Kapitel 46.1. - After Dark

Kapitel 46 – After Dark

Irgendwo zwischen dem Platz des Engels und den Basilias verlor ich schließlich das Bewusstsein. Ein Schutzmechanismus meines Körpers, der schon lange überfällig gewesen war. Ich konnte mir nicht erklären, wie er sich nicht schon viel früher abgeschaltet hatte, nach allem, was ich ihm heute aufgebürdet hatte.

Das Herz in meiner Brust raste. So schnell, dass ich mir unter normalen Bedingungen vielleicht an den Brustkorb gefasst hätte. Doch meine Muskeln waren starr wie Stein. Meine Lungen zog sich zusammen und ich hatte das Gefühl, zu ersticken. Mir blieb nichts anderes übrig, als minutenlang im Dunkeln auszuharren, Jace' Füßen auf dem Boden zu lauschen und darauf zu warten, dass mein Verstand wieder zu Bewusstsein kam. Es fühlte sich an, als würde ich mich unter der gefrorenen Oberfläche eines Sees befinden, unfähig das Eis zu durchbrechen.

Jace musste die Basilias erreicht haben, denn mit einem Mal veränderten sich die Geräusche um uns herum. Seine Schritte begannen zu hallen, der eisige Wind gegen meine Haut verlor sich und sein Atem schien sich zu beruhigen. Als wäre er erleichtert, die schutzlosen Straßen Alicantes hinter sich gelassen zu haben.

Mein Verstand hämmerte immer noch gegen die zugefrorene Eisschicht, die so klar war, dass die meisten meiner Sinne wahrnehmen konnten, was sich jenseits von ihr abspielte. Es war, als würde jede Sekunde, die ich weiter in der Dunkelheit aushalten musste, den Knoten um meine Brust enger ziehen. Als würde dieses fremde Gefühl der Panik sich tiefer und tiefer in meinen Körper bohren. Wie ein Gift, das sich weiter und weiter ausbreitete, je länger das Gegenmittel auf sich warten ließ.

Dann, gerade als die Angst bis in meine Fingerspitzen vorgedrungen war und mich erzittern ließ, gelang es meinem Geist plötzlich, das Eis zu beschädigen. Ein Riss zischte knirschend durch den harten Frost hindurch und eine Mischung aus Schrei und Schluchzen, die meiner trockenen Kehle entkam, kratzte in meinem Hals und ließ mich aufkeuchen. Eine Sekunde später brach das Eis in tausende kleine Splitter und das Wasser aus der Tiefe drückte mich nach oben. Mein Kopf durchbrach die Oberfläche und meine Lider flogen auseinander.

Die Realität brauchte einen Moment, um scharfzustellen. Meine Lippen trennten sich atemlos voneinander und ich ließ Sauerstoff in meine heißen Lungen strömen. Ich bebte vor Kälte, war gerade so einem eisigen Tod von der Schippe gesprungen, aber mein Körper glühte vor Hitze. Meine Muskeln schwitzten und ich konnte die warmen Tropfen spüren, die meinen Nacken hinunterliefen.

Ich brauchte viel zu lange, um zu realisieren, dass ich gar nicht mehr in Jace' Armen lag, sondern auf einer Matratze saß. Meine Beine waren nicht lang genug, als dass meine Stiefel den Boden über der Kante des Bettes erreichen könnten.

Ich blinzelte und schaute hoch. Jace stand vor mir. Seine Brust hob und senkte sich, als wäre er außer Atem. Meine Knie berührten seine Beine, so nah waren wir uns. Doch das war nicht, was mir Sorge bereitete. Mein Hirn bekam es nicht auf die Reihe, einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen. Jace' geweitete goldenen Augen waren auf mich geheftet. Er sah mehr als nur besorgt aus. Seine Lippen bewegten sich ... aber ich konnte nicht hören, was er sagte.

Da war ein lautes, durchdringendes Piepen in meinen Ohren, das jedes andere Geräusch ausgeblendet hatte. Eben noch hatte ich seine Schritte doch noch gehört ... Seine Hände hatten meine Schultern umgriffen. Mein Körper bebte immer noch unter mir. Meine Lunge versuchte immer noch vergeblich, nach Luft zu schnappen. Mein Herz pochte immer noch viel zu schnell.

Ich kniff die Augen zusammen und fokussierte mich auf Jace' Lippen; versuchte zu erraten was er sagte. Er sprach zu schnell. Zu hektisch. Der Knoten um meinen Brustkorb schien nur enger zu werden. Ich schüttelte vehement den Kopf und versuchte, mich von ihm loszureißen. Gleichzeitig hob ich die Stimme, aber da waren keine Worte in meinem Kopf. Selbst wenn ich etwas gesagt hätte, konnte ich mir nicht sicher sein, ob er verstanden hätte. Ich konnte sie ja selbst nicht hören.

Selten in meinem Leben hatte ich mich so hilflos gefühlt. Noch nie, um genau zu sein. Die Tatsache, dass Jace dabei war und sah, wie die Panik an mir zerrte, machte alles nur schlimmer. Ich schloss die Augen, um ihn nicht mehr vor mir sehen zu müssen. Blake hatte mir das angetan. Die Furcht in meinen Adern schien bei dem Gedanken innezuhalten. Blake. Die Erinnerung an sein Gesicht vor meinem geistigen Auge rief eine Welle der Wut hervor. Blake hatte mich bloßgestellt; er hatte meinen Stolz untergraben.

Ich wollte ihm das antun, was er mir angetan hatte. Schlimmeres. Ich wollte ihn umbringen. Das Verlangen flammte so heftig in mir auf, dass ich davor zurückzuckte; überrascht über mich selbst. War ich wirklich so rachsüchtig? Wer war ich, dass ich ihn tot sehen wollte? Aber er hatte mich töten wollen, war das kein gerechtfertigter Grund? Alles, was ich bisher über Blake gehört hatte, zeichnete ihn nun nicht wirklich als einen Menschen aus, den man vermissen würde.

„Clary, bitte hör auf zu weinen", sagte Jace' Stimme und ich zuckte erneut. Etwas knackte in meinem Nacken, als ich den Kopf in die Höhe schnellte.

Wie zuvor hatte ich wieder nicht bemerkt, wie das ohrenbetäubende Pulsieren verschwunden war. Jace' Augen trafen meine und für einen Moment war ich zu perplex, um zu sprechen. Diese Ruhe, die plötzlich den Raum ausfüllte war ... seltsam. Als würde jemand sie jede Sekunde wieder durchbrechen und durch ein weiteres lautes Tosen ersetzen.

Jetzt, wo es endlich still war, begann mein Hirn zu arbeiten. Was hatte er da gerade gesagt? Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern; um Jace klarzumachen, wie lächerlich er klang. Wieder kam mir kein Wort über die Lippen. Wieder gefror mein Körper unter mir. Ich lauschte in das Schweigen und stellte erschrocken fest, dass es nicht völlig still war. Mein Atem ging zu laut, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. Aber schlimmer als das, schlimmer als jedes Gefühl der Hilflosigkeit in meiner Brust, war das Wimmern, welches meiner Kehle entsprang. Langsam hob ich eine zittrige Hand und fuhr mir mit Zeige- und Mittelfinger über die Wange. Ungläubig starrte ich auf die feuchten Fingerkuppen.

Ich würde Blake Ashdown umbringen. So viel stand fest.

„Ich glaube, du hast eine Panikattacke", flüsterte Jace heiser. Seine Stimme klang weit entfernt. Als würde er sich am liebsten auf dem Absatz umdrehen und davonrennen. Ich konnte es ihm nicht übelnehmen. Ich wollte, dass er genau das tat. Wie konnte ich ihm jemals wieder in die Augen schauen, nachdem ich mich aufführte wie ein Kind?

„Ich ...", ich stockte bei dem weinerlichen Ton. Wenn mich die Angst eben noch nicht in ihren Klauen hatte, dann hatte sie es jetzt mit Sicherheit. Die Tatsache, die Tränen auf meinen Fingern zu sehen, brachte die Furcht auf ein völlig anderes Level. Ich konnte nicht einmal sagen, was genau daran mir eine solche Heidenangst einjagte. Ich wusste nur, dass ich mit jeder Sekunde, die ich schwächelnd vor Jace hockte, meine Luftröhre weiter abschloss. Panik schoss mir wie eine Eiseskälte durch die Adern und auf einmal hatte ich das Gefühl, zu fallen. Ich wollte nicht, dass er sah, wie ich auf dem Boden aufkam. Vor allem nicht, wenn ich es selbst noch nie erlebt hatte.

„Du solltest gehen", brachte ich hervor und schob Jace von mir weg, sodass seine Hände meine Schultern nicht länger umgreifen konnten; sodass seine Beine meine Knie nicht mehr berühren konnten. „Sofort."

Die Panik hatte sich in meine Stimme geschlichen und es zeigte sich auf Jace' Gesicht. Ich vermied es, ihn direkt anzuschauen; wollte nicht sehen, welche Emotion sich in seinen Augen spiegelte. „Ich gehe nirgendwo hin", sagte er plötzlich und mit einer solchen Intensität, dass es mich fast geärgert hätte, wenn dieses Loch in meiner Mitte, mich nicht gerade auseinanderreißen wollte.

Geh, Jace", wiederholte ich. Zorn und Furcht vermischten sich in meinem Ton, der lauter wurde, weil meine eigenen Emotionen am Überkochen waren. Ich hatte das Gefühl, dass ich jeden Moment platzen und ausrasten würde.

Jace schüttelte vehement den Kopf. Seine Finger schlossen sich um meine nassen Wangen und ich zuckte bei dem Gedanken an die Tränen zurück. Sein fast eiserner Griff lockerte sich nicht. Wieder näherte er sich mir, bis unsere Beine einander berührten. Er drehte mein Gesicht, sodass ich keine andere Wahl hatte, als ihn anzuschauen. „Hör endlich auf, deine Gefühle vor mir zu verstecken. Was verdammt hat dein Vater mit dir gemacht, dass–"

Jace wusste, dass es die falschen Worte waren. Seine Augen weiteten sich und Reue blitzte über seine Züge, doch die Worte waren raus.

Verschwinde!" Das Wort war ein einziges wütendes Zischen.

Nein!", zischte Jace ohne zu zögern zurück. Doch seine Finger um meine Wangen wurden sanfter, strichen die Tränen fort, die nicht aufhören wollten, zu fließen. Er rückte nicht von mir ab, schien mir im Gegenteil nur näher zu kommen. „Du hast Angst, das verstehe ich und du musst dich vor mir nicht verstellen. Bitte hör auf, dich zu verstellen. Du bist gerade fast gestorben. Es ist ganz normal, dass du dich jetzt so fühlst. Aber bitte rede mit mir. Bitte schließt mich nicht aus."

„Was willst du hören?", flüsterte ich in einem Ton, der halb gehässig und halb verzweifelt klang. „Ich fühle mich scheiße, weil ich ein Schwächlich bin. Ich hätte in der Lage sein müssen, diesen Typen –"

„Nein", stoppte Jace mich und drückte mir doch tatsächlich einen Finger auf die Lippen, um mich ruhigzustellen. Für einen Augenblick war ich so überrascht, dass ich die Panik in meinen Adern vergaß. „Nein. Komm mir nicht mit dem, was dein Vater gesagt hätte. Du bist nicht schwach. Du bist verletzt. Das ist der einzige Grund, warum er es überhaupt gewagt hat, sich dir zu nähern."

Ein weiteres Beben zuckte durch meinen Körper und ich senkte den Kopf, versteckte mein Gesicht hinter verdreckten, roten Haarsträhnen. Meine Finger bebten und ich in dem Bedürfnis, etwas festhalten zu müssen, drückte ich sie zusammen, bis meine Knöchel weiß wurden.

Weiche Hände strichen mir in gleichmäßigen Bewegungen die Haare aus dem Gesicht. Ich versuchte, mich fortzulehnen, aber Jace ließ sich nicht abschütteln. Nicht heute. Nicht jetzt. Nicht nachdem, was geschehen war. „Stark sind die, die sich erlauben, schwach zu sein", murmelte er überzeugt und schloss seine Arme um meine Schultern.

Mit Jace zu diskutieren hatte keinen Zweck, weil ich ihm nichts vormachen konnte. Es sollte mich ärgern. Der Teil von mir, der frei von Stolz war, war froh darüber – dankbar sogar. Es gab nicht viele, die sich genug um mich sorgten, um sich die Mühe zu machen, durch meine Mauer hindurchsehen. Ich wusste, dass Menschen wie er selten waren. Menschen, die ihre Meinung änderten. Die die Welt erblickten und die Wahrheit erkannten, auch wenn sie schmerzte. Ich war mir nicht sicher, ob ich in seiner Position dazu in der Lage gewesen wäre.

Also schloss ich die Augen und drückte meinen bebenden Körper gegen seinen – ließ mich von der Wärme seines eigenen umarmen. Ich presste die Lider zusammen und versuchte, mein Herz zu beruhigen – versuchte Blake und den Ort, den ich für meinen Todesort gehalten hatte, zu vergessen. Ich war so stark davon überzeugt gewesen, heute zu sterben, dass ich noch nicht so ganz begriffen hatte, warum es anders gekommen war.

In diesem Moment öffnete sich eine Tür hinter meinem Rücken und Jace und ich sprangen förmlich auseinander – eher er als ich, denn ich war ja schließlich am Sitzen. Erschrocken drehten wir uns herum, Jace bereits halb in Angriffsposition. Selbst jetzt – selbst hier – waren wir nicht vor Blake sicher. Nicht hundertprozentig. Wir hatten gesehen, wozu sein verrückter Geist imstande war. Welche Grenzen er bereit war, zu überschreiten.

Doch es war nicht Blake, der den Raum wie ein Geist betrat. Es war ein Bruder der Stille. Erst jetzt registrierte ich, wo ich war. Daran hatte ich bisher keinen Gedanken verschwendet. Das weiße Zimmer in den Basilias. Keine große Überraschung. Der Bruder der Stille war dafür eine umso größere.

Gute Nacht, flüsterte seine gänsehautbereitende Stimme in meinem Kopf. Völlig unbeeindruckt von der spürbar angespannten Atmosphäre. Völlig losgelöst von irgendeinem Gefühl. Jace versteinerte neben mir. Keiner von uns bewegte sich auch nur einen Zentimeter. Selbst die Panik in meinem Bauch schien innezuhalten. Ich bin hier, um Clarissas Schmerzen zu lindern.

Mehr brauchte es nicht, um eine andere Furcht wieder aufleben zu lassen. Ich schüttelte entschieden mit dem Kopf und versuchte, vom Bett aufzuspringen. Ein Arm um meine Mitte hintere mich daran. Jace wusste, dass mir die stillen Brüder eine Höllenangst machten. Trotzdem ließ er mich nicht entkommen. Nach all den Begegnungen mit den Brüdern sollte ich es besser wissen, aber gerade jetzt, war ich dazu nicht imstande.

Du brauchst dich nicht zu fürchten. Ich kannte Bruder Shadrach zwar bereits, aber das war mir kein Trost. Nicht in dem körperlichen Zustand, in dem ich war und mit der Furcht, die jede Rationalität auszulöschen schien. Ich gebe dir nur das Schmerzmittel und dann gehe ich auch schon. Der Bruder bewegte sich auf das Bett zu und wartete. Jace stand neben mir und drückte meine Hand.

oOo

Jace' Händedruck um meine bebenden Finger war tatsächlich das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, als ich Stunden später aufwachte. Mein Kopf konnte keine Bilder heraufbeschwören, in denen Bruder Shadrach mir das Schmerzmittel injiziert oder danach den Raum verließ.

Blinzelnd sah ich mich in der Dunkelheit um, konnte jedoch nur Schemen der Raumkonturen ausmachen. Ich lag in meinem Bett, eingewickelt in zwei übereinanderliegende Decken und stutzte eine Sekunde darüber. Mir war kalt gewesen, als Jace mich in die Basilias gebracht hatte. Aber so kalt? Jetzt gerade hatte ich das Gefühl, von der Hitze erschlagen zu werden, die mit meinem Körper unter dem dicken Stoff eingesperrt war.

Langsam hob ich meinen Arm, hielt jedoch in der Bewegung inne, als die Kraftlosigkeit sich durch meine Muskeln ausbreitete. Erschöpft ließ ich ihn wieder sinken. In meinen achtzehn Jahren war ich nicht oft krank, aber wenn, dann hat es sich meistens so angefühlt, wie ich mich in diesem Moment fühlte. Müde, ausgelaugt, kraftlos. Als könnte ich noch Tage weiterschlafen, wenn ich nur die Augen wieder schloss. Aber diese Hitze ... Sie würde mich wachhalten. Der Schweiß lief bereits meine Schläfen hinab.

„Clary?", kam es nuschelnd von meiner Rechten. Ich zuckte erschrocken, als ich eine Berührung an meinen Beinen spürte. Erst jetzt, wo das Gewicht von Jace' Kopf von der Matratze verschwunden war, fiel mir überhaupt erst auf, dass es da gewesen war.

Jace drehte den Kopf in meine Richtung, aber die Schwärze verschluckte sein Gesicht. Ich musste an den Tag vor der Ratssitzung zurückdenken, als ich auch mitten in der Nacht aufgewacht und ihn neben meinem Bett vorgefunden hatte. Die Tatsache, dass er hier war, beruhigte mich. Allein in einem Haus voller Schattenjägern zu sein, die sicher nicht alle gut auf mich zu sprechen waren, richtete meine Nackenhaare auf. Vor allem in dem Zustand, in dem ich gerade war. Vor allem nach dem jüngsten Angriff von Blake.

„Geht es dir gut?", fragte Jace, als ich nicht antwortete. Der Schlaf, den man ihm eben noch angehört hatte, war aus seiner Stimme verschwunden. Plötzlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass er meinetwegen schon seit Tagen auf ein Bett verzichtete.

Ich nickte und schüttelte dann den Kopf bei dem Gedanken, dass er keine meiner Bewegungen sehen konnte. „Mir geht's besser, glaube ich", wagte ich zu behaupten und war erstaunt, wie ausgeruht ich klang. Immer noch schwach und dünn, aber um Welten besser als noch in meiner letzten Erinnerung. Einen Moment lang horchte ich in mich hinein und war erleichtert, als ich feststellte, dass die Angst verschwunden war. In der Tiefe meiner Brust brodelte etwas vor sich hin, dem ich zu gegebener Zeit meine Aufmerksamkeit widmen würde müssen, aber für den Moment schien mein Körper noch zu erschöpft für starke Emotionen.

„Meine Wunde tut kaum noch weh", fügte ich dann hinzu und meine Hand fuhr automatisch hinab zu dem Verband, der die Narbe verdeckte, wo der Dämon mich in der Nähe des Morgenstern Anwesens mit seinem Stachel durchbohrt hatte. Die Stelle pulsierte zwar noch ein wenig, aber die Hitze meiner Haut geriet stärker in meinen Fokus. „Mir ist so warm."

„Du hast du ganze Zeit gezittert", erwiderte Jace und stand aus seinem Stuhl auf. „Selbst nachdem du im Bett unter der Decke lagst, hast du nicht aufgehört. Ich dachte, eine Zweite würde helfen." Er griff nach der oberen Stoffschicht und zog sie behutsam zurück, bevor er sie am Fußende des Bettes zusammenfaltete. „Besser?"

„Ein wenig. Kannst du das Fenster aufmachen?"

„Das ist schon auf", erklärte er zähneknirschend und drückte mir eine flache Hand gegen die Stirn. „Ich bin echt schlecht in sowas, aber ich glaube, du hast Fieber. Das sollte man ausschwitzen."

Ich seufzte in mich hinein und drehte mich auf die Seite, in der Hoffnung, eine bessere Liegeposition zu finden. Stattdessen fand ich mich Zentimeter von Jace' Gesicht wieder, der mit seinem Stuhl näher ans Bett herangerückt war. Ich konnte ihn nicht sehen, aber meine Instinkte sagten mir, dass er da war. Sein geräuschloser Atem berührte meine Haut.

„Wie lange habe ich geschlafen?" Meine Stimme klang heiser. Nervös.

„Drei Tage", sagte Jace leise.

Meine Brauen schossen in die Höhe, seine Nähe zu mir plötzlich vergessen. Drei Tage? „Das kann nicht sein", sagte ich verblüfft. „Ich bin doch eben erst eingeschlafen."

Jace lachte. „Du hast geschlafen wie ein Stein. Es hätte ein Krieg ausbrechen können und du hättest wahrscheinlich nichts davon mitbekommen."

„Ist irgendwas passiert, während ich außer Gefecht war?" Ich zögerte, unsicher, ob ich die zweite Frage hinterher hängen sollte. Die Worte nur zu denken, sorgte dafür, dass ein Teil der Emotionen, die tief in mir kochten, an die Oberfläche gelangten. „Was ist mit Blake?"

Ich spürte, wie Jace' Schultern sich anspannten. „Ich war die meiste Zeit hier, weshalb ich nur weitergeben kann, was Izzy mir erzählt hat. Nachdem sie rausgefunden hat, was er gemacht hat, war sie kurz davor sein Haus anzuzünden. Alec und Maryse hätten sie fast in ihrem Zimmer einsperren müssen, um sie davon abzuhalten."

Ich wusste, dass Jace übertrieb. Wahrscheinlich, um mich zum Lachen zu bringen. Doch der Gedanke daran, dass Blake dort draußen herumlief – wohlauf, ungestört, fanatisch – und keine Strafe fürchten musste, brachte mein Blut in Wallung. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich musste die Zähne knirschen aufeinanderpressen, um die Worte zurückzuhalten. Er wird bezahlen.

„Izzy sagt, dass ich ihn ganz schön erwischt habe. Jeder, der ihn anschaut, sieht sofort, dass er seinen letzten Kampf verloren hat." Jace klang nicht zufrieden mit sich selbst, eher tröstend, als würde er hoffen, mich damit aufzuheitern. Das konnte er lange versuchen. Ich würde erst aufgeheitert sein, wenn Blakes Blut an meinen Fingern klebte.

Als ich wieder nichts erwiderte, sondern nur weiter in die Dunkelheit starrte, wo sein Gesicht sein musste, erzählte er weiter. Nicht schnell, als würde er mich unbedingt von allem in Kenntnis setzen wollen. Eher als wüsste er nicht, ob er die Nachrichten überhaupt überbringen wollte. „Der Rat hat die Tore der Stadt zeitweise deaktiviert, um die Schattenwesen hereinzulassen. Alicante ist jetzt voll von ihnen und es ist ... gewöhnungsbedürftig. Nicht weil sie sich schlecht verhalten, das tun sie nicht. Sie sind alle überraschend ruhig und zurückhaltend. Als wären sie so ungern hier, wie die Schattenjäger sie hierhaben wollen. Es haben viele Familien Zimmer angeboten, aber die meisten schlafen in der Abkommenshalle."

„Wie spaßig", murmelte ich. Der Gedanke, dass ein Haufen Unterweltler nur einige Gebäude entfernt von den Basilias schlief, bereite mir Unbehagen.

„Das Gremium hat sich auch bereits gebildet. Luke spricht für die Werwölfe. Sie haben Alec als Vertreter für die Nephilim gewählt." Nun war es Jace, der unzufrieden klang.

„Alec?" Meine Überraschung war unüberhörbar. „Ich dachte uns würde entweder Imogen oder Malachi vertreten."

„Malachi will nichts mit diesem Gremium zu tun haben." Jace kicherte. „Meine Großmutter hat auch kein großes Interesse, sich mit den Schattenwesen herumzuschlagen. Alec hat sich freiwillig gemeldet und da sonst auch niemand im Rat wild auf den Job war, ist er gewählt worden."

Obwohl ich Alec immer noch skeptisch gegenüberstand, glaubte ich nicht, dass er die falsche Wahl war. Er kannte die Schattenwesen, weil er außerhalb von Alicante großgeworden war. Er war kein Verfechter irgendeiner radikalen Politik und schien Valentin – und mich – stark genug zu hassen, dass er mit ihnen an einer Seite arbeiten würde. Mit ihm würde es Kompromisse geben, was in unserer jetzigen Situation wahrscheinlich nicht das Schlechteste war. Wir konnten es uns nicht leisten, jemanden im Gremium sitzen zu haben, der jeden Vorschlag der anderen Clans ununterbrochen ablehnte.

„Was ist mit den anderen Plätzen?"

„Raphael Santiago spricht für die Vampire und Magnus Bane für die Hexenwesen", sagte Jace und seufzte. „Was sie Elben angeht ... meine Großmutter plant weiterhin mit unserer Reise an den Lichtenhof. Wir brechen auf, sobald du gesund bist."

„Ist das ihr Ernst?" Manchmal fragte ich mich, ob Imogen Herondale Spaß daran hatte, mich herum zu scheuchen wie eine Dienerin. „Mein Vater braucht immer noch das Blut eines Elfenkindes. In den drei Tagen, die ich hier nutzlos herumlag, hatte er sicher genug Gelegenheit, auf die Jagd nach einem zu gehen."

„Bitte diskutier nicht mit mir über sie." Jace klang abgespannt, als hätte er nicht den Nerv für dieses Gespräch. „Ich habe versucht, sie umzustimmen, aber sie beharrt darauf, dass wir die Königin besuchen."

„Sie wird mein Tod sein." Verärgert verzog ich die Brauen und drehte mich auf die andere Seite, nun mit dem Rücken zu Jace. Wie viel einfacher wäre meine Zeit in Alicante bisher gewesen, wenn Imogen mir nicht zum hundertsten Mal ein Bein stellen würde?

Ich presste meine Augenlider zusammen und versuchte, meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich den Faden verlor und die Erschöpfung mich allmählich zurück in die Tiefe zog. Mein Körper war immer noch ausgelaugt, immer noch am Schwächeln, sodass ich mich dem erholsamen Schlaf freiwillig hingab. Jace' Blick in meinem Nacken spürte ich dabei kaum. 


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Ich hoffe, es hat euch gefallen! :)

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