Kapitel 68 - Honor
Kapitel 68 – Honor
--- 4 Tage vor Beginn des Krieges. ---
„Nicht so, wie du dir die Party vorgestellt hast?", neckte Jace und bekam sich vor selbstzufriedenem Lachen kaum ein.
Isabelles Gesichtsausdruck war mörderisch. Als könnte einer ihrer Blicke genügen, um jemanden kaltzumachen. „Ich will sie umbringen", knurrte sie unter zusammengebissenen Zähnen hindurch. Sie beschleunigte ihre Schritte und ihre Stiefel echoten durch die hohen Gänge der Garnison.
Mit sie war natürlich niemand geringeres als die Inquisitorin persönlich gemeint, die es für notwendig gehalten hatte, uns hierher zu beordern noch bevor wir uns auf den Weg zu der Party hatten machen können. Jace hätte wohl erleichtert gewirkt, wenn seine Großmutter nicht ausdrücklich darum gebeten hätte, bewaffnet herzukommen. So bedeutete ihre Nachricht nichts anderes, als dass die Angelegenheit Mellartach betraf.
„Und ich will mich umziehen", murmelte ich gepresst, aber niemand beachtete mich. Ich fühlte mich albern in dem schwarz-goldenen, trägerlosen Kleid, das gerade so über meinen Knien endete. Isabelle war gerade dabei gewesen, mein Makeup zu machen, als wir die Flammenbotschaft der Inquisitorin erhalten hatten. Da sie umgehend um unsere Anwesenheit gebeten hatte, hatten wir gerade genug Zeit gehabt, uns unsere Waffengurte umzuschnüren und Wintermäntel überzuwerfen.
Einen Tag nach der alles verändernden Ratsversammlung strahlten die Flure der Garnison eine erfrischende Ruhe aus. Doch der Alarmzustand, in dem die Nephilimgemeinschaft sich seit gestern befand, seit mein Vater uns den Krieg erklärt hatte, war dem uralten Gebäude anzumerken. Es lag eine Anspannung in der Luft, egal wohin man sah. Die wenigen Schattenjäger, denen wir auf unserem Weg begegneten, standen etwas straffer, die Hände vorsichtshalber am Anschlag ihrer Waffen befindend. Überall in der Stadt wurden Vorbereitungen für den bevorstehenden Kampf getroffen. Obwohl wir das Schwert der Engel nun zurückerobern konnten, wappnete sich der Rat auf eine gewaltsame Auseinandersetzung. Denn sie waren sich genauso sicher wie ich, dass Valentin alles daran setzen würde, das Schwert wieder in seinen Besitz zu bekommen. Und so wurden in ganz Alicante die Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren, Grenzen Tag und Nacht bewacht, Checkpoints aufgestellt.
An den Toren zur Garnison hatte man uns überprüft. Doch die Inquisitorin hatte sie über unsere Ankunft informiert, sodass wir schnell durchgekommen waren. Die schiefen Blicke waren Isabelle und mir dank unseres recht untraditionellen Aufzuges jedoch nicht ausgeblieben. Wenn man zum Staatsoberhaupt geladen wurde, tanzte man für Gewöhnlich nicht in knappen Kleidern und glitzernden Gesichtern an. Und während ich versucht hatte, meine Gestalt so gut wie möglich unter meinem Mantel zu verstecken, war Isabelle zu ihrer Höchstform aufgelaufen und hatte mit den relativ jungen Wachen geflirtet wie das Zeug ging. Jetzt, wo wir diese hinter uns gelassen hatten, hatte sich ihre Miene wieder etwas verdüstert.
So marschierten wir nun die konservativ dekorierten Flure. Zwischen sich majestätisch in die Höhe hebenden Fenstern, die Ausblick auf Alicante mit ihren ockerfarbenen Dächern und verzweigten Gassen boten. Hinter den emporragenden, funkelnden Dämonentürmen, die die Abendsonne wie glühende Seraphklingen zu zerschneiden schienen, begann das blendende Weiß der grenzenlosen Weiten von Idris langsam zu schmelzen. Der Frühling war nahe. So nahe, dass ich mich fragte, ob mein Vater diesen Jahreszeitenwechsel mit Absicht für seine Pläne gewählt hatte. Hoffte er, dass er mit dem aufkeimenden Frühling auch den von ihm anvisierten Neubeginn dieser Zivilisation einläuten würde?
Das Büro der Inquisitorin befand sich im nordwestlichen Flügel der Garnison, abseits von jedem möglichen Trubel und etwas abgeschotteter als das Büro des Konsuls, welches nun durch Malachis Verrat und Tod leer stand. Ich war seit meiner Ankunft in Alicante so oft gezwungen worden, herzukommen, dass dieser Weg einer der wenigen in dieser riesigen Institution war, den ich auswendig kannte.
„Ich hoffe, wir schaffen es noch auf die Party", murrte Isabelle vor sich hin. Hätte man ihr die Laune nicht an ihren glühenden Augen ablesen können, dann hätte ein Blick auf ihre rechten Finger gereicht, die einen silbernen Kindjal umklammerten. Als würde sie nur darauf hoffen, dass wir auf Ärger stießen, um genau diesem Luft zu machen.
Isabelle steckte in einem hautengen, mitternachtsschwarzen Kleid, dessen dünner Stoff mit einem tiefen Brustausschnitt begann, sich mit einem eingenähten Rubinriemen schmeichelnd um ihre Hüften schmiegte und in einem Rock endete, der knapp über ihre kniehohen Kampfstiefel reichte. Kampfstiefel, die eine maßgeschneiderte Anfertigung sein mussten, da sie die einzige Person in dieser Stadt war, der ich zutraute, in solch dicken Absätzen nachteilslos agieren zu können. Die sich um ihren Arm wickelnde Peitsche sowie die Seraphklingen an ihrer Hüfte gaben Preis, dass diese Frau in einer Gefahrensituation auf nichts außer ihre Waffen angewiesen war.
Ein harter Kontrast zu Jace, der in seiner Schattenjägeruniform nicht förmlicher hätte aussehen können. Ganz der Krieger, der er war. Seine goldenen Augen, die im Vorbeigehen gerade noch den Sonnenuntergang jenseits des Glases fixiert hatten, glitten zu seiner Ziehschwester. Isabelle, mit ihren Absätzen so groß wie Jace, ging voraus, während Jace und ich ihr auf dem Absatz folgten.
„Ich hoffe, sie verlangt nicht, dass wir das Schwert bewachen", erwiderte Jace, sein gedanklicher Fokus schon bei seiner Großmutter. Er verzog gequält den Mund. „Ich habe keine Lust, die Nacht in diesem Gruselhaus zu verbringen."
Gruselhaus traf es eigentlich ganz gut. Nicht nur war die Garnison zu groß, als dass man die Räumlichkeiten gut im Blick haben könnte. Darüber hinaus war es hier immerzu einige Grad kälter als draußen. Und mit all dem Blut, welches in diesen Hallen bereits vergossen worden war, war wohl keiner zu erpicht darauf, lange hier zu verweilen. Die uns umgebenden Wände schossen in die Höhe, die weit entfernten Decken an manchen Stellen mit schrägen Malereien verziert; dutzende Fratzen, die auf uns herabstarrten und uns mit ihren Augen gefühlt verfolgten. Und dann waren da noch die hallenden, hohlen Gänge, welche jedes Geräusch in die Ferne trugen und der gänsehautbereitenden Atmosphäre nur den letzten Schliff verliehen. Die Gemälde, antiken Relikte und Wandteppiche halfen nicht, das Ruder herumzureißen. Es erinnerte alles eher an eine uralte, zu groß geratene Grabstätte, in welche man sich unbefugt Zutritt verschafft hatte.
„Wie heuchlerisch, wo du dich doch gar nicht auf die Party gefreut hast", konterte Isabelle eisern und wir bogen um eine Ecke. Eine weitere Biegung und wir würden das Büro erreicht haben. Abseits von ihrem Dialog war das Klackern von Isabelles Stiefeln auf dem antiken Marmor das einzige Geräusch weit und breit. Hier, im hintersten Bereich der Garnison, war es menschenleer.
„Mein Horizont ist nun mal breiter als deiner." Jace' klang selbstgefällig und zufrieden mit sich selbst. So wie ein Bruder klang, wenn er seine Schwester ärgerte. Dann neigte sein Kopf sich leicht in meine Richtung und aus dem Augenwinkel fing ich seinen Gemütswechsel auf, noch ehe er weitersprach. „Außerdem kann ich mir deutlich schönere Dinge vorstellen, die ich in der Zeit machen könnte." Er sagte die Worte mit rauerer, leiserer Stimme, als wäre er sich nicht sicher, ob Isabelle sie tatsächlich hören sollte.
Ich wandte das Gesicht ab, bevor mir die Röte in die Wangen schießen konnte. Viele von Jace' Facetten waren mir bereits vertraut: Der bodenlose Zorn, die herausfordernde Doppelzüngigkeit, die freche Arroganz, die unerbittliche Loyalität. Aber die Tatsache, dass seine Aufmerksamkeit mir galt, er mich wollte, er mit mir flirtete, war Neuland. Und in meiner sozialen Unfähigkeit hatte ich keine Ahnung, wie ich angemessen darauf reagieren sollte.
Doch Jace nahm mir die Entscheidung ab als er sich im Gehen zu mir herüberbeugte und mir in einer flüchtigen Geste eine vom Wind verwehte Haarsträhne hinters Ohr steckte. Der glühende Ausdruck seiner gold-umrahmten Pupillen war zu intensiv, um sich ihm zu entziehen. Ich, die sonst so präzise war wie ein abgeschossener Pfeil, stolperte beinahe über meine eigenen Füße als Jace' Lippen wenige Zentimeter über meinem Ohr Halt machten.
„Es ist zwar nicht dein Stil, dennoch atemberaubend", flüsterte er.
Mein benebeltes Hirn brauchte mehrere Anläufe, um zu begreifen, dass er von meinem Kleid sprach. Ich öffnete den Mund, unwissend, was ich erwidern sollte, als Isabelle so urplötzlich in ihrer Bewegung verharrte, dass ich geradewegs in sie hineingelaufen wäre, wenn Jace seinen Arm nicht ausgestreckt hätte, um mich festzuhalten.
Synchron hoben wir unsere Köpfe zu Isabelle, um den Grund für ihr unmittelbares Innehalten in Erfahrung zu bringen. Wir hatten die Biegung zu Imogens Büro erreicht, welches sich nun weiter den Flur abwärts befand. Ein Flur, der von verkrümmten und entstellten Gestalten gesäumt war, die reglos und zusammengesunken auf dem blutfeuchten Boden verteilt lagen. Über sie gebeugt, Waffen hellrot blitzend, lauerten vier vermummte Figuren.
„Beim Erzengel", kam es Isabelle über die Lippen, die fast – aber auch nur fast – glücklich über diese Wendung der Ereignisse klang.
Wie wenn die Personen sie gehört hätten, drehten sie sich in unsere Richtung, ihre Waffen passiv an ihren Seiten.
Ich spürte, wie eine heißprickelnde Kälte durch meinen Körper hindurchfuhr. Der Fokus des Gefechts, welcher mit seinen Mauern alle irrelevanten Sinneseindrücke von mir schob. Ohne es bewusst wahrgenommen zu haben, hielt ich den Bruchteil einer Sekunde später Eosphoros fest umklammert in meinen Fingern. Ich war ausgeruht, unverletzt und bereit für was auch immer folgen würde.
Jace und Isabelle machten sich ebenfalls bereit auf eine Konfrontation, die unausweichlich wirkte. Es war förmlich spürbar, wie sich die fröstelnde, gänsehautbereitenden Ruhe um uns herum zu einem bohrenden, kribbelnden Schweigen verwandelte. Jace und ich traten aus Isabelles Schatten hervor, postierten uns auf ihrer beider Seiten, während Isabelle ihre Peitschte zückte, die in Erwartung zu zischen begann.
Keine der Gestalten machte Anstalten, uns anzugreifen. Im Gegenteil. Alle bis auf eine steckten sie ihre noch blutverschmierten Waffen weg. Diese eine machte einen Schritt auf uns zu. Nur einen. Für einen Moment fragte ich mich, ob es sich um eine Spezialeinheit der Inquisitorin handelte, die gerade eine feindliche Attacke vereitelt hatte. Doch dann hob die noch bewaffnete Person ihre im Elbenlicht glänzende Axt in einer energischen Bewegung, die sowohl Jace als auch Isabelle zucken ließ. Sie zeigte mit dem spitzen Ende der Axt direkt auf mich.
„Du. Rothaariges Mädchen." Die Stimme war tief und unter der Vermummung schwer zu verstehen, aber eindeutig männlich. Ich ließ meinen Kopf in meinem Nacken kreisen und wartete reaktionslos, dass er fortfuhr. „Dein Bruder ist hier. Er hat gehofft, dass du seiner Einladung folgen würdest."
Eine Welle des Schwindels erfasste mich. So wie jedes Mal, wenn Jonathan sich selbst übertraf. So wie jedes Mal, wenn auf eine fast magische Art und Weise Unmögliches möglich wurde. Oder vielleicht hatte ich auch einfach nur glauben wollen, dass es an Unmöglichkeit grenzte. „Einladung?" Ich hätte weniger überrascht klingen müssen. Selbstsicherer. Konzentrierter.
Die restlichen seiner Gefährten positionierten sich in einer Reihe, jedoch weiterhin ohne einen Funken energischer Gewalt in den Muskeln, während der Mann sich uns weiter näherte. Weder Jace noch Isabelle senkten ihre Schwerter. Meines verharrte in einem krampfhaften Griff auf Hüfthöhe.
„Keinen Schritt weiter", knurrte Jace als unsere Gruppen nur noch fünf Meter voneinander trennten.
Die Axt des Mannes glitt von mir zu der Tür, hinter der sich das Büro der Inquisitorin befand. „Er ist dort drin", sagte er allein an mich gewandt. Er war nun nah genug, dass ich seine braunen Iriden ausmachen konnte. Mehr als seine Augen gab sein vermummter Aufzug nicht frei. „Er wartet auf dich. Wir haben hier gewartet, um dich zu ihm zu bringen."
„Wir werden uns keinen Zentimeter bewegen, bevor ihr nicht verstümmelt in eurem eigenen Blut schwimmt", fauchte Isabelle und stürzte sich nach vorn. Ihre wendige Peitsche fraß sich in das Handgelenk, mit dem der Mann seine Axt hielt. Einen Wimpernschlag später hatte sie ihn entwaffnet und den Kindjal geworfen, welcher eben noch spielerisch durch ihre flinken Finger geglitten war. Nun zischte er durch die Luft und traf den mysteriösen Mann frontal in die Brust. Er brach in sich zusammen noch ehe seine Begleiter handeln konnten.
Isabelles Hand fuhr bereits zurück an ihren Waffengurt, um sich den nächsten Dolch zu schnappen, aber etwas an der gesamten Situation war seltsam. Beinahe wirkte es schon wie ein Fiebertraum. Keiner der anderen Gestalten reagierte auf den Tod ihres Kameraden. Ohne eine Gegenaktion durchzuführen, nahmen sie das Ereignis zur Kenntnis. Aus der Reihe, in der sie sich aufgestellt hatten, trat eine weitere Figur hervor, um den Platz des toten Mannes einzunehmen.
Sie verschwendete keinen weiteren Blick auf den leblosen Körper, der sich direkt vor ihren Füßen befand. Stattdessen hob sie den Arm und streckte den Finger zur Tür des Büros aus. „Wir haben den Befehl, euch keinen Schaden zuzufügen", kam es nun von ihr. Mechanisch und in höherer Oktave als ihr Vorredner. „Deine Freunde können dich begleiten, wenn es ihnen beliebt."
Isabelle warf den zweiten Dolch nicht. Ihre dunklen Augen huschten zu mir, fragend und forschend. Was war das hier? Ein Trick? Wer waren diese Leute? Befand sich Jonathan tatsächlich in diesem Raum, welcher eigentlich der Inquisitorin gehörte?
„Jonathan Morgenstern befindet sich hinter dieser Tür?", fragte Jace an die Frau gewandt. Hart wie Stahl und chancenlos fordernd.
Die Frau reagierte nicht, ignorierte ihn, fokussierte weiter konstant mich, ohne dabei jegliche Regung auszustrahlen. Ihr Finger deutete immer noch auf die Tür. Als wären Körper und Stimme zwar funktionstüchtig, ihr Geist jedoch nicht.
„Beantworte seine Frage", forderte ich sie auf.
Ein knappes Nicken. Es genügte.
Ich ließ das Schwert restlos sinken und schaute von Isabelle zu Jace. Jace gefiel diese Situation ganz und gar nicht. Misstrauen lag auf seinen Zügen und seiner Körperhaltung zur Folge war er nur Sekunden davon entfernt, auch diese Frau niederzustrecken. Möglicherweise war es klüger, genau das zu tun. Wir wussten nicht, was uns hinter jener Tür erwarten würde. Aber davon abgesehen fand ich noch etwas anderes, wenn ich Jace ansah. Nervosität. Gut versteckt, allerdings verriet ihn nicht nur sein beschleunigter Puls, sondern auch das unrhythmische Tippen seines Zeigefingers auf dem Heft seiner Klinge. Mir war sofort klar, weshalb. Seine Großmutter hatte uns eine Flammenbotschaft geschickt, mit der Aufforderung, herzukommen. Der nun tote Mann hatte gerade noch von einer Einladung gesprochen, die anscheinend von meinem Bruder ausgesprochen worden war. Wie hoch standen die Chancen, dass Imogen Herondale weit weg von ihrem Büro und in Sicherheit war?
Im Bruchteil einer Sekunde fällte ich eine Entscheidung. „Wir werden euch zu meinem Bruder begleiten. Aber wir werden unsere Waffen nicht ablegen und bei dem kleinsten Anzeichen der Aggression eurerseits, werden wir euch töten. Jeden von euch."
Die Frau trat zur Seite, um uns den Weg freizumachen. „Dein Bruder möchte, dass ihr bewaffnet kommt", war alles, was sie sagte, bevor die beiden Personen hinter ihr sich auf das Büro zubewegten.
Ich setzte mich als erstes in Bewegung und folgte ihnen mit vorsichtigen Schritten. Jace und Isabelle dicht hinter mir, beide auf jeweils eine der Personen fokussiert. An den großen Eichentüren angekommen, klopfte einer von ihnen zweimal und drückte sie dann mit einem Stoß nach innen auf.
Imogens Büro war in Dunkelheit gehüllt. Auf den ersten Blick hin zumindest. Ich zögerte nicht, bevor ich eintrat. Auf dem dokumentenüberzogenen Schreibtisch, der einen Großteil der rechten Wand einnahm, flackerten Kerzen. Durch das Fenster, durch welches man auf Alicante hinabschauen konnte, schienen die letzten Sonnenstrahlen in den Raum. Zuerst hielt ich das Büro für leer und glaubte schon an eine Farce. Dann trafen meine scannenden Augen auf die linke Hälfte des Zimmers, der sich weiter in die Tiefe erstreckte als die rechte Seite.
Die Erste, die meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war Imogen. Stocksteif stand sie inmitten des langgezogenen Büros, in eine dunkelgrüne, aristokratische Kampfmontur gekleidet und mit einer Vielzahl an Waffen an ihrem Gürtel. Ihre aufgerissenen Augen stürzten sich förmlich auf mich, sobald ich in ihr Sichtfeld geriet. Es hätte wohl ihre eingefrorene, hölzerne Körperhaltung sein sollen, die mein Misstrauen erregte. Doch es war der Ausdruck auf ihrem vom Alter gezeichneten Gesicht, welcher mir sämtliche Nackenhaare aufstellte. Imogen Herondale hatte Angst.
Und erst jetzt, erst nachdem ich ihre Miene für eine gefühlt endlose Zeit lang in mich aufgenommen hatte, bemerkte ich das goldene Messer an ihrer Kehle. Es presste sich federleicht gegen ihre blasse Haut, direkt unterhalb ihres linken Ohrs. Auf die Halsschlagader, die direkt darunter lag.
Ich schluckte schwer, bevor ich meine Augen dazu zwang, dem Arm zu folgen, der das Messer hielt.
Jonathan stand unmittelbar hinter der Inquisitorin. Sein weißblondes Haar war gewachsen, seitdem wir uns das letzte Mal begegnet waren. Als er versucht hatte, mich in der Trainingshalle zu entführen. Als er uns alle vergiftet und ich im Kampf gegen ihn versagt hatte.
Ihn zu sehen war jedes Mal ein neuer Schock. Als hoffte ich wieder und wieder, dass seine Verwandlung nichts als ein Albtraum war, aus dem ich einfach nur nicht ausbrechen konnte. Ich war mir nicht sicher, ob mein Hirn es jemals vollständig begreifen würde. Jonathan – mein Jonathan – existierte schon seit Monaten nicht mehr, aber ich schaffte es trotz allem, was er bisher getan hatte, nicht, diese Kreatur vor mir zu hassen. Weil sie seine Stimme und sein Erscheinungsbild trug. Weil sie manchmal für den Bruchteil einer Sekunde mit dem Geist einer Regung um sich warf, die mir von früher bekannt vorkam. Weil ich dumm genug war, zu hoffen, dass es rückgängig zu machen war. Ich Idiotin ließ ihm all dieses Gräuel durchgehen, weil ich flehte, dass mein Jonathan noch irgendwo da drin war, hämmernd gegen diesen übermächtigen Dämon ankämpfte und rausgelassen werden wollte; nur nicht die Kraft dazu besaß. Ihn zu sehen trieb mir jedes Mal aufs Neue die Tränen in die Augen.
Du bist schwach. Ja, das war ich – und würde es wohl immer sein. Immer dann, wenn es um ihn ging. Weil ich achtzehn Jahre der Bindung nicht in wenigen Monaten auszulöschen vermochte.
„Clarissa." Er hatte gewartet und mir das erste Wort gelassen, doch mir hatten die Worte gefehlt.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, weil ich ganz genau wusste, weshalb er hier war. Ich blinzelte, immer noch unfähig, etwas zu sagen.
Jonathan öffnete den Mund, sprach Worte, aber ich hörte kein einziges davon. Es war, als hätte sein Anblick jegliche Nervenimpulse zu meinem Gehirn unterbrochen. Blind und ohne zu wissen, was ich eigentlich vorhatte, ging ich durch den Raum. Geradewegs auf ihn zu.
Plötzlich trafen meine Füße auf Widerstand und die Welt bewegte sich seitwärts. Nur einen Wimpernschlag lang. Danach übernahm mein Unterbewusstsein und richtete meinen Gleichgewichtssinn. Ich senkte den Kopf, unterbrach den Augenkontakt zu Jonathan, um zu schauen, was zwischen ihm und mir stand.
Blind. Ich war tatsächlich blind. Und leichtsinnig.
Ich hatte angenommen, dass er mir etwas in den Weg gestellt hatte. Eine Art Trick, der mich davon abhalten sollte, mich ihm zu nähern. Nichts dergleichen.
Ein Paar leerer, dunkler Augen begegneten mir. Ich war gestolpert. Gestolpert, weil ich meine Umgebung gedankenlos ignoriert hatte. Weil der geflieste Boden und der dicke Teppich vor Blut trieften und die Leibgarde der Inquisitorin aufgespießt herumlag wie überdimensional große Puppen, die in die Hände eines Sadisten gefallen waren. Ich war über einen Leichnam gefallen, war mit meinem Stiefel gegen einen Körper gestoßen.
Ich zuckte zurück und riss blindlings den Kopf hoch, bohrte meinen Blick in seinen und öffnete endlich den Mund. „Du willst das Schwert."
„Willst du mir nicht mal mehr Hallo sagen, kleine Schwester?" Jonathan klang seelenruhig und einen Hauch kalkulierend. Nach dem gestrigen Tag fehlten meinem Vater nicht nur ein Schwert, sondern auch eine Hand. Wenn ich seine tiefschwarzen, gewissenlosen Augen durchforstete, erkannte ich dort eine Mischung aus Neid und Bewunderung. „Willst du mir nicht erklären, wie du es schaffst, Vater so einen Schaden zuzufügen, aber im Duell gegen mich verlierst?"
„Das Ausmaß von Vaters Blamage hat sich sicher schon bis zu dir rumgesprochen", erwiderte ich emotionslos. „Und ich rühme mich nicht mit Taten, die ich mir in meinen schlimmsten Träumen niemals hätte ausmalen können. Also sag mir einfach, was du willst. Denn du wirst die Inquisitorin ja nicht ohne Grund noch am Leben gelassen haben." Ich wollte nicht hören, wie er und seine Leute es an all den Sicherheitsmaßnahmen vorbei geschafft hatten. Ich wollte einfach nur zur Sache kommen und das hier so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich war es leid, gegen ihn anzukämpfen, auf welcher Ebene auch immer.
Jonathan schien über mein Desinteresse sichtlich unzufrieden. Als wollte er das hier in die Länge strecken. Als wollte er diesen Dialog mit mir führen. „Vaters Spione haben berichtet, dass Mellartach von der Inquisitorin und ihren Leibwächtern bewacht wird. Mehr konnten diese nutzlosen Hunde nicht in Erfahrung bringen."
Es erleichterte mich, dass mein Vater anscheinend keine Spione in Imogens innerem Zirkel besaß. Auch wenn dieser wahrscheinlich heute restlos ermordet worden war, wenn ich mich im Raum umschaute. Zügig unterzog ich dem Büro eine weitere forschende Suche meiner Augen. „Mellartach ist aber nicht hier", stellte ich knapp fest und erwiderte dabei Jace' Blick. Er befand sich kaum zwei Schritte hinter mir und verfolgte jede meiner Regungen prüfend. Er war unruhig. Seine Finger lagen auf seinen Waffen, aber seine Augen klebten an mir. Ich hatte das Gefühl, dass er näher an mich herantreten wollte, ihn aber irgendetwas zurückhielt.
„Es ist hier", schnitt Jonathan durch meine Gedanken, harsch und weniger gelassen als gerade noch. Seine Pupillen waren kaum merklich geweitet als er mich mit ihnen zu durchbohren versuchte. „Ich weiß, dass es hier ist und unsere gute Inquisitorin weiß es ebenfalls. Nur möchte sie mir nicht sagen, wo."
„Lass sie gehen, Jonathan", forderte Jace daraufhin und schob sich an mir vorbei. Es war das erste Mal, dass er ihn so direkt adressierte. Nicht, dass das irgendetwas geändert hätte.
„Du hast nichts zu melden. Du bist ein Niemand. Du bist nur hier, weil ich es so wollte. Wegen ihr." Jonathan zischte die Worte hervor wie verdampfendes Wasser und nickte mit dem Kinn zu seiner Großmutter. Wie konnte ein Satz aus Jace' Mund ihn so aus der Fassung bringen, während er seine falsche Fassade vor mir hatte wahren können?
„Ach ist das so?" Jace schenkte meinem Bruder ein provozierendes Grinsen. Seine Zähne blitzten im Kerzenschein. „Dafür, dass ich so wenig zu melden habe, scheinst du mich aber ganz schön dringend zu brauchen."
Jonathan knirschte so laut mit dem Kiefer, dass es mir eine Gänsehaut bereitete. Man konnte ihm ansehen, wie er mit seinen überflutenden Emotionen rang. Die Klinge an Imogen Hals bebte und sie warf ihrem Enkel einen warnenden, nun durchaus gefassteren Blick zu. Jonathan schüttelte sich, als würde er seinen Gefühlsrausch einfach abwerfen können. Seine schwarzen Pupillen hefteten sich auf mich; mit solch einer Intensität, dass mein Herz aus dem Takt geriet. Doch ich wagte es nicht, fortzuschauen. Ich musste ihm standhalten.
„Sei dir bewusst, Clarissa, dass es allein deinetwegen so zivilisiert abläuft", erklärte er faktisch. Als wären all die Toten, die um mich herum auf dem Boden lagen, kein Verstoß gegen jegliche Moral. Nicht für ihn. Ich traute ihm zu, dass er noch viel schlimmer sein konnte, wenn er wollte. „Vater hat deinem Blut nach deiner gestrigen Tat abgeschworen. Ich verstehe ihn. Welchen Grund gibt es für mich, dich noch als eine der unseren zu sehen? Du selbst willst ja nicht einmal mehr eine Morgenstern sein."
Ich presste die Lippen zusammen, weil ich diese Argumentation oft genug mit ihnen geführt hatte. Mittlerweile hatte ich erkannt, dass sie nie auf offene Ohren stoßen würde. Mein Vater war zu tief in seiner Ideologie verwurzelt, als dass er verstehen würde. Mein Bruder hatte zu viel seiner menschlichen Moral und Denkweise verloren, als dass er verstehen könnte.
„Du hast mir den Rücken gekehrt, kleine Schwester. Aber ich werde dir niemals den Rücken kehren. Selbst wenn wir diese Welt niedergebrannt haben, werde ich dein Leben verschonen, weil du an meine Seite gehörst." Es kam mir fast so vor, als würde Jonathan lächeln. Der Hauch eines Lächelns bestenfalls. „Du bist der Grund, warum ich nicht ganz andere Methoden angewendet habe, um Mellartach zurückzuholen. Aber sei versichert, dass ich es mir auch so holen werde."
Tränen pressten sich gegen meine Augenlider und es kostete mich so viel Kraft, den Herzschmerz in meiner Brust herunterzuschlucken – das Ausmaß meines Bedauerns nicht nach Außen zu tragen. Wir schienen es wohl beide zu bedauern, dass es so enden musste, auch wenn unsere Beweggründe andere waren.
Ich brach unseren Augenkontakt nicht ab, während ich die Kontrolle für meine Stimme sammelte. „Dann mach es nicht noch schwerer als es ist und bring zu Ende, was du angefangen hast."
Zu meiner Verwunderung zögerte Jonathan. Kurz senkte er den Kopf, schien nachzudenken. „Ihr seid hier, weil die Inquisitorin euch eine Flammenbotschaft geschickt hat", sagte er schließlich und ich hatte das Gefühl, dass er uns diese Tatsache eigentlich anders hatte mitteilen wollen. Der Elan fehlte in seinem Ton. Ein bisschen erinnerte er mich an seine Begleiter, denen es allesamt an Gegenwärtigkeit mangelte. „Ich weiß, dass mein Eindringen in die Garnison letztes Mal eher überrumpelnd war und obwohl ich durch das Gift einen Vorteil hatte, hast du mich geschlagen. Du hast Vater das Schwert ehrenvoll abgenommen. Diesmal gedenke ich dasselbe zu tun. Deshalb stand in der Nachricht auch, dass ihr bewaffnet kommen solltet."
Es verblüffte mich, dass Jonathan unser letztes Aufeinandertreffen als Niederlage betrachtete – weiter noch, dass er mir den Sieg zuschrieb. Er war außer sich vor Wut gewesen, als ich das Portal erschaffen hatte, welches ihn wegteleportiert hatte. Ich hatte eindeutig das Gefühl gehabt, verloren zu haben. Schließlich hatte ich am Ende des Kampfes bewegungsunfähig auf dem Boden gelegen, weil er mich im Duell geschlagen hatte.
Doch heute war die Ausgangslage eine andere. Runen zierten meinen Körper – dieselben Bedingungen wie in unseren Trainingskämpfen, die noch nicht zu lange in der Vergangenheit lagen.
„Du willst um das Schwert kämpfen?"
„Nachdem die liebe Inquisitorin den Ort preisgegeben hat, werden wir das tun." Nun klang er wieder etwas mehr, wie der Jonathan, der mich in den letzten Monaten in meinen Träumen verfolgt hatte. Aktivität kehrte in seinen Arm zurück und er drückte das Messer wieder etwas stärker gegen Imogens Kehle. „Aber dafür brauche ich den nutzlosen Herondale-Jungen."
Ich unterdrückte den Instinkt, mich zu Jace zu drehen. Seit er nach vorn geprescht war stand er direkt zu meiner Linken und irgendwo hinter uns sicherte Isabelle unsere Rückseite. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Jace sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und herausfordernd das Kinn hob. Obwohl ich sein Gesicht nicht vor mir hatte, wusste ich, dass seine goldenen Iriden blitzten. „Vielleicht solltest du weniger reden und schneller zur Sache kommen, Morgenstern-Junge."
„Jace." Es war Imogen selbst, die ihn tadelte. Eine Mahnung, nicht mit ihrem Leben zu spielen. Ihre Hände hingen steif an ihrem Körper herunter.
„Es ist ganz einfach." Jetzt war es Jonathan, der Jace düster und überlegen anlächelte. „Du verrätst mir, wo das Schwert der Engel versteckt ist, und ich werde deiner Großmutter nicht die Kehle zerfleischen."
Mein Herz begann zu klopfen. Jace und ich schauten einander an. Die Furcht auf seinen Zügen blieb Jonathan vielleicht verborgen, mir jedoch nicht. Er räusperte sich. „Ich weiß nicht, wo sie es versteckt hat. Keiner von uns weiß es."
„Das ist wirklich bedauerlich", bemerkte Jonathan und die Muskeln seines Armes zuckten.
„Jonathan, warte!" Beschwichtigend hob ich die Hände und machte einen Schritt über den Leichnam herüber. „Er weiß es wirklich nicht. Wieso sollte sie es uns sagen? Wir haben die Garnison verlassen, noch bevor sie das Schwert fortgebracht hat."
„Sie alle waren hier in diesem Raum", schnaubte Jonathan in Erwiderung. „Sie und ihre Wächter. Es muss hier sein. Nur dass wir bereits alles durchsucht haben."
„Dann habe ich meinen Job wohl erfüllt", keuchte Imogen gepresst. Eine eiserne Zufriedenheit spiegelte sich auf ihrem Gesicht.
Das schien Jonathan nicht zu gefallen. Da flackerte etwas hinter seinen Augen, wie wenn sich der Wahnsinn einschlich, um Besitz von ihm zu ergreifen, weil die Rationalität versagt hatte. Er schüttelte Imogen, die die Hände hob, um die Balance zu halten. „Ich weiß, dass du mir nichts sagen wirst. Selbst wenn dein Eid es nicht verlangen würde, wäre da immer noch die Sturheit der Herondales. Und wenn dein Enkel nichts weiß, hast du keine große Verwendung für mich."
„Jonathan, tu das nicht–"
Noch bevor Jonathan Imogen die Kehle aufschneiden konnte, hatte diese meinem Bruder ihre Stele in den Bauch gerammt. Meine Augen weiteten sich in Überraschung, als ich realisierte, dass sie unsere Konversation mit ihm dazu genutzt haben musste, sie unbemerkt von ihrem Waffengurt zu stibitzen. Und sobald Jonathan sich vor Schmerz krümmte und die Inquisitorin sich von ihm und dem Dolch fortriss, brach Chaos aus.
Imogen duckte sich unter seiner rauschenden Klinge hindurch, die eine Sekunde später um Haaresbreite ihren Kopf verfehlte und sich stattdessen in ihre Schulter bohrte. Wir stürzten uns alle zeitgleich nach vorn, um Jonathan davon abzuhalten, sie erneut als Geisel zu nehmen oder ihr schlimmeres anzutun. Hinter uns lösten sich seine statuenhaften Gefolgsleute aus ihren Starren, um ihm zur Hilfe zu eilen.
Innerhalb weniger Wimpernschläge war in dem kleinen Büro ein Kampf ausgebrochen.
Ein wütender Schrei entkam Jonathan als er wie wild geworden um sich schleuderte. Aus seiner Wunde am Bauch quoll Blut hervor. Während ich mich auf ihn warf, brachte Jace seine Großmutter aus der Schusslinie. Hinter meinem Rücken vernahm ich Isabelles wehende Peitsche, die sich gleich mit zwei der vermummten Kämpfer herumschlagen musste. Die Frau, die mit uns gesprochen hatte, hatte ihre Axt nach mir geschwungen, als wäre ich nichts als ein Baum, den sie fällen wollte. Nun befand sie sich an Jonathans Seite und Eosphoros parierte einen weiteren ihrer Schläge.
Funken sprühten auf unsere Arme herab als wir uns umeinanderdrehten. Diese Frau war stark, aber nicht stärker als Isabelle oder ich. Doch da war noch mein Bruder, der nun das Zwillingsschwert zu meinem zog und es ohne Umschweife auf mich sausen ließ.
Jonathan allein war bereits eine Naturgewalt. Jonathan mit Unterstützung grenzte an Unmöglichkeit. Also blieb mir keine andere Möglichkeit, als in die Abwehrrolle gedrängt zu werden. Hieb um Hieb wich ich ihren Waffen aus, parierte zentrale Schläge und versuchte, meinen Boden zu halten.
„Jace!" Mein Ruf ging in dem Getöse aus übereinander schleifendem Stahl beinahe unter. Diesen Kampf würde ich nicht allein gewinnen. Ich brauchte seine Hilfe.
Irgendwo abseits meines Sichtfelds geriet der Rhythmus aus keuchenden Atemzügen, stapfenden Füßen und abnutzenden Waffen ins Wanken. Eine Parade später stöhnte jemand auf. Das altbekannte Geräusch von durchtrenntem Fleisch drang an mein Ohr. Winzige, warme Spritzer trafen meine freien Hautflächen. Ein Leib kam dumpf auf dem Teppich auf.
„Nimm das, Abschaum", rief Isabelle triumphierend, der Rausch der Schlacht spürbar wie ein Windzug gegen meinen Körper. Sofort war ihre Peitsche wieder im Einsatz, um ihren verbliebenen Gegner im Schach zu halten.
Meine eigenen Gegner drängten mich parallel immer weiter zurück und ich fürchtete bereits, dass ich über eine Leiche stolpern würde, wenn ich weiter an Grund verlor. Aus dem Augenwinkel preschte sich ein Schatten an mich heran und ich hatte nicht das Privileg mich umzudrehen, um auf Freund oder Feind zu prüfen. Eine Seraphklinge tauchte an meiner Seite auf, schlich sich an Jonathans Deckung vorbei und er musste ausweichen, um ihr zu entgehen.
„Ich bin hier", versicherte Jace in meine Richtung, grinste freundlos und holte zu einem weiteren, brutalen Stoß aus.
Mit ihm neben mir drehte sich das Kräfteverhältnis deutlich. Jonathan war stärker als ich, jedoch waren Jace und ich uns ebenbürtig. Gemeinsam konnten er und die Frau uns nicht im Schach halten oder gar besiegen. Zehn Sekunden später hatte ich Jonathan so weit unter Kontrolle, dass er seine Begleitung niederstrecken konnte. Beinahe zeitgleich machte Isabelle abseits meiner Vision dem letzten noch stehenden Wächter den Garaus. Und dann waren es auf einmal wir drei gegen Jonathan. Ein schneller Seitenblick zu Imogen verriet mir, dass sie ihre Blutung gestoppt hatte und nun selbst ihr Schwert ergriff.
„Gib auf!" Ich streckte Jonathan Eosphoros' Spitze horizontal entgegen, um ihn an Ort und Stelle festzunageln. „Du hast verloren."
Sein weißes Haar fiel ihm in wirren Strähnen über die Stirn und er strich sie in einer hektischen Geste fort, während er mich aus dunklen Augen anstarrte. Er umklammerte Phosphoros' Griff so fest, dass man seine Fingerknöchel unter der dünnen Haut hervortreten sah. Jeder Zentimeter seines Körpers war angespannt.
„Ich werde nicht aufgeben", gab er schnaubend zurück. Sein linkes Augenlid zuckte, als suchte der Sturm in seinem Inneren nach einem Ventil, um Druck abzubauen. „Ich werde niemals aufgeben."
„Dann bleibt mir keine andere Wahl als–" Ich wurde unterbrochen, bevor ich den Satz beenden konnte.
Lautes Getrampel tönte aus dem Gang in das Büro und wir wirbelten herum. Schwere, eilige Schritte näherten sich und dem Geräuschpegel nach zu urteilen musste es sich mindestens um eine kleine Gruppe an Leuten handeln. Isabelle und Jace ließen automatisch ihre Waffen sinken, wohingegen ich meine Klinge auf meinen Bruder gerichtet ließ. Ich bewegte mich nach rechts, fort von Jace und Isabelle und auf die Fenster zu, um Jonathans einzig noch bleibenden Fluchtweg abzuschneiden.
Die Türen zu Imogens Büro standen bereits weit aufgerissen, sodass wir die Ankömmlinge sahen, noch ehe sie den Raum betraten. Für einen Moment verwandelten sich meine Füße zu Stein, schienen wie festgefroren als eine Gruppe Schattenjäger das Zimmer stürmte und uns umzingelte. Schattenjäger, die zwar Schattenjägermonturen trugen, jedoch nicht zur offiziellen Garde der Garnison gehörten. Krieger, aber nicht im Dienste des Rates.
„Waffen runter", verlangte ein junger Mann, ein Bogen in seinen Fingern. Die Sehne gespannt, der Pfeil direkt auf Isabelles Herz gerichtet. Eine Welle des Schwindels erfasste meinen Kopf, als ich ihn als den Wachmann von den Toren der Garnison wiedererkannte, mit dem Isabelle eben noch geflirtet hatte. „Sofort."
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Well well ... Wie hat euch das Kapitel gefallen? Lasst es mich in den Kommentaren wissen! :)
Skyllen
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