Kapitel 47 - Time for Murder I

Kapitel 47 – Time for Murder Pt. 1

Ich war gesund. Mein Dämonenstich war geheilt. Mein Fieber war fort. Meine Muskeln fühlten sich an, als könnte ich problemlos mit ihnen ein Schwert schwingen. Ich war gesund. Die Tatsache, dass ich nicht mehr in den Basilias, sondern in meinem Bett im Haus der Lightwoods lag, bestätigte es. Mein Blick schweifte zur Seite und ich entdeckte Jace. Ich musste die Lippen aufeinanderpressen, um nicht zu schmunzeln. Irgendwie hatte ich mich an seine Anwesenheit neben meinem Bett gewöhnt.

Jace' Brust hob und senkte sich lautlos und so, wie er in dem Sessel hockte, würde er beim Aufwachen einen steifen Nacken haben. Zumindest war der Sessel eine Verbesserung zu dem mickrigen Stuhl, den man ihm in den Basilias zur Verfügung gestellt hatte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass man mich von dort hier her zurückgebracht hatte. Da daran mit großer Wahrscheinlichkeit auch der ein oder andere Stille Bruder beteiligt gewesen war, war ich froh darum.

Eine andere Frage beschäftigte mich. Wie lange hatte ich diesmal geschlafen? Ich spürte, dass das Schmerzmittel in meinen Venen abgeklungen war. Kein Gefühl von Trägheit war zurückgeblieben. Ich streckte einen Arm aus. Meine Muskeln fühlten sich starr an, aber das musste daran liegen, dass ich tagelang regungslos herumgelegen hatte. Ich fühlte mich überraschend fit. Auch mein Geist, der die vergangenen Tage Probleme gehabt hatte, auf Höchstleistung hochzufahren, war in voller Schärfe zurückgekehrt. Es war erfrischend, vom Nachdenken keine Kopfschmerzen zu bekommen.

Ich schaute mich im Zimmer um. Meine Sachen sahen unberührt aus. Das letzte Mal, als ich hier war, hatte ich mich für die Reise zum Anwesen meiner Eltern vorbereitet. Seitdem musste nun mindestens eine Woche vergangen sein. Genug Zeit für Valentin und Jonathan, die Welt ins Chaos zu stürzen. Abgesehen von der Ratssitzung und den wenigen Infos von Jace, hatte ich keine Ahnung, in welchem Zustand sich die Welt überhaupt befand.

Mein Blick schweifte zurück zu Jace, nur um einem Paar goldener Augen zu begegnen, die mich neugierig musterten. Hatte er überhaupt wirklich geschlafen? Er hatte sich keinen Zentimeter bewegt. Mehrere Sekunden lang sagte keiner etwas. Wir starrten uns gegenseitig in die Augen und schienen abzuwarten; ich zumindest wusste nicht, was ich hätte sagen können. Ich durchforstete meinen Geist nach der letzten Erinnerung, nur um Adams aufgebrachtes Gesicht heraufzubeschwören. Isabelle war da, Alec ebenfalls. Im Nachhinein kam mir das Bild seltsam blass vor, als wäre eine ewig lange Zeit seitdem vergangen. Der Gedanke ließ mein Herz in Furcht schneller schlagen.

„Wie geht es dir?", fragte Jace in diesem Moment und ich hatte das Gefühl, diese Frage schon tausend Mal zuvor gehört zu haben. Allein sein Anblick erinnerte mich daran, dass nicht allzu viel Zeit vergangen sein konnte. Er sah nicht anders aus als in meiner Erinnerung.

Ich zögerte, schaute ein weiteres Mal an mir herunter, auf die Decke, die meinen Körper umgab; auf meine Hand, die auf den Daunen ruhte. Dann ließ ich langsam die Luft in meine Lungen strömen und die Worte formten sich auf meinen Stimmbändern; sie drückten überraschend weich gegen meine Kehle, als die Schwingungen sich in Laute verwandelten. Nach Tagen des Schlafs hätte ich mit mehr Widerstand gerechnet. „Mir geht es gut", sagte ich leise, aber kräftig und vielleicht lag die Stärke meiner Stimme tatsächlich an meiner wiederhergestellten Gesundheit. Sprechen stellte keine Schwierigkeit mehr für mich dar. „Besser als gut", fuhr ich fort und setzte mich gleichzeitig im Bett auf. „Mir geht es ausgezeichnet."

„Die Stillen Brüder haben ganze Arbeit geleistet." Jace sah zufrieden aus. „Langsam können sie einschätzen, wie viel Schmerzmittel sie dir geben müssen, um deinem Körper genug Zeit zur Erholung zu geben. Sie haben sich wirklich gut um dich gekümmert."

Der Gedanke, dass ich allein dank der Stillen Brüder wohlauf war, sträubte mir die Nackenhaare. Natürlich war ich dankbar, aber sie in meiner Nähe zu wissen war nach wie vor eine Überwindung. Wenigstens hatte ich von alldem nichts mitbekommen. „Wie viele Tage sind seit dem Besuch von Isabelle und Alec vergangen?"

Jace kniff die Augen zusammen, als ich Adams Namen nicht erwähnte, nickte jedoch schließlich. „Bruder Shadrach hat gestern Abend entschieden, dass es dir gut genug geht, um dich zu entlassen. Du bist erst seit heute Morgen hier, aber ..." Er machte eine Pause, lehnte sich in seinem Stuhl zur Seite und versuchte, von seiner Position aus dem Fenster gegenüber dem Bett zu schielen. „... da gerade die Sonne untergeht, sind es fast drei Tage."

Fast drei Tage. Mit den weiteren fünf Tagen, die ich seit der Ratsversammlung in den Basilias verbracht hatte, war mehr als eine Woche vergangen. Die Zeit rannte mir davon und alles, was ich tat, war, mich zu verletzen und zu regenerieren. Ich war zu schwach, um für irgendetwas nützlich zu sein. Wie sollte ich Jonathan und meinem Vater gegenübertreten, wenn ich mich an mein letztes Training nicht einmal erinnern konnte? Die Panik, die mich bereits in den Basilias überfallen hatte, kroch erneut meinen Rücken hinauf.

„Bist du sicher, dass es dir gut geht?" Jace' Stimme durchschnitt die Stille und ich musste mir Mühe geben, nicht zu zucken. Meine unfokussierten Augen wanderten zurück zu seinem Gesicht. Es war klar, dass wenn ich diesen Kampf gewinnen wollte, ich weder Schwäche noch Furcht zeigen durfte.

Also nickte ich, schob die Decke in einer schwungvollen Bewegung zur Seite und war für eine kurze Sekunde froh, dass ich etwas darunter anhatte, bevor ich Jace den Rücken zuwandte und vom Bett sprang. Kein Schwindel, kein Schmerz, nur ein leichtes Schwanken meiner erschlafften Glieder. Ich streckte meine Arme aus und spannte die Muskeln an. Glücklicherweise war ich nicht allzu sehr außer Form. Mit einigen Tagen Training, würde ich wieder ganz die Alte sein.

„Bestens", antwortete ich auf Jace' Frage und bemühte mich, möglichst gelassen zu klingen. Die Anspannung durfte nicht nach außen scheinen. Die Wut musste tief in meinem Inneren schlummern, bis der geeignete Zeitpunkt gekommen war, ihr Luft zu machen. Wenn Jace Wind von ihr bekam, würde er mein erstes Vorhaben als vollständig Genesene um einiges erschweren, wenn nicht auf unmögliche Dauer nach hinten verschieben.

Langsam und so lässig wie möglich drehte ich mich zu Jace, der mich trotz allem mit einem skeptischen Blick bedachte. Ich hatte das Gefühl, dass es mit jedem Tag schwieriger wurde, ihm mit meiner Fassade etwas vorzuspielen. „Habe ich in den letzten Tagen irgendetwas verpasst?"

Jace zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich. Meine Großmutter wartet weiterhin darauf, dass du gesund wirst, damit wir zur Feenkönigin reisen können", sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust, während er mich von unten hinauf beobachtete. „Wenn es dir so gut geht, wie du behauptest, dann werden wir die Reise nicht weiter aufschieben können."

Ich nickte und wanderte durch mein Zimmer zum Kleiderschrank. „Wir sollten das hinter uns bringen. Es ist sowieso schon zu viel Zeit vergangen."

Ich sah Jace' Nicken im Spiegel neben dem Schrank. Er erhob sich aus dem Stuhl, bewegte sich jedoch nicht. Als wüsste er nicht, ob er mir näherkommen wollte oder nicht. „Alec ist gerade in der Garnison. Mit seiner neuen Position hat er in den letzten Tagen viel um die Ohren gehabt. Wenn du nicht länger warten willst, werde ich ihn und die Inquisitorin benachrichtigen."

„Wie viel Zeit bleibt mir dann noch?" Mein Ton klang beiläufig, doch die Frage war von großem Interesse für mich. Mein Plan hing davon ab. Deshalb konnte ich nur hoffen, dass ich Jace mit meiner Gleichgültigkeit überzeugen konnte.

Jace zuckte mit den Schultern und ging in Richtung Tür. Auf seinem Gesicht zeichnete sich kein Durchschauen ab, aber das musste nichts heißen. Jace war gerissen genug, um mir etwas vorzuspielen, wenn er sich später daraus einen Vorteil erhoffte. „Sie wird wollen, dass wir frühestmöglich aufbrechen. Rechne mit morgen. Sie wird uns sicher keinen weiteren Tag in Alicante versauern lassen, wenn so viel von der Allianz mit den Elben abhängt."

„Dann solltest du wohl besser aufbrechen."

Jace nickte erneut, seine rechte Hand bereits an der Türklinke. Doch seine Füße hielten in ihrem Schritt inne, bewegten sich nicht vorwärts. Seine goldenen Augen fuhren zurück zu mir und etwas in seinem Starren führte unwillkürlich dazu, dass mein Körper sich anspannte. Er weiß es, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss. Er weiß, was ich vorhabe. Mein Herz machte einen unangenehmen Satz. Um die Nervosität zu überspielen, öffnete ich den Schrank; auf der Suche nach meiner Kampfmontur.

Jace' Blick war eindringlich, ernst, vielleicht ein wenig unsicher; aber etwas funkelte in seinen Pupillen. Nicht misstrauisch, aber wissend. Als könnte er mir in dieser Sekunde hinab in den letzten Zentimeter meiner Seele schauen, als hätte ich mich irgendwie verraten; als wüsste er genau, dass ich plante, Jagd auf Blake zu machen, sobald er das Haus verließ.

„Ich sollte nicht zu lange weg sein", sprach Jace in die Stille, die zu geladen zu sein schien, um harmlos zu sein. Mit einem Mal fühlte sich alles falsch an. Als könnte Jace nicht anders, als über meinen Plan Bescheid zu wissen. Als hätte ich mittlerweile selbst die einfachsten Sachen der Geheimhaltung verlernt.

Mein Kopf bewegte sich wie von selbst in abwesender Bestätigung, während meine Finger weiter im Schrank herumkramten. Dabei besaß ich kaum mehr als fünf Kleidungsstücke. Aber das konnte Jace nicht wissen, oder doch?

Mir entkam beinahe ein erleichtertes Seufzen, als Jace sich von mir wegdrehte und die Tür aufdrückte. „Mach nichts Dummes", sagte er zum Abschied und verschwand.

oOo

„Du musst mir versprechen, dass du niemandem hiervon erzählst. Besonders nicht Jace."

Isabelle grinste von ihrer Position auf ihrem Bett auf, wo sie sich ausgebreitet hatte wie eine Katze. Ihre dunklen Augen fuhren von mir zu der Box mit Dolchen und wieder zurück zu mir. „Das ist jetzt das dritte Mal, dass du das sagst. Ich bin nicht taub, Clary", kicherte sie und drehte sich auf den Rücken, sodass ihr schwarzes Haar über die Bettkante rutschte und wie ein Vorhang hinabfiel. Sie streckte die Arme von ihrem Körper ab, als würde sie sich strecken und warf mir dann einen etwas nüchterneren Blick zu. Der Fakt, dass ihr Kopf mich verkehrtherum betrachtete und sie ansonsten so gelassen wirkte – als würde sie nicht wissen, was ich im Schilde führte – machte es schwer, sie ernst zu nehmen. „Falls jemand fragen sollte, wieso deine Tür abgeschlossen ist, dann werde ich sagen, dass du dich schlecht gefühlt hast und deine Ruhe haben willst. Falls jemand trotzdem nach dir sehen will, werde ich sagen, dass du nicht gestört werden willst."

„Falls jemand meine Privatsphäre dennoch verletzen sollte, musst du sie davon abhalten, diese Tür zu öffnen. Ich meine es ernst, Izzy. Sobald diese Tür auf ist, habe ich ein Riesenproblem." Meine Finger glitten über die platinfarbenen Klingen, die so ordentlich in der Kiste sortiert waren, dass man beinahe das Gefühl bekam, sie wären reine Sammlerstücke und nicht für den Kampf gedacht.

Isabelle machte ein Geräusch, das wie eine Mischung aus einem Schnauben und Lachen klang. „Oh bitte, wir wissen doch beide, dass mit jemand niemand anderes als Jace gemeint ist. Er ist dir in der letzten Woche kaum mehr als ein paar Stunden von der Seite gewichen. Ich habe das Gefühl, er sei dein persönlicher Bodyguard." Sie kicherte und zwinkerte mir zu, als fände sie das Ganze unfassbar amüsant.

Ich verdrehte die Augen, seufzte jedoch schulterzuckend. „Und wenn es so wäre. Du musst ihn davon abhalten, in mein Zimmer zu kommen."

„Ich werde mein Bestes geben, das verspreche ich", erwiderte Isabelle, die Belustigung aus ihrem Ton verschwunden. Zurück blieb ein vielsagender, fundierter Ausdruck in ihren braunen Augen. Am Rande ihrer Lippen versuchte sich ein Schmunzeln durchzuringen. Sie wusste, was ich vorhatte, obwohl ich kein einziges Wort darüber verloren hatte und ein Teil von ihr schien froh darüber zu sein.

Es hatte gereicht, mit einem Klopfen in ihr Zimmer zu platzen, in aufbruchsbereiter Schattenjägermontur und mit Eosphoros an meinem Gurt, und sie hatte gewusst, wie der nächste Punkt auf meiner Agenda lautete. Der grimmige Blick auf meinem eigenen Gesicht, von dem ich mich irgendwie nicht lösen konnte und der Fakt, dass ich mir ihre Dolchsammlung ausleihen wollte, machten mein Vorhaben nur offensichtlicher. Mittlerweile war die Sonne am Horizont verschwunden. Jace war noch nicht lange weg, ich hatte mich beeilt, mich fertigzumachen. Ich konnte nicht sagen, wie lang sein Besuch in der Garnison dauern würde. Wenn ich Pech hatte, würde er ziemlich schnell gehen. Und ich wollte mir Zeit lassen.

„Ich danke dir." Für einen langen Moment starrten wir uns in die Augen, sowohl sie als auch ich etwas gedankenverloren. Meine Finger juckten in dem Verlangen, die Schwäche von meiner Haut abzuschütteln, als ließe sie sich so leicht loswerden. Meine Muskeln brannten in dem Verlangen, die Angst, die ich verspürte, zu vergelten. Mein Blut pulsierte in einem viel zu schnellen Rhythmus, weil ich wusste, dass Rache und Selbstjustiz kein Weg der Schattenjäger waren. Sie waren nicht ehrlos, sollten in einer Gesellschaft wie dieser jedoch überflüssig sein. Doch diese Gesellschaft schützte nicht mich, sondern die, die genug Macht innehatten, um sie sich zu erkaufen. Diese Gesellschaft verachtete mich, weil sie in mir genau diese ehrlose, kaltblütige Mörderin sah. Und genau deshalb, weil ich in ihren Augen ohnehin bereits verloren war, würde diese Tat nichts an meinem Ansehen verändern.

Isabelle brach den Blickkontakt ab, drehte sich auf den Bauch und richtete sich dann in eine sitzende Position auf. Die Bewegung ließ meinen Gedankenfluss innehalten. Nicht alle hielten mich für verloren. Isabelle kannte mich, sie wusste, dass ich nicht die war, für die sie mich hielten. Sie wusste, dass ich nicht das Monster meines Vaters war.

„Ich hoffe, du kriegst ihn", sagte sie und nun gelang es dem Lächeln, sich auf ihren Lippen durchzuschlagen. Etwas glitzerte in ihren Augen, als hoffte sie auf einen ganz bestimmten Ausgang des heutigen Abends. „Zahl es ihm heim."

Ich ließ die Luft aus meinen Lungen strömen und nickte. Ich fühlte mich beinahe erleichtert. Ich wollte Rache, wollte Vergeltung, fürchtete mich jedoch vor dem Preis, den ich dafür würde zahlen müssen. Nicht die gesetzlichen Konsequenzen. Der Rat würde mich nicht drankriegen, dafür war ich zu erfahren und zu gut ausgebildet. Nein. Ich fürchtete mich davor, dass die Meinungen der wenigen Menschen, die ich in den letzten Wochen für mich gewinnen konnte, sich ins Negative verschieben würden. Ein Dilemma, welches ich schon seit dem Angriff auf mich am Abwägen war. Der intakte, zuversichtliche Teil von mir wollte, dass ich mich endlich von den Lehren meines Vaters losriss; er wollte, dass ich Werte wie Rache und Ehre über Bord warf. Es würde mich zu einer gelasseneren, weitsichtigeren Kämpferin machen. Doch dieser Teil war zu klein, zu vieles in mir war bereits brüchig, am wanken und im Begriff, der Dunkelheit zu verfallen. Ich stand auf der richtigen Seite, was nicht bedeutete, dass meine Methoden ebenfalls richtig waren. Nach allem was ich verloren hatte, waren die Lektionen meines Vaters alles, woran ich mich noch klammern konnte; die letzten Reste meines alten Lebens. Ich hatte nicht vor, sie abzulegen. Ich hatte vor, sie mit mir ins Grab zu nehmen, wenn das alles hier vorbei war.

Nichtsdestotrotz war ich erleichtert darüber, zu wissen, dass diese Nacht Isabelles Urteil über mich nicht verändern würde. Ich hatte das Gefühl, dass sie sie sogar bestärken würde. Anders als Alec, der auf die Regeln des Rats pochte, war Isabelle der Dunkelheit näher. Nicht wie ich, ihr Leben war heil, aber sie spielte gern mit dem Feuer. Ihr war das Ziel wichtiger als der Weg dorthin. Sie war bereit, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, wenn sie aus dem Ruder liefen. Ich glaubte, das war einer der Gründe, weshalb wir so gut miteinander auskamen.

„Das hoffe ich auch", war alles was ich sagte, bevor ich Isabelle ihren Dingen überließ und mit den Dolchen zurück in mein eigenes Zimmer schlich.

oOo

Die Nacht war kalt und dunkel und genauso still, wie die Nacht, in der Blake Jace und mir auf dem Weg zurück zu den Basilias aufgelauert hatte. Ich atmete aus und der warme Sauerstoff bildete weiße Wölkchen in der Luft. Nun, da ich komplett die Alte war, machte mir die Kälte nichts aus. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, einen Mantel über die Montur zu ziehen. Meine rutschfesten Stiefel flogen über die Ziegel der Häuser unter mir, mein Körper spannte sich an und ich flog von der Kante eines Dachs zum nächsten. Was mir vor einigen Tagen noch wie ein Wunder erschienen war, war nun wieder ein Kinderspiel. Meine Muskeln brannten, sie wärmten meinen Körper von innen heraus. Keine Jacke war die richtige Entscheidung gewesen. Mir war nicht kalt, nicht wenn ich mich in Bewegung hielt. Der dicke Stoff wäre nur eine Behinderung gewesen. Alles was ich über dem Anzug trug war ein schwarzes Cape, dessen Kapuze mein Gesicht verdecken würde, sobald ich mich Blakes Haus näherte. Der dünne Stoff flatterte im Wind, war aber leicht genug, um keinen Widerstand gegen meine Bewegungen zu leisten.

Das Anwesen der Ashdowns war nicht allzu weit von den Lightwoods entfernt. Einige Wohnblocks, die es zu überqueren gab. Der Princewater-Kanal, der den mittleren Stadtteil Alicantes vom Nördlichen abtrennte, war das größere Problem. Der Kanal war zu breit, als dass ich über ihn herüberspringen könnte. Mir blieb nur die Brücke, die beide Seiten verband, aber das war riskant, auch wenn die Sonne untergegangen war. Der Abend war jung, es waren mehr Menschen auf den Straßen und die Wahrscheinlichkeit niemandem zu begegnen war gering. Solange ich den Kopf gesenkt und das Gesicht tief in der Kapuze versteckte, sollte alles gut gehen. Solange niemand misstrauisch wurde, was ich jedoch nicht erwartete. Bei diesem Wetter würde ich sicher nicht die Einzige mit einer Kopfbedeckung sein.

Es hatte wieder zu schneien angefangen. Die wenigen sonnigen Tage waren erneut vom Winter abgelöst worden. Aber der Frühling würde nicht ewig auf sich warten lassen, zumindest war dies meine Hoffnung. Ich hatte das Gefühl, dass sich dieser Winter schon viel zu lange hinzog; dass die Eiseskälte schon viel zu lange in allem schlummerte, was mich umgab.

Mit einem Ruck, der mir die Wirbelsäule hinauflief, landete ich auf dem Dach eines der Häuser, die in zweiter Reihe an der südlichen Front des Princewater-Kanals standen. Hier bot mir das Haus, das direkt am Wasser stand, den Schutz, den ich brauchte, um ohne fremde Blicke zurück zum Boden zu gelangen. Ich ging in die Hocke und spähte über den Kaminsims des ersten Hauses, um den Kanal in Augenschein zu nehmen. Die Brücke und Wasserlinie waren unter einer Reihe Elbenlichter hell erleuchtet, sodass ich die Form des Flusses fast schon bis zur östlicheren Brücke erkennen konnte. Nicht gut, aber kein Weltuntergang. Bis auf zwei Gestalten, die über das Pflaster liefen und dem Wind trotzten, indem sie sich tiefer in ihre Kapuzen drückten, war niemand zu sehen.

Ich zögerte nicht, als ich mich an der Regenrinne des Hauses zum Ende des Ziegeldachs hinabgleiten ließ. Mit einem kurzen Seitenblick versicherte ich, dass das Haus in der vorderen Position mir tatsächlich Blickschutz geben würde. Doch ich machte mir unnötige Sorgen. Die Gasse, die von meinem Haus hinaus zum Princewater-Kanal führte, war nicht breit und das andere Gebäude warf das Elbenlicht des Kanals so zurück, dass man mich von dort kaum sehen konnte.

Über die Backsteine der Fensterbänke, kletterte ich meinen Weg an der Fassade des Hauses entlang, bedacht darauf, die Front der Fenster nur so kurz wie möglich zu verdecken. Was ich in diesem Moment auf keinen Fall gebrauchen konnte, war jemand im Gebäude, der meinen Schemen durch das Glas bemerkte. Als der Schnee unter meinen Stiefeln knirschte war ich dankbar für die Lederhandschuhe, die die Kälte des Steins davon abhielt, meine Finger zu durchdringen. Für eine Sekunde erinnerte mich der Gedanke an diese Kälte zurück an Blakes Überfall und wie sich mein Rücken in die eisige Wand eines anderen Hauses gebohrt hatte. Das Gefühl ließ eine Welle der Hitze durch meine Glieder fahren. Ich drehte den Backsteinen entschlossen den Rücken zu, stülpte mir die Kapuze über den Kopf und marschierte in Richtung des Kanals.

Das tobende Fließen des Wassers zu meiner Linken war das einzige Geräusch, welches sich von der Nacht abhob. Keine Stimmen, keine Schritte, nichts deutete auf eine andere Lebensform hier draußen hin. Ich hob den Kopf ein wenig, so weit wie ich konnte, ohne dass die Kapuze verrutschte und scannte den Bereich vor der Brücke. Die beiden Gestalten, die ich vom Dach aus beobachtete hatte, waren zügig ihre Wege gegangen. Nun waren die Straße und die angrenzende Brücke menschenleer. Gut.

Dennoch fiel die Anspannung erst von meinen Gliedern ab, als ich auf der anderen Seite des Princewater-Kanals angekommen und mich über eine ähnliche Rinne zurück aufs erstbeste Dach befördert hatte. Ich war meinem Ziel so nah, dass meine Finger in Erwartung bereits zu kribbeln begannen. In einer beruhigenden Bewegung fuhr ich mit der rechten Hand über den Griff von Eosphoros. Das Schwert hing steif an meinem Gürtel, umgeben von einigen ausgewählten Dolchen, die ich mir von Isabelle geliehen hatte. Die Waffe zu berühren war beschwichtigend; sie erinnerte mich daran, dass ich mich nicht zu fürchten brauchte.

Sobald ich meinen inneren Fokus zurückerlangt hatte, erhob ich mich aus der Hocke, ließ meinen Blick über die finsteren Dächer schweifen und ging im Kopf den letzten Teil der Route durch, die ich zurücklegen musste. Die Kenntnis, wo sich das Anwesen der Ashdowns befand, hatte ich durch reinen Zufall erfahren, weil die Bibliothek der Lightwoods voll war von Büchern über die Geschichte von Idris und Alicante. In einem der neueren Manuskripte gab es eine Karte mit den Wohnsitzen aller existierenden Schattenjägerfamilien. Ein wenig wie ein Telefonbuch für Nephilim. Ich konnte nur hoffen, dass die Ashdowns seitdem nicht umgezogen waren, was jedoch sehr unwahrscheinlich erschien.

Ein Häuserblock war alles, was mich noch von Blake Ashdown trennte. Für einen langen Moment, als ich die kalte Nachtluft einatmete, hatte ich das Gefühl, dass mich nunmehr nichts aufhalten könnte. Ein gefährlicher Gedanke, der meine Beine schneller über die Ziegel zu befördern schien. Fokus, war alles was ich brauchte. Ich stieß mich vom Dach ab, flog in kontrolliertem Manöver durch die Luft und beugte die Knie, als meine Stiefel auf dem benachbarten Dach Halt fanden. Ein Dach weniger, das zwischen mir und Blake stand.

oOo

„Du bist unglaublich", zischte Isabelle und ihr Ton schnellte eine Oktave in die Höhe, die Empörung deutlich zu hören. „Wage es ja nicht, noch einen Schritt näherzukommen!"

Jace sah nicht so aus, als hätte er irgendetwas, was sie ihm in der letzten Viertelstunde erklärt hatte, ernst- oder überhaupt wahrgenommen. In dem Augenblick, in dem Isabelle ihn darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass er Clary nicht sehen konnte, schien sich ein Schalter in ihm umgelegt zu haben. Sein Besuch in der Garnison war kürzer ausgefallen als erwartet. Die Inquisitorin war sich mit dem Konsul wohl ziemlich schnell einig gewesen, wann sie zur Königin des Lichtenvolks aufbrechen sollten. Jace hatte kaum mehr als einen Satz darüber verloren, bevor er sich an ihr vorbeigedrückt und die Treppe hatte hinaufsteigen wollen.

„Du bist eine so schlechtere Lügnerin, dass ich die Lüge riechen kann", stellte Jace fest und kniff die Augen zusammen, als Isabelle sich keinen Zentimeter von der Tür rührte. „Wenn es Clary so schlecht geht, dann sollte jemand nach ihr sehen."

Ich habe eben erst nach ihr gesehen", beharrte Isabelle mit entrüsteter Stimme. „Sie will ihre Ruhe."

Jace schnaubte und hob belustigt die Brauen. „Deine Pupillen sind so groß, als wärst du auf Drogen, Izzy. Ich weiß, dass du lügst."

„Ich lüge nicht", zischte sie zurück und verschränkte wütend die Arme vor der Brust. „Anstatt dich wie ein besserwisserischer Idiot aufzuführen, solltest du Clary ihre Privatsphäre lassen."

„Oh ja, Privatsphäre." Jace warf Isabelle einen durchdringenden Blick zu und verdrehte schließlich die Augen. „Ich habe die letzte Woche mit ihr verbracht. Über den Punkt sind wir glaube ich hinaus." Seine Stimme klang sarkastisch, aber Isabelle hatte das Gefühl, dass eine gewisse Wahrheit in den Worten lag.

„Mir egal, ich habe meine Anweisungen", sagte sie, zuckte mit den Achseln und drückte ihre Füße in den Boden, um ihren Stand zu stabilisieren. Wenn er hier durchwollte, würde er sie umnieten müssen.

„Bist du sicher, dass du es darauf ankommen lassen willst?" Jace' goldene Augen wanderten zwischen ihr und der Tür zu Clarys Schlafzimmer hin und her, doch nicht um etwas abzuwägen, wie Isabelle feststellen musste. Er hatte sich bereits entschieden. Sein Instinkt musste eindeutig sein, wenn er sich nicht davor scheute, in die Offensive zu gehen.

„Ich bin mir sicher", säuselte Isabelle und lächelte verzerrt.

Jace nickte einmal und stürzte dann ohne jede Vorwarnung nach vorn. Isabelle hob die Hände, um nach seinen Armen zu greifen, aber er wich zur Seite aus. Sie hatte keine andere Wahl, als seiner Bewegung zu folgen, wenn sie ihn von der Tür abhalten wollte. Isabelle keuchte, als sie mit Jace' Schulter kollidierte. Ihr Körper wurde zurückgeschoben, sie spürte die Tür in ihrem Rücken. Jace' Hand schoss nach vorn, um nach der Klinke zu greifen und Isabelle bohrte ihre Finger in seinen Arm, um ihn zurückzuziehen. Kein einfaches Unterfangen, wenn man im Nachteil war, was die Muskelkraft anging. Sie konnte nur hoffen, dass Clary die Tür abgeschlossen hatte, das würde ihr ein wenig Zeit verschaffen.

Isabelle beugte die Knie und holte mit dem Bein aus. Jace geriet ins Schwanken, als sie ihm die Beine unter den Füßen wegzog und er musste einen Schritt zurückmachen, um nicht zu stürzen. Das reichte, um Isabelles ursprüngliche Position vor der Tür wieder einzunehmen.

„Sorry, Izzy", murmelte Jace und grinste leicht. „Das hier wirst du nicht gewinnen."

Isabelle, die wusste, dass er wahrscheinlich recht hatte, presste verärgert die Lippen zusammen. Jace attackierte erneut und hatte diesmal sie im Visier anstelle der Tür. In einem Manöver, das so schnell war, dass sie es kaum wahrnehmen konnte, umfasste er ihre Unterarme und drehte sich um die eigene Achse. Isabelle versuchte standhaft zu bleiben, aber was reine Stärke anging, war sie Jace unterlegen. Sie drehten sich und mit einem Mal war es nicht mehr sie, die mit dem Rücken zur Tür stand, sondern er. Jace versetzte Isabelle einen Stoß; leicht genug, dass sie sich nicht wirklich wehtun würde. Dann wirbelte er zur Tür und drückte sich mit aller Kraft dagegen.

Ein metallisches Knarzen hallte durch den Flur, als das Schloss aus dem hölzernen Rahmen gerissen wurde und die Tür sich nach innen öffnete. Clary hatte tatsächlich abgeschlossen, auch wenn es jetzt keinen großen Unterschied machte. Der bronzefarbene Bolzen des Schlosses hatte sich durch den Türrahmen gebohrt; so einfach, dass es beinahe lachhaft war.

„Anklopfen wäre höflich gewesen", stellte Isabelle ironisch fest und verzog den Mund.

Jace ignorierte sie und schwankte in den Raum, der Schwung ließ ihn einige Schritte gehen, bevor er zum Stehen kam. Isabelle folgte ihm und konnte ein Seufzen nicht zurückhalten, als sie seine Schultern in Bestätigung zusammensacken sah. Clarys Bett war leer. Auf der ordentlich gefalteten Daunendecke lag die offene Kiste mit den Platindolchen, die sie sich von ihr geliehen hatte. Isabelle konnte von hier erkennen, dass sie genau ausgewählt hatte, welche der Messer sie begleiten würden.

Von Clary fehlte natürlich jede Spur. Eines der Fenster, gegenüber vom Bett und einen Spalt weit geöffnet – der einzige Indikator dafür, wohin sie verschwunden war. Jace fluchte leise als er sich zu Isabelle umdrehte, aber er bedachte sie nicht mit einem seiner herablassenden Blicke. Stattdessen glitt seine Hand zu seinem Waffengurt, an dem eine Seraphklinge hing. Dann bohrten sich Jace' Augen intensiver in ihre eigenen und Isabelle musste Schlucken, weil sie wusste, was er sagen würde, noch bevor er den Mund geöffnet hatte. Dafür kannte sie ihn zu gut.

„Hol deinen Mantel, wir brechen sofort auf."

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