Kapitel 72 - War Arrangements

Kapitel 72 – War Arrangements

--- 3 Tage vor Beginn des Krieges. ---

„Ich habe nicht übel Lust, schon wieder in einer Ratssitzung versauern zu müssen", brummte Isabelle genervt und pustete sich eine kohlefarbene Haarsträhne aus dem Gesicht. „Das ist schon die zweite außerplanmäßige diese Woche."

„Sie werden sich dieses Mal nicht mit bürokratischem Herumgerede aufhalten. Imogen weiß, dass sie so schnell wie möglich jegliche Geschütze auffahren müssen, um eine Chance zu haben."

Isabelle warf mir einen schiefen Seitenblick zu und schnaubte entrüstet. „Du klingst ja so, als hätten wir bereits verloren."

Anstatt zu antworten verzog ich unentschlossen meine Lippen und fuhr damit fort, angestrengt Löcher in das Rednerpult zu starren, auf dem die Inquisitorin in diesem Moment ihre Notizen ablegte. Ich konnte das nervöse Knacken meiner Fingerknochen nicht unterdrücken als ich den Rest des gefüllten Saals ignorierte.

Sie alle waren hier. Schattenjäger, Hexenmeister, Vampire und Werwölfe. Der Ratssaal war rappelvoll – es tummelten sich so viele Lebensformen hier wie noch nie. Selbst wenn ich auf beiden Ohren taub gewesen wäre, hätte ich es immer noch riechen können. Trotz des kühlen Frühlingswetters hatte sich der große Raum schnell aufgewärmt, wofür die schiere Anzahl an Wölfen mit ihrer höheren Körpertemperatur sicher nicht unschuldig waren.

Es waren keine zwei Stunden vergangen, seitdem ich mit pochendem Herzen und einer neuen Furcht in meinen Venen aus meinem Albtraum erwacht war. Nun stand ich gemeinsam mit Isabelle und Jace am tiefsten Punkt des Ratssaals, seitlich der Throne und des Rednerpults. Heute wurde mit der Tradition gebrochen, was ich daran erkannte, dass das neue Gremium rund um Alec und die Vertreter der Schattenwesen sich bei der Inquisitorin versammelt hatten und sie untereinander diskutierten.

Das Gremium hatte bereits die halbe Nacht getagt und so wie es aussah, waren sie immer noch nicht zu einer Einigung gekommen. Was auch immer sie besprachen. Wahrscheinlich unser baldiges Ableben. Genauer gesagt, wie sie es verhindern wollten. Auch die Inquisitorin hatte an der Sitzung des Gremiums teilgenommen, was wir nur wussten, weil Jace und ich sie mit einer müden und gereizten Isabelle im Schlepptau aufgesucht hatten. Sie hatte uns nur wenige Minuten ihrer Zeit geschenkt und war danach sofort wieder in den Raum verschwunden, aus dem eine unbändige und chaotische Flut an Gerede zu hören gewesen war.

Imogen war zu beschäftigt gewesen, um tiefgründig mit uns über den Spiegel zu sprechen. Etwas, was mir Sorgen bereitete. Eine nagende Stimme in meinem Kopf sagte mir, dass sie die falschen Prioritäten in diesem Konflikt setzen würden. Weil die Nephilim jeden Kampf in der Vergangenheit mit Seraphklinge und Stele angetreten hatten.

Der Saal roch anders als sonst. Üblicherweise war das Dominanteste, was man wahrnahm die nasse Erde, die den schneegetrampelten Stiefeln gebührte. Nun, wo der Großteil des Schnees innerhalb der Stadt geschmolzen war, drang der tatsächliche Geruch der Garnison in den Vordergrund. Die niedrige Luftfeuchtigkeit gepaart mit den hohen Decken und dem alten Mauerwerk erinnerte mich an das Institut in New York und seinen kirchenähnlichen Eingangsbereich.

Ich hatte schon längst vergessen, dass Isabelle mit mir geredet hatte, als sich plötzlich eine säuselnde Stimme einschaltete: „Oder Clary ist einfach nur realistisch."

Wir drehten unsere Köpfe und Magnus Bane schlenderte auf uns zu – Alec an seiner Seite, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und einen angespannten Zug auf seinem Gesicht trug. Neben ihm wirkte Magnus fast schon sorglos – was jedoch auf die meisten zutreffen würde. Magnus' orange-gelben Katzenaugen blitzten über Isabelle und mich hinweg und er nickte Jace zu, als wären sie alte Bekannte. Sein mitternachtsblauer Sakko warf die Elbenlichter mit einem metallischen Schimmer zurück und die türkisenen Nuancen in den Spitzen seiner dunklen Haare machte den Eindruck, als befänden wir uns auf einer Party und nicht Momente vor dem Beginn einer Sitzung, die unser aller Leben entscheiden würde.

„Ist das also der Entschluss, zu dem das Gremium gekommen ist? Dass wir gar nicht kämpfen müssen, weil wir sowieso verlieren werden?" Unglaube flammte in Isabelles Iriden auf. Sie waren von einem so tiefen Dunkelbraun, dass sie beinahe schwarz wirkten. Wie milchfreier Kaffee. Ihrer entschlossenen Miene nach zu urteilen, würde sie sich auch gegen den ausdrücklichen Befehl des Rates in die Schlacht stürzen. Auch wenn es nur ihrem Gewissen galt. Ich bewunderte sie dafür.

„Natürlich kämpfen wir", antwortete Magnus, dessen Ton nun weniger erheitert klang. Seine Gesichtsmuskeln hatten sich zu einer angestrengten Maske verzogen und er schaute nicht zu uns, sondern zu Imogen, als er weitersprach. „Wir Schattenwesen haben uns schon immer gegen Tyrannen aufgelehnt und wir werden heute nicht damit aufhören."

„Die Frage ist nur, wie unsere Chancen stehen", meldete Alec sich zu Wort und kratzte sich am Hinterkopf. „Den Zahlen nach sind wir in der Unterzahl und das nicht, weil uns bereits um die zwanzig Schattenjäger verlassen haben. Das Problem ist das Schwert der Engel. Wenn wir es nicht in die Hände kriegen, bevor die Hölle losbricht, dann werden sie für jeden gefallenen Dämonen einfach drei neue herrufen. Ihre Armee hat kein Ende."

Jace neben mir knirschte hörbar mit den Zähnen. Er stand am weitesten von Magnus und Alec entfernt, auf meiner Linken. Ich musste mich nicht zu ihm umdrehen, um zu wissen, dass er seine Hände zu Fäusten geballt hatte. Diesen Zorn galt es zu kanalisieren – in seine Kraft umzuwandeln. Seit ich heute Morgen aufgewacht war, sah ich in allem und jedem nichts als Strategie. Ich konnte nicht mehr normal denken, ohne an jeder Ecke Pläne zu schmieden.

„Sind sie alle zu Valentin übergelaufen?", fragte Jace gepresst. Ich lehnte mich leicht in seine Richtung und ließ meinen Handrücken gegen seine Faust streifen. Seine Augen, die frustriert auf Alec und Magnus fixiert waren, fuhren schlagartig zu mir. Die Hitze in ihnen verlor ein wenig ihrer Intensität und er entspannte seine zusammengekniffenen Brauen.

Alec zuckte nichtsahnend mit den Achseln und rollte hilflos den Kopf in den Nacken, als würde die Decke ihm dabei helfen, einen klaren Gedanken zu fassen. Er sah fertig aus – sein Haar zerzaust, seine Klamotten zerknittert, seine Bewegungen träge. Hatte er überhaupt geschlafen? „Wissen tun wir es nicht mit Sicherheit, aber es ist wohl am besten, davon auszugehen. Wir wissen nicht, ob sie kämpfen oder sich aus dem Konflikt raushalten werden. Alles, was wir wissen, ist, dass Valentin ihnen gesagt hat, zum nördlichen Rand des Brocelind-Waldes zu kommen."

„Der Spiegel wird sich irgendwo hinter den Grenzen seiner Armee befinden", murmelte ich vor mich hin, eher zu mir als zu ihnen.

„Ah, der Spiegel", seufzte Magnus mit einem verschmitzten Lächeln und verdächtig zu Schlitzen verzogenen Augen, mit denen er Jace und mich beobachtete. „Ein so gehütetes Geheimnis, dass ihr es bei der Bewahrung irgendwann einfach selbst vergessen habt. Das muss ich euch Nephilim lassen, in Sachen Geheimhaltung kann euch niemand das Wasser reichen."

Vier Augenpaare durchbohrten den Hexenmeister ohne einen Funken der Belustigung. Schließlich entließ Isabelle einen resignierten Atemstoß. „Gibt es denn in der Schattenwelt keine Legenden zum Spiegel? Vielleicht steht ja etwas zu ihm in einem deiner Bücher."

Magnus hob expressiv seine Brauen. „Oh ja, du hast recht. Die Stillen Brüder haben keine Ahnung, aber Magnus Banes Bücher wissen natürlich mehr." Seine Stimme triefte vor Sarkasmus und auf Alecs Mundwinkeln zeichnete sich doch tatsächlich der Anflug eines Schmunzelns ab. „In meinen Büchern stehen so einige Legenden, die eurer Spezies mit den Jahren der Arroganz in Vergessenheit geraten sind, aber hier geht es um die drei Engelsinsignien."

Isabelle hob abwehrend die Arme. „Schon gut, ich hab's verstanden. Dann sollten wir vielleicht direkt mit der Bruderschaft Kontakt aufnehmen."

Meine Muskeln versteiften sich unter mir und nun war es Jace, der seinen Handrücken beruhigend gegen meinen strich. Bevor ich etwas einwerfen konnte, was meine Furcht vor den Brüdern offenbart hätte, fiel Jace mir ins Wort. „Das werden Alec und ich erledigen", stellte er fest und warf seinem Parabatai dabei einen eindringlichen Blick zu. Alec nickte zustimmend und fuhr sich dann abermals durch sein rabenschwarzes, glanzloses Haar. „Clary und du solltet trotzdem die Bibliothek auskundschaften. Wir können nie genug auf Nummer sicher gehen."

„Klingt nach einem Plan", erwiderte Isabelle, ein wissendes Grinsen umspielte ihre langen Züge und aus dem Augenwinkel konnte ich ihre Aufmerksamkeit auf mir spüren. Meine Augen trafen ihre und ich konnte die stille Freude in ihren aufleuchten sehen, als sie zwischen Jace und mir hin- und herschaute. Schweigend legte ich meine Stirn in Falten und legte all meinen Willen in die wortlose Kommunikation meiner Nachricht. Wage es nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Ihr Grinsen wuchs und ich verdrehte die Augen.

Als ich merkte, dass die anderen unserem tonlosen Geplänkel folgten, riss ich mich von ihr los und räusperte mich. Isabelle kicherte und ich seufzte in mich hinein. „Das werden wir auf morgen verschieben müssen. Ich habe Luke versprochen, heute eine weitere Trainingseinheit zu geben. Die Schattenwesen sind deutlich in der Überzahl. Sie müssen so viel über den Feind kennen wie möglich."

Magnus nickte zustimmend und wurde ernst. „Die Hexenwesen werden sich euch heute ebenfalls anschließen. Gerüchte über das verlorene Engelsschwert machen bereits die Runde und wir müssen verhindern, dass dies in Panik ausartet. Wir müssen sie beschäftigt halten und das geht am besten, wenn wir sie auf den Ernstfall vorbereiten."

„Ich werde mehr Unterstützung brauchen als nur Isabelle", brachte ich an Alec gewandt hervor, der die Trainings gemeinsam mit Luke organisierte. „Bisher war immer Adam da, um mir zu helfen, während Isabelle sich um die Vampire gekümmert hat. Und wenn wir jetzt auch noch die Hexenwesen unterhalten müssen, brauche ich weitere Freiwillige."

Jace trat in mein Sichtfeld und starrte mich missbilligend an, nur um sich dann in einer gespielt-arroganten Geste imaginäre Staubpartikel von den Schultern zu streichen. „Du kannst mich auch einfach direkt um Hilfe bitten, das ist dir doch klar, oder? Wenn jemand dafür gemacht ist, anderen sein Können unter die Nase zu reiben, dann ja wohl ich."

„Oh natürlich", schnaubte Isabelle und brach in falsches Gelächter aus. Sie warf ihr langes, glänzendes Haar zurück und tätschelte die Schulter ihres Ziehbruders in herablassender Manier. „Jace Herondale. Der perfekte Schattenjäger."

Jace zeigte seine strahlend weißen Zähne und deutete eine Verbeugung an. „Nicht nur perfekt. Schöner als der Rat erlaubt und sexy obendrein. Die Hälfte der Zuschauer wird vor Bewunderung umkippen, sobald ich mein Shirt ausziehe."

Alec und ich weiteten gleichzeitig ungläubig die Augen und Jace blickte beleidigt drein. Dann durchbohrte er mich mit einem anklagenden Blick. „Du müsstest hinter mir stehen." Sein Ton war um einige Oktaven angestiegen und seine Hand schoss dramatisch zu seiner Brust. „Deine Abweisung bricht mir das Herz, obwohl ich doch genau weiß, dass auch du in Ohnmacht fallen würdest."

Ich prustete los und für einen Sekundenbruchteil flackerte ein echtes Lächeln über Jace' Züge, bevor er zurück in seine Rolle schlüpfte. „Du wirst wohl eher feststellen, dass du nicht der einzige gutaussehende Mann sein wirst", gab ich mit einem schelmischen Grinsen zurück. „Hast du etwa schon vergessen, dass die Vampire mit einer übernatürlichen Schönheit gesegnet sind?"

„Ich wusste doch, dass deine weiblichen Instinkte nicht völlig verloren sind, Clary!", rief Isabelle triumphierend und klatschte in die Hände. Sie legte mir einen Arm um die Schultern und streckte Jace die Zunge raus. „Es sind tatsächlich einige wirklich gutaussehende Vampire hier."

Ich schlang meinen Arm um ihre Mitte und schaute zu Isabelle hoch. Als unsere Blicke sich trafen konnte ich ihr den Gedanken ablesen. „Raphael", gaben wir zeitgleich zum Besten und begannen bestätigend zu kichern.

Dieser kleine, unbedeutende Moment bedeutete mir die Welt. Ich war kein lustiger Mensch und auch keiner, der viel lachte. Wenn denn überhaupt in den letzten Wochen. Aber dieser Augenblick, eingehakt bei Isabelle, überflutete mich mit einer Freude, die ich nicht benennen konnte. Diese Freundschaft zu ihr hatte sich in den letzten Wochen zu etwas Wertvollem und Schönem entwickelt und ich konnte selbst noch nicht wirklich begreifen, was es bedeutete. Mir war nur klar, dass Isabelles Nähe eine neue Seite in mir hervorbrachte. Eine bunte, fröhliche Seite, die ich vielleicht besser gekannt hätte, wenn ich nicht bis vor kurzem ein völlig anderes Leben geführt hätte.

Isabelles Freundin zu sein war ein Geschenk, so kostbar und einzigartig, dass es mich sprachlos machte. Also hörte ich nicht auf zu lachen und öffnete mich für die angenehme Wärme in meinem Bauch, die mit der Zeit in mir gewachsen war und mir immer noch ein wenig fremd vorkam.

„Wenn jeder im Rat so ein wahnhafte Selbstwahrnehmung hätte wie du, dann hätten die Nephilim bereits vor achtzehn Jahren gegen Valentin verloren", kommentierte Magnus und Alec verschluckte sich fast.

Jace' Schmollen vertiefte sich. Ich legte ihm sanft eine Hand auf den Arm und lächelte. „Ich freue mich, dass du mir helfen willst."

„Hoffentlich bist du bei den Vorführkämpfen ein würdigerer Gegner als Adam", flüsterte Isabelle und ich trat sie in Reaktion.

„Die zukünftige Generation der Nephilim", murmelte Magnus noch eine Spur leiser und schüttelte den Kopf.

Die Reste des Gremiums, die noch bei Imogen gestanden hatten, zerstreuten sich endlich und bevor einer von uns etwas auf Magnus' Kommentar erwidern konnte, ergriff sie bereits das Wort. Man konnte ihr den Tatendrang ansehen. Ihre Finger trommelten ungeduldig auf der Kante des massiven Rednerpults. Bevor sie den Mund öffnete, fuhr ihr Blick über unsere Reihe hinweg. Dann atmete sie ein letztes Mal tief ein und beichtete der versammelten Unterwelt, dass das Engelsschwert verloren war.

Das Chaos, welches folgte, übertraf meine Erwartungen. Imogen war nicht ins Detail gegangen, hatte dem überfüllten Saal meine Beteiligung im Verlust von Mellartach verschwiegen. Das wütende Gestarre blieb mir somit erspart, was mich erleichterte. Genauer gesagt hatte sie kaum etwas über den vergangenen Abend preisgegeben. Nur dass Jonathan gekommen war, um es sich zu holen und die Verteidigung ihm erlegen war.

Sie verlas die Namen all derjenigen, die gefallen waren und auch die der Verräter, die sich Jonathan angeschlossen hatten, um uns zu übermannen. Die zerstreuten Reste von Blakes Gruppe. Die, die nicht tot waren, waren aus Alicante geflohen. Ein Rudel Werwölfe hatte ihre Überreste im Morgengrauen einige Meilen außerhalb der Stadtgrenzen aufgefunden. Jonathan hatte sich tatsächlich an unsere Abmachung gehalten und auch den letzten seiner Schergen den Garaus gemacht.

Der erneute Einfluss von Blake Ashdown verärgerte die Menge, brachte Cynthia Ashdown zum zweiten Mal in den Fokus der Debatte. Dass sie überhaupt noch hier saß und sich meinem Vater nicht schon längst angeschlossen hatte, wunderte mich. Außer sie wartete, um uns für Informationen auszuhorchen.

Adam saß in ihrer Nähe, in den Reihen der Kohorte, die Jace und mich vorgestern nach dem Verlassen des Gefängnisses angegriffen hatten. Der Anblick war wie ein Stich ins Herz, obwohl ich mir eigentlich geschworen hatte, Adam nicht mehr an mich heranzulassen. Doch so war das mit Menschen, die einem etwas bedeuteten. Selbst nach Monaten ging mir Jonathan immer noch nahe – würde er immer. Also konnte ich nicht erwarten, dass meine Freundschaft zu Adam von heute auf Morgen aufhörte, mir etwas zu bedeuten.

Die gesamte Sitzung hindurch vermied Adam meinen Kontakt, sträubte sich gegen meine Blicke, die ihn fragend zu durchbohren versuchten. Er saß bei seiner Familie. Es sollte mich nicht wundern, schließlich hatte er mir gestanden, dass seine Eltern konservativ waren. Aber radikal konservativ? Wo sie doch stets als Diplomaten gegolten hatten? Immerhin war Adam nur im Institut von Toronto gelandet, weil die Ashdowns und Demonhunters befreundet waren. Ich hätte die Warnsignale schon viel früher als solche erkennen müssen. Stattdessen hatte ich mich blenden lassen. Von der Hoffnung auf Freundschaft. Von der Hoffnung auf eine Verbindung, nach der ich mich nach Jahren der Isolation verzehrt hatte.

Es war gerade ein Tag vergangen seit Adam mit Tränen in den Augenwinkeln vor mir auf die Knie gefallen war. Flehend. Auf der Suche nach Vergebung und einer zweiten Chance. Bisher hatte ich noch keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Seine waldgrünen Iriden waren demütig auf seinen Schoß gesenkt, anders als sonst, wo er diesen Versammlungen immer mit offenen Ohren und genauester Aufmerksamkeit gelauscht hatte. Aber Adam war kein Teil der Nephilimgemeinschaft mehr. Die Inquisitorin hatte ihm seine Stimme und sein Recht entzogen. Mehr als zuhören durfte er nicht.

Nachdem ich gelernt hatte, dass ich gar nichts über Adam wusste, konnte ich nicht einschätzen, ob er ein weiteres Schauspiel aufführte oder sich wahrhaftig unterwürfig zeigte. Ich wusste nicht, ob er meinen Augen auswich, weil er sich für seine Taten schämte oder weil jeder vermiedene Kontakt mit mir bedeutete, dass seine Lügen weniger drohten, aufzufliegen.

Er war nicht Teil der Überbleibsel von Blakes Gruppe, die sich gegen uns gestellt haben. Er war nicht dort, um sich dir in den Weg zu stellen. Er wusste nicht, was sie geplant hatten. Mein Kopf – der Teil, der an seiner Freundschaft hing und nicht loslassen konnte – suchte nach Möglichkeiten, das noch vorhandene Weiß auf seiner befleckten Weste nicht weiter zu übermalen.

Tatsache war, dass ich zu emotional war, um ihn loszulassen. Ich hasste mich dafür. Ich wollte Adam vergessen, ihn in den hintersten Teil meines Gedächtnisses schieben und endlich fortfahren. Ich wünschte, es wäre so einfach. Ich verstand nicht, warum er mich in einem so tiefen Graben aus Gefühlen zurückgelassen hatte – wie es dazu gekommen war, dass er mir so unter die Haut ging. Erst jetzt, wo er weg war, war mir diese Tiefe wirklich klargeworden.

Er war dein erster Freund, dein einziger Verbündeter, als sich die ganze Welt gegen dich gewendet hat, flüsterte die Stimme in meinem Kopf, die sich schmerzhaft und sehnsüchtig zusammenzog, wenn ich loslassen wollte. Er war da als deine Mutter gestorben ist. Er war da als sie dich vor dem Rat entblößten. Er hat dir geglaubt als alle anderen verachtend den Kopf geschüttelt haben.

Freund. Spion. Verräter. Lügner. Oder doch Freund? Selbst wenn das, was Adam sagte, der Wahrheit entsprach und er von nun an wirklich nur mein Freund sein wollte, würde das Gestrüpp seiner Lügen ihn daran hindern, mein Vertrauen ohne weiteres zurückzugewinnen. Er hatte mir eine Grube gegraben, aber sich selbst eine ebenso tiefe, die sich direkt neben meiner befand.

„Du starrst", stellte Isabelle mit gedämpfter Stimme neben mir fest und ich zuckte so heftig zusammen, dass meine Stiefel über den steinernen Boden schleiften. In der Stille von Imogens Rede drehten sich einige Köpfe zu uns herum. Nur seiner blieb angestrengt gesenkt.

Ertappt huschten meine Augen zu Isabelle und erst als ich blinzelte, spürte ich die Anstrengung, mit der sie sich in Adam gebohrt hatten. Ich seufzte in mich hinein und massierte mir die Schläfen.

„Ich verstehe, wie du dich fühlst", fuhr sie im Flüsterton fort, während Imogen im Hintergrund irgendetwas mit dem Gremium präsentierte. Ich wusste, dass ich eigentlich zuhören sollte, konnte mich jedoch nicht dazu überwinden. „Zumindest glaube ich, dass ich es tue."

„Was meinst du?", gab ich so kühl wie möglich zurück, was natürlich zwecklos war. Isabelle hatte eine Weile gebraucht, aber mittlerweile war sie ziemlich gut darin, meine unterbewusste Körpersprache zu deuten. Sie war eine ausgezeichnete Beobachterin.

In Reaktion entließ sie ihren Atem durch die Nase – ein Geräusch, welches sie entrüstet klingen ließ. „Er war dein bester Freund, bevor wir uns angefreundet haben. Er war deine erste Bindung außerhalb deiner eigenen Familie. Die erste Beziehung, für die du dich ohne deinen Vater im Nacken entschieden hast. Ihn zu verlieren muss sich so anfühlen, als würde dir jemand den Teppich unter dem Boden wegziehen. Zumindest stelle ich mir vor, dass es für mich so wäre, wenn ihr mich so hintergehen würdet."

Den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, kostete mich einiges an Kraft. „Ich würde dich niemals so hintergehen."

„Das ist nicht der Punkt." In ihrer Stimme lag eine Entblößung, eine Verwundbarkeit, die mich zu ihr aufschauen ließ. Unsere Blicke trafen sich und Isabelle schenkte mir ein untypisch schüchternes Lächeln. „Du bist meine erste richtige Freundin. Klar, ich habe schon viele Schattenjäger kennengelernt, aber durch die Rolle meiner Eltern im Aufstand waren wir immer an New York gebunden. Abgesehen von Alec, Jace und Max habe ich früher wohl mehr Zeit mit Schattenwesen verbracht." Ihr Lächeln dehnte sich in ein Grinsen aus. „Ich rede nicht oft über meine Gefühle, aber du sollst, wissen, dass mir deine Freundschaft wirklich viel bedeutet. Klar, ich hätte immer noch meine Brüder, aber das ist nicht das Gleiche."

Ich griff nach Isabelles Hand und drückte sie. „Im Gefühle offenbaren bin ich wahrscheinlich noch schlechter als du", murmelte ich und sie kicherte zustimmend. „Aber ich war nicht allein als Adam mich hintergangen hat. Du warst da, Jace auch. Sogar Alec. Ihr habt mich alle gemeinsam gesucht und den Schutzwall von Alicante verlassen, um mich zu retten. Adam ist zwar fort, aber ich bin nicht mehr allein."

„Ihr beide rührt mich zu Tränen", säuselte Jace von meiner Linken.

„Oh ja, mir wird ganz schwer ums Herz", merkte Alec von rechts an, seine Stimme ein Ticken zu trocken.

Isabelle verpasste ihrem Bruder in einer flinken Bewegung einen Klaps in den Nacken und er schnappte erbost nach Luft. Maryse beugte sich aus der Sitzbank hinter uns nach vorn und legte ihren Kindern ihre Hände auf die Schultern, um sie daran zu erinnern, wo sie waren. Die beiden verfielen in gehorsame Regungslosigkeit und drehten die Köpfe wieder nach vorn, nicht ohne sich noch ein letztes Mal anzufunkeln. Der Anblick brachte mich zum Schmunzeln und trieb im selben Moment Sehnsucht in meine Brust. So sollte eine Familie sich verhalten.

Von meiner anderen Seite rückte Jace ein Stück an mich heran und legte seinen Arm auf der Lehne hinter meinem Rücken ab. Ich wandte mich in seine Richtung und seine forschenden, tiefgründigen Pupillen fuhren über mein Gesicht. „Das hier muss nie enden." Unsere Augen hingen ineinander fest, unfähig sich voneinander zu lösen. Ich konnte dieselbe Sehnsucht in seinen Iriden aufflammen sehen, die meine eigenen Venen noch nicht vollständig verlassen hatte. Es war so leicht zu vergessen, dass Jace selbst nur eine halb intakte Familie besaß – dass Isabelle und Alec sein Blut nicht teilten und Imogen neben ihm das letzte Überbleibsel der Herondales war. „Wir sind alle eine Familie."

Seine Großmutter schien das anders zu sehen. Ihre scharfe Stimme schnitt wie Eisen durch den Saal und durchtrennte die Harmonie, die Jace und mich gerade noch umgeben hatte. „Clarissa", ihr Ton war herrisch und klang fast schon wütend und sowohl Jace als auch ich fuhren zu ihr herum, nur um festzustellen, dass uns hunderte Augenpaare beobachteten – dass hunderte Augenpaare die Nähe zwischen uns beiden wahrnahmen; die Vertrautheit, mit der er sich zu mir herabbeugte. Ich schob eine Maske der Ernsthaftigkeit auf meine Züge und begegnete Imogens intensivem Blick mit einem vorwurfsvollen Starren. „Clarissa wird Luke Garroway den Rest des heutigen Tages zur Seite stehen, um das Training der Schattenwesen zu überwachen. Wegen ihrer Erfahrung habe ich sie dazu befugt, die Krieger den vorhandenen Posten, die besetzt werden müssen, nach Absprache mit dem Gremium eigenständig zuzuteilen."

Sie machte das mit Absicht. Wie sie mich schon immer mit Absicht aufs Glatteis geschubst hatte. Und für den Bruchteil einiger Tage hatte ich tatsächlich geglaubt, dass wir auf einem guten Weg wären. Ich hatte keine Ahnung, worüber die Inquisitorin da sprach. Es stimmte, dass ich die Schattenwesen trainieren sollte, aber dass ich sie irgendwelchen Posten zuteilen sollte, war neu. Nichtsdestotrotz brachte ich ein knappes Nicken zustande. Sehr wahrscheinlich strafte sie mich einfach nur, weil ich nicht zugehört hatte. Wohl oder übel meine eigene Schuld.

Wie sich mir im weiteren Verlauf ihrer Kriegsplanung herauskristallisierte, waren mit Posten die verschiedenen Funktionen innerhalb unserer zusammengewürfelten Armee gemeint. Es galt, den Grenzschutz zu verstärken, der im Falle eines Überraschungsangriffes die erste Verteidigung sein würde. Hier galt es Soldaten zu finden, die sowohl in Abwehr und Angriff hervorstachen. Dann waren da noch die verschiedenen Bataillone für den richtigen Kampf: Das erste Bataillon als erster Angriff bis hin zum letzten Bataillon als letzte Verteidigung. Es mussten Späher ausgewählt werden, die sich hinter feindliche Linien schleichen konnten, um an Informationen zu gelangen. So viele mögliche Vorteile, die man sich im Kampf einholen konnte. Doch all das kam auf den Kader an, auf seine Fähigkeiten.

Und diesen würde ich heute gemeinsam mit Jace, Isabelle und Luke einschätzen. Eine Aufgabe, die ich nicht haben wollte. Eine Aufgabe, die Verantwortung und Resultate nach sich zog. Eine Aufgabe, die so sehr über Leben und Tod entschied, dass man mich auch direkt als Befehlshaberin der Schattenwesen hätte einsetzen können. Es war unfair und beängstigend und allem voran unumgänglich, weil nur ich Valentin und Jonathan kannte. Ich war achtzehn Jahre lang darauf trainiert worden, diesen Krieg aus der anderen Perspektive zu führen. Und um alles über den Haufen zu werfen war es für meinen Vater zu spät.

Was die Schattenjäger selbst betraf hatte ich kein Mitspracherecht. Das würden die erfahrenen und kampfgeschulten Soldaten aus Imogens engstem Kreis übernehmen. Männer und Frauen, die bereits dutzende Male in die Schlacht gezogen waren. Der einzige Grund, weshalb man mir die Schattenwesen zugewiesen hatte, war, dass die wenigsten von ihnen kampferprobt waren und sich nur wenige Nephilim ihnen annehmen wollten. Sie hätten Luke auch allein entscheiden lassen können, aber allem Anschein nach trauten sie der Tochter ihres Erzfeindes dann doch mehr als einer Kreatur mit Dämonenblut. Eine typische Ratsentscheidung und ein deutlicher Schlag gegen das Gremium. Doch Luke und ich kamen gut zurecht. Wir würden keine Probleme haben, auf einen Nenner zu kommen. Ich vertraute auf seine Erfahrung und sein Kennen der Schattenwesen.

Schließlich gab es noch weitere Belange zu planen, die nur indirekt mit dem Krieg an sich zusammenhingen. Nicht alle in der Stadt konnten sich den Soldaten anschließen. Alicante war voll von Kindern, Säuglinge bis Teenager gleichermaßen – ich war ja selbst erst vor einem halben Jahr volljährig geworden. Während die Erwachsenen auf dem Schlachtfeld um das Überleben der Schattenwelt kämpfen würden, würde man alle Kinder in die Abkommenshalle evakuieren.

Der Gedanke drehte mir den Magen um. Die Bilder aus meinem Traum – von einer zertrümmerten und niedergerissenen Abkommenshalle – traten in mein Bewusstsein. Falls Jonathan siegen sollte, was würde er mit all diesen Kindern anfangen? Würde er sie in seine Sklaven verwandeln, sie von jeder Zugehörigkeit zu ihren Familien freimachen, ihnen seine Werte aufzwingen?

Es machte keinen Sinn, sich gegen diese Bilder zu sträuben. Die Kinder mussten sich irgendwo in Sicherheit bringen und was eignete sich schon besser dafür als das Herz der Stadt?

Dass der Schutz der Kinder an erster Stelle stand, war wohl der einzige Punkt, bei dem sich die gesamte Versammlung einig war. Und so war das Thema bereits abgehakt, nachdem sich einige zur Sicherung dieser freiwillig gemeldet hatten.

Das nächste Problem auf der Agenda bereitete allen dafür umso mehr Kopfschmerzen.

„Wir haben bisher keine eindeutigen Zahlen, wie viele Mitglieder unserer Gemeinschaft uns nach Valentins Ultimatum verlassen haben." Die Gesichtszüge der Inquisitorin hatten sich zu einer Landschaft aus Eis und Sturm verhärtet. Ihre Augenbrauen bildeten tiefe Furchen auf ihrer Stirn. Ein Bild, welches mich daran erinnerte, wie erbarmungslos sie für gewöhnlich war. In den letzten Tagen war diese Seite von ihr bei mir beinahe in Vergessenheit geraten. „Stand jetzt müssen wir von knapp dreißig Nephilim ausgehen, die sich Valentin angeschlossen haben. Ich kann nicht anders als zu bemerken, dass sie alle in den letzten Wochen auf besonders ... hervorstechende Art auf die Ziele der Kohorte aufmerksam gemacht hatten."

Sicherlich nicht nur die Überreste von Blakes Gruppe. Da waren noch viele, die Jace und mich vor dem Gefängnis attackiert hatten. Bei etwas weniger als tausend Nephilim erschienen dreißig auf den ersten Blick vielleicht nicht wie besonders viel, waren aber drei Prozent der Bevölkerung. Und es war gerade mal ein ganzer Tag verstrichen. Außerdem brauchte man Cynthia Ashdown und den Menschen um sie herum nur ins Gesicht zu schauen, um zu wissen, dass sie nicht mit uns kämpfen würden. Was auch immer sie hier noch taten, neben den Schattenwesen würden sie nicht in die Schlacht ziehen.

Den Blicken vieler anderer im Saal zu urteilen, schienen sie dasselbe zu denken. Man konnte förmlich spüren, wie sich die ablehnende Energie durch die Reihen verteilte. Es dauerte nicht lange, bis der erste Schattenjäger aufsprang und ihnen – allen voran Blakes Mutter – Vorwürfe des Verrats an den Kopf warf. Der erste Stein war geworfen worden und so erhoben sich mehr und mehr Stimmen in Zustimmung.

Die Kohorte hatte zwar durchaus einen Einfluss, jedoch in den vergangenen Tagen durch Enthüllung um Enthüllung einige Einbußen in ihrer Glaubwürdigkeit hinnehmen müssen. Zurecht. Und nun, da mein Vater praktisch mit seiner Dämonenarmee vor den Stadttoren stand und alle bis auf die Knochen vor Nervosität und Angst heimgesucht wurden, brauchte man einen gemeinsamen Feind. So wie ich zu Beginn der Sündenbock gewesen war, weil der wahre Strippenzieher sich stets außer Reichweite befand.

„Ruhe!", donnerte Imogen durch den riesigen Raum. Ich war mir sicher, dass sie eine Rune zur Stimmverstärkung benutzte, um sich Gehör zu verschaffen. Denn alle, die sich in den ersten zwanzig Reihen befanden, zuckten schmerzvoll unter der Lautstärke ihrer Stimme zusammen.

Jace' Finger streiften über meine Schulter und wir rückten vor Schreck unwillkürlich näher zusammen. Als die falsche Gefahr sich gelegt hatte, wollte keiner von uns sich wieder vom anderen entfernen.

„Ihr fühl euch bedroht und das verstehe ich. Durch einen fehlenden Konsul sind wir geschwächt. Und bevor wir heute einen neuen wählen, will ich noch das Inkrafttreten einer neuen Regulierung ankündigen, die dies betrifft. Ab sofort werden alle Individuen, die sich Valentin Morgenstern anschließen, nach unserem Sieg als Kriegsverbrecher eingestuft. Egal ob sie an seiner Seite kämpfen oder nicht. Jeder der diese Stadt verlässt ist automatisch ein Verräter unserer Gemeinschaft und wird als solcher mit der vollen Härte des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen."

Dies brachte hauptsächlich zustimmende Reaktionen hervor. Einige der Schattenjäger, die sich erhoben hatten, applaudierten bejahend. Doch mein Fokus lag auf Adam und Adam allein. Und während die Kohortenmitglieder um ihn herum teilweise die Mundwinkel verzogen oder die Stirn runzelten, starrte er weiter auf seine im Schoß liegenden Hände, weitete jedoch in einer nahezu besorgt wirkenden Mimik die Augen.

Das war kein Beweis. Kein Eingeständnis. Aber ein Hinweis. Was auch immer diese Gefühlsregung bedeutete, ich hatte keine Zeit mich damit auseinanderzusetzen.

Die Kohorte wagte es nicht, diese Regelung der Inquisitorin öffentlich zu kritisieren oder zurückzuweisen. Imogen durfte ohne die Zustimmung des Rates keine Gesetze oder Regulierungen verabschieden, sie brauchte die Mehrheit des Volkes. Die Kohorte war weit von der Position entfernt, irgendetwas anfechten zu können. Also entschieden sie sich zu schweigen. Sie würden sich nun genaustens damit auseinandersetzen müssen, ob sie bereit waren, für meinen Vater alle Sicherheiten über Bord zu werfen.

Ohne vorhandene Gegenreaktion sprang Imogen sogleich zum nächsten und letzten Tagesordnungspunkt über. Ich bewunderte die Geschwindigkeit und Agilität, mit der sie die Versammlung abhandelte. Als Letztes stand die Wahl des Konsuls auf dem Programm. Der Gegenpol des Inquisitors. Der ranghöchste Amtsträger des Rates, der dem Inquisitor beratend zur Seite stand und Entscheidungsgewalt bei Auseinandersetzungen zwischen Schattenjägern hatte.

Isabelle drehte sich zu ihrem Vater um, der eine Reihe hinter uns neben Maryse und Max saß. „Wirst du dich für die Wahl aufstellen lassen?", flüsterte sie ihrem Vater entgegen.

Robert Lightwood schüttelte nur kaum merklich den Kopf. Seit meinem Bezug des Gästezimmers in seinem Anwesen hatte ich nur wenige Sätze mit ihm gewechselt. Die meiste Zeit verbrachte er entweder in seinem Büro oder in der Garnison. Eigentlich waren Maryse und er die Institutsleiter von New York, aber was sie nun in Idris für Geschäfte hatten, wusste ich nicht.

„Warum?", hakte Isabelle nach. „Du wärst ein guter Konsul."

Maryse schoss ihr einen halb warnenden, halb eindringlichen Blick zu, aber auf Roberts Gesicht zuckte kaum ein Muskel. „Bei unseren Verbindungen zu Valentin würde man mich nicht zum Konsul ernennen. Erst recht nicht, nachdem Malachi sich als Verräter entpuppt hat."

Seine Aussage schien Isabelle mitzunehmen und ich musste wieder an unser Gespräch vor einigen Wochen denken, als wir in ihrem Garten hinter dem Anwesen trainiert hatten. Sie machte sich Sorgen um ihre Eltern – um die Stellung der Lightwoods. Die Tatsache, dass meine bloße Anwesenheit ihrer Reputation zu schaden schien und sie mich dennoch bei sich aufgenommen hatten, nagte an meinem Herzen. Ich war mir sicher, dass sie meine Mutter und mich in New York abgewiesen hätten, wenn es nach Robert gegangen wäre. Maryse musste meine Mutter irgendwann in der Vergangenheit wirklich gemocht haben.

Letztendlich meldeten sich nur wenige für den Posten des Konsuls. Die Kohorte versuchte gar nicht, einen Kandidaten aufzustellen. Dem Anblick von Adams Vater nach zu urteilen, schien es ihn zu verärgern.

Der Wahlgang zog sich und die anwesenden Schattenwesen starrten gelangweilt durch den Raum. Ein neuer Konsul hatte für sie keine Bedeutung – besonders nicht so kurz vor dem Krieg, da Imogen hier eine deutlich wichtigere Rolle spielte.

Diesmal erlaubte Imogen es mir, zu wählen. Eine Entscheidung, die mich zwar freute, mir jedoch nicht wirklich etwas nützte. Ich kannte keinen der Kandidaten persönlich und bis auf ihre Namen half mir auch das eingeprägte Wissen meines Vaters nichts.

Schließlich verkündete Imogen das Ergebnis der Wahl. Jia Penhallow gewann mit einer deutlichen Mehrheit an Stimmen. Alles, was ich über sie wusste, war, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann Patrick Penhallow das Institut in Beijing leitete. Die Schattenjäger schienen zufrieden mit ihrer Wahl, ebenso die Lightwoods.

„Sie sind Freunde von uns", erklärte Isabelle in meine Richtung gewandt. „Ihre Tochter Aline ist in unserem Alter. Sie haben sich nach dem Aufstand für Gnade gegenüber unserer Familie eingesetzt. Sie sind der einzige Grund, weshalb es uns nicht so schlimm getroffen hat wie Hodge."

Ich nickte einsichtig. „Also wird sie eine gute Konsulin abgeben?"

„Definitiv."

„Dann kann ich nur hoffen, dass sie sich meiner Familie nicht ebenso nachsichtig zeigen wird."


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Sagt mir wie ihr es fandet! :)

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