Kapitel 65.1. - The Sword's Verdict

Kapitel 65 – The Sword's Verdict

Was nun folgte war wohl der Teil der Ratsversammlung, über den ich mir am wenigsten Gedanken gemacht hatte, als ich vorhin in den Saal spaziert war. Ich war in dem Entschluss hierhergekommen, Blakes Freunde ein für alle Mal zu schlagen. Das war mir nur teilweise gelungen. Was nicht meine Schuld war. Ich machte weder die Gesetze noch die Urteile. Und das könnte mir nun zum Verhängnis werden. Denn der nächste Tagesordnungspunkt auf Imogens langer Liste war mein eigenes Urteil.

Dieser Ankündigung folgte eine weitere Diskussion in den Reihen der Nephilim. Fünf Minuten ging sie bereits und bisher hatte nur eine Person meinen Tod gefordert. Das hielt ich für ein gutes Omen. Besonders, da ein Großteil der Schattenjäger diese Option vehement abgelehnt hatte.

Als Isabelle nach meiner Hand griff und meine Finger dabei förmlich zerquetschte, wandte ich mich ihr zu und versteckte meine Sorgen hinter einem Schleier der Zuversicht. Ich fragte mich, ob ich eine genauso gute Schauspielerin war wie Jace, als ich meine Mundwinkel zu einem leichten, lässigen Lächeln hob. „Mach dir keine Sorgen. Sie wären dumm, wenn sie mich vor Ende des Krieges umbringen würden. Bis dahin bin ich ihnen immerhin noch von Nutzen."

„Bitte hör auf, solche Sachen zu sagen. Eine sarkastische Person in meinem Leben ist genug."

„Aber es ist doch die Wahrheit. Irgendwie."

Isabelle seufzte. Jace spannte den Kiefer an. Imogen beschloss auf Vorschlag des Rats hin, dass meine Ermordung aller sechs Jungen im Landhaus als Notwehr zu werten war. Dass ich von dort hatte fliehen wollen war natürlich und selbstverständlich und wenn sie dumm genug waren, sich mir in den Weg zu stellen, dann waren sie für dieses Schicksal selbst verantwortlich. Dasselbe galt für den Jungen, der mich nach Blakes Tod angegriffen und dabei von mir niedergestreckt worden war. Ich hatte den Kampf nicht angefangen, also hatte ich mich nur verteidigt. Imogen hatte es nicht ganz so ausgedrückt, aber inhaltlich kam es dem nahe.

Die Familien der toten Schattenjäger sprangen auf die Beine und wehrten sich lautstark gegen diese Entscheidung. Sie warfen mir Beleidigungen an den Kopf, die ich so noch nie in meinem Leben gehört hatte und forderten bei der Inquisitorin eine Neubewertung der Tatsachen. Doch die Berichte der heutigen Ratssitzung mussten den Mitgliedern wirklich nahegegangen sein. Denn anders als beim letzten Mal, als ein Großteil von ihnen sich allein wegen meiner Herkunft gegen mich gewandt hatte, gab es nun dutzende Stimmen zu meinen Gunsten, die sich aus den zahlreichen Reihen erhoben. Die nicht nur mich verteidigten, sondern auch das Urteil der Inquisitorin.

Das bedeutete, dass sieben der acht Mordanklagen kein Teil meiner Verurteilung sein würden. Ich sank in mich zusammen und flüsterte einen lautlosen Dank an den Erzengel. Isabelle strich mir sanft über den Rücken. Zu meiner Überraschung zitterten ihre Finger. Genau wie Jace es gestern Abend vorausgesehen hatte, stimmten jedoch die wenigsten für Notwehr, was Blakes Tod betraf. Das hier war komplizierter und sie hatten recht.

„Sie hat ihn aus dem Hinterhalt ermordet", klagte Cynthia Ashdown, die tatsächlich den Nerv besaß, irgendetwas in dieser Verhandlung zu äußern. „Sie hat ihm ein Messer in den Rücken geworfen und ihm die Kehle durchgeschnitten als er am Boden lag. Das ist feiges Verhalten."

Das Schweigen, welches folgte, triefte vor Unglauben vor ihrer Doppelmoral. Und wenn ich nicht am Rande einer Panikattacke gestanden hätte, hätte ich vielleicht über die verdatterten und entrüsteten Blicke einiger Schattenjäger gelacht, die aussahen, als wüssten sie selbst nicht, weshalb sie überhaupt hier waren, wenn Leute wie Cynthia Ashdown herumliefen und solche Dinge von sich gaben.

„Sie hat ihn ermordet, nachdem dein abartiger Sohn sie für Stunden aufgeschlitzt hat wie eine Spielfigur", rief jemand von weiter oben. „Was hätte er denn noch alles machen müssen, bevor es in Ordnung gewesen wäre, zurückzuschlagen?"

Cynthia setzte zu einer Antwort an, aber jemand in ihrer Nähe kam ihr zuvor. „Man sollte den Zeitpunkt der Geschehnisse berücksichtigen. Blakes Taten gehen Clarys voraus. Er hat sich bereits mehrfach strafbar gemacht, bevor sie gehandelt hat. Jeder hier im Raum weiß genau, dass sie nur reagiert hat. Blake war bereits ein Gesetzesbrecher. Wieso tun wir also so, als würden Clarys Taten genauso viel wiegen wie seine?" Als ich genauer hinsah, musste ich feststellen, dass es Aaron Wrayburn war, der da sprach. Bereits in der letzten Ratsversammlung hatte er sich für mich eingesetzt und nun tat er es erneut. Wir waren gemeinsam in der Schlacht gewesen. Das hatte für ihn gereicht, um mich als eine der ihren anzuerkennen.

„Reagiert?", entgegnete ein kahler Mann von links. Er zeigte mit dem Finger auf mich und gestikulierte in abgehackten Bewegungen. „Blake ist davongelaufen und Clarissa hat ihm ein Messer in den Rücken geworfen. Ich verstehe, dass sie Rache wollte, aber sie hat ihn nicht aus Notwehr, sondern aus Kaltblütigkeit gemordet. Er ist weggelaufen. Sie hätte sich zusammenreißen können, hat die Situation jedoch ausgenutzt."

Wenn ich ehrlich war, dann hielt ich selbst nicht viel von der Einordnung als Notwehr. Es gab Gelegenheiten, Blake zu töten, die man als Notwehr hätte deklarieren können. Unser Schwertkampf beispielsweise, als er mir den Abhang hinab gefolgt war. Doch Blake hatte den Pfeil abschießen lassen und ich war so außer mir gewesen als er Adam getroffen hatte, dass ich mich nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Nach der Folter war es der Tropfen auf den heißen Stein gewesen, der meine Emotionen gestern zum Überlaufen gebracht hatte. Ich war durchgedreht. Ausgeflippt. Das war der Grund, weshalb ich Blake getötet hatte.

„Man kann sich darüber streiten, ob es Notwehr war oder nicht. Doch eines ist sicher: Clarissa hat nicht aus Kaltblütigkeit gemordet." Eine neue, unbekannte Stimme. Er stand nicht weit von den Lightwoods entfernt und die kleine Frau, die neben ihm saß, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und warf Cynthia Ashdown entwürdigende Blicke zu. „Wir waren vorhin im Vorraum als Cynthia Ashdown vor den Augen aller Anwesenden versucht hat, Clarissa umzubringen. Sie hat mit ihrem Dolch nach ihr ausgeholt. Jeder in dem Raum hat die Panik auf Clarissas Gesicht gesehen. Dieses Mädchen hatte blanke Angst. Diese Entführung hat sie traumatisiert. Und was man tut, um dieser Furcht ein Ende zu setzen muss ich den Kriegern hier im Raum nicht erklären. Das war keine Kaltblütigkeit, das war ihr Überlebensinstinkt, der sich bedroht gefühlt hat. Dafür sollten wir niemanden bestrafen. Nach allem, was ich gehört habe, wundert es mich, dass sie nicht schlimmeres mit dem Jungen angestellt hat als ihm nur die Kehle durchzuschneiden."

Die Anwesenden, die noch nichts von Cynthias Mordversuch mitbekommen hatten, bekamen nun erneut große Augen. „Wie kann diese Frau hier noch sitzen, als wäre nichts geschehen?", schrie eine entrüstete Stimme von oben herab. Die Zustimmung im Saal war so enorm, dass die Inquisitorin Probleme bekam, die Menge unter Kontrolle zu halten.

„Warte was ist da oben geschehen?", platzte es ungläubig aus Isabelle heraus und sie drehte sich zu mir und Jace herum. „Sie hat versucht, dich umzubringen?" Ich nickte und die Verblüffung auf ihrem langen Gesicht wich Ärger. „Und wann wolltest du mir das erzählen? Erst Adam und jetzt das. Im Ernst, es kann doch nicht sein, dass ich das so erfahren muss!"

„Was hätte sie denn sagen sollen, Hi Isabelle, schön dich zu sehen. Ach übrigens, Blakes Mutter wollte mich gerade vor den Augen aller Leute im Vorraum ermorden?" Jace hob erwartungsvoll seine blonden Brauen.

„Sowas in der Art", gab Isabelle gepresst zurück. „Wow, ich kann das nicht glauben. Wie kann es sein, dass sie plötzlich vor nichts mehr zurückschrecken? Als wäre Valentin nicht genug Problem für uns alle."

Nach allem, was dieser fremde Mann über mich gesagt hatte, konnte ich nicht anders, als Jace anzuschauen. Unsere Augen trafen sich und ich konnte meine Gedanken in seinen Pupillen gespiegelt sehen. Seine Aussage war unheimlich hilfreich, um meine Sympathie unter den Nephilim anzuheben, aber die Panik auf meinem Gesicht hatte nichts mit Cynthias Angriff auf mich zu tun gehabt. Es war die angekündigte Verhandlung gewesen, die mir den Atem geraubt hatte. Aber das wussten sie nicht. Für alle, die zugesehen hatten, musste es so ausgesehen haben, als hätte ihr Mordversuch mich so aus der Bahn geworfen.

„Sie merken, dass ihre Zeit abläuft. Gerade wegen Valentin", erwiderte Jace und brach den Blickkontakt zu mir ab.

„Ich habe genug gehört", schnitt Imogen eisig durch die Geräuschkulisse der Nephilim hindurch. Ich fragte mich, ob es in menschlichen Regierungen ebenso chaotisch zuging oder die Menschen eine humanere Weise des Austauschs gefunden hatten, wo nicht eine Person immer den Rest des Raumes zur Ruhe rufen musste.

Die Inquisitorin drehte dem Rat den Rücken zu und schritt auf mich zu. Die Stimmen hinter ihr wurden leiser als ihnen klar wurde, dass Imogen ein Urteil getroffen hatte. Sie kam vor unserer Bank zum Stehen, vielleicht einen Meter vor mir. Wenn ich saß, überragte sie mich noch mehr als sie es ohnehin tat. Mit ihren kalten, gefühllosen Augen blickte sie auf mich herab. Nur dass sie nicht mehr völlig gefühllos waren. Da schwamm etwas in ihren trüben Iriden, was ich nicht deuten konnte. Sie spähte von mir zu Jace, der immer noch weitestgehend starr neben mir saß. Er erwiderte den Blick seiner Großmutter. Einen Wimpernschlag lang, bis ihre Aufmerksamkeit sich wieder auf mich richtete und dort verharrte.

Imogen nahm einen tiefen, schwerfälligen Atemzug und begann. „Clarissa Morgenstern. Wie dieses Verhör zu Tage gebracht hat, hast du im Rahmen deiner Entführung acht Schattenjäger dieser Gemeinde ermordet. Mord ist eine der schwerwiegendsten Straftaten unseres Gesetzes. Doch du hast nicht aus Willkür gemordet, sondern als Reaktion auf eine lebensbedrohliche Situation. Wegen umfangreicher Standpunkte bin ich zu dem Schluss gekommen, dass du aus Notwehr und Furcht des eigenen Lebens gehandelt hast. Auf Grund dieser besonderen Umstände kann ich dich für keines der acht Opfer verurteilen. Du bist selbst ein Opfer in dieser Sache gewesen, wie das Verhör der bereits Verurteilten ergeben hat. Deshalb spreche ich dich von jeder Schuld frei."

Es fühlte sich an, als würde etwas von meinen Schultern abfallen, dessen Gewicht ich bis jetzt nicht hatte spüren können. Ein erleichterter Laut ging mir über die Lippen, der im Getöse der Schattenjäger unterging, die auf Imogens Urteil reagierten. Ich senkte den Kopf in meine Hände und konnte nicht anders als einige Male kontrolliert ein- und auszuatmen, um meinen Herzschlag im Zaum zu halten. Erst jetzt, wo alles vorbei war, begriff ich eigentlich, wie sehr es mir vor diesem Urteil gegraut hatte. Wie sehr ich mich davor gefürchtet hatte, erneut von dieser Gemeinschaft verstoßen zu werden. Doch dazu war es nicht gekommen. Sie hatten sich für mich eingesetzt. Sie hatten mich nicht auf mein Blut reduziert. Nicht mehr.

Sowohl Jace als auch Isabelle legten mir ihre Arme um den Rücken. „Es ist vorbei", murmelte Jace und klang zu meiner Überraschung so atemlos wie ich mich fühlte.

„Es ist vorbei", bestätigte ich und hob den Kopf aus meinen Händen. Ich blinzelte gegen das Elbenlicht an und wurde eine Sekunde später von Isabelles Umarmung beinahe umgeworfen.

„Dem Erzengel sei Dank. Stell dir vor, wir hätten dich jeden Tag im Gefängnis besuchen müssen oder so." Sie grinste breit und streckte den Verurteilten auf der anderen Bank ihre Zunge raus. „Gerechtigkeit ist wunderbar."

„Hoffen wir mal, dass sie Malachi mit der vollen Härte der Gerechtigkeit bestraft." Jace' Gesichtsausdruck hatte sich zwar etwas gemildert, wirkte jedoch weiterhin angespannt. Ich schaute ihn an und schaute wieder weg, weil mir seine Worte von eben wieder ins Gedächtnis kamen. Und obwohl er sich entschuldigt hatte, verstand ich nicht, was mit ihm los war. Wieso er sich so seltsam benahm. Wieso er mich angefahren hatte.

Die Inquisitorin erlaubte sich keine Pause. Sie jagte von einem zum nächsten Tagesordnungspunkt wie eine gutgeölte Maschine, die am Abfertigungsband stand. In ihrer Profession gab es keinen Platz für Trödelei und Zögern. Es wäre Zeitverschwendung. Sie steckte sich eine graue Strähne hinters Ohr, die ihrem strengen Zopf entkommen war und wies zwei ihrer Wächter an, Malachi vorzubringen.

Dieser gab sich die größte Mühe, eine Bürde zu sein. Er trottete mit schweren Schritten vorwärts und bewegte sich so langsam, dass ich das entnervte Zucken nachvollziehen konnte, welches über Imogens Gesicht huschte. Die Wachen drückten Malachi unsanft auf den Stuhl und seine Fesseln rasselten. Der ehemalige Konsul ließ sich nicht beirren. Er hatte den Kopf unbeugsam in die Höhe gereckt und sein reservierter Blick ruhte auf keinem bestimmten Punkt. Seine Körperhaltung strahlte Macht und Prestige aus, als wäre er tatsächlich noch der Konsul und dies nur eine weitere Verhandlung, die er zu leiten hatte.

Diesmal musste Imogen die Nephilim nicht um Ruhe bitten. Das hier war ihr Anführer. Der sie alle verraten hatte. Ein Spion meines Vaters, der sie alle an der Nase herumgeführt hatte. Für wie lang? Wenn es solche Menschen in ein so mächtiges Amt schafften, welche Spione hatte er dann noch auf Lager?

Die Inquisitorin winkte Magnus Bane zu sich und drehte sich schließlich zu Malachi, der seine Beachtung erwartungsvoll auf sie verlagerte. Sie regierte nicht sofort, sondern erlaubte diesen Blickwechsel zwischen ihnen. Ihre Beharrlichkeit gegen seinen Hochmut. Dann öffnete sie die Lippen und erklärte ihm die Prozedur der Rune und des Zaubers. Wie wenn sie bei ihm alles genaustens nach Protokoll machen wollte, damit im Nachhinein niemand würde behaupten können, dass sie ihn nicht rechtmäßig behandelt hatte.

Imogen hob ihren Arm, Stele in der Hand, um die Rune auf seinem Hals anzubringen. Ein Gemurmel ging durch die Menge. Ein Anflug von Stimmen erhob sich von allen Seiten wie das Rauschen einer Welle, die immer lauter wurde, je näher sie der Küste kam. Es schien, als würde sie sich aufbauen, vor Schock und Verblüffung immer größer werden je mehr Nephilim sich den Stimmen anschlossen. Bis die Welle schließlich auf die Küste traf und in einem synchronen Chor aus panischem Geschrei zerbarst.

Ich hatte keine Ahnung, was plötzlich in die Leute gefahren war. Ein Schauer der Gänsehaut fuhr mir über die Arme, ein Instinkt, dem ich blindlings vertraute, und einen Moment später stand ich auf den Beinen. Auf der Suche nach dem Fehler; der Bedrohung. Es dauerte nicht lange, bis ich sie fand. Besser gesagt ihn. Mein scharfes Einziehen der Luft ging im Tumult der Schattenjäger um mich herum unter, die teils ebenfalls aufgesprungen waren.

Imogen drehte sich den Sitzreihen zu, ein grimmiger Ausdruck auf ihrem Gesicht. Ihr Köper erstarrte von jetzt auf gleich als hätte sie jemand schockgefrostet. Einen qualvoll langen Moment entglitten ihr ihre Züge. Bis sie sich wieder fing, war er bereits die Stufen hinabgestiegen und an ihrem Fuß angelangt. Ihre Wachen gingen vor der Inquisitorin in Stellung und versperrten den Weg zum Podium.

Mein Vater war in einen maßgeschneiderten, dunkelblauen Anzug gekleidet, der sich perfekt und fließend um seine Figur schmiegte. Von einem Waffengurt keine Sicht. Sein volles, weißblondes Haar war streng zurückgekämmt. Auf seinem kantigen, strikten Gesicht lag eine zielsichere Selbstsicherheit, die selbst Malachis Arroganz in den Schatten stellte. In seinen dunkelbraunen, fokussierten Augen funkelte die Befriedigung.

Imogens Mund öffnete sich, um Valentin zu adressieren, möglicherweise um ihn zurückzuhalten. Ihre Leibwächter zückten ihre Waffen, als er weiter auf sie zuging, nicht im Begriff anzuhalten. Als er einfach durch sie hindurchschritt, schüttelten sie sich entgeistert und wirbelten herum, um seine Bewegung zu verfolgen.

Eine Projektion. Er war nichts weiter als eine Projektion. Ein weiterer, brüchiger Atem entglitt meiner Kehle und meine bebenden Fäuste entkrampften sich. Es war wohl derselbe Trick, den Malachi während meiner Entführung genutzt hatte, um Valentin zu rufen. Meine Augen fuhren zum ehemaligen Konsul, nur um festzustellen, dass er um keinen seiner knochigen Finger einen Ring trug. Wenn er es nicht gewesen war, der ihn gerufen hatte, dann musste es jemand anders gewesen sein. Ein weiterer Spion. Ein weiterer Handlanger meines Vaters inmitten dieser hunderten Schattenjäger. Irgendwo mittendrin und unauffindbar.

Imogen legte ihren Kopf leicht schief da Valentin ohne sichtliche Mühe an ihren Wachen vorbeigekommen war. Ihre eiserne Mauer war wieder intakt und nun da mein Vater, der in ihren Augen für den Tod ihres Sohnes verantwortlich war, vor ihr stand, loderte da eine unauslöschliche Verachtung in ihren blauen Augen.

„Meine liebe Imogen", sagte Valentin mit angenehmer, glatter Stimme. Seine Lippen hoben sich in einer höflichen Geste und ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu schnauben. Ich kannte meinen Vater. Ich kannte sein spärliches, ehrliches Lächeln und das hier hatte damit nichts zu tun. „Ich freue mich, heute hier zu sein, auch wenn es für dich eine Überraschung ist."

„Eine Überraschung, wenn auch eine unerfreuliche", erwiderte die Inquisitorin gebieterisch und machte einen taktischen Schritt zur Seite, fort vom gefesselten Malachi. Ihre Roben wirbelten um ihre Beine und obwohl auch sie keine offensichtlichen Waffen trug, war ich mir sicher, dass sie mindestens eine irgendwo versteckt hielt. „Nachdem du in New York mit deinem Sohn davongelaufen bist, war ich mir nicht sicher, ob wir uns noch einmal begegnen würden. Achtzehn Jahre tot und dann ein so plötzliches Auftauchen, nur um wieder zu verschwinden."

„Und obwohl ich für achtzehn Jahre von der Bildfläche verschwunden war, bereitet ihr euch auf einen Krieg vor. Doch nicht etwa gegen mich, oder?" Mein Vater klang unschuldig. Interessiert. Womöglich etwas belustigt.

„Du hast die Stillen Brüder angegriffen und Mellartach gestohlen. Und wenn du uns über deine Pläne im Dunkeln lassen möchtest, solltest du deinem Sohn beibringen, den Mund zu halten. Aber Zurückhaltung war noch nie eine Stärke, mit der ihr Morgensterns punkten konntet." Ein kaltes Lächeln zierte Imogens Lippen. Sie genoss es sichtlich Valentin vorzuführen.

Valentins Mund zuckte. Kaum merklich, aber sichtbar, wenn man nahe genug dran war. Und das waren wir. Trotzdem hatte er noch kein einziges Mal in meine Richtung geschaut. Er wusste natürlich, dass ich hier war. Es war nur seine Art, mich zu bestrafen, indem er meine Existenz ignorierte. „Und wenn schon. Zurückhaltung ist etwas für die Gewöhnlichen. Und kein Morgenstern ist je gewöhnlich. Ich nicht und meine Kinder auch nicht, wie dir sicher schon aufgefallen ist."

„Was willst du, Valentin?", fragte die Inquisitorin, ihre Geduldsfaden nach der langwierigen Sitzung am Ende. „Du bist sicher nicht hergekommen, um mit mir über deine Tochter zu sprechen. Oder ist das ein weiterer Versuch, sie zu kidnappen? Ich muss zugeben, ich hätte nicht gedacht, dass das dein Stil ist."

Valentins Züge wurden hart und seine Augen zuckten so schnell zu mir, dass mein Herz einen schreckhaften Satz machte. Ich spürte, wie mein Körper sich automatisch aufrechter hinstellte. Er hatte seine Aufmerksamkeit zu schnell auf mich verlagert, als dass ich in der Lage gewesen wäre, meine Emotionen zu verstecken.

„Clarissa und ich haben uns bei unserer letzten Begegnung bereits darüber unterhalten, dass ich nichts von ihrem derzeitigen Lebensstil halte", erklärte er sachlich und viel weniger kultiviert als gerade noch. Die Unzufriedenheit, die in seinen Augen blitzte, kannte ich nur zu gut. „Manchmal müssen Eltern zu extremen Maßnahmen greifen, um ihre Kinder auf den rechten Weg zu bringen. Wir wissen immerhin, was das Beste für sie ist."

Ich rührte mich keinen Zentimeter, wich dem durchbohrenden Blick meines Vaters aber auch nicht aus. Entfernt bemerkte ich, dass ich die Luft anhielt. Jace und Isabelle waren kurz nach mir auf die Füße gekommen und ich spürte, wie Jace sich neben mir zu seiner vollen Größe aufstellte und Isabelle wie von selbst nach einem Dolch griff. Auch wenn es natürlich nichts nützte, da er nichts weiter als ein Hologramm war.

„Aber ich bin heute nicht wegen Clarissa hier", fuhr Valentin fort und sprang mit seinen Augen zurück auf Imogen.

Durch die Nase presste ich die Luft geräuschvoll aus meinen Lungen. Die Welt begann sich um mich herum zu drehen. Jace rückte näher an mich heran und griff nach meinem Arm. Keine Ahnung, ob er in der Lage war, meine Gefühlslage zu spüren, oder es nur ein Reflex war.

„Ich bin wegen zwei Dingen hier", sagte mein Vater und näherte sich Malachi, der ihn mit großen Augen betrachtete; beinahe anhimmelnd. Das machte mich krank. Er beugte sich in die Richtung des ehemaligen Konsuls und betrachtete ihn mit freundlicher Miene. „Zuerst einmal kann nicht zulassen, dass mein lieber Malachi irgendwelcher meiner Geheimnisse preisgibt."

„Ich danke Euch, Lord Valentin", sprudelte es aus Malachi heraus. „Ich würde nie freiwillig Eure Geheimnisse preisgeben wollen. Danke, dass ihr mich hiervor bewahrt."

„Du hast mir gut gedient, mein Freund." Mein Vater lächelte und der Ausdruck seiner Augen änderte sich. Eine skrupellose Niedertracht löste die einfache Befriedigung ab, funkelte wie rohe Kraft in seinen dunklen Augen. Es war das erste Mal, dass ich Jonathan in ihm erkannte und mir klar wurde, dass einige Seiten dieses neuen Jonathans anscheinend schon vorher dagewesen, nur nie hervorgebracht worden waren. Die Tatsache, dass er für diese eine Sekunde wie ein älteres Ebenbild meines Bruders aussah, ließ mich mit einem warnenden Schrei nach vorne stürzen.

Zu spät. Mein Vater hatte bereits seine Hand nach Malachi ausgestreckt, der sich ihm begierig entgegenlehnte. Er ging davon aus, dass Valentin ihn retten würde. Ich hätte von Anfang an wissen müssen, dass dies nie Teil seines Plans gewesen war. Malachi brachte ihm als enttarnter Spion keinen Nutzen mehr.

Die Hand meines Vaters glitt direkt durch Malachis Hals hindurch, der verwirrt die Brauen hob, unsicher was das sollte. Ich sprintete auf sie zu, aber die Bank war zu weit vom Podium entfernt. Also konnte ich nur dabei zuschauen, wie seine Hand sich von jetzt auf gleich materialisierte und dabei immer noch bis zum Handrücken in Malachi steckte. Dieser gab einen plötzlichen, gurgelnden Laut von sich und öffnete erstickend den Mund, um nach Luft zu schnappen. Dann riss Valentin seine Hand aus dem ehemaligen Konsul heraus und dessen Kehle gleich mit. 


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Valentin is back! 

Na, wie hat euch das Kapitel gefallen? Was ist wohl Punkt 2 auf Valentins Liste? Irgendwelche Ideen?

Ein Kommentar und ein Like würden mir sehr helfen, um mehr Leser zu erreichen! :) 

Eine gute Nachricht: Normalerweise uploade ich ja nur alle zwei Wochen ein neues Kapitel, aber in Zukunft werde ich jede Woche updaten, wenn es sich um ein Kapitel handelt, das in zwei Teile geteilt werden musste wegen der Länge (so wie diese Woche zum Beispiel). Dann müsst ihr nicht so lange warten und seid noch "frischer" in dem Kapitel drin.

Dann bis nächste Woche

Skyllen :)

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