Kapitel 41.1. - Between Realities

Kapitel 41 – Between Realities

Der Boden unter mir bebte. Jede Faser meines Körpers brannte, als würde sich ein flüssiges Feuer durch meine Adern bahnen. Ein Keuchen entsprang meinen Lippen und ich schlug die Lider auf, entkam der endlosen Dunkelheit, die ihre Klauen so lange um meinen Verstand geschlossen hatte, dass ich beinahe sofort das Bedürfnis empfand, die Augen wieder zu schließen. Grelles Weiß breitete sich vor mir aus, so weit, dass es kein Ende zu haben schien. Das Feuer machte mein Hirn langsam und ich brauchte einige Sekunden, bis ich begriff, dass ich in einen weißen Himmel starrte.

Mein Blick fuhr zur Seite, fokussierte und entdeckte eine Gestalt wenige Zentimeter von mir entfernt. Es war ein seltsamer Winkel, aus dem ich sie beobachtete. Ich versuchte den Kopf zu drehen, aber keiner meiner Muskeln reagierte unter meinem Befehl. Als hätte die Gestalt mein Erwachen mitbekommen, senkte sie nun ihre Augen zu mir herab. Goldene Pupillen stachen mir entgegen und ich wusste, dass ich ihn kannte, aber mein Hirn war vernebelt und kam mit den vielen Sinneseindrücken nicht hinterher.

„Du bist wach", flüsterte er mit erleichterter Stimme und etwas unter meinem Rücken bewegte sich. Erst jetzt wurde mir klar, dass er mich mit einem seiner Arme festhielt. Mein Kopf war gegen seine Schulter gelehnt, als wüsste er, dass ich nicht die Kraft hatte, mich selbstständig aufrecht zu halten.

Ich versuchte zu nicken, aber das Feuer in meinem Blut hinderte mich daran. Was war passiert? Ich konnte mich nicht erinnern. Meine Augen glitten an dem Gesicht des Mannes vorbei in den Himmel. Von einer Seite schwebte ein dunkelorangener Schleier auf uns zu. Es sah aus, als würde er das Weiß verschlucken wollen. Ein Sonnenuntergang? Mein Gehirn schien langsam aufzuholen, denn mit einem Mal drängten sich die Geräusche der Umgebung in den Vordergrund. Das Dröhnen von Hufen auf nasser Erde, der hechelnde Atem eines Tieres, der pfeifende Wind gegen mein Haar.

Mir wurde schlagartig klar, dass ich mich auf einem Pferd befand, mein Körper beinahe horizontal in den Armen des Mannes, sodass meine Augen ohne Probleme in den endlosen Himmel starren konnten. Mein Blick glitt zurück zu ihm und während mein Kopf auf Hochtouren arbeitete, fiel die Maske vor seinem Gesicht.

„Jace", murmelte ich, meine Stimme unter dem Donnern der Hufe kaum verständlich. Ich klang schwach, als hätte jede Kraft meinen Körper verlassen, als würde jede Silbe mir auf den Lippen wehtun. Und genauso war es. Den Mund zu öffnen war eine Qual, aber das Einzige, was ich unter den Umständen des brennenden Gefühls in meinen Adern zustande brachte.

Jace nickte und verlagerte sein Gewicht im Sattel. Ich konnte die Anspannung seines Körpers unter mir spüren. „Versuch wach zu bleiben, Clary", sagte er und es klang beinahe wie ein Flehen. „Ich war mir nicht sicher, ob ich dich nicht schon verloren hätte."

„Verloren?"

Verwunderung fuhr über Jace' Gesichtszüge, dann legte er mir seine linke Hand flach auf die Stirn. „Dein Fieber steigt." Panik schlich sich in seinen Ton, aber ich fand nicht die Stärke, sie zu hinterfragen. „Es gab eine Schlacht, erinnerst du dich? Du wurdest von einem Giftstachel getroffen."

Bilder blitzten vor meinem inneren Auge auf und plötzlich machte alles einen Sinn. Das Feuer in meinen Adern; nichts anderes als Gift das meine Muskeln lähmte. „Ich erinnere mich."

„Wie fühlst du dich?", fragte Jace und starrte unsicher auf mich herab. Erst jetzt fiel mir auf, dass er keinen Mantel trug. Das war untypisch, es war immer noch Winter. Seine zerrissene, schwarze Montur schien das Licht der Sonne zu verschlucken. Das Gold in seinen Augen strahlte umso mehr.

„Als stünde ich in Flammen", brachte ich hervor und blinzelte. Jedes Wort brachte die Dunkelheit ein kleines Stück näher an meinen Verstand heran. Meine Energiereserven waren fast aufgebraucht.

„Mach dir keine Sorgen", sagte Jace und der Griff um meinen Körper verstärkte sich. Meine Augen folgten seiner Bewegung. Eine weitere Antwort offenbarte sich mir. Ich war in seinen Mantel gewickelt. Vielleicht erklärte das die Hitze. Wahrscheinlich war es aber doch nur das Fieber. „Wir werden die Stadt bald erreichen."

oOo

Ein Stöhnen kam mir über die Lippen. Meine Augen fuhren durch den Raum, aber dunkle Punkte tanzten vor meinen Pupillen, sodass ich kaum etwas ausmachen konnte. Von der Decke schien ein grelles Licht auf mich hinab. Mein Körper bewegte sich zur Seite als ein Schmerz durch meinen Bauch schoss. Finger schlossen sich um meine Arme und zwangen mich dazu, dieses Leid über mich ergehen zu lassen.

Etwas in meinem Bauch brannte so heiß, dass ich sofort das himmlische Feuer vor Augen hatte. In meinem Delirium fiel mir nichts vergleichbares ein. Ein heiserer Schrei verließ meine Kehle und ich versuchte mich mit letzter Kraft gegen die vielen Hände zu stemmen, die mich festhielten. Keine Chance.

„Clary!" Von weither rief jemand meinen Namen und ich versuchte, meinen Kopf zu drehen, aber ein weiterer Blitz aus Schmerz ließ mich ihn hochreißen. Meinen Augen gelang es nicht, zu fokussieren. Alles, was ich sah, war eine großgewachsene Figur, die am Eingang des Raumes stand. Hellblonde Haare umrahmten ein Gesicht, das nicht scharf werden wollte. „Sie wollen dir nur helfen."

oOo

Nach einer Weile in der Dunkelheit, die mir wieder wie eine ewig lange Zeit vorgekommen war, schaffte es mein Geist, wieder an die Oberfläche durchzubrechen. Wieder war der endlose Himmel das Erste, was meine Augen erfassten. Die Szenerie hatte sich verändert: Ein Sternenhimmel funkelte auf mich herab. Der Anblick beruhigte mich, weil ich mich in der Finsternis besser am Himmel orientieren konnte. Es konnte nicht lange her sein, seitdem der Mond im Osten aufgegangen war, höchstens zwei Stunden. Sein schwaches Licht ließ mich Jace' Gestalt über mir erkennen. Am Rande meiner Sicht näherte sich eine Bergkette, die einen Großteil der westlichen Seite einnahm. Wir ritten parallel zu ihr. Wäre ich nicht kurz davor, wieder das Bewusstsein zu verlieren, hätte es mir die Sprache verschlagen. Jace hatte den Weg, für den die Eskorte heute mehr als sechs Stunden gebraucht hatte, in weniger als der Hälfte der Zeit beinahe hinter sich gebracht. Das Pferd, auf dem er ritt, musste kurz vor dem Zusammenbruch stehen.

„Ist das Silver?" Meine Stimme war nicht mehr als der Hauch eines Flüsterns und doch zuckte Jace zusammen. Seine Pupillen fixierten mich fragend und er benötigte eine Sekunde, bis er verstand. Er nickte stumm. „Du bringst ihn noch um."

„Wenn es bedeutet, dass du den Tag überlebst, ist es mir das wert", sagte Jace und räusperte sich als er den Anflug von Wut auf meinem Gesicht sah. „Er hat eine außergewöhnliche Ausdauer, er reitet ohne Pause ohne sich zu beschweren. Ich glaube er weiß, was auf dem Spiel steht."

„Was steht denn auf dem Spiel?", fragte ich, aber alles, was ich erntete, war ein skeptischer Blick, der so viel aussagte wie Das weißt du ganz genau.

Für eine Weile war alles, was ich hörte das Tosen von Silvers Hufen auf dem feuchten Grund. Ein hektischer Rhythmus, der mich wegen seiner Gleichmäßigkeit dennoch beinahe wieder in den Schlaf lullte. Die Sterne über unseren Köpfen verrieten die Richtung, in die wir ritten und ich fragte mich, wie weit wir noch von Alicante entfernt waren. Das Brennen in meinen Adern schien schlimmer als zuvor. Mir war so warm, dass ich spürte, wie mir heiße Schweißperlen über den Nacken rollten.

„Wieso hast du es getan?" Jace Stimme klang angestrengt, was wahrscheinlich daran lag, dass er seit Stunden ununterbrochen auf Silvers Rücken saß, durch halb Idris ritt und dabei mein Gewicht halten musste. Ich verstand seine Frage nicht. Die Starre meines Körpers war zu stark, als dass ich meine Brauen hätte heben können, mein Blick würde reichen müssen. „Wieso hast du dich zwischen mich und den Dämon geworfen?"

Das meinte er also. Ich schloss für einen Moment die Augen und sah die gewaltigen Flügel des Dämons vor mir, wie er mit ausgestreckten Beinen aus dem Himmel herabgestürzt war. „Stell dir vor, ich wäre mit deinem Leichnam nach Alicante zurückgekehrt", sagte ich und versuchte, meine Lippen zu einem Grinsen zu verziehen. „Die Inquisitorin hätte mich wahrscheinlich ohne zu zögern hingerichtet. Ich hatte gar keine andere Wahl."

Jace schien nichts daran amüsant zu finden. „Du hast mir das Leben gerettet", bemerkte er in einem Ton, der andeutete, dass er meine Beweggründe nicht verstand. Wenn ich ehrlich war, konnte auch ich nicht sagen, was mich dazu bewegt hatte, mich dem Dämon in den Weg zu stellen. Alles, was ich wusste, war, dass er Jace sehr wahrscheinlich aus dem Hinterhalt heraus getroffen hätte. Mit dem Rücken zu dem Dämon hätte er keine Chance gehabt, die Sache zu überleben.

„Es war dumm, deinen Rücken ungeschützt zu lassen", klagte ich leise und warf Jace einen eindringlichen Blick zu.

„Du weißt gar nicht, wie sehr ich das jetzt bereue", war alles, was er erwiderte, ein seltsamer Ausdruck in seinen goldenen Augen. Er sah gequält aus, während er auf mich herabstarrte. „Ich dachte, du wärst tot. Ich dachte, du wärst meinetwegen gestorben."

„Ich lebe aber noch. Dank dir. Und du hast mein Leben bereits zuvor einmal gerettet, erinnerst du dich?" Ich sprach über den Tag im New Yorker Institut, als er sich zwischen mich und Jonathans Schwert geworfen hatte. Damals als sein Hass noch so allumfassend gewesen war.

Ein bitteres Lachen entkam Jace' Kehle und er nickte, sein Gesicht nahm einen ungläubigen Zug an. „Was für eine seltsame Wendung der Ereignisse", kommentierte er trocken und ohne jede Sympathie in der Stimme.

oOo

Mein Bewusstsein kam und ging und mit ihm die Schmerzen, die durch meinen Körper rasten, als würde eine Horde Pferde über mich hinwegtrampeln. Ich versuchte den Träumen Ort und Zeit zuzuordnen, aber ich konnte nicht lange stillliegen und mich dem Brennen entziehen. Meine Kehle fühlte sich rau und trocken an und jedem Schrei, der ihr entsprang, folgte ein atemloser Husten.

„Wasser", versuchte ich hervorzubringen. Wasser. Mein Körper verglühte und ich verdurstete. Merkte das denn keiner?

Die dunklen Gestalten, die sich um mich versammelt hatten, schienen mich nicht zu verstehen. Oder es war ihnen egal. Sie hielten immer noch meine Arme fest, um mich stillzuhalten. Mir fehlte die Kraft, um mich weiter gegen ihre Griffe zu wehren. Ihre Finger bohrten sich ohnehin wie Drahtseile in meine Haut. Ich versuchte, ihnen in die Gesichter zu schauen, aber da war nichts außer tiefe Schatten. Keine Augen. Keine Münder.

Panik breitete sich in meinem Blut aus. Was waren sie für Monster? Was hatten sie mit mir vor? Für einen Moment gelang es der Angst, das Feuer in meinen Adern zurückzudrängen. Ohne den Schmerz fiel es mir leichter, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Schärfe stärkte meine Sicht; ließ mich fokussieren.

„Lasst mich los!" Dem wütenden Ausruf folgte eine Welle des Schwindels, doch ich warf mich ihr mit aller Kraft entgegen. Du kannst jetzt nicht zusammenbrechen.

Mein Blick fuhr hoch zu der Gestalt auf meiner Linken, im Begriff einen zweiten Ruf folgen zu lassen, als mir sein nun deutlich erkennbares Gesicht ins Auge fiel. Es handelte sich um einen Stillen Bruder. Mir stockte der Atem, verwirrt und abgelenkt, und dem Schwindel gelang es, mich zu überwältigen. Ich ließ es zu, auch wenn die Panik in meinem Körper mich anflehte, dagegen anzukämpfen. Mein Gehirn wusste es besser; wusste, dass es keine logische Begründung gab, sich zu fürchten.

Du bist in Sicherheit. Tränen liefen mir über die Wangen. Mit meinen blockierten Händen gab es nichts, mit dem ich sie hätte fortwischen können. Es ist alles gut. Es fühlte sich nicht an, als wäre alles gut. Ich hatte Jahre verbracht, mich vor ihnen zu fürchten. Die Flamme dieser Angst loderte in meinem Herzen noch genauso stark wie früher. Nur mein Kopf wusste, dass sie auf der Manipulation meines Vaters beruhte und die Stillen Brüder mir nichts Böses wollten. Sie wollen dir nur helfen. Es änderte nichts. Die Furcht jagte trotzdem mit einer Eiseskälte durch meine Adern und blockierte meine Muskeln. So wie es das Gift eben noch getan hatte.

Ich zögerte. Das Gift. Das Feuer brannte zwar immer noch, aber ich war mir sicher, dass es schwächelte. Nicht wegen der Kälte, die sie zu verdrängen versuchte. Etwas anderes schlummerte in meinen Adern. Weder kalt noch warm. Eine befreiende Taubheit. Aus der Bahn geworfen presste ich die Lippen zusammen und riss dann die Augen auf, als ich das Gefühl hatte, in die Luft gehoben zu werden. Als würde sich mein Körper dem düsteren Himmel entgegenlehnen. Wenn ich nur die Hand ausstrecken könnte ...

oOo

Als ich die Augen ein weites Mal aufriss, war der Himmel wieder zu weit entfernt, als dass ich ihn hätte berühren können. Ich zog den Sauerstoff in meine Lungen und genoss es, wie die kalte Winterluft mich von innen heraus abkühlte. Das Fieber war schlimmer geworden. Jedes Blinzeln meiner Lider brannte auf meiner Netzhaut und trieb mir Tränen in die Augen. Die Welt um mich herum hatte sich seit meinem letzten Erwachen zu drehen begonnen. Zu schnell, als dass ich noch hätte ausmachen können, wie weit wir von Alicante entfernt waren.

Ich konnte den Tod in meinem Magen spüren, dort wo mich der Stachel des Dämons durchbohrt hatte. Er breitete sich wie ein dunkler, gefühlloser Nebel in meinem Körper aus. Langsam, aber er schöpfte Kraft aus dem Versagen meiner lebenswichtigen Organe. Der Schmerz hatte mich beinahe vollständig verlassen. Mein Körper fuhr sich herunter und doch hatte ich das Gefühl, dass es mir besser ging als noch eine Stunde zuvor. Da war mehr Kraft in meinen Muskeln und ich schaffte es, meine Finger zu bewegen. War das also der Tod? Gewährte er einem einen letzten friedlichen Augenblick auf dieser Welt, bevor die zeitlose Dunkelheit kam?

Ich hob den Kopf zu Jace, der hektisch blinzelte und den Kopf abwandte. Als würde er nicht dabei zuschauen wollen, dass ich auseinanderfiel oder mich in Luft auflöste. Ich konnte die Nervosität in seinem steifen Körper sehen, die er zu verstecken versuchte. „Was denkst du?", fragte ich und meine Stimme klang überraschend fest, beinahe so wie immer.

Jace schien derselbe Gedanke durch den Kopf zu schießen, denn er drehte sich erneut zu mir, für einen Moment wässrige Panik in seinen Augen. Es gelang ihm nicht, das Entsetzen zu verstecken, das ihm über sein blasses Gesicht huschte. Dann blinzelte er wieder, mehrmals, und der feuchte Schimmer war verschwunden – er hatte eine Fassade zwischen uns errichtet. Ich verstand nicht, weshalb er seine Gefühle vor mir zu verstecken versuchte. Wusste er denn nicht, dass ich genau im Klaren darüber war, wie nahe ich dem Jenseits in diesem Augenblick war?

Ein breites Lächeln setzte sich auf Jace' Lippen. „Wir sind bald da, Clary", sagte er mit zuversichtlicher Stimme. Vielleicht wollte er auch einfach nur sich selbst überzeugen, dass ich überleben würde. Ich wusste, dass ich die Stadt niemals lebendig erreichen würde. Dafür hatte mich der Tod zu sehr in seinen Klauen. „Nur noch eine halbe Stunde, bis wir die südlichen Tore erreichen."

Eine halbe Stunde. Ich brachte ein Nicken zustande. Konnte ich es schaffen, die Dunkelheit für die letzten dreißig Minuten zurückzuhalten? Die Finsternis legte sich wie ein warmer Schleier über meine Glieder. Gemütlich, einladend, befreiend. Dort wo sie war, blieb kein Schmerz zurück. Wollte ich mich ihr überhaupt entziehen?

„Clary", sagte Jace, sein Ton nun energischer. Das Gold seiner Augen fixierte meine eigenen mit einer seltsamen Intensität. „Bleib bei mir."

Ich brauchte mehrere Sekunden, bis ich verstand. Konnte man mir etwa ansehen, wie sich der Tod in mir ausbreitete? „Ich weiß nicht, ob ich kann", antwortete ich atemlos. Leblos. Wo war die Kraft, die ich Momente zuvor noch gespürt hatte?

„Du kannst", erwiderte Jace und strich mir eine schweißverklebte Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Finger zitterten. „Du musst. Ich bin nicht durch halb Idris geritten, damit du kurz vor dem Ziel aufgibst."

„Ich gebe nicht auf." Silvers Hufe donnerten schneller über die Steine. Schneller, schneller, schneller. Jace trieb die letzte Kraft aus dem Tier heraus, die allerletzten Energiereserven. „Alles woran ich mich festhalten könnte, löst sich in Dunkelheit auf." Es war die Wahrheit. Es fühlte sich an, als würde mir mein Körper langsam aber sicher entgleiten; als würde ich die Kontrolle verlieren. Ich konnte meine Beine nicht mehr spüren. Sie waren bereits in der Finsternis verloren.

Jace schüttelte den Kopf, als würde er das alles nicht wahrhaben wollen. Als würde er die Realität ignorieren können, um seine eigene zu erschaffen. „Was ist mit Jonathan?" Jonathan. Ich hob die Brauen, um die plötzliche Schuld zu verbergen, die mich überrollte. „Wer wird Jonathan aufhalten, wenn du nicht mehr da bist?"

„Du", sagte ich und brachte ein schwaches Lächeln zustande. Der peitschende Wind kühlte den heißen Schweiß in meinem Nacken und ich seufzte dankbar. Mein Fieber war immer noch da, das Feuer lodernd und unnachgiebig. Ich wusste nicht, ob es gegen die Dunkelheit kämpfte oder ihr dabei half, meinen Körper einzunehmen. „Und Isabelle und Adam und Alec."

Jace schüttelte den Kopf und verlagerte Silvers Zügel von einer in die andere Hand, um seinen Arm unter meinem Rücken zu heben. Mein Gesicht näherte sich seinem und er starrte auf mich herab, sprachlos und auf der Suche nach den passenden Worten. „Wer kann ihn besiegen, wenn nicht du? Du bist stärker als ich. Du kennst ihn besser als ich. Ich schaffe das nicht allein. Ich brauche dich."

Jonathans Gesicht tauchte vor meinem inneren Auge auf. Das höhnische Grinsen auf seinen Lippen. Die gefühllose Leere in seinen schwarzen Pupillen. Was würde er mit dieser Welt anstellen, wenn ich nicht da wäre, um sie vor ihm zu bewahren? Meine Augen fuhren an Jace vorbei himmelwärts. Die Sterne funkelten wie ein Teppich aus Diamanten. Als Kind hatte ich mir in den vielen Sternenkonstellationen Gesichter eingebildet. Augen, die auf mich herabstarrten und mich beobachteten. Vielleicht war es all die Jahre weniger Einbildung und mehr kindliche Vorahnung gewesen. Ithuriel. War er dort oben? Schaute er auf mich herab?

„Gib mir meine Stele", murmelte ich, ohne den Blick von den endlosen Weiten des Weltraums abzuwenden. Jace zögerte nicht und drückte mir die Stele zwischen die Finger. Das Adamant war kalt im Kontrast zu meiner glühenden Haut. Wahrscheinlich durch die Kälte um uns herum. Zu meiner Erleichterung hatte die Berührung mit der Stele genau die Wirkung, die ich erhofft hatte. Es war wie ein Funke, der von dem Adamant auf meine Finger übersprang. Wie eine unsichtbare Energie, die meinen Arm herauffuhr und mich elektrisierte. Ithuriels Energie.

Jace' Augen weiteten sich als sich meine Finger stärker um die Stele schlossen. Auch ich hatte meine Muskeln für verloren geglaubt. Es war nicht viel. Es würde nicht lange anhalten. Es war die letzte Barriere gegen die Dunkelheit, die man mir gewähren würde. Jetzt musste ich nur genügend Kraft sammeln, um lange genug am Leben zu bleiben. Ich musste mich auf etwas konzentrieren. Etwas anderes als die Schmerzen, das Feuer und den Tod.

Jace über mir räusperte sich, als könnte er meine Gedanken lesen und meine Augen fixierten sich auf ihn. Mit all der Anstrengung, die ich aufbringen konnte, brannte ich meinen Blick in seinen, denn ich brauchte etwas, woran ich mich festhalten konnte. Es schien ihn einen Moment aus der Bahn zu werfen. Seine zitternde Hand glitt zu meinen Fingern, die die Stele umklammerten und drückte sie.

„All das nur meinetwegen", sagte er und ich hörte die Selbstzweifel, die er nun, da ich dem Dunkel näher war als dem Licht, kaum noch zurückhalten konnte. „Du hättest dich nicht dazwischenwerfen sollen, dann wäre ich jetzt an deiner Stelle. Damit würde es mir besser gehen." Seine Augen glitten von mir zu dem Weg vor uns und wieder zurück zu mir. Ein wilder Ausdruck lag in ihnen. „Wieso hast du es getan? Wieso hast du mir das Leben gerettet? Wir wissen beide, dass ich es nicht verdient habe."

Für eine lange Zeit konnte ich nicht anders, als Jace anzustarren. Dann breitete sich ein schwaches Lächeln auf meinen Lippen aus. „Wie gesagt, wegen deiner verrückten Großmutter", brachte ich hervor und mein Brustkorb bebte als ich bei der Vorstellung lachen musste. „Sie hasst mich doch so sehr, ich habe ihr nur einen Gefallen getan."

Jace' Mundwinkel zuckten für eine Sekunde. Dann presste er sie zu einem dünnen Strich und zog die Brauen zusammen. Ich seufzte und schloss die Augen. „Ist es nicht das, was Freunde füreinander tun würden?", fragte ich in die Stille aus Winterwind und Pferdehufen hinein und ließ den Witz fallen. „Ihr Leben füreinander geben?"


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Hallo zusammen!

Ich dachte echt, dass nur zwei Wochen seit dem letzten Upload vergangen sind, aber anscheinend bin ich einfach dumm haha. Ich hoffe auf jeden Fall, dass euch dieses Kapitel hier gefällt! :)

Liebe Grüße

Skyllen ;)

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