Kapitel 44 - Trouble on the Horizon

Kapitel 44 – Trouble on the Horizon

Jace behielt recht. Die Debatte würde darüber entscheiden, für welche Seite die Unentschlossenen stimmen würden. Die Schattenjäger waren gespalten. So tief, dass man meinen konnte, den Riss zwischen den Fronten tatsächlich sehen zu können. Die direkte Folge auf meine Ansprache war reines Chaos. Die Leute sprangen wie wild gewordene Tiere auf die Beine und riefen durcheinander, mit lauten Stimmen als hingen ihre Leben davon ab. Und so war es ja auch. Der Konsul hatte sich mit unzufriedener Miene auf seinen Thron zurückgezogen, während die Inquisitorin versuchte, Ordnung in die Halle einkehren zu lassen. Ein schwieriges Unterfangen, kaum möglich und doch gelang es ihr irgendwie. Das war eines der wenigen Dinge, die ich an ihr schätzte. Diese Autorität, die die Macht hatte, ein ganzes Volk zum Schweigen zu bringen.

Die Abstimmung würde knapp werden. Sehr knapp. Die ersten drei Nephilim, die von Imogen die Redeerlaubnis zugeteilt bekamen, fluchten, hetzten und donnerten gegen unseren Vorschlag, aber im Besonderen gegen mich persönlich. Spionin. Verräterin. Lügnerin. Nichts, was ich nicht schon mal gehört hätte. Anschuldigungen, mit denen ich mittlerweile umgehen müsste. Und doch bohrte sich jedes Wort wie eine dünne, eiserne Nadel in meinen Körper. Als wäre der Schmerz in meinem Magen nicht bereits genug.

Während sie ihre Reden schwangen und sich die Mäuler zerrissen, starrte ich geradeaus zur anderen Seite der Halle und stellte mir die grünen Augen meiner Mutter vor. Wie sie dort stand und mich beobachtete, mir vielleicht ein trauriges, wissendes Lächeln schenkte. Wäre sie stolz auf mich? Ich wollte daran glauben, dass sie es wäre. All das hier tat ich schließlich nur für sie, weil sie es so gewollt hätte. Ich wünschte, dass sie noch hier wäre, um mir einen Rat zu geben. Ich hatte das Gefühl, dringend einen Rat zu brauchen.

Das aufbrausende Gemurmel der Menge ließ mich herabschauen. Ich hatte keine Ahnung, wer bis jetzt gesprochen hatte und es war mir auch egal. Kein einziger Befürworter bisher. Bisher. Meine Augen öffneten sich erstaunt als sich Maryse von der Sitzbank erhob und den Nephilim klarmachte, dass eine Stimme gegen den Vorschlag eine Stimme für den eigenen Untergang war. Ich wollte lächeln und ich spürte, dass Isabelle zu meiner Linken dabei war, den Mund zu verziehen, als eine andere, fremde Stimme die Stille durchschnitt und in eisernem Ton daran erinnerte, dass auch Maryse einst für Valentin gekämpft hatte und sie auch nun wieder für ihn arbeiten könnte. Die Bedeutung ihrer Worte war irrelevant, weil sie von ihrer Vergangenheit untergraben wurden. Dass meine Mutter bei ihr in New York nach Schutz gesucht und die Lightwoods mich seitdem bei sich aufgenommen hatten, machte unseren Punkt nur aussichtsloser. Ich konnte sie verstehen. Irgendwie. Und doch konnte ich es nicht. Irgendwie.

Alles begann und endete mit meinem Vater. Alles führte zurück zu ihm. Als hätte er gewusst, dass die Nephilim ihm so wenig trauten, dass sie allem misstrauen würden, was jemals mit ihm in Berührung gekommen war. Als hätte er es mit Absicht so eingefädelt, dass die Nephilim sich selbst zerstörten, bevor er es tun konnte. Hatte er das bedacht? Hatte er darauf spekuliert? Oder war es nur eine zufällige Wendung der Ereignisse, eine der wenigen Variablen, die er nicht in der Hand hatte?

Am Rand meines Sichtfelds erhob sich eine Person und ich erkannte Aaron Wrayburn, der vor Beginn der Veranstaltung sein Haupt vor mir gebeugt hatte. Aus Respekt vor mir. Eine Tatsache, die ich wohl eher geträumt haben musste, als dass sie wahr war. Und doch wanderten seine braunen Augen nun zu mir, ein weiser Ausdruck auf seinem langen Gesicht. An seiner Seite saß eine Frau, die einige Jahre älter sein musste als ich. Den Gesichtszügen nach zu urteilen, war sie mit Aaron verwandt. Ich kannte sie nicht, hatte sie noch nie in meinem Leben gesehen. Trotzdem breiteten sich ihre dunklen, vollen Lippen zu einem Lächeln. Ich konnte sie nur anstarren, verblüfft und aus der Bahn geworfen, während ihr Vater, sie sahen sich ähnlich genug dafür, Maryse zur Hilfe kam und die Vorteile unseres Vorschlags untermauerte.

Isabelle drückte meine Hand. Sie war zufrieden, erleichtert sogar. Ich konnte ihre Gänsehaut spüren, als sich ihre Haut gegen meine presste. Aaron Wrayburn auf seiner Seite zu wissen, musste etwas bedeuten. Er musste ein angesehenes Mitglied der Schattenjägergemeinschaft sein. Das lange Schweigen, das folgte, bestätigte meine Vermutung. Es war, als müssten die Leute seine Worte verdauen, auf der Zunge abwägen. Hatte seine Meinung so viel Gewicht? Wieso dachten die Menschen nicht für sich selbst, sondern ließen sich von einer Person beeinflussen? Ich verstand es nicht, war in diesem Moment aber froh darüber.

Malik war der nächste der sich erhob und nun war ich es, die Isabelles Hand drückte. Sein Bruder Kadir hasste mich. So sehr, dass er versucht hatte, Jace dazu zu verleiten, mich umzubringen. Jace auf meiner anderen Seite lehnte sich erwartungsvoll nach vorn und ich drehte den Kopf in seine Richtung, um zu sehen, wie er die Brauen zusammenkniff. Dachte er gerade ebenfalls daran?

Doch Malik, dessen Bruder ich geschlagen und gedemütigt hatte, der immer so finster dreinblickte und von dem ich wusste, dass er mir gegenüber skeptisch war, erhob die Stimme und stimmte Aaron zu. Ich wusste nicht viel über Malik. Nur dass er und Kadir Teil der Division des New Yorker Instituts und damit Maryse unterstellt waren. War es Loyalität ihr gegenüber oder glaubte er tatsächlich daran, dass unser Weg der Richtige war? Ich konnte es nicht sagen. All die Psychologie, die Isabelle heute heraufbeschworen hatte, half mir nicht, seinen neutralen Blick zu entschlüsseln.

Mit Maryse, Aaron und Malik als laute Befürworter, erwachte nun wieder eine regere Diskussion in der Halle. Mehr Schattenjäger standen auf, gaben ihre Meinung kund und erklärten in kurzen Sätzen, warum sie so entschieden. Es war wie eine Kettenreaktion, die die Drei ausgelöst hatten. Von einmal waren es mehr Stimmen, die sich zu uns bekannten, wenn auch einige von ihnen sich klar von mir distanzierten. Es war mir egal. Alles was zählte war die Abstimmung.

Eine Abstimmung, an der ich nicht teilnehmen durfte. Der Konsul verbot es mir und Imogen stimmte ihm zu, ohne mit der Wimper zu zucken. Es waren Momente wie diese, die eine tiefe, unerklärliche Wut in mir wachriefen. Sie wollten es deutlich machen: Ich war gut genug, mit Unterweltlern über die Zukunft zu verhandeln, aber ich sollte kein Teil dieser Zukunft sein. Ich gehörte nicht zu ihrer Gemeinschaft.

Jace und Isabelle warfen mir beide einen flüchtigen Blick zu, doch ich presste die Lippen regungslos aufeinander und schaute starr geradeaus. Lass sie niemals die Zerstörung sehen. Lass sie niemals sehen, wie sehr es dich trifft. Und genau das tat ich. Ich saß brav auf meinem Platz und wartete darauf, dass die Abstimmung zu einem Ende kam.

Wir gewannen. Sehr knapp. So knapp, dass es auf die wenigen Schattenjäger ankam; dass es auf meine Stimme hätte ankommen können. Vielleicht ein anderer Grund, weshalb sie mich nicht hatten teilnehmen lassen wollen. Nichtsdestotrotz konnte ich meine gleichgültige Miene nicht lange aufrechterhalten, weil Isabelle sich in diesem Augenblick gegen mich warf und mir jede Luft aus den Lungen drückte. Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen, presste die Tränen des Schmerzes zurück in meine Augen und legte einen Arm um sie.

„Wir haben es geschafft!", quiekte Isabelle, schoss mit mir im Schlepptau auf die Beine und sprang um mich herum, als hätten wir gerade den Krieg selbst gewonnen. Sie war nicht die Einzige. Viele andere Nephilim standen von ihren Bänken auf. Geschrei brach aus. Wut, Ärger, Erleichterung, Jubel. Einige stürmten aus der Halle. Einige fielen sich um den Hals. Mir wurde klar, dass das hier nicht nur ein Kampf gegen Valentin war, sondern auch ein Kampf der Liberalen gegen die Konservativen.

„Wir haben es geschafft", wiederholte ich und musste die Augen zusammenpressen, damit meine Sicht nicht schwarz wurde. Die Iratzen halfen nicht mehr und meine Mitte fühlte sich an, als würde sie jede Sekunde entzweireißen. Als würde ich jede Sekunde auf dem steinernen Boden zusammensinken und verbluten.

Aber Isabelle war so glücklich, dass ich ihr die Stimmung nicht verderben wollte. Ich lehnte mich gegen sie und wir drehten uns gemeinsam zu Jace, Adam und Alec herüber, breite Grinsen auf unseren Lippen. Die Jungs starrten uns an, als hätten wir den Verstand verloren. Ungewissheit funkelte in Adams grünen Augen. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und er drängte sich zögernd an Jace vorbei.

„Alles wird gut werden, ich verspreche es", sagte ich und schenkte ihm ein sicheres Lächeln.

Adam strich sich eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht und nickte. „Ich frage mich nur, wie hoch der Preis sein wird, den wir dafür zahlen müssen."

„Darüber können wir noch nachdenken, wenn es so weit ist", rief Isabelle und schlang ihm ihren Arm über die Schultern. Wir rückten näher zusammen und drehten uns im Kreis. Ich schaffte es, meine beiden Arme auf ihren Schultern zu platzieren, sodass sie mir unwissend dabei halfen, mein eigenes Körpergewicht zu tragen.

Wir mussten albern aussehen, wie wir wie Kinder umhersprangen. Irgendwann ließ sogar Adam sich zu einem Lächeln bewegen, aus dem schnell ein Lachen wurde. Wir tanzten im Kreis, lachten und feierten den kurzen Augenblick des Triumphes. Das hier war ein großer Schritt für die Nephilim. Doch was wir hier taten, war nichts als ein lang zurückgehaltener Atemzug nach Freiheit, ein lang unterdrücktes Bedürfnis nach Normalität. Jeder Stich in meinem Magen erinnerte mich daran, dass es nichts war als ein Augenblick, ein Moment; etwas das innerhalb weniger Minuten wieder an uns vorbeiziehen würde. Wenn diese Sekunden vorbei waren, würde uns die neue Alltäglichkeit einholen. Die Alltäglichkeit, die seit meinem Auftauchen in New York entstanden war. Etwas, was sich niemals rückgängig machen würde. Ich konnte nie wieder zu meinem alten Leben zurückkehren, aber die Menschen um mich ebenso wenig. Manche würden sterben, manche würden Liebste verlieren und die, die das Glück hatten, niemanden sterben zu sehen, würden diese Zeit und den Schrecken, den sie brachte, niemals vergessen. Das hier war der Stoff, aus dem man Geschichten schrieb. Legenden, die in hunderten Jahren noch von Eltern erzählt werden würden. Um ihre Kinder zu warnen, dass nichts im Leben sicher war, nicht einmal der Tod. Mein Vater war nach achtzehn Jahren auferstanden und mit ihm zwei Kinder, die nie hätten existieren dürfen. Seltsam wie das Schicksal manchmal spielte.

Ich war erleichtert über das Ergebnis der Abstimmung. Nicht viele Nephilim sahen so glücklich aus wie wir drei. Sie hatten dafür gestimmt, weil sie keine andere Wahl hatten. Nicht, weil sie tatsächlich für eine Gleichberechtigung in der Schattenwelt waren. Der Konsul sah alles andere als zufrieden aus. Er sprach aufgeregt mit einer kleinen Gruppe an Schattenjägern, die sich um ihn versammelt hatte. Ich zwang mich dazu, den Blick abzuwenden.

Der nächste Schritt würde sein, sich mit den Oberhäuptern der verschiedenen Clans zusammenzutun, um das genaue weitere Vorgehen zu besprechen. Wann alle Versprechungen, die wir den Schattenwesen gemacht hatten, in die Wege geleitet werden würden. Wann wir zu unserer eigentlichen Tätigkeit als Wächter der Erde zurückkehren würden. Die Inquisitorin erklärte die Ratssitzung für geschlossen, aber kaum jemand hörte ihr noch zu. Viele waren bereits gegangen, andere unterhielten sich so laut, dass ihre Stimme im Tumult unterging.

Jace drängte sich an uns vorbei. Zumindest war das seine Intention gewesen. Im Endeffekt lösten Isabelle, Adam und ich uns voneinander, traten raus zur Treppe und ließen ihn durch. „Ich spreche kurz mit meiner Großmutter", sagte Jace als er an mir vorbeikam. „Warte im Foyer auf mich." Keine Sekunde später war er in der Menge verschwunden.

Ich starrte Jace hinterher und wusste nicht, was für ein Gesicht ich aufsetzen sollte. Es hatte keine Kommunikation gebraucht, um klarzumachen, dass er mich auch zurück zu den Basilias begleiten würde. Schon als wir vorhin hergekommen waren, war es wie eine unausgesprochene Tatsache zwischen uns gewesen. Trotzdem war meine erste Reaktion auf seinen Befehl Widerstand. Wahrscheinlich hatte es nicht mal wie einer klingen sollen. Ich ließ mich einfach nur nicht gerne herumkommandieren.

„Apropos", fiel Isabelle in diesem Moment dazwischen und tätschelte mir sanft die Schulter. „Ich muss noch was mit meiner Mutter besprechen. Falls wir uns draußen nicht mehr sehen sollten, sehe ich dich dann Morgen." Sie winkte Adam und mir schnell zu und spazierte dann zurück in die Sitzbank, wo Maryse und Alec saßen und miteinander tuschelten.

„Und dann waren es nur noch wir beide", sagte Adam und bot mir seinen Arm an. Ich harkte mich ohne zu zögern bei ihm ein. Meine Beine hatten nach all dem Springen zu zittern begonnen und ich brauchte die Stütze.

Ich schüttelte meinen Stolz ab und sagte frei heraus, was mir durch den Kopf ging. Es war gut für unsere Freundschaft, wenn ich ab und an meine eigenen Gefühle ins Spiel brachte. „Ich bin froh, dass du hier bist", gab ich zu als wir auf den Ausgang der Halle hochgingen. Jetzt wo nur wir beide hier waren, hörte ich auf, meine Stimme zu verstellen. Er konnte ruhig hören, dass es mir nicht gut ging. Das letzte Mal hatte er mich in Watte gepackt, aber ich hoffte, dass er dazu gelernt hatte. „Jace hat mir versucht auszureden, herzukommen und ich habe gedacht, er würde absichtlich übertreiben, als er meinte, dass es anstrengend werden würde."

„Du siehst echt nicht gut aus", bemerkte Adam und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. „Wie Isabelle es geschafft hat, dir das mit der Psychologie einzureden, weiß ich nicht. Ich bin nur froh, dass es geklappt hat. Man hat dir die vergangenen Tage zwar etwas angesehen, aber definitiv nicht angehört."

„Dann bin ich froh", murmelte ich und saugte die kühle Luft des Vorraums in mich hinein, als wir die großen Flügeltüren hinter uns ließen. Wie schon vor der Sitzung hatten sich einige Grüppchen zusammengefunden, die miteinander redeten. Nun aber heftiger als zuvor. Wütende, aber auch nachdenkliche Blicke wurden in meine Richtung geworfen. Wieder ignorierte ich sie und durchquerte mit Adam an meiner Seite den Raum. Im Schatten einer der vier breiten Säulen blieben wir stehen. Sie standen in jeder Ecke des Raumes und erinnerten mich an griechischen Tempel aus der Antike. Ich ließ Adam los und lehnte mich erschöpft gegen die Wand, froh, dass der Schatten meine Gestalt ein wenig verschluckte.

„Seitdem du zum Anwesen deiner Familie aufgebrochen bist, hatten wir kaum Zeit zum Reden", sagte Adam und lehnte sich einige Schritte von mir entfernt gegenüber an die Säule. „Natürlich habe ich den offiziellen Bericht gehört, aber ich wollte wissen, wie es dir persönlich dort ergangen ist. Es war bestimmt nicht leicht, dorthin zurückzukehren."

Ich schüttelte den Kopf und seufzte. Nun, wo das Adrenalin meiner Rede aus meinem Körper schwand, war es schwer, die Augen offen zu halten. Jede Bewegung schmerzte, selbst das Heben meiner Brust beim Atmen störte die Verletzung in meinem Magen. Meine Augen hoch zu Adams grünen zu hieven kam mir wie ein anstrengender Akt vor. Als hätte ich stundenlang trainiert und wäre nun aus der Puste. Gut, dass Jace nicht da war. Wie sollte ich weiter so tun, als hätte er nicht vollkommen Recht gehabt? Dieser Tag brachte mich um.

„Es war nicht schön", erklärte ich und presste nun die Augen zusammen, weil sich bei den Bildern in meinem Kopf auf einmal meine Kehle zusammenschnürte. Ich konnte nur hoffen, dass Adam meine Regung auf die Erschöpfung schob. „Ich bin nicht einmal reingegangen. Ich konnte das Haus nicht betreten. Dort zu sein und zu wissen, dass all diese Jahre eine Lüge waren ... Ich ärgere mich so, dass ich nichts hinterfragt habe, dass ich alles einfach so hingenommen habe."

Adam war einen Schritt auf mich zugekommen. Ich hatte die Augen immer noch geschlossen, wusste es aber nur, weil seine rechte Hand in einer tröstenden Geste über meinen Arm strich. „Dass er dann noch seine Dämonen auf euch gehetzt hat, hat wohl alles nur schlimmer gemacht. Allein die Vorstellung, dass mein Vater mir sowas antun würde ... ist unvorstellbar."

„Irgendwie bin ich dankbar dafür", sagte ich, hielt die Augen aber geschlossen. „Wir wären noch für Stunden dageblieben, wenn sie nicht angegriffen hätten. Dieser Schmerz ist mir lieber als die Dinge, über die ich mir dort Gedanken gemacht habe."

„Wenn du es so sagst."

Ich blinzelte und sah, wie Adam mit den Schultern zuckte. Er stand kaum einen Meter vor mir, fast in meiner räumlichen Privatsphäre und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Blick sah nachdenklich aus. Er fing meine Augen auf und für eine Weile schauten wir uns einfach nur an. Irgendwie sah er anders aus seit unserer ersten Begegnung in New York. Als wäre er in den letzten Wochen älter geworden. Anfangs hatte er viel gelächelt, aber mittlerweile bekam ich es nicht mehr so oft zu Gesicht. Ich mochte sein Lächeln. Es war unbeschwert und lenkte mich von meinen Sorgen ab. Adam war eine Person, die eine starke Aura besaß. Bei ihm war es so einfach, in seinen Sog zu geraten, von seinen Gefühlen angesteckt zu werden. Die Art wie er sprach, ließ ihn sich von anderen abheben. Man konnte sagen, dass seine Eltern viel Wert auf intellektuelle Bildung gelegt hatten. Er war gut darin, Sprache für sich zu nutzen, Worte so aneinanderzureihen, dass sie seinem Gegenüber gefielen. Er war gut darin, anderen ihre Bedürfnisse im Gesicht abzulesen. Auch wenn ich es bei mir meistens nicht erlaubte, wäre ich heute froh darum gewesen. Aber irgendwie schien auch er etwas neben sich zu stehen. Ich konnte nicht sagen, woran es lag.

„Ich muss zugeben, dass ich am Ende doch froh bin, wie die Abstimmung ausgegangen ist. Ich bin zwar immer noch skeptisch, aber deine Rede hat mich überzeug." Ein Grinsen breitete sich auf Adams kantigem Gesicht aus und mir fiel automatisch ein Stein vom Herzen. Da war er, der Adam, den ich gerade brauchte. Ich konnte nicht sagen, ob seine Worte wahr oder gelogen waren, um mich zufrieden zu stimmen, aber das störte mich nicht.

„Ich bin froh, dass ich dich überzeugen konnte", murmelte ich und hob meine Mundwinkel. Auch das schmerzte. Die Augen offen zu halten resultierte darin, schwarze Punkte am Rande meines Sichtfelds zu sehen und das bereitete mir Sorgen. „Ich bin wirklich unglaublich erleichtert, dass der Vorschlag angenommen wurde. Ich wüsste nicht, was ich sonst gemacht hätte."

Das Grinsen auf Adams Gesicht verlor etwas an seiner Intensität. Mit einem Mal fehlten die Emotionen in seinem Ausdruck. „Wenn es nach einigen aus dem konservativen Lager gehen würde, wärst du wohl im Gefängnis hinter Schloss und Riegel und wir würden uns weiter in Alicante verstecken. Auch wenn sie es wohl nicht Verstecken nennen würden."

„Du sagst das so, als wüsstest du das aus erster Hand", stellte ich fest und legte den Kopf schief. Falsche Entscheidung. Diese kleinen Bewegungen waren so in meiner Persönlichkeit veranlagt, dass mein Körper sie automatisch ausfuhr. Ich vergaß, wie sehr sie wehtun würden.

Adam presste die Lippen zusammen und sah für eine Sekunde etwas beschämt aus. Ich hatte ihn noch nie so gesehen. Sonst tat er so, als wäre alles in seinem Leben in bester Ordnung, als wären keine Verbesserungen möglich. „Meine Eltern denken etwas anders als du", gestand er. „Bevor du etwas Falsches denkst: Sie sind nicht wie der Konsul und seine Anhänger. Sie sind normale Schattenjäger, die sich Sorgen machen. Sie vertrauen den Schattenwesen nicht und haben deshalb gegen den Vertrag gestimmt."

„Jeder ist besorgt, Adam", erwiderte ich leise. „Jeder drückt diese Besorgnis anders aus. Ich verstehe, dass sie ihnen kein Vertrauen schenken. Aber wäre ihnen die Alternative des Vertrags lieber gewesen?"

Adam öffnete den Mund, um zu antworten, hielt jedoch inne, als eine große, dunkle Gestalt hinter der Säule hervorkam und sich zwischen uns stellte. Braunrotes Haar, welches im Schatten beinahe wie Ebenholz aussah, breite Schultern und ein boshaftes Lächeln auf dem runden Gesicht. Blake Ashdown starrte von Adam zu mir und musterte uns.

„Was macht ihr beiden denn hier im Dunkeln so abseits von allen?", fragte er mit interessierter Stimme, aber in seinen hellblauen Augen flammte eine Wut, für die ich gerade nicht bereit war.

„Was willst du, Blake?", fragte Adam und hob die Brauen. Erschöpfung machte sich auf seinen Zügen breit, als hätte er keine Lust auf eine Konfrontation mit seinem Freund. Oder was auch immer sie waren.

„Wann bist du eigentlich so unhöflich mir gegenüber geworden?" Blake fixierte Adam mit einem fordernden Blick. „Wir waren cool, als du noch in Toronto warst. Jetzt siehst du aus, als hättest du zu viel Zeit mit den falschen Leuten verbracht."

„Ihr seid also Freunde?", fragte ich offen und meine Augen schweiften zwischen den beiden Jungen hin und her.

„Ja, wir sind Freunde", antwortete Blake zufrieden, bevor Adam auch nur die Lippen auseinanderbringen konnte. Etwas Provokantes lag in seiner Stimme. „Wir kennen uns seitdem wir Kinder sind, wenn du es genau wissen willst, Morgenstern. Deshalb verstehe ich nicht, warum er dir und den Lightwoods hinterherrennt wie ein Hund."

„Das reicht, Blake", zischte Adam in einem Ton, der so gar nicht zu ihm passte.

„Warum? Soll sie nicht wissen, wer deine Freunde sind? Was weiß sie überhaupt über dich?" Blake lachte und schlug Adam freundschaftlich gegen die Schulter, als würde er sich einen großen Spaß erlauben. Als wäre das hier kein ernsthaftes Gespräch. Seine Körperhaltung und das Feuer in seinen Augen sagten etwas anderes.

Ich bin seine Freundin", sagte ich nun und wusste nicht, wieso ich Blake irritieren wollte. Meine Muskeln schrien vor Schmerz auf, warnten mich davor, dass ich es sein lassen sollte. Auch mein Bauchgefühl riet mir davon ab, mich in meiner Verfassung, mit ihm anzulegen. Ich konnte nicht anders. Es war wie ein Juckreiz, den ich befriedigen musste. „Von einem Blake hat er jedoch noch nie etwas erzählt. Aber wenn ich mir dich so ansehe, hätte ich das an seiner Stelle auch verschwiegen."

„Clary, was–", kam es von Adam, der hörbar unglücklich klang. Neben Blake war jede Freundlichkeit von seinem Gesicht verschwunden und von einer Neutralität ersetzt worden, die mir fremd erschien.

Wieder konnte Adam nicht ausreden. Blake knurrte und überbrückte den Abstand zwischen uns. Eine Sekunde später war ich zwischen seinen drahtigen Armen eingesperrt, die er auf Höhe meiner Schultern gegen die Wand drückte. Sein Gesicht war Zentimeter von meinem entfernt und nun, wo er Adam vollständig den Rücken zuwandte, ließ er seine Maske fallen. Vor mir stand ein Tier, ein Jäger. Blake fletscht geräuschlos die Zähne, funkelte mich zornig an und lehnte sich ein Stück weiter zu mir herunter.

„Du bist eine Lügnerin, genauso wie dein Vater", zischte Blake.

Mein Körper reagierte auf Blakes wie ein Magnet. Ich reckte das Kinn in die Höhe und starrte ihm trotzig ins Gesicht. „Nenn mich keine Lügnerin, wenn du mich überhaupt nicht kennst. Wer bist du, als dass du dir ein Urteil erlauben dürftest?"

„Blake, lass Clary in Ruhe, das geht zu weit", fuhr Adam dazwischen und griff nach Blakes Schulter.

Blake riss sich von Adam los und drehte den Kopf in seine Richtung. „Halt dich da raus", entgegnete er mit einem Knurren. „Wärst du nicht so ein Schwächling hättest du das hier schon lange gemacht." Adam schwieg und Blake wandte den Kopf ruckartig wieder zu mir. „Ich kenne dich gut genug. Deine Familie ist Gift für unsere Gemeinschaft, das hat dein bescheuerter Vorschlag heute wieder bestens bewiesen."

„Das ist es also", bemerkte ich und zwang ein Lächeln auf meine Lippen. Ich hatte das Gefühl, als würde ich jede Sekunde ohnmächtig werden. „Du bist wütend, weil die Mehrheit der Nephilim erkannt hat, was das Beste für sie ist. Du bist derjenige, der vergiftet ist. Von radikalem Gedankengut."

„Die Mehrheit ..., dass ich nicht lache", schnaubte er zornig. „Ohne deine gottverdammte Rede, müssten wir uns jetzt nicht mit Unterweltlern herumschlagen. Wenn wir nicht in einem Raum voller Menschen stehen würden, würde ich dir eigenhändig die Kehle rausreißen."

„Blake! Das meinst du doch nicht ernst." Adams Stimme klang überrascht und verbittert zugleich, als würde er das Spiel eigentlich schon kennen, es aber nur auf eine neue Art und Weise spielen.

Halt die Fresse, Adam. Und ob ich das ernst meine. Diese Schlampe wird uns alle umbringen und du bist zu blind, um die Wahrheit zu sehen." Blakes Hände zitterten an meinen Schultern. Die Wut in seinen blauen Augen hatte ihn voll im Griff. Er musste dagegen ankämpfen, mich nicht anzugreifen, jetzt wo wir uns so nah waren. Ich konnte seinen Atem gegen meine Haut spüren, sein Aftershave riechen. Vielleicht lag es daran, dass er mich gerade bedrohte, aber der Geruch bereitete mir Unbehagen.

„Du spuckst große Töne und ich frage mich, wie viel wirklich dahintersteckt", murmelte ich. Mehr bekam ich nicht auf die Reihe. „Hier inmitten deiner Leute bist du in Sicherheit. Ist das der wahre Grund, weshalb du mir nicht an Ort und Stelle die Kehle rausreißt?"

„Dafür, dass du aussiehst, als würdest du jeden Moment zusammenklappen, spuckst du wohl die großen Töne, Clarissa." Ein Lächeln schlich sich auf Blakes Gesicht. „Du hast recht, vielleicht sollte ich meine Chance jetzt nutzen, du siehst nicht so aus, als könntest du dich gegen mich wehren. So viel zur großen Kriegerin."

Seine Worte trafen meinen Stolz und ich konnte seinem Lächeln ansehen, dass genau das Blakes Intention gewesen war. Ich hob den Kopf weiter und starrte direkt in seine himmelblauen Augen. Der Schmerz machte mich deliriös. Die Hitze in meinem Körper musste Fieber sein. War das ein Fieberwahn, auf den ich zusteuerte? Ich konnte die Worte nicht verhindern, die meinen Mund verließen. „Nur zu, Blake Ashdown, versuch dein Glück. Ich könnte dich selbst im Schlaf umbringen."

„Clary, beim Erzengel–" Adam geriet in Panik. Er musste wissen, wie Blake tickte. Dass er meinem Angebot nicht aus dem Weg gehen würde.

„Es freut mich, das zu hören", sagte Blake und ignorierte Adam, als wären nur wir hier weit und breit. „Ich würde gerne sehen, wie viel du tatsächlich draufhast. Training unter Valentin, himmlisches Blut ... ich glaube die Leute werten deine Fähigkeiten auf, weil sie sich vor dir fürchten. Ich fürchte mich nicht."

„Du fürchtest dich." Mein Körper schien unter mir in Stücke zu reißen, als ich ein verächtliches Lachen über meine Zunge zwang. „Du hättest deinen Worten schon Taten folgen lassen, wenn es anders wäre. Du hast Angst vor mir, Blake, aber mach dir nichts draus, den meisten geht es genauso."

Und endlich kam der Moment, auf den ich hingearbeitet hatte. Ich konnte es in seinen Augen sehen. Wie ein Nebel, der sich vor seine Sicht schob. Blakes Selbstkontrolle bekam den Knacks, auf den ich gewartet hatte; den ich hatte sehen wollen. Was war bloß los mit mir? Wieso war ich so versessen darauf, ihn zu provozieren? Wieso war ich danach aus, jemanden zu verletzen? Da war eine unbändige Wut in meinem Körper, die sich eigentlich gegen jemand völlig anderes richtete. Doch mein Vater war außerhalb meiner Reichweite. Ich konnte ihn nicht zur Rechenschaft ziehen für das, was er mit meinem Bruder getan hatte, weshalb meine Mutter tot war, wieso ich den Rest meiner Tage in Einsamkeit leben würde, warum ich ein Leben führen musste, das ich nicht verdient hatte.

Blakes rechte Hand fuhr von der Wand zu meinem Gesicht. Ich zuckte nicht als sich seine Fingernägel in mein Kinn drückten. „Du hast ein hübsches Gesicht, das muss man dir lassen", flüsterte Blake und lächelte charmant. „Du bist wie der Teufel im Körper eines Engels. Das wird mich nicht daran hindern, dich zu töten."

„Ich fühle mich geschmeichelt", antwortete ich und nickte mit großen Augen. Ich würde einen Kampf gegen Blake niemals gewinnen. Was machte ich mir eigentlich vor? Ich würde wahrscheinlich nicht einmal merken, wie er sein Messer in meine Brust rammt, weil ich bereits in Ohnmacht gefallen war.

Blakes Finger drückten sich stärker gegen mein Kinn, als würde er meinen Kiefer mit bloßer Kraft brechen wollen. Doch dann zuckte seine Hand, als wäre ihm eine andere Idee gekommen. Ich schaute ihm weiter regungslos in die Augen, um ihm zu zeigen, dass es mich nicht rührte. Er würde mich nicht aus der Fassung bringen, egal was ihm im Kopf herumschwirrte.

Es stellte sich als unwichtig heraus. Ich würde nie wissen, was Blake sich dachte, weil er in dieser Sekunde so gewaltsam von mir fortgerissen wurde, dass ich mich anstrengen musste, um nicht vor Überraschung zu zucken. Blake gelang es weniger gut als mir. Eine Mischung aus Verärgerung und Verwirrung spiegelte sich auf seinen Zügen.

„Adam, ich schwöre, du bist als nächstes dran", kam es ihm wütend über die Lippen und drehte sich wirbelnd herum, nur um sich mit Jace konfrontiert zu sehen, der ihn ebenso zornig musterte. Das erschrockene Gesicht auf Blakes Gesicht hätte mich beinahe zum Lachen gebracht, wenn Jace' Anwesenheit mich nicht selbst aus der Bahn geworfen hätte.

„Was zum Erzengel machst du hier, Blake?" Seine Stimme hatte einen bedrohlichen Unterton angenommen und er stieß Blake mit solcher Kraft gegen die Brust, dass dieser rückwärts mit Adam zusammenstieß. Dann verschwand Blakes Gesicht hinter Jace' breitem Rücken, als er sich vor mich stellte.

„Ich tue das, was du schon vor Wochen hättest tun sollen", erwiderte Blake, riss sich mit Mühe von Adam los und machte einen Schritt zur Seite. Sein Kopf drehte sich sofort in meine Richtung und ich wartete nur darauf, dass er einen Schritt auf mich zu machte. Ich presste die Lippen aufeinander und verengte die Augen. „Da ihr beide ja anscheinend zu schwach seid, muss ich mich wohl darum kümmern."

Jace' Blick folgte Blakes und unsere Augen trafen sich. Er sah außer sich aus, nicht viel besser als Blake. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und er verzog den Mund, als wäre er sich nicht sicher, was er hervorbringen würde, wenn er ihn öffnete. „Halte dich von ihr fern, Blake. Ich mein's ernst. Das hier ist keine dieser Geschichten, wo du und deine Freunde sich einmischen können. Kümmer dich um Angelegenheiten, die nichts mit der nationalen Sicherheit zu tun haben."

„Ich verstehe das nicht", brauste Blake und starrte von Jace zu mir und dann zu Adam, der sich vollkommen im Hintergrund hielt und aussah, als würde er am liebsten auf dem Absatz kehrt machen und mich hier allein zurücklassen. „Ich weiß, dass deine Familie die Morgensterns mehr hasst als jede andere in Alicante. Ich weiß aber auch, dass Clarissa nur wegen dir noch am Leben ist. Wie passt das zusammen?"

„Ich bin wohl nicht das böse Monster aus deinen Albträumen", bemerkte ich gehässig.

Blake machte einen Satz auf mich zu, wurde jedoch von Jace daran gehindert, mich zu erreichen. Ein Zischen ging Jace über die Lippen und er hielt Blake sichtlich mühelos am Arm zurück. „Bleib weg von ihr oder wir beide bekommen ein Problem." Es klang nicht wie eine Anweisung, die man ihm aufgetragen hatte. Eher wie ein persönliches Versprechen. Als fände er eigenes Interesse an meinem Wohlbefinden. Doch über seine Schulter hinweg funkelte Jace mich an. Halt den Mund, trichterten seine bedrohlichen Augen mir ein.

Blake wehrte sich gegen seinen Griff, gab jedoch auf, als ihm klar wurde, dass die Situation aussichtslos war. „Du solltest deine Zunge hüten, Clarissa. Oder ich schneide sie dir ab, wenn wir uns das nächste Mal begegnen. Dein Retter in der Not kann dich auch nicht ununterbrochen beschützen." Jace' Augen verdunkelten sich und als Blake sich schließlich von ihm losriss, rührte er sich nicht von der Stelle. „Und du kannst dir sicher sein, dass wir uns bald wiedersehen werden. Du und ich und niemand sonst, der dich retten wird."

„Ich brauche niemanden, um mich zu retten", lachte ich mit all der Arroganz und Häme, die ich aufbringen konnte.

Blake lächelte ein letztes Mal zerstörerisch, seine Emotionen nun wieder sorgfältig hinter seiner Maske aus Arroganz und Jugendhaftigkeit versteckt. „Wir werden sehen." Dann drehte er sich um und verschwand aus dem Vorraum. So schnell wie er eben aufgetaucht war.

Eine Sekunde lang sagte niemand etwas. Ich lehnte mich gegen die Wand, ließ den Sauerstoff in meine Lungen strömen und versuchte, nicht auf den Boden zu sinken. Ich zitterte. Jede Faser meines Körpers war erschöpft, bettelte um Ruhe, um Erholung. Ich brauchte etwas gegen den Schmerz. Etwas Stärkeres als eine Iratze. Ich hob leicht den Kopf und strengte mich an, mir den Schwindel nicht anmerken zu lassen, der mich der Schwerkraft gefügig machen wollte. Meine Augen glitten zu Jace, der jede Regung meinerseits beobachtete. Wie viel sah man mir an? Adam hatte angedeutet, dass ich schlimm aussah. Wie schlimm? Mein Gesundheitszustand verschonte mich nicht vor dem, was folgte.

„Bist du lebensmüde?!", zischte Jace und kam nun auf mich zu, seine Hände in einer fassungslosen Geste ausgestreckt.

„Vielleicht." Ich lächelte schwach.

„Was ist falsch mit dir?", giftete Jace weiter und ich ließ ihn reden. Er war offensichtlich aufgebracht. „In den letzten Tagen ist mir dein Drang zu Sterben doch etwas zu viel geworden. Ich kriege langsam das Gefühl, du willst, dass dir diese Sachen passieren." Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch er hob eine Hand, um mich zum Schweigen zu bringen. Seine Aufmerksamkeit verschob sich von mir zu Adam. „Und was dich angeht. Was tickt bei dir eigentlich nicht mehr richtig? Du hättest die beiden auseinanderbringen sollen, anstatt dumm in der Gegend herumzustehen."

„Er wollte nicht gehen", erklärte Adam sich. Alles an ihm war falsch. Seine Stimme klang hohl, sein Gesicht wirkte leer. Er kannte Blake, hatte gewusst, wie er reagieren würde, das war mir aufgefallen. Aber aus irgendeinem Grund war er Blakes Anweisung nachgekommen. Wie wenn es nicht das erste Mal war. Er hatte sich gebeugt, als hätte er Angst. Wer war Blake, dass Adam sich vor ihm fürchtete?

„Er wollte nicht gehen?!" Jace warf Adam einen ungläubigen Blick zu und raufte sich sein blondes Haar, als müsste er sich zusammenreißen. „Du bist ein Schattenjäger, Adam. Clary ist halb tot und hat trotzdem den Mumm, sich mit ihm anzulegen. Auch wenn es komplett idiotisch ist, aber nichtsdestotrotz. Du hättest ihn zurückhalten müssen."

Adam nickte langsam und schaute an Jace vorbei zu mir. „Tut mir leid, Clary. Ich wollte nicht, dass das ausartet. Ich denke wohl, dass es besser wäre, wenn ich jetzt gehe."

Ich starrte Adam hinterher, bis er in der Tür zum Foyer der Garnison verschwand. Als ich mich abwandte, fing ich wieder Jace' Augen auf. Er stand nun dort, wo Adam am Anfang unseres Gesprächs gestanden hatte, lehnte aber nicht gegen die Säule. Die gesamte Intensität seines Blickes war auf mich geheftet; so stark, dass es mir schwerfiel zu atmen. „Willst du hören, dass es mir leidtut? Das wirst du nicht. Du bist nicht mein–"

Ich konnte kaum blinzeln, bevor Jace plötzlich direkt vor mir aufragte, sein Kopf nur Zentimeter über meinem und seine Hände in die Wand neben meinen Schultern gedrückt; genauso wie Blake vorhin. Nur dass ich mit einem Hauch der Überraschung feststellten musste, dass seine Nähe mein Herz aus Gründen schneller schlagen ließ, die nichts mit Furcht zu tun hatten.

„In Momenten wie diesen bereue ich es, überhaupt zu versuchen, mit dir befreundet zu sein", toste Jace und das Herz in meiner Brust hörte plötzlich gänzlich auf zu schlagen. Meine Gesichtszüge entglitten mir und der überwältigende Schmerz meines Körpers drohte mir mit jedem Wimpernschlag mit Tränen in den Augenwinkeln. Er musste es sehen, denn seine verzerrte Maske geriet ins Wanken, als merkte er selbst, dass er zu weit gegangen war. Eher er fortfahren konnte, hatte ich wieder das Wort ergriffen.

Ich schüttelte den Kopf. „Du fragst mich, was falsch mit mir ist. Was ist denn los mit dir? Wieso flippst du so aus?" Die Kälte in meinem Ton schwächelte aufgrund der Hitze, die die Wunde in meinem Bauch verursachte.

„Blake und du wart kurz davor, euch gegenseitig an die Gurgel zu gehen", sagte Jace in einem kaum milderen Ton, wie wenn er Probleme hätte, sich selbst zu kontrollieren. „Du bist nicht stark genug für einen Kampf. Darüber hinaus solltest du das Kämpfen mit anderen Schattenjägern ohnehin sein lassen. Du hast ihn mit Absicht provoziert."

Ich presste die Augen zusammen, um ihn nicht vor mir sehen zu müssen. „Er will mich umbringen", erklärte ich. „Ich wollte sehen, wie weit er hier und jetzt gehen würde. Ich kenne ihn nicht und wollte sein Temperament einschätzen."

„Ich kann dir genau sagen, was für ein Temperament Blake hat, Clary", antwortete Jace und seine blonden Augenbrauen verzogen sich zornig. „Blake ist ein Fanatiker. Er und seine Freunde sind bekannt dafür, das Abkommen zu brechen. Sie bedrohen Schattenwesen und auch Schattenjäger, wenn es sein muss und sie jemanden auf dem Kicker haben. Sie sind gefährlich und du solltest dich von ihnen fernhalten."

„Wieso sind sie dann noch auf freiem Fuß, wenn sie das Abkommen brechen?"

„Keiner kann es ihnen nachweisen. Sie haben einige mächtige Freunde im Rat, die mögliche Beweise vertuschen. Deshalb sind sie ja auch so gefährlich", erklärte Jace und starrte mich an, als wäre ich ein Kind, das eine fremde Sprache sprach. Wir waren uns weiterhin so nah, aber ich fühlte mich wie einem Fremden gegenüber. Ich hatte schon ganz vergessen, wie es war, diese Seite von ihm aufgetischt zu bekommen. Nun wo ich die andere Seite gesehen hatte, war das hier wie ein Sprung zurück in der Zeit. Ich wusste nicht recht damit umzugehen.

Mein Kinn nickte mechanisch. „Ich lasse mich aber nicht von oben herab behandeln. Bei deiner Großmutter habe ich keine Wahl als es über mich ergehen zu lassen, aber von jemandem wie ihm lasse ich mich nicht beleidigen", presste ich feindselig hervor. Als wäre Jace der Feind. Er verdiente nichts anderes, wenn er mich so behandelte.

„Dann warte doch wenigstens bis du wieder gesund bist, verdammt", zürnte Jace, ließ jedoch den Kopf hängen, als wäre er es leid, sich mit mir zu streiten. Seine Haare berührten meine Stirn, doch er blickte zischen uns auf den Boden, mit den Gedanken ganz woanders. „Wenn er sagt, dass er dich töten wird, dann wird er es versuchen. Jetzt bist du ein einfaches Ziel. Kannst du überhaupt gerade laufen?"

Ich seufzte und starrte an mir herunter – folgte seinem Blick. „Ist es so offensichtlich?"

Jace imitierte mein Seufzen und hob den Kopf. Unsere Augen trafen sich und er schien sich der Nähe zwischen uns langsam bewusst zu werden. „Ja, das ist es und dich so zu sehen ist ... unangenehm."

„Unangenehm?", murmelte ich und legte den Kopf schief.

Jace nahm seine rechte Hand von der Wand und umfasste meinen Kiefer, strich mir behutsam über die Wange. Da lag etwas in dem Gold seiner Augen, was mich dazu veranlasst hätte, ihm auf der Stelle jedes meiner Geheimnisse zu offenbaren. Obwohl sein Griff sanft war, war sein Blick umso fordernder. „Hat er dir wehgetan?"

Meine Lippen teilten sich und ich bedachte meine Antwort. Währenddessen hatte ich das Gefühl, dass Jace mir jeden einzelnen Gedankengang aus den Augen ablesen konnte. „Nein", erwiderte ich schließlich und wunderte mich, warum ich flüsterte. „Eigentlich hat er nicht wirklich etwas gemacht, außer mir zu drohen."

„Gut", war alles was er erwiderte und ließ seine Finger langsam wieder sinken. „Es ist komisch dich so schwach zu sehen. Und selbst in diesem Zustand bringst du es zustande, eine Rede vor dem Rat zu halten und dich danach mit Blake Ashdown zu streiten. Das lässt mich hoffen, dass du ein weiteres Gespräch mit meiner Großmutter auch noch überstehst."

Ich neigte den Kopf nach oben und starrte zu Jace herauf, der mittlerweile ein Stück von mir abgerückt war. Eine stille Entschuldigung spiegelte sich in seinen goldenen Augen. „Sie hat nach uns beiden verlangt", beantwortete er meine stumme Frage. „Etwas im Bezug auf das neue Abkommen."

„Es wird Tage dauern, um mich von heute zu erholen", murmelte ich unzufrieden, ließ jedoch zu, dass Jace mich vorsichtig von der Wand fortzog. Er drückte mich gegen seine Seite, als würde er mich umarmen wollen. Für einen Atemzug lang lehnte ich einfach gegen seine Brust und ließ mich von seinen Duft nach Frühlingswind und Ahorn von diesem Ort forttragen. Ein Teil von mir wunderte sich bereits, was seine Intention gewesen war, als er meinen linken Arm hob und ihn sich um seine Schultern legte. Sein eigener Arm fand seinen Weg um meine Hüfte und ich erkannte viel zu spät, dass er mir einfach beim Laufen helfen wollte. Ich ließ zu, dass er den Großteil meines Gewichts trug und spürte, wie Hitze in meine Wangen schoss, obwohl ich mir nicht erklären konnte, weshalb.

„Ich habe dich gewarnt." Ein kleines Grinsen breitete sich auf Jace' Gesicht aus, während er zu mir herunterschaute. „Es wird sicher nicht allzu lange dauern. Sie ist froh, wenn sie dich danach wieder los ist."

„Schön, dass du wenigstens zugibst, wie wenig sie mich leiden kann", erwiderte ich und verdrehte die Augen.


-

Oh oh ... dieser Blake scheint ja ganz schön auf Stress aus zu sein. Macht ihr euch Sorgen oder denkt ihr, das sind nur leere Drohungen?

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