ich morgen meine eigene."
Ein Laut der gleichermaßen einem erstickten Gurgeln und gedämpften Lachen ähnelte entsprang meiner Kehle. Isabelle winkelte den Kopf an und zog dann leicht an meinem Arm, den sie immer noch umklammert hielt. „Komm schon, Clary, es ist ein Abend. Möglicherweise deine letzte Chance auf eine Teenagerparty. Du brauchst gar nicht dagegen zu argumentieren, weil ich mir schon für jeden deiner Einwände einen Konter überlegt habe."
„Und was ist mit dem Training? Und der Vorbereitung auf die Schlacht? Es gibt noch so viel zu tun." Nicht, dass ich keine Lust auf eine Party hätte. In meinem Leben war ich auf genau einer Feier gewesen und diese hatte in einer Entführung geendet. Doch bis Adam den gesamten Abend zunichte gemacht hatte, war ich glücklich gewesen. Bevor der Alkohol mich zu einem wehrlosen Opfer gemacht hatte, hatte sich seine Wirkung in meinen Adern gut angefühlt. Ich hatte für eine Nacht meine Sorgen und Ängste abgelegt und einfach Spaß gehabt. Ich war endlich in der Lage gewesen, Jace meine Gefühle zu offenbaren.
Isabelle verdrehte die Augen, als wären meine Zweifel nur eine Kleinigkeit. Mit einer wegwerfenden Handbewegung fuhr sie fort, „Tanz die Nacht durch, betrinke dich – was auch immer du willst. Wir sind Schattenjäger, schon vergessen? Wir haben Runen, die uns den Schlafentzug oder Kater ersparen."
„Eine Schlafentzugs-Rune verschiebt die Müdigkeit aber nur nach hinten, das hilft nicht", entgegnete ich, nur halb investiert.
Isabelle, der meine schwindende Defensive nicht entging, holte zum finalen Schlag aus. „Sie verkürzt aber auch die Zeit, die man nachher zur Erholung braucht. Außerdem rede ich hier mit Clary freaking Morgenstern, oder nicht? Du kannst auch einfach eine bessere Rune erfinden."
Der Blick, den ich ihr zuwarf, triefte vor Sarkasmus, aber ich musste mich geschlagen geben. „In Ordnung. Solange wir nicht mehr Zeit damit verschwenden, hier blöd rumzureden und uns an die Arbeit machen, kann ich mit ein paar Stunden Party leben."
Isabelle quietschte zufrieden und warf sich mir um den Hals. Als von weiter her ein weiteres, ermahnendes Zischen an unsere Ohren drang, verzog sie reuelos die Mundwinkel. Alles, was zählte war, dass sie ihren Willen bekommen und ich morgen auf eine Party gehen würde. Zumindest etwas Abwechselung von diesem tristen Alltag. Und so wie Isabelle aussah, würde sie alles tun, um genau das daraus zu machen: Eine bunte, schillernde, explosive Abwechslung.
Oder der finale, fanfarenbegleitete Schlussakt, der ein Ende ohne Happy-End einleitete.
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Hi!
Taylor Swift war so einfach so toll! Ich liebe ihre Lieder und auch ihre Performance und die Special Effects waren klasse. Falls ihr die Möglichkeit habt, geht und schaut sie euch an!
Wie hat euch das Kapitel gefallen? Es wurde langsam wieder Zeit für ein Mädels-Gespräch zwischen Clary und Isabelle. :)
Langsam ist wirklich die Hochsommerzeit und ich bin auch ab Samstag für einen Monat im Urlaub. Fahrt ihr auch weg oder habt ihr sonst Pläne für den Sommer? Ich werde wahrscheinlich durchgehend gutes Internet haben, weshalb die Uploads nicht allzu sehr beeinflusst werden sollten.
Bis Donnerstag
Skyllen
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