Kapitel 57.1. - Betrayals
Kapitel 57 – Betrayals
Der Wind, der meine Haut zum Frösteln bringen müsste, fühlte sich taub gegen meinen Körper an. Die Hitze pulsierte in meinem Blut, floss durch meine Adern und schien die Kälte fernzuhalten. Der schneebedeckte Boden war glatt, gefroren und jeder hastige Schritt fort von der Abkommenshalle brachte meinen Gleichgewichtssinn mehr zum Erliegen. Als hätte ich die letzten Reserven aufgebraucht, um Adam den Schlag zu verpassen.
Schlitternd kam ich einige Meter von einem Brunnen zum Stehen. Die Umrisse des dunklen Steins zeichnete die Gestalten von Engeln und Dämonen, die sich gegenseitig abschlachteten. Ein Anblick, der mich schlagartig zurück in die Realität beförderte, Alkohol in meinem Blut oder nicht. Ein Schauer lief mir den Rücken hinab und meine Füße taumelten zur Seite, fort von dem Brunnen, meine Arme schützend um die Mitte geschlungen.
„Clary." Ein Zucken fuhr durch mich hindurch. Der Furcht geschuldet, dass Adam mir folgen würde. Es war tatsächlich ziemlich dumm, allein hinauszulaufen, nachdem er mich ohnehin von dort hatte weglocken wollen. Doch das war nicht Adams Stimme, die durch die totenstille Nacht schallte. Langsam drehte ich mich zurück, der Abkommenshalle entgegen, und kniff die Augen zusammen, weil die Laternen aus Elbenlicht mir Kopfschmerzen bereiteten.
Da stand er, einige Meter vor der zufallenden Holztür der Halle. Das goldblonde Haar zerzaust, der nachtschwarze Sakko zerknittert, die goldenen Augen auf mich fixiert. Besorgt, angespannt, wissend. Er musste mich beobachtet haben. So wie zu Beginn des Abends, als er Isabelle genau beantworten konnte, wie viele Gläser ich getrunken hatte. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Jace." Die Angst, die Wut, die Trauer waren plötzlich wie fortgeblasen. Mit einem Mal war alles, was ich spürte eine enorme Erleichterung.
„Geht es dir gut?", fragte er und kam näher heran. Seine wachsamen Augen fuhren über meinen Körper, analysierend, als suchte er nach etwas, ohne fündig zu werden.
Ich versuchte zu lächeln, versuchte zu nicken, wusste aber bereits, dass ich nicht überzeugend war; dass mein Lächeln meine Augen nicht erreichte. Es gibt Menschen, die dich für deinen Schmerz nicht verurteilen. Also gab ich es auf. Ein kurzes Zucken meiner Schultern ließ Jace den Abstand zu mir endgültig überwinden. Er windete sich aus seinem Jackett und hing es mir um die Schultern, ohne Fragen zu stellen.
„Du hast es gesehen?" Ein knappes Nicken. Ich seufzte in mich hinein und schloss die Lider, nur um festzustellen, dass die Welt sich so schneller um mich drehte. Als Jace nach meinen Armen griff, um mich zu stabilisieren, zuckte ich nicht zurück. Ich lehnte mich in seine Berührung und er ließ es zu.
„Du hattest recht", sagte ich mühsam. Jedes Wort war anstrengend auf meiner Zunge. Meine Sätze hatten sich in ein Lallen verwandelt. „Mit dem, was du über den Alkohol gesagt hast." Isabelle und du hattet recht mit euren Warnungen über Adam. Doch das brachte ich nicht über die Lippen.
„Und wenn schon", flüsterte Jace und zuckte gleichgültig die Achseln. Ein sanftes Schmunzeln schlich sich auf seine Züge, während er mich betrachtete. „Dann hast du eben zu tief ins Glas geschaut. Der Abend ist noch nicht verloren. Du kannst dich auch weiter amüsieren. Ich bin mir sicher, dass du mit Isabelle mindestens genauso viel Spaß haben wirst."
„Ich dachte, du würdest mich jetzt belehren", gab ich zu und rieb meine zitternden Finger in einem schlechten Versuch, sie zu wärmen, gegeneinander. Ich legte den Kopf in den Nacken, um Jace' Augen zu begegnen. Eine Mischung aus Ärgernis und Kummer lag darin.
Jace strich mir eine Strähne aus dem Gesicht; steckte sie mir hinters Ohr. Dabei streiften die Spitzen seiner Finger meine Wange und verharrten dort. „Das was geschehen ist, hätte nicht so laufen sollen. Alles was ich sagen kann ist ... du bist jetzt besser dran. Adam ist ein Vollidiot."
„Er ist- war mein Freund", brachte ich erstickt hervor. „Mein einziger Freund seitdem ..." Ein lautloses Schluchzen schüttelte meinen Körper, aber die Tränen blieben aus.
„Du brauchst ihn nicht. Du hast Izzy." Jace hielt inne und warf mir ein halbes Grinsen zu. Ich spürte das Zittern in seinen Fingern, die immer noch federleicht an meinem Gesicht ruhten. Kein Zittern aus Furcht. Oder Anspannung. Als riss er sich zusammen; als hielt er sich zurück. „Du hast mich."
Das Bedürfnis, Jace zu berühren, war kaum zu bändigen. Du hast mich. Wenn ich nüchtern gewesen wäre, hätte ich genau einordnen können, wie seine Worte zu verstehen waren. Aber in meinem Zustand konnte ich nur raten. Nur hoffen, worauf mein nüchternes Ich nie zu hoffen wagte.
„Willst du dich hinsetzen?", kam es von Jace, bevor ich eine Erwiderung hervorbringen konnte. Etwas huschte über sein Gesicht. Nervosität? Es verschwand so schnell, wie es gekommen war, sodass ich es mir genauso gut hätte einbilden können.
Mein Blick glitt zum Rand des Brunnens, ohne die eingearbeiteten Steinfiguren wirklich zu sehen. „Ich glaube nicht, dass ich allein wieder auf die Beine kommen würde", gab ich zu, auch wenn ich nichts lieber getan hätte, als mich zu setzen. Der Platz des Erzengels schien sich mit jeder verstreichenden Sekunde schneller und schneller um mich zu drehen und je länger ich auf meinen Füßen stand, desto schwerer schien mein Körpergewicht zu werden.
„Ich helfe dir hoch, wenn du es nicht allein schaffst." Ein schiefes Lächeln breitete sich auf Jace' Gesichtszügen aus. So ehrlich und weich, dass meine Mundwinkel sich vielleicht in Antwort nach oben gezogen hätten, wenn meine Gedanken sich nicht weiter überschlagen hätten. Adam. Alles, worauf mein Hirn sich konzentrieren konnte, war das Gefühl in meinem Magen, hintergangen worden zu sein. Erneut.
Meine Augen fuhren wie von selbst zum Eingang der Abkommenshalle, deren Mahagonitore in der Finsternis der Nacht zu einem Schwarz so dunkel wie der Sternhimmel verschmolzen. Anstatt eines Grinsens legte sich ein Vorhang der Trauer über mich. „Dieser Abend hat so schön angefangen. Alles war perfekt."
Perfekt. Ein starkes Wort. Ein Wort, welches in meinem Leben nichts zu suchen hatte. Nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil es nichts Perfektes gab. Nur heute. Heute war perfekt gewesen. Zumindest für eine Weile. Bis zur zerschmetternden Realisierung, dass Adam in Wahrheit nicht mein Freund war. Morgen würde ich darüber nachdenken müssen, was genau das eigentlich bedeutete.
„Dann lass uns reingehen und dort weitermachen", sagte Jace, ein neuer Ton in seiner Stimme. Kein Flehen, keine Bitte, aber als hoffte er, dass ich seinem Vorschlag folgen würde.
„Ich kann Adam nicht gegenüberstehen." Natürlich wusste ich, dass er etwas anderes gemeint hatte. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich uns beide inmitten der Tanzfläche sehen. Umgeben von den gebrochenen Farben der Mosaikfenster, flackerndem Kerzenschein und einer Melodie, die einen in seinen Bann zog. Und im Zentrum von alldem Jace' Gesicht und diese hypnotisierende Wärme in meiner Mitte, die hier draußen keine Chance gegen die übermächtige Kälte hatte. Wenn ich die Augen öffnete, war da immer noch Jace vor mir, aber das lebendige, ergriffene Feuer fehlte. Vielleicht würde es uns gelingen, diese Wärme wieder in unseren Körpern aufsteigen zu lassen, wenn ich gemeinsam mit ihm in die Halle, zu den Feierlichkeiten, zurückkehrte. Vielleicht.
Also schloss ich die Lider. Nicht, um dieses Bild vor meinem geistigen Auge heraufzubeschwören. Ich öffnete den Mund und ließ die frostige, trockene Winterluft in meine Lungen strömen; ließ diese Kälte meine Gedanken ordnen. Der Alkohol, der stärker und stärker durch meine Adern pulsierte, ließ mich das übliche Zögern und die übliche Zurückhaltung überwinden. Ich legte den Kopf in den Nacken, um Jace direkt anschauen zu können; um keinen Moment seiner Reaktion zu verpassen.
„Was ist das zwischen uns, Jace?"
Da war sie. Die Frage, die alle anderen in den Hintergrund rückte. Selbst Adam. Auch wenn das hier bei weitem nicht der richtige Zeitpunkt war, um sie zu stellen. Ich konnte nicht anders. Ich hatte das beklemmende Gefühl, dass Adam eben etwas ins Taumeln gebracht hatte, das sich so bald nicht beruhigen würde. Weshalb also nicht direkt das gesamte Kartenhaus zum Einsturz bringen? Wieso also nicht einfach alles riskieren, wenn sowieso bereits so viel verloren war?
Ich konnte sehen, wie meine Frage Jace aus der Bahn warf. Die Maske aus Gleichgültigkeit und Unnahbarkeit kämpfte sich ihren Weg auf seine Züge, aber nur für den Bruchteil eines Augenblicks. Wahrscheinlich, weil er wusste, dass ein Leugnen nichts bringen würde. Dafür war es zu spät. Der Kuss am Lichten Hof hatte das Gerüst unserer fragilen Dynamik ins Wanken gebracht, auch wenn es uns gelungen war, ihn danach für eine Weile zu ignorieren. Ich konnte sehen, dass Jace versuchte, ruhig zu bleiben. Seine Finger um meine Ellbogen verkrampften sich, als kämpfte er gegen den Fluchtreflex in seiner Brust.
„Ich weiß es nicht genau", sagte Jace in die Stille der Nacht hinein. Ich folgte den weißen Wölkchen seines Atems, die gen Himmel schwebten. Sein Ton hatte ein Flüstern angenommen, kaum lauter als der Hauch einer Stimme. Der Geist einer Stimme. „Die Zeit wird es zeigen."
„Mir bleibt nicht mehr viel Zeit", erwiderte ich, die Aussprache der Wörter plötzlich präziser. Es war das erste Mal, dass ich dieses Thema anschnitt. Jonathan würde kommen und wahrscheinlich würde ich bei dem Versuch sterben, ihn aufzuhalten. Ich rechnete damit.
Ob Jace meine Anspielung verstand oder nicht, aber seine Hände wanderten zu meiner Taille. Zögerlich. Als überlegte er. Als wägte er ab. Es war der Alkohol, der meinen Körper zu ihm lehnte, der mich gegen ihn drückte, bis ich seinen Atem auf meinen Lippen spürte. Die Wärme, die von ihm ausging, selbst hier draußen in der Kälte, verstärkte das Pulsieren des Bluts in meinen Ohren. Ich war mir sicher, dass Jace das Klopfen meines Herzens durch mein Kleid hindurch spüren konnte. Und wie es beschleunigte.
„Was ist mit Adam?", fragte Jace dann. Rau und atemlos. Seine starken Arme fest um meinen Rücken geschlungen.
Mein Kopf schien sich von selbst zu drehen. Die freundschaftliche Zuneigung, die ich zu Adam verspürt hatte, war verpufft als ich die Wahrheit erkannt hatte. Eine Wahrheit von der ich Jace erzählen musste. Auch wenn ich nicht wusste, wie ich diese Tatsache über meine Zunge bringen sollte. „Ich empfinde nichts für Adam."
Anders als im Feenreich, wo Jace mich an ihn gezogen hatte, war ich es nun, die die Hände nach ihm ausstreckte. Wie auf der Tanzfläche fanden sie ihren Weg in seinen Nacken, vergruben sich dort im Kragen seines Hemds. Der weitsichtige, scharfsinnige Teil von mir würde die Gefühle in meinem Bauch leugnen, würde sie auf den Alkohol schieben. Doch dieser war für den Moment nicht am Zug. Der Teil von mir, der sich nach Nähe und Bindung und nach den vielen Dingen sehnte, die mir immer verwehrt gewesen waren, würde sich bewusst sein, dass das hier nichts mit Alkohol zu tun hatte. Sobald der letzte Alkohol meinen Körper verließ, würde der mächtigere Teil wieder Kontrolle über mich übernehmen, würde das Chaos aufräumen müssen; würde den schwächeren Teil zurück in die Zelle schieben, die am Grund meines Bewusstseins lag. Doch für diesen Moment, für diese Nacht, war mein schwächerer Teil am Zug.
Ich lehnte mich nach vorn, um meine Lippen gegen seine zu pressen und Jace kam mir entgegen. Er zog mich förmlich näher an sich heran, als hätte auch er seine Barrieren über Bord geworfen. Nur für diesen einen Moment. Jace' Finger glitten fort von meinem Rücken, hoch zu meinen Wangen, dann in die Grube zwischen Kopf und Nacken, in mein Haar. Sein Mund glitt über meinen und ich verlor den Bezug zur Realität.
Wir bewegten uns. Keine Ahnung, wer damit anfing. Unsere Füße stolperten übereinander. Unsere Atemzüge trafen aufeinander und gerieten ins Stocken. Mein Rücken prallte gegen die kalte Fassade eines Gebäudes, aber ich hatte die Orientierung verloren. Alles was ich spürte war Jace' Mund, der sich fordernd gegen meinen presste. Gierig wie ein Atemloser, der dem Sauerstoff folgte. Ein Seufzen ging mir über die Lippen. Möglicherweise sein Name, aber ich war zu weit weg vom Hier und Jetzt. Das hier war eine neue Art der Trance zu der nur Jace und ich Zugang hatten.
Und dann platzte die Blase. Plötzlich und unvorhersehbar. Es fühlte sich an über den Rand einer Klippe gestoßen zu werden und auf am Grund in tausend kleine Teile zu zerschellen. Aber diesmal versuchte Jace nicht, diese Blase wiederherzustellen. Er versuchte nicht, erneut in diese Trance abzugleiten. Nein. Er war es gewesen, der sie zum Platzen gebracht hatte.
Jace riss den Kopf zurück und stolperte dann so hastig nach hinten, als hätte er sich verbrannt. Als hätte ich ihn verbrannt. Mein benebeltes Hirn bekam es nicht auf die Reihe, das Bild vor meinen Augen widerzugeben. Da war sein Gesicht, aber mehr sah ich in der Dunkelheit nicht. Alles andere war ein verschwommenes Schwarz in den Schatten der Abkommenshalle, gegen welche ich lehnte. Die Kälte der Fassade fraß sich durch das Jackett hindurch, als wäre der Stoff gar nicht da.
„Was– Was ist los?" Meine Stimme war ein einziges Stammeln. Ich war in einem Rausch. Eine Mischung aus Alkohol und Leidenschaft. Eine gefährliche, idiotische Mischung, wie sich nun rausstellte.
Jace' Gesicht versteifte sich, wurde hart wie der Stein in meinem Rücken. Für eine Sekunde. Dann sah ich die Verzweiflung, die Schuld, in seinen goldenen Augen aufflimmern. Hilflosigkeit. „Es tut mir leid", murmelte er. Distanziert. Er brachte mehr Abstand zwischen uns und die aufkeimende Abweisung breitete sich wie Gift in meiner Brust aus. Die sich aufstauenden Tränen brannten hinter meinen Augenlidern, aber ich wagte es nicht – selbst in diesem verdammten Zustand – sie fallenzulassen. „Ich dachte, dass ich es könnte, aber ich weiß es nicht ..."
Das war es also. Das Thema spukte also noch in seinem Kopf herum. Das leidige Morgenstern-Thema. Ich zwang mein Kinn zu einem schwachen Nicken. Geh. Dreh dich um und geh.
Und genau das tat Jace. Nicht ohne sich ein weiteres Mal zu entschuldigen. Er verschwand in die Abkommenshalle. Das dumpfe Zuschlagen der Tore war das Letzte, was ich hörte, bevor ich es den Tränen erlaubte, zu fallen.
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Was soll ich sagen? Ich liebe dieses Kapitel, haha. Clace nimmt weiter an Fahrt auf! ;) Falls ihr das Kapitel ebenfalls mochtet, lasst bitte ein Herz da und kommentiert! :)
Bis in zwei Wochen
Skyllen :)
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