Kapitel 56 - Is This Friendship

Kapitel 56 – Is This Friendship

Die Musik um uns herum war eine Mischung aus schnellen Schritten und langen Drehungen und obwohl ich die Ähnlichkeit zu einigen Kampftechniken erkennen konnte, hatte ich nicht genug Übung, um mein herausragendes Ich zu spielen. Ganz im Gegenteil zu Jace. Ein theatralisches Seufzen glitt mir über die Lippen, als er mich in einer weiteren perfekten Schrittfolge durch die tanzenden Menschen führte. Die Choreografie fehlerfrei, als hätte er bereits sein ganzes Leben getanzt.

„Du bist perfekt", kam es aus mir heraus, als er in Reaktion eine seiner blonden Brauen hob. Ich biss mir auf die Zunge, sobald die Worte aus meinem Mund stolperten. War das der großartige Effekt des Alkohols, von dem Adam so geschwärmt hatte?

„Ach, bin ich das?", surrte Jace, ein einnehmendes Grinsen auf sein Gesicht gepflastert. „Obwohl ich das natürlich bereits wusste, ist es immer wieder schön, es zu hören."

„Vergiss es", murmelte ich zu leise, um über die Musik zu ihm getragen zu werden. Seine Mundwinkel schoben sich weiter nach oben. Wahrscheinlich hatte er die Worte auf meinen Lippen gelesen.

Wir flogen über die Tanzfläche, meine Füße unter mir leicht wie der Wind, die Menschen um uns herum nichts als verschwommene Bilder am Rand meiner Wahrnehmung. Alles davon rückte in den Hintergrund, weil das Zentrum meiner Aufmerksamkeit allein auf Jace' Gesicht gerichtet war. Das flüssige Gold um seine Pupillen reflektierte die Kerzen des Saals, funkelte dunkel wie Bernstein und hell wie die Sonne selbst. Je länger ich hineinstarrte, desto schwieriger wurde es, mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Ich hatte keine Kontrolle über meinen Körper, wusste nicht einmal, wie sich meine Beine vorwärtsbewegten, ohne übereinander zu stolpern. Alles was ich spürte war seine Hand an meinem Rücken, seine Finger verschränkt mit meinen, sein Atem auf meiner Haut. Jace war alles, was ich sehen konnte, weil sein Strahlen so hell war, dass er, obwohl er mich blendete, es mir unmöglich machte, fortzuschauen. Mit jedem Zentimeter, den seine Lippen sich nach oben zogen, fiel ich tiefer in die Hypnose herab, aus der ich mich weder lösen konnte noch wollte. Hypnotisiert von dem Licht in seinen Augen.

Wir drehten uns, Gesichter so nah beieinander, dass ich es nicht wagte, zu atmen. Zu groß war die Furcht, dass auch nur der kleinste Atemzug das Kartenhaus zum Einsturz bringen würde; dass ich aus diesem Traum aufwachen und mich in meiner üblichen Welt aus Chaos, Schmerz und Tod wiederfinden würde. Denn tief in meiner Brust, durch den Alkohol in meinem Blut in eine Zelle weggesperrt, hämmerte eine panische Stimme eine Warnung gegen die Zellentür. Vergiss nicht wer du bist. Vergiss nicht, welches Schicksal dir droht. Vergiss nicht das Erbe, welches auf deinen Schultern liegt.

Adam hatte dafür gesorgt, dass diese Stimme kaum lauter als ein Flüstern in meinem Hinterkopf war. Leicht ausblendbar. Zumindest vorerst. Also schob ich den Sturm in meinem Inneren von mir, wagte meine Brust weiter zu Jace' heran und gab mich dem Strahlen hin, welches all die Ängste zu Staub verbrannte. Wie in Reaktion auf meinen Gedanken festigte Jace seinen Griff um meinen Rücken, zog mich noch näher zu sich und als ich zu lachen begann – ein seltenes, fröhliches Lachen – breitete sich eine Erfüllung auf seinen Zügen aus, die über schlichte Zufriedenheit hinausging. Eine Ernsthaftigkeit, die ich nicht zuordnen konnte, die auf seinem Gesicht erstrahlte, als er meinen Körper losließ, nur um mich einmal um die eigene Achse zu wirbeln und dann noch enger an sich zu drücken.

Dann kam Jace so plötzlich zum Stehen, dass meine Füße sicher aus der Reihe getanzt wären, wenn unsere Körper nicht vollkommen synchron gewesen wären. Als würde ich automatisch reagieren, wenn er es tat. Die Furcht, dass die Blase platzen würde, breitete eine unerträgliche Kälte in meinen Adern aus. Ich sendete meine Sinne aus, schaute mich um, spitzte die Ohren, suchte nach dem Fehler in der Perfektion. Doch da war kein Fehler, keine Bedrohung, wie mein Bewusstsein erleichtert feststellte.

Es war die Musik, die sich verändert hatte. Der schnelle, kämpferische Rhythmus hatte sich in einen langsamen, melancholischeren Takt verwandelt. Jace hatte den Kopf zu mir gesenkt und Unsicherheit spiegelte sich dort, wo eben dieses unbändige Feuer geglüht hatte. Als ich keine Anstalten machte, mich von ihm zu lösen, wanderte die Hand, die bisher meine Finger gehalten hatte, herab zu meiner Taille.

Ich dachte nicht nach. Ich handelte; tat genau das, was mein Körper wollte. Meine Hände glitten hinauf zu Jace' Nacken, meine Arme schlangen sich um seinen Hals, meine Wange lehnte sich gegen seine Schulter. Wie von selbst. Und Jace antwortete, wie von selbst, indem er mich so eng zu sich heranzog, dass unsere Körper für diesen einen Moment auf der Tanzfläche zu einem verschmolzen.

Diesmal hatte ich keine Probleme, seinen Schritten zu folgen. Es war kaum mehr als ein Schritt vor und zurück, so simpel, dass ich die Augen schließen und den Saal, die Menge, den Tumult ausblenden konnte. Jace roch nicht nach Winter oder Kälte, der vor den Toren der Abkommenshalle tobte. Der Duft nach holzig-süßem Ahorn und frischem Frühlingswind ließ mich vergessen, wer wir waren, was wir bald schon würden tun müssen. Nur die Gewissheit, dass ich für diesen einen Moment in seinen Armen lag, schien für mein Herz gerade relevant zu sein. Ich wusste, dass ein Teil von mir es morgen bereuen würde. Nicht weil es nicht meinen wahren Emotionen entsprang, sondern weil es alles so viel schwieriger machen würde.

Das Lied ging viel zu schnell zu Ende. Eine Vorahnung machte sich in meinen Muskeln breit, als würden meine Sinne selbst jetzt noch dafür sorgen, dass ich am Leben blieb. Und mein Unterbewusstsein behielt recht. Denn kaum hatte ich meine Hände von Jace gelöst, tauchte Adam bereits neben uns auf, Isabelle im Schlepptau. Ich spürte, wie die Blase, in der Jace und ich geschwebt hatten, zerplatzte. Die Realität regnete auf mich herab, nicht schmerzhaft, aber dennoch unangenehm. Ich blinzelte und als Jace sich die Unterarme rieb, die eben noch um meinen Körper geschlungen gewesen waren, wusste ich, dass er das Platzen nicht weniger laut gehört hatte als ich.

„Wie wär's wenn wir Partner tauschen?", fragte Adam, die Höflichkeit in seinem Ton überspitzt. Ein anstrengend wirkendes Lächeln auf dem Gesicht. Isabelle sah resigniert aus und in ihren dunklen Augen lag eine stumme Entschuldigung.

Jace beachtete weder Adam noch Isabelle. Seine Aufmerksamkeit ruhte weiter auf mir, nur auf mir, als versuchte er, den alten Fokus zurückzuerlangen. Als versuchte er, die alte Blase erneut heraufzubeschwören. Bevor die Sekunde sich in einen unangenehmen Moment verwandelte, schritt er zurück, jede Wärme nun außerhalb meiner Reichweite.

Zögerlich griff ich nach der Hand, die Adam mir hinhielt und verglich sie automatisch mit der von Jace. Kleiner, kälter, rauer. Adam schien nicht abwarten zu wollen. Isabelle und ich tauschten Plätze und Jace übermittelte mir über ihre Schultern ein Zwinkern, welches mich beinahe zum Stolpern brachte. Ich hörte ihn lachen, während Adam uns so positionierte, dass ihm nun mein Rücken zugewandt war.

In dem Tanz mit Adam war nichts von der Leichtigkeit, die mir eben bei Jace noch durch das Blut geflossen war. Ich brauchte einen halben Tanz, um mich an die neue Dynamik zu gewöhnen. Dieselbe fehlerfreie Choreografie, aber ohne den graziösen Elan, den Jace jeder seiner Bewegungen verlieh. Während Jace seinen Körper sprechen ließ, nutzte Adam seinen Mund. Er machte Witze, während er mich durch die Menge wirbelte und lachte, als es mir nicht gelang, vollends die Balance zu halten.

Adam und ich waren beste Freunde und als solche fiel es uns nicht schwer, den Tanz in etwas Eigenes zu verwandeln. Ich merkte, wie ich bald in eine andere Art von Trance abglitt. Die Unschärfe am Rande meiner Sicht breitete sich langsam weiter in Richtung meines Fokus' aus. Es störte mich nicht. Nicht, wo ich ohnehin nur wenig scharf sehen konnte, dank Adams fließenden, schwungvollen Drehungen.

Adams dunkelgrüne Augen glühten, ein ehrliches, zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht. Ich konnte nicht anders als zurückzulächeln. Wir flogen über die Tanzfläche, zwischen den anderen Paaren hindurch und ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf Isabelle, die an Raphaels Schultern hing, ein mörderisch heiteres Grinsen von blutroten Lippen eingerahmt. Ich lachte, Adam lachte und als hätte sie unsere Aufmerksamkeit auf sich gespürt, begann auch sie zu lachen. Raphael hatte Jace wohl bereits nach dem ersten Tanz abgelöst. Wir drehten uns zu schnell, als dass ich ihn in der Menge ausmachen könnte.

Irgendwann, ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, verließen auch wir die Tanzfläche. In der einen Sekunde hatte ich Adams Finger zwischen meinen gespürt, in der nächsten drückte er mir ein Glas mit dieser pinken Flüssigkeit in die Hand. Wir wandten uns weiter zu Melodien um die eigene Achse und umeinander herum, aber diesmal abseits der Tanzfläche, umgeben von vielen anderen Körpern. Ich hatte keine Ahnung, wo im Saal wir uns befanden, irgendwo in der Nähe einer Getränkeausgabe. Um uns herum befanden sich Schattenjäger und Schattenwesen gleichermaßen. Kichernd, tanzend, redend. Ihre Pupillen groß, in ihren Händen Getränke, ihr Atem erfüllt von der künstlichen Süße des Alkohols. Wenn das hier die Feier war, die Isabelle organisiert hatte, dann würden spätestens morgen dafür einige Köpfe rollen.

Ich drehte mich zu Adam und er schmunzelte bei dem Ausdruck in meinen Augen, als hätte er meine Gedanken gelesen. Meine Finger umklammerten provisorisch seinen Oberarm. Mein Gleichgewichtssinn hatte nachgelassen, ebenso wie meine Wahrnehmung. Vom Schwindel spürte ich nichts, anders als Jace behauptet hatte. Die Welt drehte sich zwar ein wenig, aber gleichmäßig genug, um die Kontrolle zu behalten. Und ein Teil von mir bettelte darum, diese Kontrolle abzugeben; meine Sinne abzugeben. Auch wenn sie alles waren, worauf ich mich verlassen konnte. Da war etwas tief in meiner Brust, das darum flehte, einmal loslassen zu können; einmal zu vergessen, wie es war, diese übermenschlichen Reflexe zu haben. Ich wollte die Führung abgeben, wollte nicht länger in den Sog meines eigenen Verderbens gezogen werden. Denn ohne die Kräfte, die ich besaß, wäre ich eine gewöhnliche Schattenjägerin gewesen. Ich hätte ein gewöhnliches Schattenjägerleben führen können. Ohne Furcht vor mehr. Ohne Furcht vor den Konsequenzen dieser Kraft, dieser Macht.

Also nahm ich die Gläser, die Adam wieder und wieder an mich weitergab, bis ich aufhörte zu zählen. Anders als Jace, der mir ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit gab, gab Adam mir das Gefühl, aus meiner Haut schlüpfen zu können. Wo sonst der fürsorgliche, gesetzestreue Freund war, war heute ein aufgeregter, lebenslustiger junger Mann, der sich ebenso gehen ließ wie ich mich. Mit jedem Getränk bekam ich mehr und mehr das Gefühl, dass nicht nur ich versuchte, für heute jemand anders zu sein. Er benahm sich ebenso anders wie ich. Als würde auch er vergessen wollen, selbst wenn ich nicht sagen konnte, was.

Adam stellte mich einigen seiner Freunde aus Toronto vor, doch ich vergaß ihre Namen und Gesichter sobald sie uns den Rücken zukehrten. Wären da nicht die Unmengen an Alkohol in meinem System, wären mir ihre verzerrten Lächeln sicher aufgefallen, die sie für mich übrighatten. Selbstgefällig, schadenfroh, wissend. Aber im Rausch bemerkte ich nichts.

Später, als der Alkohol langsam aber sicher an Überhand zu gewinnen schien, hörte ich auf zu trinken. Adam hob die Schultern und leerte das Glas, welches er eigentlich mir hatte geben wollen. „Wie kann es sein, dass du so nüchtern bist?", fragte ich, die Silben meiner Worte seltsam aneinandergereiht.

Adam schaute an sich herunter. Seine Wangen zuckten, als hielt er ein Grinsen zurück. „Naja, nüchtern bin ich nicht, aber ich vertrage halt mehr. Ich bin an den Alkohol gewöhnt." Seine Zähne blitzten im farbenfrohen Schein der bunten Mosaikfenster.

Ich bin an den Alkohol gewöhnt. Wäre ich bei klarem Verstand gewesen, hätte ich nachgehakt. Stattdessen griff ich nach Adams Arm und ließ mich von ihm durch die Menge geleiten. Meine eigenen Füße versagten dabei, ihre Dienste aufrecht zu erhalten.

Aus dem Saal war ein Flimmern aus Farben, Kerzenflackern und Finsternis geworden. Meine Sicht war vollends verzerrt. Ich konnte kaum Adams Züge scharfstellen, nur wenn ich die Augen zusammenkniff und mich anstrengte. Meine Brust hatte sich in ein einziges Eisfeld verwandelt. Da war eine Taubheit, die mit jedem Schlag meines Herzens weiter durch meine Adern gepumpt wurde. Je länger der Effekt anhielt, desto weniger spürte ich. Jede Berührung war dumpf gegen meine Haut. Allein die Gewissheit, dass ich frei von jeder Kontrolle war, hielt das Lächeln auf meinem Gesicht aufrecht; ließ die Euphorie Hand in Hand mit der Taubheit durch mein Blut sausen.

Adam schien sich nicht daran zu stören, den Großteil meines Gewichts tragen zu müssen. Sein rechter Arm war um meine Schultern geschlungen und er hielt mich mühelos aufrecht. „Wo gehen wir hin?", fragte ich schließlich. Bisher waren wir mehr oder weniger wahllos durch die Halle spaziert, aber jetzt steuerte Adam auf den finsteren Gang zu, der nach draußen auf den Platz des Erzengels führte.

Anstatt mir eine Antwort zu geben, senkte Adam sein Kinn und betrachtete mich prüfend. Ich konnte seinen Ausdruck nicht lesen, obwohl ich nah genug war. Dann, als hätte er sich anders entschieden, löste er den Arm von mir und drehte mir vollends den Körper zu. Eine seltsame, mir fremde Regung huschte über sein Gesicht. Zögerlich, zweigeteilt, berechnend.

Ich legte den Kopf schief und wartete darauf, dass Adam zu sprechen begann. Der Tatendrang von eben wich einer Ernsthaftigkeit und ich erwiderte diese mit einem Lächeln, weil ich das Gefühl bekam, dass er sich aus einem mir nicht erklärlichen Grund über mich lustig machte.

„Ich muss dir etwas sagen." Etwas an der Art, wie die Worte ihm über die Zunge gingen, rüttelte an den Grundpfeilern der Ignoranz, die ich mir über den Abend aufgebaut hatte. Keine Probleme, das hier ist kein Ort für Probleme, schrie eine Stimme, die sich weiter der Sorglosigkeit hingeben wollte.

„Dann sag es", erwiderte ich stattdessen, weil ich mich daran erinnerte, dass Adam mein Freund und ich ihm meine Aufmerksamkeit schuldig war.

Ich hatte erwartet, dass Adam erneut den Mund öffnen würde; dass er sich erklären würde. Stattdessen lehnte sein Körper sich in meine Richtung. Seine Hände landeten auf meinen Schlüsselbeinen, zogen mich zu sich heran. Anders als zuvor. Das hier war anders. Das hier hatte nichts mit Freundschaft zu tun. Unter mir verfielen meine Muskeln mit einem Mal in eine Stille. Mein Herz begann zu rasen. Das Grinsen verschwand von meinem Gesicht. So viele Signale, aber Adam schien keines davon mitzukriegen. Vielleicht wollte er aber auch nicht.

Schließlich ging Adam doch ein leises Seufzen über die Lippen und ich hoffte bereits, dass ich die gesamte Situation nur grotesk missverstanden hatte. „Ich wollte das, was zwischen uns ist, schon lange ansprechen", sagte er und der Nebel um meinen Kopf klärte sich. Zumindest so weit wie es der Alkohol erlaubte.

Ich wollte einen Schritt zurückmachen, wollte Distanz zwischen uns bringen, aber Adams Finger gruben sich in den Stoff meines Kleides; drückten meine Schultern weiter zu sich. Dann hob er eine Hand an meine Wange, strich über den Wangenknochen, blickte mir direkt in die geweiteten Augen – starrte direkt die Warnung, die mir wortwörtlich im Gesicht abzulesen war – und küsste mich.

Ich zuckte zurück, so heftig, dass unsere Nasen gegeneinander krachten und versuchte, mich von Adam zu lösen. „Was machst du da?" Adam schaute verdattert zu mir herab, während ich nur seine Hände von meinem Körper fortkriegen wollte.

Irgendwie gelang es mir, mich vollends von Adam zu befreien. Ich machte einen Satz zurück und stolperte fast bei dem Versuch, meine zitternden Füße ohne seine Hilfe zu benutzen. In einer schnellen Bewegung scannte ich die nähere Umgebung, nur um zu realisieren, dass sich alles um mich drehte wie auf einem Karussell; dass die Gestalten um mich verformt und unscharf waren. Ich war nicht in der Lage, ihre Merkmale auszumachen, konnte nur Farben und Formen erkennen. Ich hob die Hände, hielt sie totenstill in der Luft und schaute dabei zu, wie aus einem Paar zwei wurden, wie die Schatten auf meiner Haut tanzten und das Licht mal hell mal dunkel wurde. Meine Sinne waren unzuverlässig. Genau so wie ich es gewollt hatte. Plötzlich wurde mir klar, dass Adam es von Anfang an genau so geplant haben musste. Plötzlich ergab sein sonderbares Verhalten von heute einen Sinn und ich verstand, weshalb er aus seiner Haut hatte schlüpfen wollen. Für diesen exakten Moment.

Adams Finger griffen nach meinem Ellbogen, versuchten, mich zu stabilisieren, aber ich schritt weiter zurück, riss meinen Kopf hoch, um meine Augen in seine zu bohren. Auch wenn es mich jede Konzentration kostete, diese überhaupt klar vor mir zu sehen. „Fass mich nicht an." Ein einziges Zischen. „Du hast das alles geplant. Du wolltest mich in diesem Zustand haben, wenn du mich küsst. Du wolltest ..." Adam erwiderte meinen Blick, die Emotionen größtenteils verschwunden. Da lag etwas anderes unter der Oberfläche, etwas, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. Etwas in mir brach. So laut, dass ich fürchtete, ein Schluchzen hervorgebracht zu haben.

„Du wolltest mich gefügig machen", stellte ich schließlich fest und bekam die Bestätigung, als Adam keine Antwort gab. Er sah so aus, als wäre er in seiner eigenen Starre gefangen. Die Frage, die ich mich nicht traute, auszusprechen. Wofür gefügig machen?

Die Bilder der letzten Stunden ratterten in Windeseile durch mein Hirn, auch wenn die meisten davon schwammig und unscharf waren. Wofür gefügig machen? Wofür? Tanzen, trinken, seine Freunde, wieder trinken, wieder tanzen. Als ich versuchte, die Gesichter seiner Freunde heraufzubeschwören, war da nichts als Leere, aber der unangenehme Verdacht hatte sich bereits in meinem Bauch eingenistet. Plötzlich drängte sich eine andere Frage in den Vordergrund. Wo ist Blake? Er würde sich einen Abend wie diesen sicher nicht entgehen lassen. Und doch hatte ich ihn nirgends gesehen, auch wenn Adam ihn vielleicht mit Absicht umgangen hatte.

Die Leere in meiner Brust war schlimmer als die von der Nacht, in der Adam und ich uns auf dem Nachbardach von Blake Ashdowns Haus gegenübergestanden hatten. Das hier war schlimmer. Denn die Vorahnung in meinem Bauch ließ die Galle in meinem Magen aufsteigen.

„Ich muss gehen." Meine Stimme klang tonlos. Kalkulierend. Adams Augen trafen meine und als er den Arm ausstreckte, um mich zurückzuhalten, funkelte dort Erkenntnis. Du bist aufgeflogen. Ich habe dich durchschaut.

„Du kannst nicht gehen", sagte Adam. Bedauernd. Doch Adam war vom ersten Tag ein Schauspieler gewesen. Dieses Bedauern war nur sein letzter, kläglicher Versuch, mich von seiner Fassade zu überzeugen. Ich fragte nicht nach seinen Beweggründen. Mein Körper, egal ob betrunken oder nicht, handelte nach dem einzigen Instinkt, den ich kannte, als Adams Finger sich um mein Handgelenk schlossen, um mich bei ihm zu behalten.

„Du verstehst das nicht. Du musst mir zuhören, Clary."

Ich reckte das Kinn in die Luft und die Bewegung allein brachte meine Welt zum Wanken. Ich ließ mich davon nicht beirren. Ich wusste, dass Adam nicht wankte, dass er sich nicht bewegte. Ein stechender Schmerz pochte durch meine Schläfen, als ich jede Stärke zusammennahm, um mich ein letztes Mal seiner Präsenz zu entziehen. Ich zögerte nicht, erlaubte es mir nicht, innezuhalten, als ich ausholte und ihm mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. Genau so, wie ich es bei Kadir gemacht hatte.

Adam stolperte zur Seite, riss weitere Menschen gen Boden und weitete die Augen. Gemurmel kam auf. Ich wartete nicht darauf, was geschehen würde. Ich machte auf dem Absatz kehrt und flüchtete. Vor Adam und vor der Furcht, dass der Kuss nur eine Ablenkung für etwas Schlimmeres gewesen war.

oOo

Vom ersten Moment als Jace Clary heute gegenübergestanden hatte, hatte er gewusst, dass der heutige Abend besonders schwierig werden würde. Die letzten Tage waren sie sich so nah gewesen, ohne dass sich wirklich irgendetwas zwischen ihnen getan hatte und das war auch gut so. Er hatte das Gefühl, dass Clary in einer Phase der Trauer und des Bedauerns feststeckte. Ohne Zweifel die Folge von Jonathans überraschendem Besuch in der Garnison und der Tatsache, dass sie erneut Zeugin davon geworden war, wie wenig von ihrem Bruder noch in diesem Mann steckte, der seinen Namen trug.

Doch Clary heute in diesem funkelnden Kleid zu sehen, so abseits von der Rolle, in die ihr Vater sie gezwängt hatte, machte es Jace unmöglich, einen klaren Kopf zu behalten. Oder sich daran zu erinnern, weshalb er Distanz zu ihr aufrechterhalten musste. Also beobachtete er sie aus der Ferne, während sie und Adam durch den Saal spazierten, lachten und ihre Zeit offensichtlich genossen. Aber mit jeder verstreichenden Minute wurde das Bedürfnis, herüberzugehen und sie einfach von Adam fortzuziehen, größer und größer. Eine leise, frustrierte Stimme in Jace' Kopf flüsterte, dass er dort an ihrer Seite stehen sollte; dass er sie zum Lachen bringen sollte. Nicht Adam.

Nach diesem atemraubenden Tanz mit ihr war aus dem Flüstern ein Fordern geworden. Es kostete Jace all seine Anstrengung, das Kribbeln in seinen Muskeln zu ignorieren, die ihn dazu bewegen wollten, Clary nach einem weiteren zu fragen. Das Gefühl ihrer Finger an seinem Hals, ihrer Wange gegen seine Brust, seiner Hände um ihre Hüfte, brachten seine Haut zum Pochen. Ihren Körper so nahe an seinem hatte einen Knoten in seiner Kehle gelöst. Ihr kitzelndes Haar unter seinem Kinn hatte ein Gewicht von seinen Schultern gelöst, dessen Anwesenheit er sich bis zu diesem Moment nicht einmal bewusst gewesen war. Es war das erste Mal seit Wochen, dass er ungehemmt hatte atmen können. Als hätten seine Lungen einen Teil ihrer Funktion bis zu Clarys Anwesenheit nicht entfalten können.

Trotz allem schaute er nur zu, wie sich das Chaos vor seinen Augen entfaltete. Schon vor dem Tanz hatte Jace die Drinks kritisiert, die Adam ihr wieder und wieder reichte. Er hatte Clary erklärt, was passieren würde. Sie hatte keine Ahnung. Jeder Idiot konnte sehen, dass sie noch nie in ihrem Leben einen Schluck Alkohol getrunken hatte. Auf dem Schlachtfeld mochte sie eine Koryphäe sein, aber dieser Vorteil hatte sie um die Erfahrung in allen anderen Bereichen des Lebens beraubt.

Jace verlor Clary und Adam nicht ein einziges Mal aus den Augen, während diese sich in die Besinnungslosigkeit tranken. Zumindest Clary. Adam trank nicht weniger als sie, schien den Effekt jedoch gut wegzustecken. Was seltsam war. Bei der Menge an Alkohol müsste selbst er wackliger auf den Füßen unterwegs sein. Es rief eine alarmierende Sorge in ihm wach.

„Sie sehen glücklich zusammen aus", bemerkte Alec neben ihm und Jace wagte einen Seitenblick in die Richtung seines Parabatai. Er und Magnus Bane hatten sich vor einer Weile zu ihm gesellt. Wahrscheinlich um zu reden oder weil seine Passivität sie wunderte. Als er auf keinen von Magnus' Köder angesprungen war, waren sie in beobachtendes Schweigen verfallen. Jace wunderte sich über die schnelle Freundschaft, die sich zwischen seinem besten Freund und dem Hexenmeister entwickelt hatte. Er war schlau genug, nicht nachzufragen. Ohnehin das hier nicht der richtige Zeitpunkt war.

Clary und Adam sahen tatsächlich glücklich aus. Ein breites Lächeln lag auf Clarys Gesicht. Anders als das Lächeln, welches sie Jace vorhin auf der Tanzfläche zugeworfen hatte. Weniger anwesend. Als hätte der Alkohol sich bereits durch jegliche Nerven gefressen und nur die Hülle ihres Körpers zurückgelassen. Jace hatte sie noch nie so viel lächeln sehen wie heute, in den letzten Tagen schon gar nicht. Etwas in seinem Magen zog sich bei dem Anblick zusammen. Nein, Clary war nicht glücklich. Und gerade deshalb hatte sie wahrscheinlich auch so viel getrunken. Um zu vergessen. Oder zumindest der Versuch, zu vergessen.

Adam hingegen ... Seine Stimmung hatte sich verändert, als Clary aufgehört hatte, seine Gläser anzunehmen. Jace kannte Adam seit mehr als einem Jahr und hatte ihn in der gesamten Zeit in New York nie so gesehen wie in den letzten Monaten. Klar, er war höflich und freundlich gewesen. Aber sein Verhalten gegenüber Clary war anders. Er hatte ihr vom ersten Tag an alles recht machen wollen; hatte seine Oberflächlichkeit und Abgehobenheit vor ihr versteckt. Und die Frage, die ihn und auch Isabelle beschäftigte war, weshalb. Jace wollte bejahen, dass der Anblick von Clary an Adams Seite ihn kaltließ. Aber das Gegenteil war der Fall. Adams Einfluss auf sie störte ihn, Adams Nähe zu ihr nagte an ihm. Seit Blake Ashdown Clary um Haaresbreite in diesen dunklen Kanal geworfen hatte, war seine Abneigung Adam gegenüber nur exponentiell gestiegen. Seit dem Streit, den Isabelle und er mit Adam ausgefochten hatten, während Clary in den Basilias um ihr Leben gekämpft hatte. Doch nachdem Adam mitten in der Nacht auf Blakes Dach Wache gehalten hatte, hatte Jace mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gewusst, dass etwas im Busch war. Etwas, das Clary in die Tiefe ziehen würde, wenn niemand achtgab.

Das war der Grund, weshalb Jace seine Augen nicht von Clary und Adam löste, weshalb er jeden ihrer Schritte verfolgte. Adam stellte ihr seine Freunde vor. Schattenjäger aus Toronto, die Jace nur vom Sehen kannte. Drei Jungs, etwas älter als Adam selbst. Bei den eingeweihten, höhnischen Blicken hatte er bereits einen Schritt nach vorn gemacht, war jedoch von Alec zurückgehalten worden. Schüttelnder Kopf, Geduld in seinen dunkelblauen Augen. Warte. Lass uns schauen, wo das hinführt.

Und dann, nahe Mitternacht, zeigte sich, wie richtig er lag.

„Das arme Ding hat keine Ahnung, was dieses Zeug auslöst", murmelte Magnus mit Anspielung auf den Alkohol, der Clary mittlerweile deutlich anzusehen war, obwohl sie schon vor einer Weile mit dem Trinken aufgehört hatte.

Adam hatte ihr seinen Arm um den Rücken geschlungen. Ihr Kleid ließ Clary immer noch elegant und zeitlos aussehen. Selbst in ihrer Montur hatte sie diesen Effekt, aber jetzt fehlte die Geschmeidigkeit in ihren Bewegungen. Es sah nicht so aus, als könnte sie ihr Gewicht allein tragen. Ihre weiten Augen strahlten zwar Euphorie aus, aber ihre Umgebung schien sie dabei nicht wirklich wahrzunehmen.

„Dass Valentin sie ihr ganzes Leben weggesperrt hat, wird ihr noch das Genick brechen", murmelte Alec grimmig in Magnus' Richtung, aber dank der Hörbarkeitsrune verstand Jace die Worte trotzdem. Alec hatte recht. Eine verlorene Jugend ließ sich nicht an einem Abend aufholen. Während sich gewöhnliche Schattenjäger für Jahre ausprobieren konnten, hatte Valentin Clary und Jonathan jegliche Freiheiten dazu genommen. Clary hatte keine Ahnung, was Freiheit war. Selbst jetzt in Alicante war sie dank seiner Großmutter an Regeln gebunden. Es war kein Wunder, dass sie mit aller Kraft versuchte, diese Freiheit anderswo zu finden. Oh ja, das wird ihr das Genick brechen.

Adam hatte seinen Kurs geändert. Eben waren sie noch in aller Seelenruhe zwischen den Schattenjägern und Schattenwesen hindurchspaziert, jetzt nahm sein Tempo mit einem Mal etwas an Fahrt auf. Schnelle Schritte steuerten ihn und Clary auf den Ausgang der Abkommenshalle zu. Die Finsternis im Gang zu den Türen nach draußen wirkte von der anderen Seite des Saals geradezu verschluckend. Sobald sie diese erreichten, würde Adam verschwunden sein, da war Jace sich plötzlich ziemlich sicher. Und Clary mit ihm.

Jace' Muskeln zuckten in der Antizipation, sich auf sie zuzubewegen. Wäre da nicht Alecs Hand auf seiner Schulter, die ihn weiterhin zurückhielt. Warte. Nur noch ein kleines bisschen.

Clary schien doch nicht so abwesend zu sein, wie gedacht. Sie runzelte die Stirn, als der Ausgang vor ihnen auftauchte und nach einem kurzen Wortwechsel zwischen Adam und ihr, ließ er sie mit einem Mal los. Die Belustigung auf ihrem zierlichen Gesicht verwandelte sich erst in Verwirrung und dann, als Adam seine Hände auf ihre Schultern legte und sich zu ihr herabbeugte, mit einem Mal in panisches Unbehagen.

Selbst von der anderen Seite der Halle konnte Jace das Versteifen von Clarys Körper erkennen, als Adam seine Lippen auf ihre presste. Die Verneinung, die durch ihren Körper zuckte und von seiner Seite aus mit Ignoranz begegnet wurde. Als Jace sich diesmal nach vorn bewegte, hinderte Alec ihn nicht daran. Sekunden später bahnte er sich einen Weg durch die tanzenden, kichernden Menschen, die plötzlich in den Hintergrund rückten, weil er nichts außer Clary und Adam vor sich sehen konnte.

Jace' Herz machte einen unangenehmen Satz als er die Erkenntnis auf Clarys Gesicht aufblitzen sah, als sie sich umschaute und ihr anzusehen war, dass sie jegliche Orientierung verloren hatte; dass sie Adam ausgeliefert war. Sie wechselten einige wenige Worte. Adam griff erneut nach ihr, aber Clary brachte mehr Abstand zwischen sie. Eine brennende Wut hatte ihren Weg auf ihre Züge gefunden, flammend genug, um Adam innehalten zu lassen.

Und dann, Jace hatte nicht einmal die Hälfte der riesigen Halle durchquert, holte sie aus und schlug ihn mit voller Wucht ins Gesicht. Adam taumelte und stürzte zu Boden, riss weitere Menschen mit sich. Clary drehte sich um und rannte fort, raus aus der Abkommenshalle. Jace folgte ihr, ohne einen Gedanken daran verschwenden zu müssen; ohne Adam weiter Beachtung zu schenken. 


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Drama, Drama, Drama. Was haltet ihr von diesem Kapitel? Es hat definitiv seine Höhen und Tiefen! Lasst es mich wissen. Über ein Herz für das Kapitel würde ich mich sehr freuen. :)

LG

Skyllen

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