Kapitel 74 - Relationships Pt. 1
Kapitel 74 – Relationships Pt. 1
--- 2 Tage vor Beginn des Krieges. ---
Trübes Sonnenlicht liebkoste meine geschlossenen Augenlider. Flimmernden Schatten spielten meinem Gehirn Streiche. Ich ignorierte die aufgehende Sonne, die durch mein offenes Fenster hereinfiel und hielt meine Augen weiterhin fest geschlossen. Sobald ich merkte, dass meine Umwelt mich abgelenkt hatte, kehrte ich mit meiner Aufmerksamkeit zu meinem Atem zurück. Zu dem stetigen Heben und Senken meines Brustkorbs und dem kühlen Sauerstoff, der seinen Weg durch meine Nase in meine Lungen fand und sie in einem warmen Schwall wieder verließ. Auf ein Neues begann ich, die Züge zu zählen.
Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Eins,–
Ein tiefes, unzufriedenes Grummeln lenkte mich ab und ich musste mich davon abhalten, nicht in mich hinein zu seufzen. Ich gab mich nicht der Illusion hin, dass es Sinn machen würde, wieder mit dem Zählen zu beginnen. Er klang gelangweilt. Ungeduldig. Und das jetzt schon. Dabei war das hier noch der einfache Teil.
„Ich kann das nicht", murrte Jace und so wie sich die Matratze unter uns bog, musste er sich bewegen. Wenig später streifte einer seiner Finger über mein Knie, zeichnete eine Linie über meine verschränkten Schienbeine.
„Das liegt daran, dass du es gar nicht können willst", entgegnete ich und schlug blind nach seinem Finger.
Jace war natürlich schneller als ich und zog die Hand aus meiner Reichweite. „Das stimmt nicht." Man konnte ihm sein Grinsen anhören. „Wir haben ja noch nicht mal angefangen. Alles, was wir hier tun, ist mit geschlossenen Augen herumzusitzen und unsere kostbare Zeit totzuschlagen. Ich fühle mich schon fast wie ein stiller Bruder."
„Für einen stillen Bruder hast du aber ganz schön viel zu sagen", hauchte ich leise vor mich hin und öffnete schließlich die Augen. Jace lächelte mir entgegen und rückte sofort näher heran. „Das nennt sich Meditation, Jace", sagte ich deutlicher. „Der ganze Sinn der Meditation ist es, sich von der Welt loszulösen, um sich nur auf seinen Körper und Geist zu konzentrieren."
„Da hat mir deine gestrige Methode deutlich besser gefallen", murmelte er an meinem Ohr. Sein Atem brachte einige meiner Haarsträhnen in Bewegung. Ich wollte die Hand heben, um sie hinters Ohr zu streichen, weil die Berührung auf meiner Haut kitzelte. Jace schien andere Pläne zu haben. Er schien meine Handlung vorherzusehen und fing sie ab, ohne seinen Fokus von mir zu verschieben.
„Jace." Was warnend hatte klingen sollen, hörte sich in meinen eigenen Ohren atemlos an. Das Schmunzeln, welches sein Gesicht zierte, als es von der Seite in die Mitte meines Sichtfelds rückte, bestätigte meine Befürchtung. Warum hatte er nur diese Wirkung auf mich?
Jace' Augen fanden meine und ich war unfähig, mich von seinem Blick zu lösen. Der Schein der Sonne, welcher in mein Zimmer fiel, hüllte seine rechte Gesichtshälfte in ein gleißendes Licht. Es ließ das Gold seiner Iriden in dem Ton flüssigen Honigs erstrahlen. Sein Anblick raubte den letzten Sauerstoff aus meinen Lungen, brachte mich in Reaktion beinahe zum Ersticken – auf diese eine Art, auf die ich wieder und wieder würde sterben wollen, nur um dieses Bild von ihm vor mir sehen zu können.
Einen Moment lang stand die Zeit still. Irgendwo in der Ferne zwitscherte ein Vogelschwarm, während eine fast schon warme Morgenbrise durch das Fenster wehte. Das Aroma des Frühlings lag heute so deutlich in der Luft, dass die Hoffnung wie eine Droge durch meine Venen schoss. Die Sonne schlang ihre funkelnden Arme um Jace' Körper. Seine Aufmerksamkeit ruhte allein auf mir. Sein Lächeln war so breit, so sorglos, so zufrieden, dass ich hier und jetzt in Tränen hätte ausbrechen können. Er beugte sich in meine Richtung und küsste mich. Einfach so. Weil er konnte. Weil er wollte. Ein kurzer, flüchtiger Kuss. Weil er davon ausging, dass er die Gelegenheit für mehr, tiefere Küsse haben würde.
Sobald ich mir wünschte, für immer in diesem Moment auszuharren, war er auch schon wieder vorüber.
Jace blinzelte gegen die leuchtende Sonne und ging in seine Ausgangsposition zurück. „Du hast recht", sagte er dann, einen Hauch ernster und völlig nichtsahnend zu dem, was mir gerade durch den Kopf geschossen war. „Ich sollte mich mehr anstrengen. Ab jetzt konzentriere ich mich, versprochen." Um sein Vorhaben zu verdeutlichen, verschränkte er die Arme hinter seinem Rücken und schloss die Lider.
Jetzt, wo er nicht zuschaute, erlaubte ich es mir, ihm diesen nostalgischen, sehnsüchtigen Blick zuzuwerfen. Ein überwältigendes Gefühl, das mich bis in meinen Kern erschütterte.
Sie alle, flüsterte die Stimme des Dämons in Erinnerung. Erchomai, ich komme.
Wenn das hier vorbei ist, werden wir ein Leben voll von diesen Momenten haben, versprach ich ihm stumm im Gegenzug.
Dann schloss ich die Augen und verfiel in die gleiche Regungslosigkeit, die sich bereits über Jace gelegt hatte. Ich brauchte einige Minuten in Stille, um meine innere Ruhe wiederzufinden. Von Neuem begann ich, meine Atemzüge zu zählen.
Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei.
Meine Brust hob und senkte sich und ich lauschte dem Geräusch des Sauerstoffs. Wie er aus meiner Nase strömte und wenige Sekunden später wieder hinein. Ich ließ mich in die Dunkelheit fallen, die sich in meiner Mitte aufgetan hatte. Die Dunkelheit, die sich an anderen Tagen, wenn ich meine Engelskraft zum Leben erweckte, in ein warmes, leuchtendes Glühen verwandelte. Ein Licht, welches ich selbst mit geschlossenen Augen sehen konnte, weil es sich allein in meinem Körper abspielte.
Irgendwann – meine Konzentration war so scharf, dass es sich schon fast wieder wie ein Dämmerzustand anfühlte – lenkte ich meine Aufmerksamkeit fort von meinem Atem. Ich hatte Jahre gebraucht, um diesen Zustand zu erlernen. Schweiß und Tränen und Verzweiflung, weil ich nie hatte stillsitzen können. Ganz anders als Jonathan, dem die Meditation so leichtgefallen war, als hätte er nie etwas anderes getan. Zumindest bis zu dem Tag als er jeden Faden zu diesem Fokus verloren hatte, weil sich die Ruhe plötzlich außerhalb seiner Reichweite befand. Weil Dämonen keine Ruhe kannten. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn eines Tages im Geiste übertrumpfen würde.
Ich war so tief in meinem eigenen Körper, dass sich die Oberfläche weit weg anfühlte. Hier, im Kern meines Bewusstseins, war ich in der Lage, meine Gedanken aufzuspalten. Ich konnte an Jonathan denken, ohne meinen Fokus zu verlieren. Denn anders als dort oben, hatte ich hier unten die Kontrolle. Emotionen fanden nicht ihren Weg hierher. Die Tür zu diesem Ort war fest verschlossen. Also streckte ich im Geiste meiner Finger aus und hielt sie über die Dunkelheit; versuchte, ihre Ränder zu ertasten.
„Achtest du immer noch auf deine Atmung?", spürte ich meine Lippen sagen. Kinderspiel. Doch meiner Stimme fehlten die Gefühle, auf die ich von hier keinen Zugriff hatte.
„Ja", war die simple Antwort. Jace klang ruhiger als ich erwartet hatte.
„Spürst du die Kraft? Ist sie da?"
„Ja, im Hintergrund. Wie eine leichte Wärme unter der Haut. Wie das Loch, aber schwächer."
„Kannst du danach greifen?"
Es dauerte einen Moment, bis Jace antwortete und als er es tat, hörte er sich weniger fokussiert an als gerade noch. „Nein. Es ist nur ein Gefühl, nichts greifbares."
„Bewegt sich die Wärme mit deinem Atem?"
„Nein."
„Stell dir das Loch vor deinem geistigen Auge vor. So deutlich du kannst", forderte ich ihn nun auf und blickte während ich sprach auf die Dunkelheit, auf dessen Ränder meine Hände sich stützten. „Wie sieht es aus?"
Jace strauchelte angestrengt nach Worten. „Es ... es sieht aus wie ein schwaches Licht. Ich kann es kaum sehen."
„Was fühlst du, wenn du es anschaust?"
„Nichts", gab er zu und klang überrascht über die Erkenntnis. „Es ist zu weit weg."
Das war gut. Kein Zorn. Bis jetzt. Er musste die Kraft auch erst irgendwie in die Finger kriegen. „Jetzt stell dir vor, wie du dich dem Licht näherst. Du näherst dich dem Licht und es wird heller. Wenn du das Gefühl hast, direkt davor zu stehen, versuch es zu berühren."
Jace brachte ein Ächzen hervor. „Das ist ... unmöglich. Es will nicht näherkommen."
„Das Licht will gar nichts. Du willst. Das Licht tut das, was du willst. Also wenn du nicht näher herankommst, befiehl ihm, sich dir zu nähern."
„Das ist nicht so einfach." Ein Seufzen ging ihm über die Lippen und seine Stimme triefte vor Erschöpfung, als hätte ihn dieses Gedankenspiel tatsächliche Anstrengung gekostet. „Es klappt nicht."
„Reg dich nicht auf und konzentrier dich wieder auf deinen Atem", befahl ich eisern und seelenruhig. Das hier war der richtige Weg. So viel war ich mir trotz meiner körperlichen Abwesenheit sicher. „Es ist ganz normal, dass es nicht auf Anhieb gelingt." Ich gab ihm einige Minuten, bevor ich fortfuhr. „Jetzt lenke deine Konzentration zurück zu dem Licht. Ist es immer noch da?"
„Ja, aber genauso schwach wie eben."
„Denk an die Wärme, die von dem Licht ausgeht. Vergleiche sie mit der Wärme im Rest deines Körpers. Stell dir vor, dass diese Wärme nur zu einem einfachen, weiteren Muskel gehört. Ein Muskel der völlig unter deiner Kontrolle steht."
Ein langanhaltendes Schweigen folgte, begleitet von Jace' flachen Atemzügen. Ein Takt so schnell, dass man die Sekunden daran abzählen konnte. Ein tiefes, knappes Summen war die einzige Antwort, die ich bekam.
„Jetzt bewege den Muskel. Wie dein Bauchmuskel, der spannt, wenn du atmest. Oder dein Arm, wenn du ihn ausstreckst."
Schneller als gedacht erhielt ich eine Reaktion. Ein überraschtes Aufkeuchen. So überrascht, dass es fast schon überrumpelt klang. Ich reagierte sofort. „Halt ihn fest! Beweg den Muskel ganz langsam! Eine kontrollierte Bewegung. Du weißt genau, was du tust und wie du ihn bewegen willst. Du stellst es dir so genau vor wie möglich."
„Das Licht", murmelte Jace in heiserem Ton. „Es ist direkt vor mir. Es ist so hell, dass ich kaum hinschauen kann."
„Strecke die Hände danach aus. Langsam." Ich wartete einen Moment und lauschte in die Stille hinein. Meine Finger bogen sich immer noch um die Ränder der Finsternis. In ihrer Mitte gab es nichts heraufzubeschwören, weil ich die Kraft nicht herbeigerufen hatte. „Such nach dem Rand des Lichts. Versuch es mit deinen Händen einzufangen. Das gesamte Licht muss sich zwischen deinen Armen befinden."
Meine weit entfernten Augenlider waren geschlossen. Doch als die Wärme wie eine Stichflamme vor mir implodierte, drängte sich das Licht bis in den letzten Winkel meines Körpers. Diesmal war ich es, die vor Überraschung keuchte – vor Hitze. Eine Hitze, die plötzlich alles einzunehmen schien. Wie seine ganz eigene Sonne, die in seiner Brust aufzusplittern begann. Sie dehnte sich aus, brannte sich durch meine Haut und verschluckte mich im Bruchteil weniger Sekunden.
Vor meinem inneren Auge verschwand die Dunkelheit von jetzt auf gleich. Die Sicherheit meines Kerns zerplatzte mit der Lautstärke eines Schreis als mein Bewusstsein mich über seine Türschwelle schubste und ich nach oben gezerrt wurde. Als hätte jemand eine Metallkette um mein Handgelenk gewickelt, die nun mit aller Kraft und Geschwindigkeit in die Höhe gezogen wurde. Ich konnte nicht atmen, denn der kühle See auf dessen Grund ich mich befand, hatte zu sieden begonnen. Mit einem Ruck steckte ich wieder in meinem Körper. Der Schock, der durch meine Glieder rauschte, katapultierte mich über die Bettkante. Die Welt drehte sich und ich knallte unsanft auf den Boden.
Ich riss die Augen auf und versuchte, Luft zu bekommen, aber Jace' Hitze hatte dem Raum jeden Sauerstoff entzogen. Benommen und benebelt versuchte ich, meine Orientierung zurückzuerlangen und auf die Beine zu kommen, aber mein Geist hatte sich noch nicht daran gewöhnt, wieder in Kontrolle meiner Muskeln zu sein.
Jace schlug die Augen auf und betrachtete mich. Seine Iriden glühten in der Farbe der Sterne, so blendend, dass ich seinem Blick nicht standhalten konnte. Einen Moment lang lagen keine Emotionen in seinen Zügen. Er wirkte wie eine lebendig gewordene Statue, die nichts mit diesem Leben anzufangen wusste. Dann blinzelte er und streckte den Arm nach mir aus. Die Intensität des Lichts in seinen Augen verlor sich auf der Stelle – sie verschwand nicht, nein, sie wurde nur schwächer.
Er sprang auf die Füße, aber sein Körper schien von einem heftigen Beben erschüttert zu werden – wie wenn ihm jemand einen Elektroschock verpasst hätte. Einen Sekundenbruchteil später lag er neben mir auf dem Teppich. Ein Ächzen brach aus ihm hervor als seine Schulter mit dem Boden kollidierte. Ich, die mich nicht daran erinnern konnte, ihn je so verwundbar gesehen zu haben, zuckte nach hinten als hätte nun mir jemand einen Schlag versetzt.
„Jace?" Die Frage glich einem Ausruf und ich zwang mich in eine Sitzposition, um ihn besser begutachten zu können.
Zu meiner Überraschung hatte Jace seine Arme bereits in den Boden gestemmt und sich aufgesetzt. Er drehte sich mir zu und ein erschöpftes, aber triumphierendes Grinsen zierte seine Lippen. „Offensichtlich reicht meine bloße Anwesenheit doch aus, damit du umfällst", brachte er atemlos hervor. Dennoch gelang es ihm, großspurig zu klingen. „Mach den Mund zu, sonst verschluckst du dich noch an meiner Schönheit."
„Du bist ... unglaublich", stotterte ich überrumpelt und schlug halbherzig nach ihm.
Jace' Grinsen wuchs und er wich meiner Hand mühelos aus. Darauf folgte eine Welle der Stille, aus die keiner von uns sich so einfach lösen konnte. Wir starrten einander an und ließen die vergangenen Momente Revue passieren. Schließlich gelang es ihm, den Mund zu öffnen. „Ich habe es geschafft", sagte er und seine Worte trugen eine Nuance von Verblüffung. Als er weitersprach mischte sich Aufregung in seinen Ton. „Ich konnte die Kraft festhalten, ich konnte sie kontrollieren! Zumindest für einige Sekunden, aber das ist ja wohl besser als nichts!"
Ich konnte nicht anders als zu lächeln als ich seine Freude sah. „Erzähl mir alles!"
Wir blieben, wo wir waren – auf dem Boden hockend, wenige Zentimeter nebeneinander sitzend, einander zugewandt, mit großen Augen. Jace streckte stolz die Brust heraus, wie wenn er gerade den höchsten Berg der Welt bestiegen hätte. Und auf eine gewisse Weise hatte er genau das auch getan. „Die Wut ist nicht der Schlüssel", sprudelte es nun unaufhaltsam aus ihm heraus. „Das war sie nie. Sie war nur ... wie das Symptom einer Krankheit, die man bisher nicht richtig diagnostizieren konnte. Sobald ich einmal vollkommen konzentriert war, war es fast schon einfach! Es war wie ein Instinkt und obwohl deine Worte mich geleitet haben, wusste ich tief in meiner Brust trotzdem, was zu tun war. Sobald ich nach der Kraft gegriffen habe, konnte ich ihr gesamtes Ausmaß spüren. Ihren Drang, aus mir auszutreten, zu entkommen. Als wäre mein menschlicher Körper nicht dafür gemacht, diese himmlische Energie in sich zu tragen. Und dann habe ich losgelassen. Genauso wie in der Trainingshalle oder im Verhörzimmer oder gestern im Wald. Aber anders als zuvor hatte ich die komplette Kontrolle. Obwohl ich die Kraft losließ, konnte ich sie steuern. Wie ... bei einem Pferd, dessen Zügel man ganz locker hält, aber es im Notfall trotzdem steuern kann."
Jace sah aus, als würde er noch mehr sagen wollen, aber seine Lider flatterten, wie wenn sie ihm jeden Moment zufallen würden. Ich war so fokussiert auf seine Worte und Euphorie gewesen, dass ich ihn erst jetzt eindringlicher betrachtete. Er sah müde aus. Nicht nur müde, sondern vollkommen ausgelaugt.
„Das hört sich wunderbar an", flüsterte ich und strich ihm einige verklebte Haarsträhnen aus der Stirn. Seine Haut fühlte sich zu warm unter meinen Fingerspitzen an. Sie war feucht vor Schweiß, als hätte er gerade Stunden des körperlichen Trainings hinter sich gebracht. „Wie fühlst du dich, Jace?"
„Fantastisch!", gab er zurück und mit dem nächsten Atemzug hatte er seine Arme um meine Schultern geschlungen und mich zu sich herangezogen. Ich prallte gegen seine Brust und alles, was ich spürte, war die überwältigende Wärme und die Nässe seiner Kleidung. Ich unterdrückte mein Keuchen und erwiderte seine Umarmung. Unterhalb meines Ohres wummerte sein Herz einen hektischen Rhythmus. „Ich kann die Kraft immer noch spüren. Jetzt deutlicher als vorher. Ich glaube, dass meine Sinne sich ihretwegen geschärft haben, weil ich endlich gelernt habe, wie ich auf sie zugreifen kann. Vielleicht fällt es mir beim nächsten Mal leichter, sie zu benutzen."
„Ich kann gar nicht beschreiben, wie stolz und erleichtert ich bin", sagte ich und presste meine Wange an sein Schlüsselbein. Meine Nase, die in seiner Halsbeuge lag, saugte diesen unbekannten Duft der warmen Anstrengung in sich auf. Die Nervenenden meines Körpers begannen in Reaktion zu kribbeln. Einen kurzen, gestohlenen Augenblick lang kniff ich die Lider zusammen und sank in die Blase der Ruhe ab. „Dein Herz rast."
„Ich ... ich habe das Gefühl, als würde ich den Rest des Tages verschlafen, wenn ich nur zu lange die Augen schließe", murmelte er an meinem Ohr und klang vor Erschöpfung ganz heiser.
„Denkst du, du kannst die Menge der Kraft steuern, die du benutzen möchtest?"
Jace nickte knapp und seine Haarspitzen kitzelten mein Ohr in der Bewegung. „Hätte ich gewusst, dass es mich so müde machen würde, hätte ich nicht die ganze Kraft aufgewendet. Aber es war so einfach, nach ihr zu greifen, dass ich ihr kaum widerstehen konnte."
„Das ist gut", erwiderte ich und fuhr mit meinen Fingern seinen Nacken hinab, seine Wirbelsäule entlang. Ich lehnte mich nach hinten, um den Kopf zu heben und seinem Blick zu begegnen. Aber Jace hatte bereits die Lider geschlossen, sein Körper schwer gegen meinen. „Du solltest dich ausruhen."
Das schien ihn zurück in die Gegenwart zu ziehen. Er blinzelte gegen das Sonnenlicht und schaute mit einem sonderbaren Ausdruck in seinen weichen Pupillen zu mir herab. Jace schüttelte sich und da seine Arme um mich lagen, mich gleich mit. Er blickte sich im Raum um, auf der Suche nach einer Uhr. „Du weißt, dass dafür keine Zeit ist."
Das kurzlebige Gefühl des Friedens ebbte ab und machte Platz für das Gräuel, welches ich mühselig hatte von mir schieben wollen. Jace hatte recht. Wir hatten keine Zeit, nein, sie lief uns praktisch davon. Der heutige Tag, so früh am Morgen es gerade auch noch sein mochte, musste Ergebnisse liefern. Ein Ergebnis hatten wir bereits erzielt und obwohl es die Flamme der Hoffnung in meinem Herzen schürte, brauchten wir mehr. Mehr, so viel mehr, um diese Hoffnung in eine wahre Aussicht zu verwandeln.
Es kostete mich einiges an Willenskraft, nicht für einen weiteren gestohlenen Moment die Augen zu schließen und mich gegen Jace zu lehnen. Er war mir so nah, dass es ein Kinderspiel gewesen wäre. Stattdessen brachte ich Abstand zwischen uns, drückte mich von ihm fort, um aufzustehen. Jace folgte meinem Beispiel, musste sich dafür jedoch am Bettgestell festhalten.
Ich kramte nach meiner Stele und bedeutete ihm mit einer knappen Handbewegung, mir seinen Arm hinzuhalten. „Die Schlaflosigkeits-Rune sollte helfen."
„Danke", seufzte Jace sobald die tiefschwarze Rune auf seiner Haut ihre Wirkung entfaltete. Auch wenn sie die Müdigkeit nur aufschob. Doch solange er kommende Nacht genügend Schlaf bekam, sollte das kein Problem darstellen.
Nun, wo er wieder bei Kräften war, gab es keinen Grund, die Pflichten vor uns herzuschieben. Während Jace sich somit zur Garnison aufmachte, um Alec zu suchen, musste ich nur das Stockwerk wechseln, um Isabelle aufzutreiben. Ich war froh, dass mir ein weiterer Besuch zu den Stillen Brüdern erspart blieb. Dagegen wirkte ein Abstecher in die große Bibliothek von Alicante mehr als harmlos.
Als ich nach kurzem Klopfen in Isabelles Zimmer platzte, saß sie bereits fertig angezogen vor ihrem Spiegel. „Du bist ja schon wach", bemerkte ich zur Begrüßung und ließ mich auf ihr Bett fallen.
Isabelle schaute nicht auf als ich reinkam, sondern war völlig auf einen Bündel Haare in ihren Händen vertieft. Sie summte nur in Zustimmung und ich sah dabei zu, wie ihre flinken Finger zwischen den einzelnen Haarsträhnen hin und her glitten, als sie sie zusammenflechtete.
Ihr Zimmer war meinem vom Grundriss zwar identisch, hätte sich von der Einrichtung jedoch nicht deutlicher von meinem unterscheiden können. Drei der vier Wände hatte man hellgrau gestrichen – nicht dieses langweilige, triste Grau, sondern ein harmonisches und doch prägnantes Chromgrau. Die noch übrige Wand, die die rechte Seite des Raumes begrenzte, stach so deutlich wie der Nachthimmel am helllichten Tage hervor. Mitternachtsschwarz und funkelnd, als hätte Isabelle tausende kleine Glitzerpartikel in die Wand eingelassen, die nun das Sonnenlicht brachen und den Eindruck erweckten, als stünde man inmitten eines Sternenhimmels. Der Großteil der Wand wurde von ihrem riesigen Himmelbett eingenommen, dessen Ebenholzstruktur es beinahe mit ihr verschmelzen ließ. Bis auf die Sternenwand wurde jede andere von silbernen Dolchen und Schwertern geziert. Selbst die Griffe ihres Kleiderschranks waren einst Schwerthefte gewesen – nun jedoch antik und abgenutzt.
Dass Isabelle Wert auf Details legte, war allgegenwärtig, sobald man seinen Blick einmal über ihre Gestalt streifen ließ. Ihr Zimmer hätte der Höhle eines Bösewichts entspringen können – eines Bösewichtes mit Stil und Modebewusstsein. Und das alles, obwohl sie insgesamt nur wenige Monate ihres Lebens in Alicante gelebt hatte, nicht viel mehr als ich. Wie mochte da ihr Raum in New York aussehen?
Nach einer Weile drehte Isabelle sich zu mir um. Ihr Gesicht wurde nun von zwei langen, dünnen Flechtezöpfen umrahmt. Der Rest ihres Haares fiel ihr wie üblich über die Schultern. Glatt und so schwarz, dass man meinen könnte, bei Nacht auf die reflektierende Oberfläche eines bewegungslosen Sees zu blicken.
Ein theatralisches Stöhnen kam ihr über die Lippen. In einer dramatischen Szene hielt sie sich die Rückseite ihrer Hand an die Stirn, wie wenn sie jeden Moment in Ohnmacht fallen würde. „Erst zwingst du mich, so früh aufzustehen und dann muss ich diese Zeit auch noch in einer Bibliothek verbringen. Was tust du mir nur an, Clary?"
Ich verdrehte die Augen und rollte mich auf den Rücken. „Bücher sind ja auch so gruselig. Ich zittere bereits vor Angst."
Isabelle schüttelte sich, wie wenn der Gedanke an Bücher ihr einen Schauder einjagen würde, und ihre feinen Zöpfe schaukelten in Reaktion. „Ich hoffe, dass wir fündig werden", schnaubte sie und erhob sich gemächlich von ihrem Schminktisch. „Sonst kann ich danach nicht einmal behaupten, dass uns dieser Besuch der Weltrettung nähergebracht hätte. Und das wäre wirklich Zeitverschwendung."
Das Grinsen, welches auf ihre Worte folgte, erlosch, sobald wir schließlich tatsächlich in der Bibliothek standen. Ich war bereits einmal hier gewesen, vor vielen Wochen, kurz nach meiner Ankunft in Alicante. Auch damals hatte ich mich durch die ältesten Geschichten unseres Volkes gekämpft. Auf den Spuren von Jonathan Shadowhunter, um mehr über mein Engelsblut herauszufinden. Jetzt, wo die hohen Flügeltüren mit einem hallenden, dumpfen Knall zufielen, schnürte sich mir die Kehle zu.
Die Bibliothek war riesig. Umso imposanter, wenn man nicht Nachts über ein Fenster hereinkletterte und alles aus der Vogelperspektive betrachtete. Von hier unten, am tiefsten Punkt des erhabenen Gebäudes, welches nur die Bibliothek beinhaltete, fühlte ich mich klein und unbedeutend – vor allem aber unfähig, in diesem Büchergewirr jemals zu finden, was wir suchten. Die Furcht des Versagens legte sich schattenhaft über den Saal, wie wenn die Sonne vor den Fenstern von Wolken blockiert würde.
Die Bibliothek erstreckte sich über mehrere Etagen. Regal um Regal um Regal voller Bücher reihten sich aneinander. Manche alt, manche noch älter, manche so antik, dass die ausgeblichenen Buchrücken in Fetzen hingen. Ein breiter Mittelgang erstreckte sich bis zum anderen Ende des Erdgeschosses. Er war gesäumt von in Schuss gehaltenen Holztischen, die dennoch so aussahen, als wären sie hunderte Jahre alt. Gedimmte Elbenlichter erhellten die Reihen und in weiter Ferne öffnete sich der Gang zu einer kreisrunden Formation. Was auch immer es dort gab, für den Moment interessierte es mich herzlich wenig. Die vorhandenen Eindrücke überforderten mich bereits zur Genüge. Der trockene Geruch nach Papier und Staub war der einzig einladend wirkende meiner Sinneseindrücke. Und das auch nur, weil ich einen großen Teil meiner Kindheit in einer Bücherei verbracht hatte, wenn auch um Welten kleiner als diese. Hiergegen kam mir die umfassende Bücherei im Morgensternanwesen mit einem Mal mickrig vor.
„Kein Wunder, dass das Geheimnis des Spiegels verloren gegangen ist", war alles, was Isabelle mürrisch hervorbrachte. Sie umschloss meinen Arm und zwang mich vorwärts. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich erstarrt war. „Komm schon, lass uns keine Zeit verlieren."
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Hi Leute,
sorry dass es wieder etwas länger gedauert hat, ich vergesse manchmal, dass ich den Update-Dag geändert habe. Letzte Woche war ziemlich viel bei mir los ...
Am Donnerstag werde ich nicht posten, weil ich Taylor Swift sehen werde! Yaaay! Das Kapitel kommt dann wahrscheinlich am Samstag.
Über ein Like und einen Kommentar freue ich mich sehr, da wir Autoren nur diese Wertschätzung erhalten können! :)
Skyllen
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