Kapitel 67 - Half Loss, Half Regret
Kapitel 67 – Half Loss, Half Regret
--- 4 Tage vor Beginn des Krieges. ---
Das hier war nicht mein Bett. So viel hatte mein Hirn selbst im Halbschlaf herausfinden können. Natürlich wusste ich, dass das hier nicht mein Bett war. Trotz des Schlafes, der wie eine Wiege der Ruhe an meinen Muskeln zog und mich in eine sanfte Geborgenheit einhüllte, konnte ich mich noch spärlich daran erinnern, wie ich hier gelandet war. Nicht, dass es mich sonderlich kümmerte. Nicht jetzt zumindest, wo mein Bewusstsein irgendwo im Hintergrund schlummerte und eher abwesend war.
Mein Körper drehte sich zur Seite, fort von dem spärlichen Sonnenlicht, welches durch die halbgeschlossenen Fenster hereinfiel – drehte sich der Wand entgegen, um zurück in die Dunkelheit entkommen zu können. Jemand hinter mir bewegte sich; fast schon synchron zu mir. Den Arm, der um meine Mitte geschlungen war, nahm ich kaum wahr. Da waren nur kurze Schnipsel an Wahrnehmungen, die in meinem Gehirn ankamen. Die nötigsten Sinneseindrücke und selbst die konnten nur mühsam zu mir durchdringen.
Ich hatte lange geschlafen. Lange genug, als dass ich wieder völlig ausgeruht sein müsste. Vielleicht wäre dem so gewesen, wenn ich meinem eigenen Bett gelegen hätte. Doch hier, wo die Wärme so überwältigend und meine Nase von vertrauten, beschwichtigenden Gerüchen umgeben war, gelang es meinen Muskeln zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, Schlaf als mehr als nur eine Notwendigkeit zu sehen.
Ich war fast wieder komplett in den Dämmerzustand abgedriftet, als plötzlich jemand energisch gegen die Tür klopfte. Und von jetzt auf gleich zuckte mein Körper unter mir, während meine Seele sich für einen kurzen Augenblick in meiner Mitte ganz klein zu machen und aus sämtlichen meiner Muskeln in mein Herz zurückzuziehen versuchte. Eine Welle der Gänsehaut rauschte über mich hinweg und dann war ich wach.
Jace neben mir rührte sich nicht als ich mich langsam und kraftlos wieder umdrehte. Ich kniff die Augen zusammen, um mich an das Sonnenlicht zu gewöhnen und zog die Decke höher über mein Gesicht. Jace' Lider waren geschlossen und sein Atem ebenmäßig. Doch Frustration zeichnete sich auf seinen Zügen ab. Frustration, deren Linien sich tiefer zogen als eine weitere Welle des Klopfens folgte. Schließlich schlug er die Lider auf und unsere Augen begegneten sich.
Die Erinnerung, wie ich hierher gekommen war, wurde klarer. Jace' Lippen verloren etwas ihrer Anspannung und sein Arm um meine Taille wurde fester. Ich fühlte mich so geborgen, dass ich die Augen schon wieder halb geschlossen hatte. Ich war duschen gegangen, gestern nach dem Kuss, und hatte mich umgezogen. Und dann war ich hergekommen, zu ihm, nur um stundenlang mit ihm auf seinem Bett zu liegen, verschlungen ineinander, ohne ein einziges Wort zu verlieren. Irgendwann war ich wohl eingeschlafen. Und er auch. Das Bild vor meinem geistigen Auge wärmte mein Herz, ließ meinen Magen Saltos schlagen und meine Finger in einer völlig neuen Antizipation kribbeln.
Abwesend hob Jace seinen Arm von meiner Hüfte und strich mir sanft die Haare aus dem Gesicht. Er lag auf der Seite, der Tür abgewandt und in seinen verschlafenen, goldenen Iriden glitzerte Leidenschaft. Anders als gestern. Ohne den Drang, ihr nachzugehen. Dass ich hier bei ihm lag, war genug; machte ihn glücklich. Ich hatte das Gefühl, die glücklichste Person in der ganzen Stadt zu sein und konnte diese Emotion weder erklären noch zuordnen. Das hier war neu – weil ich mir bis gestern nicht erlaubt hatte, diesen Emotionen nachzugehen.
Wir waren gefangen in den Augen des anderen und wieder gab ich mich der schläfrigen Sicherheit hin, welche mich umgab. Mein Kopf war auf seinen anderen Arm gebettet und es wäre so simpel gewesen, die Lider wieder zu schließen, mich nach vorn zu lehnen und seine Wärme gegen meinen Körper zu spüren. Ich wollte nichts anderes. Für diesen einen Moment, für diese Sekunden, vergaß ich alles andere. Jede Furcht. Jede Panik. Jede Pflicht.
Dann drang Isabelles gereizte Stimme durch die Tür hindurch und meine Blase platzte ruckartig. „Jace! Ich habe dich gewarnt! Ich komme jetzt rein!" Die Tür wurde krachend aufgeworfen und Jace' Arm schlang sich stärker um mich, als ich erneut zusammenzuckte. Ein kaum hörbares Seufzen kam ihm über die Lippen und er verdrehte erschöpft die Augen.
Isabelle stapfte ins Zimmer, direkt auf das Bett zu. „Beim Erzengel, Jace, wir haben fast Mittag und du schläfst immer noch?", tadelte sie in ihrem herrischen Ton. „Ich kann Clary nirgends finden, ich habe sie überall gesucht und–" Was auch immer sie hatte sagen wollen, blieb ihr im Halse stecken, als sie nah genug ans Bett herankam und meinen roten Haarschopf hinter Jace' Körper entdeckte, der ihn wohl aus der Ferne verdeckt hatte. Ein hoher, überraschter Atemzug entkam ihr und ihre Stiefel kamen quietschend auf dem Boden zum Stillstand. „Beim Erzengel."
Jace seufzte erneut, diesmal mit einem Hauch von Theatralik. Seine Augen waren immer noch auf mich geheftet, so wie meine auf ihn. Dann drehte er sich von mir fort, Isabelle entgegen und hielt die Bettdecke mit einer Hand fest, damit sie nicht verrutschte. Nicht, dass es darunter irgendetwas zu sehen gäbe. Jace hatte mir gestern Abend eines seiner übergroßen Shirts angeboten, als klargeworden war, dass ich nicht in mein eigenes Zimmer zurückkehren würde. Und er trug selbst eines.
„Beruhig dich Izzy, es ist nichts passiert", sagte Jace mit vom Schlaf rauer Stimme.
„Nichts sieht aber anders aus", schoss Isabelle anklagend zurück. Ich spähte an Jace' Schultern vorbei und wurde von ihrem Blick förmlich durchbohrt. Schließlich schlich sich ein Grinsen auf ihre Lippen und sie sprang vor Freude in die Luft. „Endlich, endlich, endlich! Meine Güte, und ich dachte schon, ihr kommt nie in die Gänge!"
„Kann man dir irgendwie helfen oder ist es einfach deine Lebensaufgabe, den Frieden anderer zu stören?" Jace' Frage schien ihrer Euphorie einen Dämpfer zu verpassen.
„Nur zu deiner Information, Clary war zuerst meine Freundin, also habe ich Priorität." Isabelle schenkte ihm ein selbstzufriedenes, scharfes Lächeln. Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich verlagerte verschwand der Überschwung ihrer Laune schließlich völlig. Genervt stemmte sie eine Hand in die Hüfte und ließ die Luft energisch aus ihrer Nase entweichen. „Adam. Er ist unten. Ich habe versucht, ihn abzuwimmeln, aber egal womit ich ihm drohe, er weigert sich zu gehen. Er will mit dir reden, Clary."
Ich hatte gedacht, dass meine Blase eben bereits geplatzt war. Das war nichts gegen das Gefühl, welches mich gerade ins Bett drückte. All der Zorn, all die Scham wickelten sich wie Klauen um meine Gelenke und ließen mich rückwärts in die Kissen fallen. Jace neben mir versteifte sich. Es war spürbar, wie die Atmosphäre im Zimmer kippte. Für einen Moment herrschte Stille.
Irgendwann nickte ich. „Sag ihm, dass ich runterkomme." Ich schloss die Augen und schluckte. Ich musste das hinter mich bringen. Ein für alle Mal. Adam war zwar verurteilt worden, aber der Abgrund, der sich nach dem Herauskommen der Wahrheit zwischen uns aufgetan hatte, musste beseitigt werden. Wir mussten das klären. Dieses Kapitel musste enden, und zwar bald.
Ich merkte nicht, wie Isabelle das Zimmer verließ. Eine ganze Weile lang starrte ich einfach an die Decke; nahm Jace' tiefen Atem dabei nur unterbewusst wahr. Bis er sich zu mir rollte, sein Arm über meinen Bauch glitt und er mich gegen seine Brust zog. Da lag keine Scheu in seiner Geste, keine Zurückhaltung. Als hätte er lange genug darauf gewartet. Meine Augen fuhren zu seinem Gesicht, welches neben mir aufragte.
„Du musst das nicht tun", murmelte Jace und stupste meine Wange mit seiner Nase an. Seine Finger hatten ihren Weg unter das Shirt gefunden und zeichneten Kreise auf meine Haut. „Wir können hierbleiben. Einfach hier liegenbleiben und so tun, als existiere er gar nicht. Mir würde das überhaupt nicht schwerfallen."
„Ich werde dieses Gespräch nicht ewig vor mir hinschieben können. Ich muss das beenden." Meine Stimme klang hohl und flüsternd, wie wenn ich Schwierigkeiten hatte, zu reden. Es überraschte mich, wie leicht es meinem Unterbewusstsein fiel, meine Gefühle vor Jace zu offenbaren. Der übliche Drang, eine harte Miene aufzusetzen, welchen ich bei allen anderen verspürte, hatte von ihm abgelassen.
Jace' Lippen drückten sich gegen meine Wange. Sein heißer Atem gegen meine Haut machte es schwer, sich zu fokussieren. Als er sich auf seinen linken Arm stemmte, um sich über mich zu beugen, hatte ich Adam schon wieder vergessen. Jace' goldenes Haar fiel ihm über die Stirn und meine Hände zuckten in dem Bedürfnis, es fortzustreichen. Er küsste mich. So innig als würde er ertrinken. Und als er von mir abließ, schien er atemloser als zuvor.
„Wenn es sein muss." Ich hörte den Widerwillen in seinem Ton. Den kaum zu versteckenden Ärger. Den endlosen Zorn. Die ferne Eifersucht, die ich bisher nicht hatte zuordnen können, nach gestern aber als solche erkannte. „Lass uns runtergehen und Adam vertreiben."
Wir brauchten nicht lange, um uns fertigzumachen. Ich wollte die Sache so schnell hinter mich bringen wie möglich. Ich schlüpfte in meine Hose, kämmte mir die Haare und eilte die Stufen ins Erdgeschoss hinunter, Jace dicht auf meinen Fersen. Die Tür war angewinkelt und Isabelle, die gegen den massiven Holzschrank gelehnt hatte, stieß sich von ihm ab und verschwand mit einer Grimasse in die Küche. Ich streckte die Hand nach dem Türknauf aus und ließ den Sauerstoff ein letztes Mal durch meine Lungen strömen. Das Sonnenlicht der Mittagssonne blendete mich und ich blinzelte. Dann tauchte Adam vor meinen Augen auf.
Er hatte sich seit gestern erheblich verändert. Von dem verletzten, kränklichen jungen Mann von gestern keine Spur. Vor mir stand der Adam, den ich kannte. Zumindest auf den ersten Blick. Seine Schultern waren in einer hoffnungslosen Haltung nach vorn gebeugt und der Ausdruck in seinen waldgrünen Iriden wirkte abwesend, verwundbar.
Das Aufschwingen der Tür erregte seine Aufmerksamkeit und seine Pupillen hoben sich zu meinem Gesicht. Mehrere Gefühlsregungen huschten über seine Augen. Erleichterung. Nervosität. Furcht. Ein zitternder Atemstoß kam aus Adams Kehle, als er sich uns vollends zudrehte und er zwang ein Lächeln auf seine Lippen.
Das Erste, was ich mich fragte, war, wie viel seines Auftretens gespielt war. Ich wollte wütend über diesen Gedanken sein, erinnerte mich aber daran, wie berechtigt er war. Nach allem, was Adam getan hatte, hatte ich jeden Grund, ihm zu misstrauen. Ein verzweifelter Teil meiner Selbst wollte es abschütteln, wollte vergessen, was gewesen war. Doch ich besaß Stolz. Stolz und Ehre und ein Herz. Adam hatte mein Herz gebrochen. Nicht wie es ein Geliebter jemals könnte. So, wie es nur ein Freund konnte. Und ich würde behaupten, dass eine solche Wunde möglicherweise tiefer ging. Tiefer auf anderen Ebenen. Das machte es auf seine ganz eigene, perfide Weise schlimm. Und ich war nicht gut darin, zu verzeihen.
„Clary." Adam gab sich Mühe, neutral und höflich zu klingen. Eines der wenigen Male, bei denen er fehlschlug. Aufregung und Bedrückung hatte sich in seinen Ton geschlichen.
„Hallo, Adam", brachte ich hervor und scheiterte selbst. Reserviert faltete ich die Hände vor meinem Körper. Ich musste sie zusammenfalten, denn andernfalls würde sie meine Unruhe verraten.
Adam musterte mich zurückhaltend und ich bekam das intuitive Gefühl, dass er jeden Augenblick zu lächeln beginnen würde. Ich wusste nicht, was es war oder weshalb ich es erwartete. Vielleicht war es ein altes Relikt unserer Freundschaft, weil ich mit ihm und seiner Mimik vertraut war. Doch das Lächeln blieb aus. Stattdessen verzogen sich seine Lippen, als seine Augen an mir vorbei zu Jace glitten, der hinter mir in der Tür stand.
„Ich würde gerne allein unter vier Augen mit dir reden", sagte er leise an mich gewandt, ohne Jace weiter zu würdigen.
Ich konnte Jace hinter mir nicht sehen, allein seine Präsenz spüren. Es genügte, um dem Umschwung seiner Emotionen mitzubekommen. Ich machte einen Schritt zur Seite, um mich umzudrehen, doch Jace bewegte sich nach vorn, an mir vorbei und auf Adam zu. Geschmeidig wie ein Tänzer. Leise wie eine Katze. Präzise wie eine Maschine, als er Adam mit voller Kraft seiner Faust ins Gesicht schlug.
Ein verblüffter Laut kam mir über die Lippen. Es war die Überraschung, nicht die Bestürzung. Wobei ich es mir hätte denken können. Jace wartete seit Tagen darauf, seinen Frust an irgendwem auszulassen. Und nach allem, worin Adam verstrickt gewesen war ...
Adams Kiefer wurde zur Seite geschleudert und mit einem Stöhnen taumelte er rückwärts. Er konnte noch nicht hundertprozentig wieder genesen sein, denn er stolperte und verlor das Gleichgewicht. Einen Wimpernschlag später lag er auf dem steinernen Fußweg, der Anwesen und Straße verband, seine Kleidung befeuchtet vom schmelzenden Schnee.
Jace ragte über Adam auf, ein bedrohlicher Ausdruck in den erbarmungslosen, goldenen Augen. „Das war für das, was Blake ihr angetan hat", stellte er klar und deutlich fest – ernst und eindringlich. „Für das, was du hättest verhindern sollen. Ich werde dich nicht mit ihr allein lassen. Nie wieder, du abartiger Feigling. Und sei dir sicher, dass du noch viel Schlimmeres verdient hast."
Blut floss aus Adams Nase, tropfte in den matschigen Schnee. Und einen Augenblick lang war Blake Ashdowns Anwesen alles, was ich vor meinen Augen sehen konnte. Bis Adam ein Knurren von sich gab, welches mich zurück in die Gegenwart katapultierte. Zorn, verabscheuend und innbrünstig, blitzte über seine Züge, während er Jace fixierte. Im nächsten Moment war er aufgesprungen und hatte sich auf Jace gestürzt.
Jace, der anscheinend nicht damit gerechnet hatte, dass Adam zurückschlagen würde, taumelte einige Schritte zurück und versuchte, sich von Adam zu befreien, der ihn zu Boden ringen wollte. Ich hechtete nach vorn, umklammerte Adams linken Oberarm und schleuderte ihn zurück.
„Schluss mit diesem Theater", zischte ich und drückte Jace eine Hand auf die Brust, um ihn in den Flur des Hauses zu schieben. Ich drängte mich zwischen die beiden Jungs und hielt Adam mit meinem Blick fest. „Ich glaube, ich muss dir nicht erklären, dass es mir gerade nicht leichtfällt, dir genug Vertrauen entgegenzubringen, um mit dir allein sein zu wollen. Was auch immer du zu sagen hast, sag es hier und jetzt."
Adam schien meine Worte abzuwägen. Seine Aufmerksamkeit war mit solcher Intensität auf mich geheftet, dass ich mich keinen Zentimeter rührte. Ich hatte das Gefühl, als dass er mich musterte. Als wäre ich diejenige, die sich hier beweisen musste. Aber als er sprach, war davon keine Spur. „Ich weiß, dass ich große Fehler begangen habe. Ich habe dein Vertrauen missbraucht und dich an Blake ausgeliefert. Ich habe dich verraten. Ich ... ich bin so verwirrt. Ich bin, wer ich bin, aber ich will raus aus meinem Körper. Ich habe schon so lange das Gefühl, ein falsches Spiel zu spielen ... jedem etwas vorzumachen. Ich bin Blake so lange gefolgt, mein ganzes Leben lang, dass ich zu lange das Gefühl hatte, keine andere Wahl zu haben, als ihm zu folgen. Bis du in meinem Leben gekommen bist, habe ich für mich keinen Ausweg gesehen. Ja, ich war ein Spion für Blake und seine Leute. Aber ich habe es nicht gerne gemacht. Ich habe zu lange gebraucht, um zu erkennen, wie falsch ich mit meinen Idealen lag. Auch jetzt bin ich nicht perfekt, aber ich will mich ändern, ich will nicht der sein, für den du mich hälst. Ich weiß, dass ich besser sein kann, aber ich schaffe das nicht allein."
Der Blick, den Adam mir zuwarf, war getränkt in Verzweiflung. Als wäre ich seine letzte Lebensleine, die ihn vom Verderben trennte. Etwas in meiner Brust brach entzwei bei dem Anblick. Mir gelang es nur bedingt, meinen Adam und den neuen Adam auseinanderzuhalten; sie nicht zu vermischen.
„Du bist ein Mörder, Adam. Du hast unschuldige Schattenwesen getötet. Sie einfach abgeschlachtet. So etwas kann man mit nichts entschuldigen."
„Ich habe schon vor Jahren damit aufgehört, die anderen zu diesen Missionen zu begleiten. Ich war jung und verdammt dumm. Jeder um mich herum hat mir eingeredet, dass es das richtig sei. Ich hege keine Sympathie für die Unterweltler, das ist richtig, aber ich bereue, was ich ihnen angetan habe. Auch wenn du mir nicht glaubst, ich bin nicht mehr die gleiche Person, die ich damals war."
„Das ist keine Entschuldigung", murmelte ich und starrte an ihm vorbei zu den geöffneten eisernen Toren des Grundstücks. Als hätte Adam unterbewusst bereits erwartet, abgewiesen zu werden.
„Ist es das nicht? Ich habe meine Strafe bezahlt. Ich trage mein schlechtes Gewissen jeden Tag mit mir herum. Ich weiß, dass ich ein Mörder bin. Denkst du, dass ich stolz darauf bin?" Adam sah nicht aus, als wäre er stolz. Adam sah nicht aus wie jemand, der es in sich hatte, Schattenwesen zu töten. Irgendjemanden unschuldiges zu töten. Oh, wie sehr ich mich in ihm getäuscht hatte.
Doch wer war ich, um ihn zu verurteilen? Hatte ich mich vorgestern nicht selbst zur Mörderin gemacht? Nicht, dass irgendwer von ihnen unschuldig gewesen war. Doch wie der Rat selbst entschieden hatte, hatte ich Blake Ashdown nicht aus Notwehr getötet.
Doch wenn wir in einer gleichgestellten Schattenwelt leben würden, dann wäre Adam niemals so ungeschoren davongekommen. Mein Urteil jedoch hätte sich nicht verändert. Also waren wir nicht die gleiche Art von Mörder.
„Du hast mich verraten, Adam. Du hast mich angelogen. Du hast so viele unverzeihliche Dinge getan. Dinge, die fast mein Leben gekostet hätten. Du hast zugelassen, dass sie mich meinem Vater ausliefern. Du hättest mich auch gleich selbst töten können." Ich konnte den Schmerz nicht aus meiner Stimme heraushalten.
„Und ich bereue jede einzelne Sekunde dieser Taten. Ich bereue, Teil von Blakes Gruppe gewesen zu sein. Ich bereue, dich nicht vor ihm beschützt zu haben. Ich bereue, dich ausgeliefert zu haben. Bitte glaub mir, dass ich alles am liebsten ungeschehen machen würde. Ich würde die Uhr auf null setzen und alles anders machen, wenn ich könnte. Ich weiß, dass ich deine Freundschaft nicht verdient habe, aber ich verzweifle an dem Gedanken, dich zu verlieren. Ich wünschte, dass ich es früher erkannt hätte, aber ich war geblendet von meiner Loyalität zu Blake. Ich habe den Unterschied zwischen Richtig und Falsch vor einer ziemlich langen Zeit verlernt. Allein weiß ich nicht, ob ich das wieder hinkriege. Ich brauche dich. Ich weiß, das klingt egoistisch. Das ist es auch. Aber es ist die Wahrheit. Du bist die einzige, richtige, ehrliche Freundschaft, die ich jemals hatte. Wenn ich das verliere ..." Er schaffte es nicht, seine Gedanken zu vollenden.
Ich hatte das Gefühl, jeden Moment vornüber zu fallen. „Wie soll ich dir je wieder vertrauen?", flüsterte ich fragend und blickte Adam in die Augen. Mein Kummer spiegelte sich in seinen Pupillen. „Bis zu einem gewissen Grad verstehe ich, dass du die schlechtesten Voraussetzungen hattest, zu einem guten Menschen heranzuwachsen. Mit Blake und all seinen Freunden umgeben. Ich will nicht wissen, was du alles für ihn getan hast. Ich kann mir vorstellen, was für ein Gruppenzwang das gewesen sein muss. Die Aussagen der anderen haben das bewiesen. Aber trotz all deiner Qual ... ich kann den Riss in meinem Vertrauen nicht ungeschehen machen. Ich sehe dich an und ... ich fürchte mich davor, was du mir antun könntest, wenn ich dich nochmal in mein Leben lasse."
„Eine Chance, Clary. Eine Chance." Adam flehte. Er ging vor mir auf die Knie und als plötzlich Tränen über seine Wangen strömten, konnte ich meine eigenen nicht zurückhalten. „Ich habe dir diese Chance gegeben, als alle anderen gegen dich waren – als du die Außenseiterin warst."
„Du warst mein Freund, weil du mich ausspionieren wolltest", presste ich hervor und schüttelte vehement den Kopf. „Ich war fälschlicherweise eine Außenseiterin. Du hast dich selbst zu einem gemacht."
„Ich wollte dein Freund sein. Ja, ich sollte Informationen über dich sammeln, aber ich habe ihnen nie auch nur ein Wort erzählt. Weder über deine Kräfte noch über das Portal oder Ithuriel. Ich habe immer meinen Mund gehalten. Ich wollte dein Freund sein, weil du mir als erste Person das Gefühl gegeben hast, sein zu können, wer ich bin. Keine Zwänge, kein Druck, keine Erwartungen. Du hast mir einen Ausweg gezeigt, den ich annehmen wollte. Ich hätte nur mehr Zeit gebraucht. Zeit, um mit der Vergangenheit abzuschließen. Blake war mein einziger Freund, bevor es dich gab. Ihn loszulassen war nicht einfach, auch wenn er kein guter Mensch war. Er hat mir trotzdem etwas bedeutet."
Ich schluckte und presste meine feuchten Lider zusammen. Vor meinem inneren Auge sah ich Jonathans Gesicht. Oh ja, ich wusste, wie es war, wenn man einen schlechten Menschen nicht loslassen konnte. Mir war es bis heute nicht gelungen, ihn gehen zu lassen.
„Ich habe an dich geglaubt, als sie dich alle verachtet haben. Ich habe dich unterstützt, als sie dich alle am liebsten tot gesehen hätten. Glaub es oder glaub es nicht, aber du bedeutest mir alles. Ich bin für dich zurückgekehrt. Ich wollte dich vor Blake retten, auch wenn du dich bereits selbst gerettet hattest. Auch wenn du meine Gefühle nicht erwiderst, bin ich immer noch dein Freund. Und Freunde helfen einander. Freunde verzeihen einander. Freunde sind die Familie, die nicht vom Blut abhängt. Ich würde für dich sterben, wenn es sein muss. Ich wäre beinahe für dich gestorben. Ist das nicht Beweis genug? Ich würde es erneut tun, nur bitte lass mich wieder dein Freund sein."
„Was nun? Du willst, dass ich dir verzeihe? Einfacher gesagt als getan. Ich brauche Zeit, ich muss heilen, ich muss immer noch meine Familie aufhalten." Obwohl es Mittag war, schien es so, als würde der Himmel sich verdunkeln. Als würde alles etwas an Farbkraft verlieren. Adam hockte immer noch vor mir auf dem Boden, die Augen flehend auf mich geheftet. Als wäre ich diejenige, die ihn von den Fesseln befreien konnte, die er sich selbst angelegt hatte. Er verlangte Dinge, die ich nicht imstande war zu geben, selbst wenn ich wollte. Und ein Teil von mir wollte. Ein Teil von mir konnte sein Dilemma sehen, verstand es sogar. Adam war zwischen die Fronten geraten; war so lange ein Mitläufer gewesen, dass er seine eigene Entwicklung, seine eigenen Ideale und Vorlieben ausgeblendet hatte, um reinzupassen. Anders als ich war Adam kein Macher. Adam brauchte einen Macher, an dem er sich orientieren konnte. Blake hatte diese Rolle eingenommen und missbraucht. Das machte Adam nicht unschuldig, aber auch zu einem Opfer.
„Nimm dir die Zeit", kam es ihm hastig über die Lippen. Die Verzweiflung sprach deutlich aus ihm heraus: Er würde sich an jeden Halm klammern, dem ich ihn hinhielt. So wie er sich wohl bei Blake schon an alles geklammert hatte, nur um diese eine Freundschaft nicht zu verlieren, bevor ich hier aufgetaucht war. Denn offensichtlich war Adam ein Mensch, der lieber die falschen Freunde hatte und seine Ideale verbog, als allein zu sein. „Nimm dir all die Zeit die du brauchst. Konzentrier dich auf deinen Vater. Aber vergiss mich nicht. Falls du mir immer noch nicht glaubst, würde ich alles unter einer Wahrheitsrune oder Mellartach wiederholen. Und wenn du Unterstützung bei irgendetwas brauchst, lass mich wissen." Ich würde alles tun, war, was Adam nicht laut aussprach. Ich blinzelte und fühlte mich für einen Moment genau so, wie Blake sich wohl all die Jahre gefühlt haben musste.
„Ich werde dich nicht vergessen, Adam", versprach ich. Es war alles, was ich versprechen konnte.
oOo
Als die Tür wieder ins Schloss fiel und die physische Barriere zwischen Adam und mir wiederherstellte, sagten weder Jace noch ich etwas. Ich drehte mich zu ihm und lehnte mich mit verschwommener Sicht gegen die Tür. Die Tränen rannten mir immer noch übers Gesicht, während ich an ihm vorbei ins Nichts starrte und mich fragte, was ich nun tun sollte.
Jace' Züge waren frei von Wertung, aber angespannt. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, stand zwei Meter vor mir und musterte mich mit Adleraugen, als würde er jede meiner Gefühlsregungen erfassen wollen. Er musste sich bescheuert vorkommen, das alles mitangehört zu haben. Nachdem ich ihm gestern versichert hatte, dass ich nichts für Adam empfand und nun um ihn weinte, musste er denken, dass ich ihn angelogen hatte. Oder er hielt mich für eine Närrin, weil er Adams Worte für eine weitere Farce hielt; ein weiteres Schauspiel, welches ich mittlerweile eigentlich zu spielen wissen sollte.
Ich wandte den Blick von Jace ab und betrachtete die tickende Standuhr, die rechts von der Treppe stand. Es war bereits früher Nachmittag. Mühevoll wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und drückte mich von der Tür fort. „Ich sollte mich fertigmachen", murmelte ich in das Schweigen zwischen uns. „Isabelle will immer noch auf diese Party."
Ich wollte an Jace vorbeigehen, doch er streckte die Arme aus, um mich an sich zu ziehen. Er drückte mich gegen seine Brust und strich mir übers Haar. „Er war dein erster Freund", erklärte er leise, sodass nur ich ihn hören würde. „Adam hat dir eine ziemlich große Bürde auferlegt. Ich sehe, dass es dich zerreißt. Ich wünschte, ich könnte dir diese Entscheidung abnehmen, aber nur du kannst sie treffen."
„Was denkst du darüber?" Ich lehnte meine Stirn gegen seine Schulter und er schloss seine Arme stärker um mich. Seltsamerweise erinnerte mich unsere Umarmung an den Ball, als wir auf der Tanzfläche herumgewirbelt waren. Ich konnte nicht beziffern weshalb.
Jace zuckte die Achseln und legte sein Kinn auf meinem Kopf ab. „Du weißt bereits, was ich denke. Du hast gesehen, was ich denke. Und so gern ich es betonen möchte, sollte meine Meinung dich nicht zu irgendetwas verleiten. Ich bin hier, bei dir, egal was. Der Rest wird sich so fügen, wie du es dir wünschst."
„Ich weiß aber nicht, was ich mir wünsche." Ich klang aussichtslos; klammerte mich an ihn, wie wenn er der sichere Fels in der Brandung war. Ich kam nicht darum herum den Vergleich zu Adam zu ziehen – seine Blicke, die mich festgenagelt hatten, als stellte ich diesen Fels für ihn dar. Die Vorstellung, dass dies wahr war und ich dabei war, loszulassen, machte mich krank. Denn nur der Gedanke, dass Jace mich loslassen könnte, ließ die Galle in meinem Mage aufsteigen. Wie schrecklich musste Adam sich dann erst fühlen?
Sieh dich nur an, tadelte die harte, unbarmherzige Stimme in meinem Kopf. Die Stimme meines Vaters. Er hat dich in der Hand, musste nur ein paar berührende Worte sprechen und schon vergisst du all die Qual, die du seinetwegen durchgemacht hast.
Aber so würde es doch sein, oder nicht? Er hatte mir wehgetan. Aber nur weil ich ihm nicht verzieh, würde meine Qual nicht einfach aufhören. Ich würde weiterleiden, bis ich einen eigenen Weg fand, mit ihr zu leben. Adams Existenz machte sie nicht ungeschehen, doch würde seine Anwesenheit sie erschweren?
„Ist es nicht offensichtlich, was du dir wünschst?", flüsterte Jace und strich mir gefühlvoll über die Wirbelsäule. „Du willst es ungeschehen machen. Du wünschst, dass er seine Fehler früher erkannt hätte; dass er sich von Anfang an für dich entschieden hätte. Blake hätte seinen Plan vielleicht dennoch durchgeführt, aber du wüsstest, dass Adam nichts damit zu tun hatte. Adam wäre noch dein Freund."
„Wir bereuen beide dasselbe, er und ich."
„Was gedenkst du zu tun?", schaltete sich eine weitere Stimme ein und wir drehten uns der Küche zu. Isabelle lehnte im Türrahmen, die Hände trotzig in die Hüften gestemmt. „Wirst du ihm verzeihen?"
„Ich kann nicht einmal sagen, ob seine Absichten wahrhaftig sind", erwiderte ich.
„Eine Entscheidung, die Zeit beanspruchen wird. Du wirst darüber schlafen müssen. Wahrscheinlich mehr als eine Nacht. Du wirst alle Argumente abwägen wollen, bevor du entscheidest. Aber das hier ist nicht der passende Moment dafür. Wir stehen vor einem Krieg. Jonathan steht vor der Tür. Du darfst dich nicht von Adam ablenken lassen." Isabelle rückte mir die Realität direkt und deutlich vor die Nase.
Jonathan. Erchomai, ich komme.
„Du hast recht", sagte ich, die Verwundbarkeit aus meiner Stimme verschwunden. Adam war eine Sache, doch was Schmerz anging, gab es niemanden, der mit Jonathan mithalten konnte. Mit einem Mal stand ich etwas gerader in Jace' Armen, der diese langsam lockerte. Ich schaute zwischen ihm und Isabelle hin und her. „Du hast recht. Jonathan hat Priorität." Sein Name hatte immer den gewollten Effekt. Seine Wunde ging immer tiefer. Auch wenn die Wunden sich mittlerweile zu häufen schienen. Doch Jonathan hatte immer Priorität.
„Mir ist klar, dass du dich miserabel fühlst, Clary." Isabelle stolzierte in den Flur und griff nach meiner Hand. „Du kannst an der jetzigen Situation nichts ändern. Trübsal blasen bringt keinem etwas. Du verlierst dich selbst aus den Augen. Und deshalb brauchst du Ablenkung. Du hast Valentin gestern das Engelsschwert stibitzt, schon vergessen?" Sie grinste ihr freches, begeistertes Grinsen und drängte mich dann in Richtung Treppe. „Du bist Clary Morgenstern und Adam kann dich mal, genauso wie Jonathan oder Valentin. Du darfst nicht vergessen, wer du bist. Du musst dich endlich nur auf dich konzentrieren."
„Lass mich raten", bemerkte Jace sarkastisch. „Diese Party ist der perfekte Ort dafür."
Isabelle riss selbstzufrieden die Augen auf und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn. „Wie recht du hast, liebster Bruder! Ich wollte Clary gerade zeigen, was für ein heißes Kleid ich ihr besorgt habe. Aber vielleicht willst du uns ja nach oben begleiten und dich selbst davon überzeugen?"
Ein schockierter Laut entkam meiner Kehle, zeitgleich zu Jace' verstörtem Schnauben. Isabelles teuflisches Lachen übertönte uns beide. Sie zog mich so schnell die Stufen hinauf, als wären wir in größter Eile. Ich wandte rasch den Kopf und das Letzte, was ich sah, bevor ich ihn aus den Augen verlor, war der erheiterte, milde Ausdruck in Jace' Augen, der jeder meiner Bewegungen zu folgen schien.
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