Kapitel 43.2. - An Argument With the Deaf
„Gemeinschaft der Nephilim", begann ich und imitierte dabei die Inquisitorin, die die Versammlung mit denselben Worten eröffnet hatte. Ich war froh zu hören, dass meine Stimme laut und klar durch den Saal getragen wurde. Kein Anzeichen der Schmerzen, die sich für den Moment hinter die schützende Wand der Iratze in ein Pochen verwandelt hatten. „Ihr kennt mich als Tochter von Valentin Morgenstern und das wird wahrscheinlich dazu führen, dass ihr mir kein Vertrauen entgegenbringen wollt – oder könnt. Mein Vater hat eure heiligsten Traditionen mit Füßen getreten, eure Familien auseinandergerissen und ist für den Tod so vieler Schattenjäger verantwortlich. Ich weiß, dass ich seine Taten niemals rückgängig oder in Ordnung bringen kann, aber ich will mich trotzdem entschuldigen. Für das Leid, für den Tod und für die schrecklichen Dinge, die noch auf uns zukommen. Viele von euch werden meinen Worten keinen Glauben schenken und das verstehe ich, an eurer Stelle würde ich es ebenso wenig tun. Ich kann nur hoffen, dass ihr mir die Chance gebt, meine Loyalität zu beweisen."
Ich hielt einen Moment inne, überwältigt von dem Schwall an Worten. Keiner der Nephilim unterbrach meine Ansprache, was mich gleichermaßen verwunderte und erleichterte. Ich war mir nicht sicher, wie ich reagieren würde, wenn jemand mir so feindselig ins Wort fiel, wie Einzelne es eben bei Imogen getan hatten. „Ich stehe auf eurer Seite und ich habe auch jemanden verloren, den ich geliebt habe. Vielleicht kannten einige sie noch als Jocelyn Fairchild. Sie ist der Grund, weshalb ich heute vor euch stehen kann. Sie wollte das Töten beenden und musste dabei selbst den höchsten Preis bezahlen."
„Gemeinschaft der Nephilim, ich stehe heute vor euch, weil ich das zu Ende bringen werde, was meine Mutter begonnen hat. Valentin hat so viele Menschen für seinen Glauben getötet, aber selbst vor seiner eigenen Familie, die ihm angeblich so heilig ist, macht er keinen Halt. Ich denke das sagt genug über seinen Charakter aus. Falls einige von euch glauben, dass man mit ihm verhandeln kann, dann täuscht ihr euch! Mein Vater ist im Besitz von Seelenschwert und Engelskelch. Er wird diese Stadt bis zum letzten Schattenjäger dem Erdboden gleichmachen und auf den Ruinen eine neue Generation erschaffen."
„Was schlägst du vor, Clarissa Morgenstern?", fragte Malachi in zweifelhaftem Tonfall, als würden meine Worte ihm nicht gefallen.
Ich schaute nicht zu ihm herüber, als ich fortfuhr. Stattdessen glitten meine Augen weiter über die vielen Sitzreihen der Schattenjäger. Sie musste ich erreichen, nicht den Konsul. Sie waren der Schlüssel. „Mit unserem Rückzug nach Alicante haben wir unseren Eid nicht nur gegenüber Raziel gebrochen, sondern auch gegenüber den Unterweltlern. Wir haben das Abkommen missachtet und das bedeutet Krieg. Wir können uns keinen Krieg mit den Schattenwesen leisten: Er wäre mehr als überflüssig und aus unserer Perspektive äußerst töricht, da wir weit in der Unterzahl sind. Im Fall, dass Valentin die Umkehrung des Seelenschwerts gelingt, wären wir allein gegen die Dämonen verloren. Falls es dann überhaupt noch eine Hoffnung für irgendjemanden gibt. Was ich sagen will: Die Schattenwesen würden genauso leiden, wie wir, wenn Valentin seinen Plan Realität werden lässt. Jetzt haben wir noch die Chance, die Umkehrung zu verhindern und das schaffen wir nur gemeinsam. Aus diesem Grund haben Isabelle und Alec Lightwood, Adam Demonhunter, Jace Herondale und ich uns als Abgesandte des Rats mit Luke Garroway, Magnus Bane und Raphael Santiago getroffen, um einen Vertrag auszuhandeln, der diesen Krieg verhindert. Beide Parteien waren sich dabei einig, dass das Abkommen, so wie es derzeit besteht, abgelöst werden muss, da es weder zeitgemäß noch fair gestaltet ist. Es war eine unumstößliche Bedingung der Unterwelt."
In einigen Stellen des Saals brach Gemurmel aus, allerdings konnte ich nicht sagen, ob das an der Erwähnung der anderen oder der Kritik am Abkommen lag. Ich hatte ihre Namen mit Absicht erwähnt. Die Leute mussten wissen, dass ich nicht allein verhandelt hatte, nur weil ich gezwungen war, die Ergebnisse vorzustellen. Streng genommen hatten Isabelle und Alec am meisten zu den Verhandlungen beigetragen. Sie unerwähnt zu lassen, wäre unfair gewesen.
„Wir sind zu einem Ergebnis gekommen, welches in mehrere Punkte unterteilt ist", erklärte ich und spürte, wie meine Kehle langsam trocken wurde. Dieses ganze Gerede führte nur dazu, dass mein Kopf sich langsam zu drehen begann. „Die Vertreter der Schattenwesen haben zugesichert, dass die Schattenwelt an der Seite der Nephilim stehen und sie mit aller Kraft im Kampf gegen Valentin unterstützen wird. Im Gegenzug dafür verlangen sie ein Abkommen, das uns zu gleichberechtigten Partnern macht. Es soll ein Gremium gebildet werden, ein Vertreter eines jeden Clans, welches gleichberechtigtes Mitspracherecht in allen Belangen der Politik hat, die die Unterwelt als Ganzes betreffen."
„Gleichberechtigung?", schrie eine fassungslose Männerstimme von weit her. „Wir sind doch nicht auf derselben Stufe wie diese Dämonenkreaturen!" Weitere Stimmen wurden laut.
Blut schoss mir ins Gesicht. Der Raum begann sich schneller zu drehen. Für eine Sekunde schloss ich die Augen und versuchte, meinen Verstand auf die Fakten zu fokussieren. Wer würde mir folgen, wenn ich nicht einmal mit einem Kritiker fertig werden konnte? „Diese Dämonenkreaturen werden dafür sorgen, dass ihr nicht vom Antlitz dieser Welt verschwindet!", entgegnete ich so laut wie möglich. Die Stimmen um mich herum wurden leiser. „Idris gehört nicht nur den Nephilim, auch wenn ihr lange so getan habt. Diese Welt wird geteilt und so sollte es auch Gleichberechtigung in der Gesetzgebung geben."
„Das kann nicht dein Ernst sein", brachte der Konsul hervor und stand empört von seinem Stuhl auf. Sein Gesicht hatte sich vor Zorn verdunkelt und er zeigte in einer fast drohenden Geste mit dem Zeigefinger auf mich. „Wir sind von Raziel auserwählt! Wir sind jeder Spezies auf diesem Planeten überlegen. Das zu leugnen ist eine Frechheit! Ein Gremium?" Malachi spuckte das Wort aus, als würde der Gedanke ihm Übelkeit bereiten. „Ich setze mich sicher nicht mit Vampiren oder Werwölfen an einen Tisch, um gemeinsam Gesetze zu verabschieden!"
„Keine Sorge, Konsul", sagte ich in die Stille hinein, die Malachis Worte mit sich gebracht hatten, und zuckte mit den Schultern. Ich konnte die vielen Augenpaare spüren, die mit einer erdrückenden Macht auf mir lagen. Vom Konsul persönlich angegriffen zu werden war wohl eine Seltenheit. Ich starrte zu Malachi hinab und lehnte mich ein Stück nach vorn, während ein kalter, gleichgültiger Ausdruck sich auf meinen Zügen ausbreitete. „Wenn Ihr nicht den Mumm dazu habt, findet sich schon jemand anders. Zum Glück sind Politiker ersetzbar. In Zeiten wie diesen geht das schneller als man glaubt."
Es war als würde die gesamte Halle einen scharfen Atemzug nehmen. Isabelle neben mir konnte ihr Lachen nicht unterdrücken. „Wie unzivilisiert von dir, Clary", kicherte sie und einige Leute drehten sich mit großen Augen zu ihr herum. „So von Valentins Tochter auseinandergenommen zu werden passt ihm wahrscheinlich gar nicht."
Isabelles Worte trieben ein Grinsen auf mein Gesicht. Malachi sah aus als würde er jeden Augenblick explodieren. „Wie kann sie es wagen!", rief er und machte einige Schritte in Imogens Richtung, die die Lippen hart zusammenpresste und keinerlei Gefühlsregung zeigte. „Sie spricht genauso wie ihr Vater, hat dieselbe scharfe Zunge! Und ihr wollt ihr folgen? Wahrscheinlich hat sie sich mit ihrem Vater gegen uns verschworen und versucht nur, den Plan umzusetzen, den Valentin ihr aufgetragen hat."
„Und dieser Plan wäre was, Konsul?", forderte ich und konnte die Wut nun selbst kaum zurückhalten. „Schlagt mir eine Alternative vor! Es gibt keine. Unser Plan ist die einzige Möglichkeit, die Nephilim vor dem Aussterben zu bewahren!"
„Ein solches Bündnis mit den Schattenwesen wird unser Aussterben ebenso zur Folge haben!", rief Malachi zurück.
„Schattenwesen und Schattenjäger mögen auf verschiedenen Seiten stehen, aber das muss nicht so sein. Wir können Verbündete sein, wenn die konservative Fraktion in diesem Raum endlich das Wohl der Allgemeinheit über die eigenen, veralteten Wertvorstellungen legen würde. Mein Vater hat mir achtzehn Jahre eingeprägt, dass Unterweltler nichts als Abschaum seien. Ich gebe zu, dass ich mich in ihrer Gegenwart nicht völlig wohl fühle, aber trotzdem hat es mich nur einige Wochen gekostet, um die Wahrheit zu begreifen." Lukes Worte. Es war, was er am Ende unserer Verhandlung zu mir gesagt hatte. Ich wunderte mich, ob wir in einer anderen Welt hätten Freunde sein können. In einer Welt, in der meine Mutter Valentin schon viel früher verlassen hätte vielleicht.
„Clary hat recht", verkündete in diesem Augenblick eine Stimme zu meiner rechten. Meine Augen weiteten sich vor Überraschung als ich Alec sah, der das Wort ergriff. „Einer der Gründe, weshalb viele Nephilim den Schattenwesen abgeneigt sind, ist, dass sie Angst vor ihnen haben. Ihr fürchtet euch vor dem Dämonenblut in ihren Adern. Die Wahrheit ist, dass das Dämonenblut sie nicht zu Dämonen macht. Sie sind Menschen mit Gefühlen genauso wie wir. Das verstehen nur die Nephilim unter euch, die überhaupt schon mal in Kontakt mit einem der ihren war. Jeder, der außerhalb von Idris lebt, wird mir da zustimmen."
Schweigen. Selbst Malachi hatte darauf keine Antwort. Alecs Kopf drehte sich zu mir und ein zufriedener Ausdruck funkelte in seinen blauen Augen. Er lächelte nicht, aber das änderte nichts an der offenen Unterstützung, die er mir hatte zukommen lassen. Ich nickte ihm dankend zu und konnte die Erleichterung in meinem Gesicht kaum verbergen.
Dann wandte ich mich wieder Malachi und dem Rest der Schattenjäger zu. Es war noch nicht alles gesagt. Das was nun folgte, würde die Stimmung weiter drücken und für Unruhen sorgen, da war ich mir sicher. Ich schluckte ein Seufzen herunter als ich den Mund öffnete. „Wir haben den Schattenwesen noch eine zweite Sache zugesichert", sagte ich und konnte bereits spüren, wie Unmut aufkam. Die Vormachtstellung der Nephilim zu untergraben war noch nicht genug. „Fast alle Rudel und Clans von Werwölfen und Vampiren haben sich in Idris eingefunden. Die Wölfe hausen nicht weit von Alicante entfernt. Sie fürchten sich vor Valentin, weil er immer noch ihre Kinder jagt. Wenn der Vertrag abgeschlossen werden soll und wir ihre Unterstützung gegen Valentin wollen, fordern sie uns auf, unser Versteckspiel aufzugeben. Die Nephilim kehren zurück in die Welt, wie vor Valentins Wiederkehr auch, und versuchen, sowohl Menschen als auch Schattenwesen zu schützen. Wir sind nicht genug, um dort draußen jeden zu beschützen. Die präferable Alternative wäre, den Unterweltlern den Einlass nach Alicante zu gestatten."
Tumult brach aus, der wie eine riesige Explosion durch die Reihen fegte. Wie eine giftige Mischung verschiedener Elemente, die eine tödliche Kettenreaktion auslösten. Ich nutzte die Momente der Aufregung, um mich auf den Schmerz in meinem Magen zu konzentrieren, der die Mauer der Iratze fast durchbrochen hatte. Ich hatte das Gefühl, dass jede weitere Iratze eine geringere Wirkung auf meinen Körper hatte. Wie viele Minuten blieben mir noch, bevor die schwarzen Punkte wieder vor meiner Sicht auftauchen würden?
„Ich weiß, dass es so etwas noch nie gegeben hat", gab ich seufzend zu, aber nur die Hälfte der Schattenjäger schien mir zuzuhören.
„Diese Stadt ist heilig und nun sollen wir sie einer Horde Wilder zur Verfügung stellen?"
„Es ist nur für die Dauer des Kriegs gedacht. So lange, bis wir Valentin besiegt und das Schwert der Seelen sicher in unserer Gewalt haben. Sie können in verlassenen Häusern oder in der Abkommenshalle unterkommen. Vielleicht finden sich einige Familien, die Einzelne aufnehmen." Ich hielt inne als etwas vor meinen Augen zu flackern begann. Einen Augenblick später folgte ein stechender Schmerz in meinem Magen. Mein Körper begann zu schwanken, ich verlor die Kontrolle. Es fühlte sich an als würde ich einige Zentimeter über dem Boden schweben. Mein Kopf drehte sich ruckartig über die Sitzbänke hinweg zur Inquisitorin. Ihre Augen waren bereits auf mich geheftet. Sie hob fragend die Brauen, ließ sich aber ansonsten keine weitere Regung anmerken. Ihr Gesicht ähnelte dem einer Steinskulptur. „Das ist alles, was wir ausgehandelt haben. Ich weiß, dass es schwer zu verdauen ist, aber ... wir haben keine andere Wahl."
Nun, da ich meinen Bericht abgeschlossen hatte, wuchs der Geräuschpegel um mich herum rasend schnell heran. Viele waren aufgesprungen und diskutierten miteinander. Argumente flogen durch den Raum. Ich hatte keine Ahnung, ob für oder gegen unseren Vorschlag. Alles was meine Ohren aufnahmen war ein lautes, statisches Rauschen. Ich griff nach meiner Stele und ließ mich entkräftet auf die Bank fallen.
„Das war phänomenal!", rief Isabelle über die Stimmen hinweg und ich schenkte ihr ein kleines Lächeln. Ihre braunen Augen fuhren über mein Gesicht und die überschwängliche Freude schwand aus ihrem Blick. „Du siehst gar nicht gut aus, Clary."
„Psychologie, Isabelle", erwiderte ich halb lachend, halb keuchend und drückte mir ein weiteres Mal die Stele gegen die heiße Haut. Ich hatte vergessen mitzuzählen, die wievielte Iratze es war.
Jemand drückte mir eine Hand auf den Rücken und als ich meinen Körper halb zur Seite drehte, traf ich auf Jace' Gesicht, das mir näher war als erwartet. Sorge spiegelte sich in seinen Augen, doch auf seinen Lippen lag ein zufriedenes Schmunzeln. „Das lief zwar gut, aber der harte Teil fängt jetzt erst an. Die Diskussion kann vieles wenden, wenn die richtigen Leute sprechen."
„Ich habe genug gesprochen", erwiderte ich leise und konnte nicht verhindern, dass ich mich gegen seine Hand lehnte.
„Es war gut, dass du zugegeben hast, wie du dich in der Gegenwart der Schattenwesen fühlst", murmelte Jace nun, sodass die Worte nicht weiter als an mein Ohr getragen wurden. „Das gibt das richtige Signal. Man muss nicht befreundet mit ihnen sein, um das Menschliche in ihnen zu sehen."
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Wie findet ihr Clarys Rede? :)
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