Kapitel 28 - Blizzard

Kapitel 28 – Blizzard

Hatte ich mich Adam gegenüber richtig verhalten? Unter dem Schleier aus Zorn, der mein Gehirn vernebelte, war ich mir nicht ganz sicher. Doch es war feige gewesen, eine solche Nachricht vor mir zurückzuhalten. Egal wie schlecht es mir ging.

Für einige Sekunden starrte ich auf die Stelle, an der Adam gerade noch gestanden hatte. Ich presste die Lippen aufeinander und lauschte mit angehaltenem Atem. Ein leises Quietschen drang von draußen in den Flur und ich wusste, dass er gerade die Tür des Vorgartens hinter sich schloss. Erst dann konnte ich die Luft aus meinen Lungen entlassen. Ein tiefes, müdes Seufzen entfuhr mir.

Ich wandte mich bereits zum Gehen um, als ich das Licht im Wohnzimmer bemerkte. Mein Magen wurde augenblicklich schwer. Wer sich auch immer dort befand, hatte mit Sicherheit jedes Wort unseres Streits mitbekommen. Einen Moment zögerte ich, bewegte mich dann jedoch mit langsamen Schritten in Richtung des Lichts. Meine Miene gefror sofort zu einer gefühllosen Maske.

Jace und Isabelle saßen auf dem kleinen Sofa in der linken Ecke des Raumes, beide mit einem Buch in den Händen. Hinter ihnen konnte man hinaus in den Garten des Anwesens schauen. Er sah nahtlos gepflegt aus unter den weißen Schichten von Schnee, die ihn in eine Landschaft aus einem Märchen verwandelten. Am langen gläsernen Tisch mit der blauen Landkarte saß Maryse. Vor ihr lag ein Stapel mit Dokumenten und die Unordnung der Papiere ließ es so wirken, als hätte sie unheimlich viel zu tun.

Mein Hereintreten hatte sie aus ihrer Arbeit gerissen, denn ein angestrengter Blick lag in ihren Augen als sie hochschaute. Dabei war ich mir sicher, dass sie ihre wahren Gefühle nur unter dem Vorwand ihrer Beschäftigung zu verstecken versuchte. Es war unmöglich, dass sie meine Worte vorhin nicht gehört hatte.

Jace dagegen blickte nicht auf, als ich hereinkam. Seine Augen waren demonstrativ auf die Seiten seines Buchs fixiert und er tat wie immer so, als würde ich gar nicht existieren. Isabelle hingegen schaute auf, aber betrachtete mich nur flüchtig und wich dann meinem Blick aus.

Eine gefühlt unendlich lange Zeit geschah gar nichts. Niemand wagte es, die Stille zu durchbrechen. Ich stand einfach nur wie angewurzelt da und wusste schon gar nicht mehr, warum ich das Wohnzimmer überhaupt betreten hatte. Das bevorstehende Gespräch würde meine Laune mit Sicherheit nicht heben.

Der Ausdruck in Maryse Augen veränderte sich für eine Sekunde. Eine Art Bedauern huschte über ihr Gesicht. „Ich habe für eine richtige Beerdigung gestimmt", brachte sie endlich über die Lippen.

War es das, was ich hatte hören wollen? War der Blick in meinen Augen vielleicht so fordernd gewesen, dass Maryse das Gefühl hatte, mir eine Antwort diesbezüglich schuldig zu sein? Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, was ich mit ihren Worten anfangen sollte.

Ich nickte abwesend und merkte schließlich, dass mein Geist in eine Art Trance fiel. Mein Umfeld verlor an Farbe und Kontur. Es schien alles plötzlich sehr weit entfernt zu sein. Das Blut pulsierte in meinen Ohren. Aus irgendeinem, mir unerklärlichen Grund, senkte ich den Kopf und starrte auf meinen Körper herab. Ich trug immer noch die Montur vom Vortag. Niemand hatte sie mir ausgezogen, wofür ich dankbar war.

Nach einer weiteren Ewigkeit fand ich meine Stimme wieder. Sie klang fade und zu meiner negativen Überraschung erschreckend zerbrechlich. „Kann man an der Entscheidung des Rates noch etwas ändern?", fragte ich Maryse.

Ihr Seufzen war eigentlich Antwort genug. Trotzdem schien sie es nötig zu finden, sich zu erklären. „Deine Familie ist beim Rat in Ungnade gefallen", sagte sie in neutralem Tonfall. „Die Nephilim fürchten sich zu sehr vor Valentin, als dass sie eure Lage begreifen könnten. Sie wollen lieber alles zerstören, was zu ihm gehört. Einfach um sicherzugehen."

Eure Lage. Meinte sie damit auch meine Mutter? Ich blieb still und musste unwillkürlich an meinen Vater denken. Er würde rasend vor Wut sein, wenn er von der Ratsentscheidung erfuhr. Sie würden Jocelyn jede Ehre wegnehmen. Damit beschmutzte der Rat auch ihn, das war seine eigentliche Intention. Um meine Mutter ging es dem Rat eigentlich gar nicht.

„Sie hat eine solche Entehrung nicht verdient", antwortete ich in düsterem, aber bestimmtem Ton.

Beinahe automatisch trat ein emotionsloser Schleier über Maryse' Augen. „Jocelyn war all die Jahre an der Seite deines Vaters. Sie hat ihn unterstützt, auch wenn sie dabei selbst keine Verbrechen begangen hat."

„Trotzdem habt ihr es meiner Mutter zu verdanken, dass die Schattenweltler bei der Unterzeichnung des Abkommens gewarnt wurden und es nicht zu einem Massaker kam", brachte ich unter zusammengepressten Zähnen hervor. Ein Massaker an dem sich sowohl Maryse als auch Robert Lightwood beteiligen wollten.

Maryse verstummte und wich meinem Blick aus. Sie war sich meiner unausgesprochenen Worte mit großer Sicherheit bewusst.

Mit dem Echo meiner Worte im Raum, machte ich auf dem Absatz kehrt und stürmte hoch in mein Zimmer. Mit einer nervenbetäubenden Brutalität riss ich mir meine Kleider vom Leib und stellte mich unter die Dusche. Doch trotz des eiskalten Wassers und des Zitterns meines Körpers ließ der Schmerz sich nicht abschütteln. Während meine Gelenke taub wurden, pochte der Schmerz in meiner Brust noch heftiger als zuvor.

Jemand hatte mein weißes Kleid gewaschen. Für den Bruchteil einer Sekunde haderte ich mit mir, ob ich es anziehen sollte oder nicht. Schließlich entschied ich mich dafür. Ich kämmte mir die Haare, ließ sie diesmal aber in roten Strähnen über meine Schultern fließen. Dann verließ ich mein Zimmer und schlich lautlos zur Hintertür, um nach draußen zu den Ställen zu gelangen.

Die Ställe der Lightwoods grenzten zur rechten Seite an den großen Garten und bestanden aus einem kleinen steinernen Gebäude mit großer hölzerner Flügeltür. Sie waren nicht verschlossen. Es hätte mich auch gewundert, wenn doch. Ohne zu zögern, betrat ich die Stallung und sattelte das erste und einzige Pferd, das sich in einer der Boxen befand. Zu jeder anderen Zeit hätte ich mich darüber gewundert, warum man für ein einzelnes Tier so einen großen Komplex benötigte.

Ein breiter Weg führte zu einem Gartentor, von wo man das Grundstück der Lightwoods verlassen konnte, ohne die Haustür benutzen zu müssen. Während ich das Pferd zur vorderen Straße führte, betrachtete ich die Wache, die auf der linken Seite der Straße vor dem Haus stand und mein Kommen und Gehen bewachen sollte. Ihr Blick war starr geradeaus gerichtet. Wahrscheinlich kam ihr eine Flucht mit dem Pferd gar nicht in den Sinn. Ich nutzte die Gelegenheit und lenkte das Pferd nach links, um die Wache zu umgehen.

Der Wind in meinen Haaren war eisig. Mit dem Passieren der Stadtgrenze hatte es zu schneien begonnen und die kalten Flocken flogen mir unbarmherzig ins Gesicht, als ich über den weißen, kaum erkennbaren Weg galoppierte, der aus Alicante herausführte. Doch die Kälte half, den Kopf frei zu kriegen und endlich einen klaren Gedanken zu fassen.

Der Friedhof der Schande lag unterhalb der Anhöhe Alicantes und am Rande des Hügels blieb ich stehen, um darauf hinabzuschauen. Eine Gesteinsmauer umfasste ihn und all die dunklen Grabsteine aus Granit, in die nur wenige Worte, wahrscheinlich Name und Geburtsdatum, eingeritzt waren. Ein Tor führte in den Friedhof hinein und man konnte einen zertrampelten Pfad erkennen, der sich durch die gesamte Anlage zog. Dieser Ort wirkte verlassen, vergessen und seelenlos. Ein düsteres Gefühl überkam mich.

Erst als ich genauer hinschaute, erkannte ich den hellen Schemen einer Person, die sich kaum vom umgebenen Schnee abhob. Mein Pferd wieherte und die Gestalt drehte sich um, sodass ich nun in ihr Gesicht schauen konnte.

Es war Luke. Er stand direkt hinter dem Tor und seine Figur war eingehüllt in einen hellgrauen Mantel, der selbst seinen Kopf bedeckte. Er musste mich ebenfalls erkannt haben, denn er kam nach kurzem Abwägen langsam auf mich zu.

In einer raschen Bewegung steig ich vom Pferd ab und ließ es auf der Anhöhe stehen, als ich ihm entgegenkam.

Luke war erstaunt mich zu sehen. Wahrscheinlich vor allem, weil ich allein hier war. Doch er ermahnte mich nicht. Die Gesetze der Schattenjäger schienen ihn nicht mehr zu kümmern. „Du kommst gerade rechtzeitig", sagte er, ohne mich zu begrüßen.

Gemeinsam gingen wir durch das Tor und stapften durch den zentimeterhohen Schnee. Ich war froh, dass Luke gekommen war. Es überzeugte mich von der Aufrichtigkeit seiner Worte, die er vor wenigen Tagen geäußert hatte. Trotzdem konnte seine Anwesenheit den Klumpen in meinem Hals nicht verhindern, als wir vor ihrem Grabstein stehen blieben.

Ihr Name war in die Granitplatte eingeritzt worden. Jocelyn Fairchild. Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte, dass der Name unserer Familie, der Name Morgenstern, nirgends zu lesen war. War es eine bewusste Anordnung des Rats gewesen, um die Erinnerungen an Valentin so gering wie möglich zu halten?

In diesem Moment fragte ich mich plötzlich, ob er hier war und zuschaute. Sofort hob ich den Kopf und starrte suchend in die Ödnis, die sich hinter dem Friedhof abzeichnete. Der Schneesturm verwandelte alles um uns herum in eine weiße Landschaft. Ich konnte keine zehn Meter weit schauen. Das beunruhigende Gefühl beobachtet zu werden, ließ mein Herz schneller schlagen.

Aber dann traten die Stillen Brüder aus den Schatten des Friedhofs hervor, einen Leichnam in ihrer Mitte und meine Gedanken an ihn waren vergessen. Obwohl ihr Körper mit einem weißen Tuch bedeckt war, fluteten Erinnerungen an ihren toten Leib meinen Kopf. Ich musste die Hände zu Fäusten ballen, um nicht zu zittern oder wütend zu schreien.

Die Zeremonie war kurz. Wie in der Menschenwelt wurde ihr Körper in ein vorher gegrabenes Loch hinabgelassen und dann zugeschüttet. Kalte, nasse Erde begrub meine Mutter und ich wendete den Kopf ab, um mir nichts Schlimmeres vorzustellen. Sie zündeten ihren Leichnam nicht an. Eine größere Katastrophe für die Familie gab es nicht. Ich würde meine Mutter nach dem Tod nicht wiedersehen. Ich würde niemals wieder mit ihr vereint sein.

Mit jeder Sekunde, die verstrich wurde mir immer klarer, dass ich nun endgültig allein war. Es war eine beängstigende Leere.

Irgendwann, ich wusste nicht, wie lange wir bereits schweigend am verschlossenen Grab gestanden hatten, verabschiedete sich Luke schließlich. Im Gehen drückte er noch meine Schulter, aber ich spürte es kaum. Ich bewegte mich keinen Zentimeter und stand einfach weiter da, während der Wind mein Haar zerzauste und der Schnee auf mich herabfiel.

Tränen standen mir in den Augen. Nun, da ich endlich allein war, gab es keinen Grund mehr, sie zurückzuhalten. Eine unfassbare Wut erfasste mich, aber sie wurde von der Leere in meinem Körper übertönt. Meine Beine gaben unter mir nach und ich fiel auf die Knie. Der Schnee fraß sich durch meinen Mantel und es dauerte nicht lange, bis ich durchgefroren dort hockte, unfähig zu sagen, ob ich es wieder schaffen würde aufzustehen.

Ein lautes, kontinuierliches Donnern brachte mich zurück in die Gegenwart. Langsam drehte ich den Kopf in Richtung des Tores und sah eine große schwarze Gestalt, die mit rasender Geschwindigkeit auf mich zu kam. Es war das Pferd der Lightwoods, das ich vor einigen Stunden entwendet hatte und jemand saß auf seinem Rücken. Das Gesicht der Person lag in den Schatten eines dicken, dunklen Wintermantels. Mit schallenden Hufen galoppierte das Pferd durch das Tor und blieb dann wenige Meter von mir entfernt stehen.

„Was machst du denn da?", rief mir eine vertraute Stimme durch das Tosen des Winds zu. Es war Jace. In einer eleganten Bewegung sprang er vom Rücken des Pferdes und stapfte mit beinahe hektischen Schritten auf mich zu.

Sein Anblick ließ meine bereits ohnehin versteiften Glieder noch weiter erstarren. Meine Augen folgten ihm, während er die Distanz zwischen uns überwand. Erst als er direkt vor mir stand, erkannte ich die goldblonden Strähnen seines Haares unter der Kapuze und seine typische, überhebliche Körperhaltung. Doch der Ausdruck in seinem Gesicht war alles außer überheblich. Ehrliche Sorge brannte für den Bruchteil einer Sekunde in seinen Augen, die er jedoch so schnell wie sie gekommen war wieder hinter seiner emotionslosen Maske verschwinden ließ.

Einen Augenblick lang schien Jace sich nicht sicher zu sein, was er mit mir anfangen sollte. Ich konnte meinen Anblick in der Reflektion seiner Augen erhaschen und wendete schnell den Kopf ab. Dann überraschte er uns beide, als er nach meinem Oberarm griff und mich ohne große Mühe auf die Beine hievte.

Meine Muskeln zitterten vor Anstrengung und kurze Zeit fürchtete ich, sofort wieder in den kalten Schnee zu stürzen. Jace zog meinen linken Arm über seine Schultern und stützte mich, während das Eis von meinem Körper herabfiel und meine Beine sich in Bewegung setzten. Im nächsten Moment lehnte sich gegen das Pferd und spürte, wie seine Wärme langsam durch meine Jacke drang.

„Du bist verrückt, so rauszugehen", zischte Jace wütend, während er mich von Kopf bis Fuß musterte. Alles, was ich unter meiner Jacke trug, war das weiße Trauerkleid. In einer rapiden Bewegung hatte er seinen Wintermantel ausgezogen und drückte ihn mir in die Hand.

Widerwillig und mit klappernden Zähnen betrachtete ich seinen Mantel und starrte dann an mir herunter. Das Trauerkleid bot im Winter keine Art von Schutz. Meine eigene Jacke war dünner als seine. Es handelte sich um ein Modell für den Herbst, das zwar wasserresistent aber nicht den richtigen Schnitt hatte, um einem Schneesturm zu trotzen.

Ich gab mir Mühe, Jace nicht anzuschauen, als ich mir seinen Mantel über die Schultern streifte und jeden einzelnen Knopf sorgsam verschloss. Beinahe sofort hüllte mich seine Körperwärme in einen angenehmen Kokon. Der eisige Wind war nur noch an meinen Knöcheln spürbar, dort wo mein Kleid nicht hinreichte.

Jace war immer noch wütend. Er sah aus wie ein Engel. In perfekt sitzender Montur, ein glitzerndes Schwert an seiner Hüfte. Das Kinn seines kantigen Gesichts war in die Luft gereckt, seine goldenen Augen auf mich geheftet und wie an den meisten Tagen, war das Gold in ihnen gefroren. So wie alles um uns herum.

„Ich kann nicht glauben, dass du zu einem solch dummen Verhalten fähig bist", sagte er schroff. Die Abneigung in seiner Stimme überraschte mich nicht, seine schiere Anwesenheit hingegen schon. „Warum kannst du dich nicht einmal einfach ganz normal verhalten?" Es war eine rhetorische Frage, so viel war klar. Er stand nur einen Meter vor mir, der Blick eisern. Nun jedoch griff er nach den Zügeln des Hengstes und nickte in die Richtung des Sattels, als hätte er alles gesagt, was es zu sagen gab.

Ich blieb stehen, als hätte er sich selbst nicht bewegt. Das Blut in meinen Ohren begann wieder zu pochen und der kurze Moment der Ablenkung war verstrichen. Meine Augen wanderten zum Grab meiner Mutter und das Gefühl der Leere kehrte zurück. Die wenige verbliebene Wärme in seinem Mantel war nicht ausreichend, um gegen das Eis in meiner Brust anzukommen. Plötzlich bebte mein Körper wieder, aber diesmal war ich mir nicht sicher, ob es an der Trauer oder der Kälte lag.

„Meine Mutter ist tot und sie wurde auf dem Friedhof der Schande beerdigt", war alles, was ich als Begründung meines Verhaltens hervorbringen konnte. Meine Stimme war so leise, dass sie beinahe im Pfeifen des Sturms unterging.

„Ja, meine auch", gab Jace in einer solchen Schärfe zurück, dass ich zusammenzuckte.

Das war es. Diese Schärfe, diese Ignoranz, diese Gleichgültigkeit, die mich über den Abgrund trieb. Ich versuchte, die kalte Luft in meine Lungen strömen zu lassen, doch meinem Körper schien es dennoch nicht genug zu sein. Diese Gleichgültigkeit, mit der auch der Rat meine Mutter abgetan hatte. Diese Schärfe, mit der sie über meinen Kopf hinweg entschieden hatten, als ich gerade unpässlich gewesen war. Diese Ignoranz machte mich krank.

Meine Beine trugen mich fort von dem Hengst, fort von Jace. Ich taumelte zurück auf ihr Grab zu und gab mir jede Mühe, Sauerstoff einzuatmen. Es war nicht genug. Als hätte meine Mutter jeden Sauerstoff aus dieser Welt aufgesaugt, als sie in dieses Grab abgesenkt worden war. Die Welt um mich herum begann sich zu drehen.

„Beim Erzengel", hörte ich Jace genervt von fernab murmeln. Er stapfte mir durch den Schnee hinterher und riss mich an der Schulter herum. Ich konnte ihm im Gesicht ablesen, wie sehr ihn diese gesamte Situation aufregte. Zumindest für die erste Sekunde in der seine Augen sich auf mein Gesicht hefteten. Danach wandelten sich seine Züge, schienen ihm zu entgleiten. Denn auf einmal konnte ich die Überforderung in seiner goldenen Iris sehen. „Du musst atmen. Beruhige dich. Atme."

Erst jetzt hörte ich das panische Luftschnappen meiner Lungen, die den Sauerstoff viel zu hektisch in meinen Hals sogen. Meine Brust hob und senkte sich in schnellen Bewegungen und mein Herz raste viel zu schnell. Panik. Kalt und zerstörerisch. Sie wanderte durch meine Adern und brachte meine Körperfunktionen zum Erliegen.

Jace griff nach meinen Schultern, diesmal weniger aggressiv, und senkte sein Gesicht auf meine Höhe herab. „Atme. Langsam. Zähl die Atemzüge."

Ich versuchte mich auf seine Stimme zu konzentrieren, aber da war noch der Schmerz, der sich wie ein weiteres Gewicht auf meine Brust drückte. Unbesiegbar und unnachgiebig.

Und dann war die furchtbare Einsamkeit wieder da, ihr Griff um mein Herz eng und fest. Du bist allein. Ganz allein. Für den Rest deiner Tage. Mein Herz zersplitterte. Und ich gleich mit.

Ich schluchzte. Die Tränen wollten nicht kommen, aber mein Brustkorb bebte und brachte diese abartigen Laute hervor. Schwäche. Doch ich konnte mich nicht dafür interessieren. Wenn niemand mehr da war, konnte ich auch niemanden mehr enttäuschen.

Nur dass Jace immer noch vor mir stand. Und ihn schien mein Zustand aus der Bahn zu werfen. Als wüsste er nichts mit dieser menschlichen Version von mir anzufangen. Denn er hob die Arme, Anstrengung auf seinem Gesicht und sah mich an, als würde er am liebsten davonlaufen. Er überraschte uns beide als er seine Arme um meinen Rücken schloss. Die normale Reaktion, wenn ein Mensch in Trauer war. Er tat es, weil er sich nicht zu Helfen wusste. Steif und ungelenk drückte er mich gegen seine Brust, aber wirklich berühren taten wir uns nicht, denn er wollte diese Nähe zu mir nicht. Es war ein seltsamer Moment.

„Ich habe auch für eine richtige Beerdigung gestimmt", teilte Jace mir leise mit und seufzte als er seinen Widerstand aufgab mich in eine richtige Umarmung zog. Seine Hände klopften meine Schultern, wie wenn er dachte, dass das Trost spenden würde. Er hasste mich mit jeder Faser seines Körpers und hatte jetzt gerade doch so viel Mitleid, dass er versuchte, mich irgendwie zu beruhigen. Das war Stärke. Wahre Stärke. „Nur die wenigsten verdienen es, hier zu landen."

Mein Körper zitterte zwar weiterhin, aber das Schluchzen hatte nachgelassen. Mit geweiteten Augen schaute ich zu ihm auf, auf der Suche nach einem Zeichen des Schmerzes oder der Trauer. Er spielte auf seine eigenen Eltern an. Doch Jace' Gesicht war blank von jeder Emotion. Als er meinen Blick bemerkte, zuckte er nur mit den Schultern und löste schnell seine Arme von mir.

Doch der Ton seiner Stimme war etwas milder, als er weitersprach. „Lass uns gehen, bevor du noch wirklich erfrierst."



-

Ich hoffe das Ende gefällt euch!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top