Kapitel 46.2. - After Dark

Ein lautes Poltern ließ mich aufschrecken. Mein Körper fuhr hoch, noch bevor ich die Augen richtig aufgeschlagen hatte. Durch die Fenster flutete Licht ins Zimmer. Jace saß auf dem Stuhl, rechts von meinem Bett, genauso wie ich ihn in Erinnerung hatte. Er hatte sich nach vorn gelehnt und balancierte ein Buch in seiner rechten Hand. In seiner anderen Hand hielt er meine. Zumindest noch für den Bruchteil einer Sekunde, ehe die Tür berstend aufgeschlagen wurde und Isabelle im Türrahmen erschien.

Jace sprang auf, seine Finger bereits an seinem Waffengurt und begann zu fluchen, als er Isabelle erkannte. „Beim Erzengel, Izzy, so platzt man doch nicht in das Zimmer eines Kranken!"

Isabelles Augen leuchteten selbstzufrieden und sie streckte Jace die Zunge heraus, bevor sie mit schwingendem Schritt in den Raum stolzierte. Ihr rabenschwarzes Haar glänzte im Sonnenlicht; Jace musste zu irgendeinem Zeitpunkt die Vorhänge zur Seite gezogen haben. Ein Grinsen breitete sich auf ihren rotgefärbten Lippen aus, als sie meinen Blick traf. „Oh, Clary, ich bin so froh, dich endlich bei Bewusstsein zu sehen."

„Sie ist nur bei Bewusstsein, weil du die Tür gegen die Wand gehauen hast, als würdest du den Laden hier abreißen wollen", zischte Jace, setzte sich aber zurück in seinen Stuhl. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er ihn so unauffällig wie möglich etwas weiter von mir wegschob. Anstatt eine Reaktion zu zeigen, konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit auf Isabelle.

„Auch schön, dich zu sehen", gab ich zurück, aber der Schlaf verlieh meiner Stimme einen heiseren Klang. Nun fuhren meine Augen doch fragend zu Jace, die Brauen fragend gehoben. „Wie lange habe ich diesmal geschlafen?"

„Zwei Tage", erwiderte Jace, ohne mich anzuschauen. Auf einmal schien er wie hypnotisiert von dem Buch in seinen Händen.

„Wie geht es dir?", fragte Isabelle und warf sich neben mich aus Bett. „Jace will mir nichts erzählen, also dachte ich, dass ich wohl selbst herkommen muss."

„Besser." Ich zuckte mit den Achseln. Meine Muskeln schienen immer noch müde zu sein, aber von der Verletzung durch den Dämon spürte ich nichts mehr. Auch das allgemeine Krankheitsgefühl hatte etwas nachgelassen. Mein Körper glühte nicht länger, auch wenn ich nicht das Gefühl hatte, dass die Temperatur sich bereits wieder auf einem gesunden Niveau eingependelt hatte. Es fiel mir immer noch schwer, die Augen offen zu halten. Also lehnte ich mich zurück in meine Kissen. „Ich bin bald wieder auf den Beinen, mach dir mal keine Sorgen."

„Das will ich auch hoffen, du musst Blake noch in den Arsch treten", erwiderte Isabelle und knirschte frustriert mit den Zähnen. Sie warf Jace über die Schulter hinweg einen funkelnden Blick zu. „Ich hätte ihm gern einen kleinen Vorgeschmack gegeben, aber anscheinend bekämpft man Feuer nicht mit Feuer."

„Blake wird bekommen, was er verdient. Da wird Feuer nicht reichen." Ein tiefes Knurren hatte sich in meinen Ton geschlichen, welches Jace aufschauen ließ. Seine Augen verdunkelten sich unzufrieden, aber noch bevor er den Mund öffnen konnte, trat eine weitere Person in den offenen Raum. Isabelle hatte sich nicht einmal darum geschert, die Tür wieder hinter sich zu schließen.

Alec scannte das Zimmer den Bruchteil einer Sekunde lang und nickte mir kurz zu. Mehr würde ich wohl nicht als Bestätigung meiner Existenz bekommen, aber das war ohnehin mehr als mit dem ich gerechnet hatte. Seine hellblauen Augen fanden Jace und erst da fiel mir auf, wie angespannt er wirkte. „Ich hab' echt versucht, ihn fernzuhalten, aber er wollte sich nicht abwimmeln lassen", sagte Alec in die Richtung seines Parabatai und sah beinahe entschuldigend aus.

„Oh." Isabelle wirkte, als fiele sie aus allen Wolken. Ein herablassender Ausdruck schlich sich in ihre Augen. „Ihn habe ich ja schon wieder ganz vergessen. Sorry, Jace, wir haben unser Bestes gegeben, aber wir konnten ihn ja schlecht irgendwo einsperren."

Ich wollte gerade fragen, über wen sie sprachen, als eine dritte Gestalt im Türrahmen auftauchte. Adam. Verwirrung durchströmte mich bei Isabelles und Alecs Verhalten. Ich legte den Kopf schief und suchte Adams Blick. Doch noch ehe er einen Schritt in den Raum treten konnte, war Jace bereits aus seinem Stuhl gesprungen. Die rohe Kraft schleuderte ihn lautstark gegen die weiße Wand und sowohl Isabelle als auch ich zuckten zusammen.

Innerhalb einer Sekunde hatte Jace mein Bett umrundet und baute sich vor Adam auf, als würde er ihn in Stücke reißen wollen. Was mich noch mehr verwunderte, war, dass Adam nicht überrascht wirkte. Als wüsste er, was ihn hier erwarten würde. Jace riss seinen Arm hoch und drückte Adam den Zeigefinger gegen die Brust.

„Was verstehst du an den Worten Halte dich von uns fern eigentlich nicht, Demonhunter?", knurrte Jace, sein eben noch desinteressiertes Gesicht plötzlich zu einer Maske des Zorns verzerrt.

„Du hast mir nichts zu sagen, Jace." Adam klang gelassen und ein Hauch von Amüsement schwang in seiner Stimme mit, als stünde er über Jace' Verhalten.

Das schien Jace nur wütender zu machen. „Verschwinde. Sofort."

„Ich verstehe dich nicht", sagte Adam stattdessen. „Du hast sie wie Dreck behandelt, ihr bei jeder Gelegenheit gezeigt, wie wenig du von ihr hälst. Du siehst immer noch dabei zu, wie deine Großmutter sie quält. Und ich soll der Feind sein? Ich bin von Anfang an Clarys Freund gewesen."

„Du scheinst ja ein sehr toller Freund zu sein, wenn du lieber dabei zusiehst, wie Blake sich an ihr zu schaffen macht, anstatt einzugreifen." Jace begann zu lachen und Isabelle und ich wechselten einen langen Blick. Wäre ich bei Kräften, wäre ich schon längst dazwischen gegangen. Ich hatte keine Ahnung, worum es genau bei ihrem Streit ging. Allerdings hasste ich es, wenn man über mich redete, als wäre ich gar nicht anwesend. „Wärst du ein echter Freund, hätte ich sie vielleicht nicht davor bewahren müssen, in einem Kanal zu ertrinken."

Jace' Worte ließen mich zusammenzucken. Was ich noch mehr hasste war, wenn jemand meine Schwächen offenbarte. „Genug", kam es von mir, laut genug, dass die beiden zu mir herübersahen. „Was auch immer das hier ist, hört auf damit oder klärt es woanders." Meine verengten Augen waren auf Jace fixiert, über dessen Ausdruck mit einem Mal ein Hauch von Verständnis huschte. Auch wenn es mir nicht ganz behagte, schien er meine Verärgerung zu begreifen. Zumindest so lange, wie Adam brauchte, um sich aus der Sache herauswinden zu wollen.

„Ich bin nicht Blake. Mach mich nicht für seine Taten verantwortlich, nur weil du nicht an ihn herankommst." Er verschränkte die Arme vor der Brust, verzog ansonsten jedoch nicht einmal die Lippen. Er wirkte so beherrscht. Ein starker Kontrast zu den Emotionen, die Blakes Anwesenheit in ihm hervorgerufen hatten. Fragen brannten mir auf der Zunge.

„Ich wäre an ihn herangekommen, wenn du mir nicht den Weg versperrt hättest", bemerkte Isabelle sachlich, aber ihre Stimme triefte vor Gift. Adams Anblick schien auch sie nicht sonderlich glücklich zu machen.

„Du hast dich in der Garnison wie ein Feigling verhalten und das weißt du auch." Adam war einen Schritt zurückgetreten, sodass Jace' Zeigefinger nur noch zwischen ihnen in der Luft schwebte.

„Es ist mir herzlich egal, was du denkst, in der Garnison gesehen zu haben", sagte Adam und drehte sich von Jace fort, ohne ihn weiter zu würdigen. Da lag eine kühle Arroganz in seiner Haltung, etwas, was mir bisher nur selten an Adam aufgefallen war. Er war von guter Herkunft, gebildet und wusste, wie er Diskussionen für sich gewann. Er wusste, wie man Menschen manipulierte, er war von Natur aus gut darin. Doch er wusste auch, wie er anderen anhand kleiner Gesten seine eigene Erhabenheit verdeutlichen konnte. Adam sagte nichts dergleichen, aber seine Körperhaltung sprach Bände. Deine Meinung ist mir egal, denn du bist ein Niemand. Dann trafen seine grünen Pupillen meine und die Maske der Gleichgültigkeit fiel von seinem Gesicht. „Erstmal hallo. Ich entschuldige mich für den Trubel. In deinem Zustand solltest du dich nicht mit so etwas herumschlagen müssen."

Er hätte auch Ich entschuldige mich, dass Jace so ein Theater machen muss sagen können und die Bedeutung der Worte wäre identisch gewesen. „Hi, Adam."

Das leichte Schmunzeln verschwand von Adams Mund, als er von Jace zur Seite geschubst wurde. Aus irgendeinem Grund konnte er seine neue Abneigung Adam gegenüber nicht ablegen. Als hätte er eine persönliche Fede mit ihm auszutragen. „Was auch immer du sagen willst, spar es dir für ein anderes Mal auf!"

Diesmal konnte Adam den Funken in seinen Augen nicht verbergen. „Fass mich nicht an", fauchte er, als er sich in einer defensiven Position aufstellte und Jace ins Visier nahm.

Jace kniff die Brauen zusammen und nun war er es, auf dessen Lippen sich ein Lächeln abzeichnete. Doch tiefer Zorn brannte in seinen gefrorenen, goldenen Augen. „Diesen Kampf kannst du nicht gewinnen. Verschwinde oder finde es auf die harte Tour heraus."

„Jace, Adam, es reicht", fuhr Alec dazwischen und legte Adam eine Hand auf die Schulter. „Es ist am besten für alle, wenn du gehst. Izzy und ich haben dir gesagt, dass das passieren würde."

Adam schüttelte Alecs Hand ab und selbst vom Bett aus konnte ich sehen, wie Adam den Kiefer anspannte. Jace auf der einen, Alec auf der anderen Seite. Absicht oder nicht, sie hatten ihn eingekesselt. Der einzige freie Weg war der zur Tür. Wieder fand Adams Blick meinen, diesmal lag etwas Flehendes darin. „Clary, ich bin dein Freund. Ich kenne dich besser als jeder hier. Also bitte sag ihnen, dass ich hierbleiben darf."

Verblüfft starrte ich von Adam zu Alec, dann zu Jace. Jace sah fuchsteufelswild zu mir herüber, die Hände zu Fäusten geballt. Einen Moment lang blickte ich direkt in seine Augen. Fragend. Verwundert. Er drehte den Kopf fort. Allein Isabelle schien nicht den Verstand verloren zu haben. „Ehrlich, ich verstehe nicht, was das alles soll."

„Sag ihnen einfach, dass du mich hier haben willst", wiederholte Adam vehement.

Ich öffnete den Mund, auch wenn ich nicht wusste, was ich sagen wollte. Oder sollte. Alec kam mir jedoch zuvor. Er stellte sich Adam in den Weg, sodass seine Sicht zu mir unterbrochen wurde. „Clary ist krank. Das letzte was sie braucht, ist sich Gedanken über eure blöden Streitereien zu machen. Mach es nicht noch schlimmer, Adam."

„Natürlich sagst du das", höhnte Adam, der Zorn nun deutlich hörbar. Er streckte den Rücken durch und musterte Alec abschätzig. „Du bist sein Parabatai. Natürlich bist du auf seiner Seite."

„Du machst eine Szene", war alles was Alec dazu sagte. Ich musste zurück an Jace' Erzählung denken. Alec würde tatsächlich einen guten Vertreter am Tisch mit den Schattenweltlern abgeben. „Wir sagen dir Bescheid, wenn es Clary besser geht. Du hast mein Wort."

„Clary, bist du sicher, dass du damit-", wollte Adam fragen, aber Jace versetzte ihm einen weiteren Schubser in Richtung Tür. Weniger brutal als beim ersten Mal, aber immer noch eindeutig.

„Sie ist krank, gottverdammt, und du kannst ihr trotzdem keine Grenzen lassen. Was für eine Freundschaft soll das bitte sein?"

Adam stand bereits im Türrahmen, als er Jace einen letzten, nachtragenden Blick zuwarf, bevor er mir traurig zunickte und verschwand. Nichts davon passte zu dem Jungen, den ich kannte. Für Gewöhnlich war er der besserwisserische, ausgeglichene Typ, der immer ein Lächeln auf den Lippen hatte und den nichts aus der Fassung brachte. Das hier ... ich konnte nicht sagen, was genau daran mich beunruhigte. Seine Freundschaft zu Blake. Sein Misstrauen gegenüber unseren Plänen für die Zukunft der Schattenjäger. Seine Eltern, die laut eigener Aussage, eher konservativ als liberal waren.

Ich wandte den Kopf von der Tür ab und ließ meine Augen zu dem offenen Fenster gegenüber dem Bett wandern. Sowohl Jace als auch Isabelle sagten etwas, aber ich ignorierte sie. Zu tief in eigenen Gedanken.

Adam war von Anfang an mein Freund gewesen. Seit meiner Flucht aus den Klauen meines Vaters hatte ich mit niemandem mehr Zeit verbracht als mit ihm, auch wenn der Kontakt über die letzten Wochen nachgelassen hatte. Nicht absichtlich, sondern einfach weil viel geschehen war. Adam war mein Freund, aber wer war er darüber hinaus? Ich hatte keine Antwort. Die Unwissenheit brannte unter meinen Fingern. Ich entschied, dass ich der Sache nachgehen würde. Die Liste der Dinge, die ich nach meiner vollständigen Genesung tun würde, verlängerte sich um einen weiteren Punkt.

Besuche die Königin des Lichten Volkes. Töte Blake. Rede mit Adam. Nicht unbedingt diese Reihenfolge. Das würde der Zufall entscheiden. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top