Kapitel 27.2. - Unbearable Pain

„Ich glaube wirklich nicht, dass du dir allzu großen Sorgen machen musst. Wie gesagt", fuhr Adam nach einer Weile der Stille fort. „Ich habe mit meiner Mutter geredet und sie hat erzählt, dass Imogen Jace befragt hat. Er hat ihnen nichts erzählt. Gar nichts. Kein einziges Wort."

Meine Augen weiteten sich überrascht. „Er hat ihnen nichts erzählt? Das passt ja so gar nicht zu ihm ..." Obwohl er seiner Großmutter auch nichts von meinem nächtlichen Ausflug in die Bibliothek erzählt hatte. Vielleicht glaubte er mir ja nun doch, schließlich hatte er die Auswirkungen der Rune gesehen. Er hatte Ithuriel gesehen und die Vision, die er uns geschickt hat.

„Es wundert mich auch", gab Adam zu und zuckte die Achseln. „Er war so besessen darauf, sich dir zu entledigen. Was ja irgendwie auch verständlich ist, nach allem, was er durchmachen musste. Ithuriel muss ihn vom Gegenteil überzeugt haben."

„Hat Jace mir wirklich das Leben gerettet?" Es wollte nicht in meinen Kopf. Er hatte mich bei unserer ersten Begegnung mit einem Dolch bedroht. Er hatte immer nur bösartige Blicke für mich übrig. Noch vor wenigen Tagen hatten wir uns heftig in der Bibliothek gestritten. Und nun soll er mir das Leben gerettet haben?

Adam nickte und seine Augen glitten wieder hinab zu seinen Fingern. Ich konnte von hier sehen, wie er die Zähne zusammenbiss. Ich wartete. Wenn ihm etwas durch den Kopf ging, kam er eigentlich von selbst auf das Thema zu sprechen.

„Es tut mir leid, Clary", kam es ihm schließlich über die Lippen und warf mich mit seinen Worten komplett aus der Bahn. „Der Moment in der Höhle- Es war alles so überwältigend. Ich war so fixiert darauf, nicht von Geröll verschüttet zu werden, dass ich gar nicht darauf geachtet habe, wie es dir geht. Und als du dann das Portal geöffnet hast, dachte ich, dass ihr mir direkt folgen würdet. Hätte ich gewusst, dass du es nicht selbst schaffen würdest, dann wäre ich selbst dortgeblieben, um dir zu helfen."

Ich starrte Adam an, unsicher was ich nun sagen sollte. Seine Augen waren auf mich geheftet. Ein fast flehender Ausdruck lag darin, aber trotzdem schaffte er es, die Ehre und den Stolz eines Schattenjägers in seinem Auftreten zu bewahren. Er entschuldigte sich zwar, schaffte es aber seine Schwäche nicht als etwas Verwerfliches darzustellen.

Ein weiterer Punkt für den ich ihn bewunderte. Seine Schwächen für jemand anders offenzulegen und zu zeigen, dass man sich darüber im Klaren war, zeugte eigentlich von Reife. Trotzdem war ich selbst nicht gut darin, mich zu entschuldigen. Ich hasste es, meine Schwächen zu offenbaren.

Aber ich musste zugeben, dass ich mich gar nicht wirklich für seine Entschuldigung interessierte. Es war nebensächlich. Der Fakt, dass Jace mich gerettet hatte, erschien mir viel fataler. Ich sollte gar keine Hilfe nötig haben. Ich sollte stark genug sein, um auf mich selbst achtzugeben. Ich war Clary Morgenstern. Aber du bist nicht unbesiegbar. War ich unbesiegbar? Wohl kaum. Niemand war unbesiegbar. Ich hielt mich nur für unbesiegbar, weil ich eine bessere Ausbildung genossen hatte als andere Schattenjäger in meinem Alter. Aber Jace war mir definitiv ebenbürtig, dafür hatte ich ihn nur einmal Kämpfen sehen müssen.

Meine Augen wanderten zu Adam, der auf eine Reaktion meinerseits wartete. „Du musst dich nicht bei mir entschuldigen, Adam. Ich habe in keiner Sekunde gedacht, dass du etwas falsch gemacht hast. Du bist einfach nur durch das Portal gegangen, ich an deiner Stelle hätte auch nicht zweimal darüber nachgedacht." Die Frage war nur, aus welchem Grund man sich entschuldigte. Um der anderen Person seine Aufrichtigkeit zu demonstrieren, oder um mit sich selbst im Reinen zu sein? Ich wollte glauben, dass Adam es für mich tat. Aber mein Vater hatte mich besseres gelehrt. Vertraue niemandem, den du kaum oder gar nicht kennst.

„Ich habe aber gesehen, wie schlecht es dir danach ging", sagte Adam mit wertfreier Stimme. Seine Arme spannten sich unter dem weißen Pullover an, als müsste er seine Spannung irgendwie loswerden. „Als du dort auf dem Boden lagst und ich dich für tot hielt ... Ich habe noch nie eine solche Angst verspürt."

Meine Augen suchten seine. Der kalte Wind ließ meine Haut frösteln. Vertraue niemandem. Die Theorie war immer viel einfacher als die Praxis. Ich vertraute ihm, in diesem Moment wurde es mir klar. Ein kleines Lächeln zierte meine Lippen. „Aber ich lebe."

„Und ich bin sehr froh darüber." Er erwiderte mein Lächeln nicht. Mein eigenes Lächeln verschwand. Ich wartete und spürte, wie die Stimmung kippte. Adam zögerte. „Da ist noch etwas."

Mein Herz begann wie wild zu klopfen, obwohl ich nicht einmal wusste, was nun folgen würde. Mein Magen verkrampfte sich und ich spürte die Angst, die in mir hochkam. War es ein Instinkt? Ich konnte es nicht sagen. Ich wusste nur, dass sich meine Hände zu Fäusten ballten und ich Adams Lippen beobachtete, während sie ein weiteres Mal auseinandergingen als er wieder zu sprechen begann. Eine gequälte Maske lag auf seinem Gesicht.

Adam wich meinem Blick aus, während er sprach. „Der Rat hat sich dafür entschieden, deine Mutter auf dem Friedhof der Schande zu beerdigen. Ihre Beerdigung wird heute stattfinden." Seine Stimme war nicht mehr als ein Hauch und nun fehlte ihr jeder Ehre, die einem Schattenjäger gebührte.

Ich war unfähig, etwas darauf zu erwidern. Friedhof der Schande. Ich wusste, worum es sich dabei handelte. Jedes Kind wusste es. Dort wurden die Nephilim begraben, die in den Augen des Rates ihre Ehre verloren hatten, Kriminelle oder Verräter waren.

Das Gesicht meiner Mutter tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Ihr liebliches Lächeln, ihre gutmütige Art, ihr Mut. Sie war die ehrenwerteste Frau, die ich kannte. Sicherlich keine Kriminelle und auch keine Verräterin. Natürlich sah der Rat das anders. Eigentlich hätte ich es ahnen müssen.

„Clary, du weißt gar nicht wie leid mir das tut. Ich kannte sie zwar nicht gut aber–" Er hatte sich auf den Rand des Bettes gesetzt und seine Hand gehoben, als würde er nach etwas Unsichtbarem in der Luft greifen wollen.

Ich zuckte zurück und sprang aus dem Bett. „Und genau das ist das Problem", zischte ich. „Niemand von euch kannte sie. Ihr habt sie einfach so verurteilt."

Meine Hände begannen zu zittern und ich spürte die Wut in mir aufbrausen. Es gab kaum etwas Schlimmeres, als auf dem Friedhof der Schande begraben zu werden. Es bedeutete, dass die Seele nicht mit unseren Schwestern und Brüdern in der Stadt der Stille vereint werden würde. Es würde ein einsames Leben nach dem Tod geben, abgetrennt vom Licht der Nephilim Gemeinschaft. Im Tod allein zu sein, war das letzte, was ich mir für meine Mutter wünschte. Sie hatte es nicht verdient.

In einer schnellen Bewegung wandte meinen Kopf zu Adam und betrachtete ihn, wie er langsam vom Bett aufstand und beschwichtigend seine Arme hob. Er hatte es schon die ganze Zeit gewusst und damit erst gewartet, bis er sich bei mir entschuldigt und ich ihm verziehen hatte. Wie konnte ich ihm auch nur für eine Sekunde vertrauen? Welcher Freund würde einem so etwas antun? Wie nach dem Tod meiner Mutter hatte er mich versucht, in Watte zu packen.

„Wenn du willst, begleite ich dich dorthin. Dann bist du nicht allein."

„Du denkst tatsächlich, dass ich dich auf der Beerdigung meiner Mutter haben möchte?", knurrte ich ihm entgegen und er zuckte zusammen. Eben noch hatte er mir erzählt, dass nicht alle im Rat schlecht waren. Und doch hatte eine Mehrheit für eine ehrenlose Beerdigung meiner Mutter gestimmt. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass sie vielleicht doch allesamt meine Feinde waren. Sie würden mich niemals akzeptieren, würden alles dafür tun, um mir und meiner Familie zu schaden.

Wut raste durch meine Adern und ich spürte, wie sie die Kraftrunen an meinen Unterarmen zum Leben erweckte. Ich schloss die Augen und atmete die kühle Morgenluft ein. Die Müdigkeit war verflogen.

Adam kam um das Bett herum. „Hör zu, Clary. Ich bin nur der Überbringer der Nachricht. Ich habe nicht gegen dich gestimmt. Du weißt, dass ich das niemals tun würde." Und nun flehte er wieder um Verständnis für seine Taten.

„Du warst weder ehrlich noch aufrichtig zu mir", brachte ich in gepresstem Ton hervor und musste eine Pause machen, um meine Stimme vor einem Ausbruch zu bewahren. „Ich bringe dich jetzt hinaus." Ich wusste nicht, was ich tun würde, wenn er noch länger hierblieb und mir seine unschuldige Fassade nur eine Sekunde länger aufdrängte.

Adam stand für einen Moment wie versteinert da, setzte sich dann aber in Bewegung, als ich auf ihn zukam. Er ging vor mir, versuchte aber offensichtlich mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Seine Schritte waren schnell und die Treppen ins Erdgeschoss waren in Windeseile überquert. Ich blieb auf dem Fuß der Treppe stehen und beobachtete Adam wie ein Adler.

Meine Finger zitterten und ich fürchtete, jede Sekunde in Tränen auszubrechen. Die Brücke zwischen Wut und Trauer war sehr kurz. Ich wusste nicht welcher Schmerz schlimmer war: Zu wissen, dass meine Mutter tot war oder zu wissen, dass sie einen ewigen einsamen Tod haben würde. Das Loch in meinem Bauch riss auf wie eine beinahe verheilte Wunde und der Schmerz ließ mich Sterne sehen. Ich musste mich am Geländer festhalten, um nicht vornüberzukippen.

„Clary ..." Adams Ton war flehend. Er sah meinen Schmerz nicht. Er sah nur die Wut in meinen Augen, die ihn für seine Tat verantwortlich machte. Was wollte er tun? Sich ein weiteres Mal entschuldigen, um sein Gewissen zu reinigen? „Sag doch was."

„Nein", gab ich mit erstickter Stimme zurück. Ich fürchtete, im Schmerz zu ertrinken. „Es gibt gerade nichts, was ich dir zu sagen habe."

„Was hätte ich denn machen sollen? Hätte ich dir das direkt nach deinem Erwachen an den Kopf werfen sollen? So als wärst du gestern nicht beinahe gestorben? Ich wollte dich nicht überfallen, ich habe auf den richtigen Zeitpunkt gewartet." Adam starrte mich an, die Stimme erhoben und nun selbst ein wenig wütend. Es war mir lieber als die falsche Maske des Bedauerns.

„Für sowas gibt es keinen richtigen Zeitpunkt", blaffte ich ihn an und verhärtete den Griff um das Holzgeländer. „Ich bin nicht aus Watte, Adam. Wenn du so persönliche Informationen hast, dann zögerst du nicht! Ich brauche dich nicht, um mich vor sowas zu beschützen. Ich bin viel stärker als du."

Ich konnte ihm ansehen, dass ich sein Ego getroffen hatte. Er kniff die Augen zusammen und straffte die Schultern. „Wenn du das sagst. Ich wollte nur das Beste für dich."

„Du nimmst dir heraus, zu wissen, was das Beste für mich ist?" Meine Stimme war wieder laut geworden. „Du solltest lieber gehen."

„Muss das wirklich so enden, Clary?"

Meine Instinkte gingen mit mir durch. Mein Körper handelte schneller als mein Verstand. Adam Demonhunter musste lernen, mit wem er es hier zu tun hatte. Meine Hand griff nach der Vase, die auf einem Regal neben der Treppe stand und warf sie mit voller Kraft nach ihm. Er konnte gerade noch ausweichen. Mit einem berstenden Knall zerschellte die Vase an der Wand. Adam weitete die Augen vor Schreck.

Mein wütender Schrei folgte sofort. „Verschwinde, bevor ich die Kontrolle verliere." 



-

Da war Adam wohl doch nicht so ein toller Freund, wie Clary sich das zuerst gedacht hat. Findet ihr es in Ordnung, dass er es ihr nicht sofort gesagt hat? Clarys Mutter wird also unehrenhaft beerdigt ... Im nächsten Kapitel erfahrt ihr mehr dazu.

Sorry, dass ich so spät hochlade, bin im Moment im Urlaub.

Liebe Grüße

Skyllen :)

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