Kapitel 25.2. - What Lays In The Past

In diesem Moment fuhr mir ein unglaublicher Schmerz durch die Glieder. Er raste meine Handgelenke hoch in meinen Rücken und ließ mich aufkeuchen. Ich taumelte rückwärts und stieß mit meinen Stiefeln gegen die unterste Treppenstufe.

„Clary, alles in Ordnung?", hörte ich Adam aus einiger Ferne flüstern. Der gegenwärtig ungewissen Situation geschuldet, traute er sich wohl nicht, seine Stimme zu erheben.

Ich nickte halbherzig und starrte mit geweiteten Augen in die Dunkelheit. Genauso wie in meinem Traum war das drängende Gefühl der Sehnsucht in meiner Brust aufgeflammt. Das letzte Mal hatte es so lange angehalten, bis ich die Rune auf den Block gezeichnet hatte, den Jace mir gegeben hatte. Wie in Trance hob ich die Hand und war mir dieser Geste kaum noch bewusst. Ich war wie angewurzelt stehen geblieben und lauschte dem reflexartig Verlangen meines Körpers. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich Jace das Elbenlicht aus der Hand gerissen hatte und er es ohne weiteren Kommentar zugelassen hatte. Ich hielt es mit ausgestreckter Hand in das Gewölbe der Höhle.

Es war die Höhle aus meinem Traum. Die rostigen Käfige blitzten im Licht und eröffneten den Blick auf leblose Körper. Tote Schattenwesen. In meinem Traum waren sie noch am Leben gewesen.

Eine bedrückende Stille legte sich über uns, als ich mit zitternden Schritten zwischen den Käfigen hindurch ging. Nun, da ich den Ort wiedererkannte, wusste ich genau, weshalb ich hier war. Am anderen Ende der Höhle befand sich ein Runenkreis. Nur anders als in meinem Traum, war die Gestalt innerhalb des Zirkels mit einem weißen Tuch bedeckt. Das Herz in meiner Brust begann schneller zu schlagen, als sich erste Zweifel in mir anbahnten. War ich zu spät? War er bereits tot? Hatte mein Vater ihn zum Sterben hier zurückgelassen genauso wie die anderen Schattenwesen?

Ich blieb vor dem Kreis stehen und lauschte den Schritten von Adam und Jace, die sich auf beiden Seiten von mir postierten und auf das Bild vor uns starrten. Ich brauchte ihnen keine Seitenblicke zuzuwerfen, um ihre versteinerten Mienen zu sehen. Anders als ich wussten sie nicht, was hier geschehen war. Langsam senkte ich den Kopf und machte dann einen weiteren Schritt auf die Runen zu. Ich lehnte mich nach vorne und griff nach dem Tuch. Dann riss ich es fort von seinem Körper.

„Ithuriel." Meine Stimme klang wie zerbrochenes Glas.

Mehrere Lagen von Staub wirbelten auf und machten die Sicht frei auf eine gekrümmte Figur, die leblos auf den Knien hockte. Es war deutlich zu erkennen, dass es sich um einen Engel handelte. Er besaß immer noch die markanten und wunderschönen Gesichtszüge wie in meinen Träumen und trug auch noch dieselbe Robe mitsamt Waffengürtel und Adamantschwert. Allerdings war seine Haut leichenblass. Blut und Schmutz bedeckten sowohl seine Kleidung als auch die großen Flügel. Die Federn schienen verklebt und verhärtet. Die schweren Fesseln bohrten sich nach all den Jahren immer noch um Beine und Handgelenke. Die Stellen waren aufgeschürft und entzündet. Ithuriel hatte jede Würde verloren. Er wirkte mehr wie ein Mensch und weniger wie ein Engel.

Für einen Augenblick setzte mein Herz aus, weil ich fürchtete, dass er tatsächlich tot war. Aber dann hob er langsam seinen Kopf und öffnete die Augen. Der Blick in seinen Augen war leer und versetzte mir einen so heftigen Stich, als wenn mir jemand einen Dolch in den Oberkörper gerammt hätte.

„Beim Erzengel", stieß Adam hervor und man hörte die Panik, die sich in seine Stimme gemischt hatte. „Das ist doch kein Engel, oder?"

Jace drehte sich zu mir um und seine Augen schienen mich zu durchdringen. „Wieso führst du uns zu einem gefesselten Engel, der so aussieht als hätte er Jahre hier verbracht?"

Ich wich seinem Blick nicht aus. Ich hätte gar nicht gewusst, wo ich sonst hätte hinschauen sollen. Zu Ithuriel? Zu den zahllosen Käfigen? „Mein Vater ist hierfür verantwortlich", sagte ich tonlos „Er hat ihn vor achtzehn Jahren aus dem Himmel auf die Erde gerufen und ihn dann hier eingesperrt."

„Und du wusstest davon?", brüllte Jace mir nun ins Gesicht. Seine Hand zuckte und ich machte erschrocken einen Schritt zurück, unsicher ob er vollends die Fassung verlieren würde. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Wer würde bei dem Anblick eines gefangenen Engels nicht durchdrehen?

„Ich weiß es nur, weil Ithuriel mir in meinem Traum davon erzählt hat", gab ich zurück, überfordert mit der Situation. „Ich wusste nicht wo er gefangen gehalten wurde. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass er nach all den Jahren immer noch hier ist?"

Jace öffnete in einer rasanten Bewegung den Mund, eine beunruhigende Wildheit lag in seinem Blick. Aber Adam kam ihm zuvor. „Warst du nicht derjenige, der Clarys Träume als Lügen abgetan hat?", fauchte er und drückte sich an mir vorbei. Er hatte seine Hand gehoben und zeigte anklagend auf Jace, dem jede Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Er sah Ithuriel unglaublich ähnlich.

Jace' Augen fuhren von Adam zu mir und dann gab er seine Haltung auf, senkte die Schultern und wandte sich Ithuriel zu. „Achtzehn Jahre war er hier eingesperrt. Wieso?"

„Valentin hat sein Blut gebraucht", erwiderte ich zögernd und mit neutraler Stimme. „Für uns."

Schmerz huschte über Jace' Gesicht und er ging vor Ithuriel in die Knie. Er streckte seine Finger in die Richtung des Engels aus, wurde jedoch von der Wand des Schutzzaubers zurückgeworfen. Ein Fluch kam ihm über die Lippen. Aber anstatt seine Hand zurückzuziehen, senkte er den Arm und strich beinahe behutsam über die goldenen Runen, die sich nach all den Jahren kein Stück verändert hatten.

Den Bruchteil einer Sekunde später wurde der Raum in grelles Licht getaucht. Die Konturen um mich verschwanden. Ich blinzelte gegen die Helligkeit. Als ich meine Augen wieder vollends öffnen konnte, war die Höhle verschwunden. Die Luft blieb mir weg, als ich das triste Wohnzimmer erkannte, in dem ich den Großteil meiner Kindheit verbracht hatte und in dessen Ecke ich nun stand. Das Mobiliar wirkte neuer und war anders im Raum angeordnet als ich es in Erinnerung hatte. Das Wohnzimmer besaß auf der rechten Seite zwei breite Fenster, von wo man auf unseren Gemüsegarten schauen konnte.

Und genau vor einem der Fenster standen zwei Personen, die in eine hitzige Debatte vertieft waren. Meine plötzliche Anwesenheit bemerkten sie nicht. Den großen Mann mit den kantigen, strengen Gesichtszügen und den kurzen weißblonden Haaren erkannte ich sofort. Mein Vater sah genauso aus wie in dem Traum, den Ithuriel mir geschickt hatte. Die Frau neben ihm hatte langes rotes Haar und einen runden Bauch, der darauf schloss, dass sie schon bald ein Kind gebären würde. Meine Mutter.

„Du hast mich angelogen, Valentin", fauchte meine Mutter ihn an und drückte ihm einen Finger auf die Brust. „Ich habe nie gewollt, dass du unsere Kinder einer solchen Gefahr aussetzt!" Ihre Stimme klang ähnlich wie ich sie in Erinnerung hatte. Obwohl sie laut war, fehlten Autorität und Lebenserfahrung, die sie heute besaß, in ihrem Ton.

„Jocelyn." Mein Vater machte seufzend einen Schritt auf sie zu und umfasste ihre Wangen mit seinen Händen. Der warme Ausdruck in seinen Augen hatte nichts mit dem Mann gemein, der Ithuriel in der Höhle eingesperrt hatte. „Das Engelsblut wird unserem Kind außergewöhnliche Fähigkeiten geben. Sie wird sicher sein. Das ist alles was ich immer für unsere Familie wollte. Sicherheit."

Obwohl die Aufregung nicht aus ihrem Gesicht schwand, schmiegte sich meine Mutter in seine Berührung. „Und ich möchte dasselbe für unsere Tochter. Aber zu welchem Preis? Woher hast du das Engelsblut?"

„Das tut nichts zur Sache, Liebes", sagte Valentin und löste sich von ihr. „Irgendwann werden wir nicht mehr hier sein, um die beiden zu beschützen. Jonathan und seine Schwester werden ohne uns überleben müssen. Der Rat wird sie töten wollen, sobald er von ihrer Existenz erfährt. Das dürfen wir nicht zulassen."

Jocelyn strich über ihren runden Bauch und hatte eine nachdenkliche Miene aufgesetzt. „Was ist mit dem Kind von Stephen? Was hat er mit alldem hier zu tun?" Valentin schwieg. Er hatte den Kopf gesenkt und seine Augen starrten hinaus in den Garten, aber sein Blick schien weit entfernt.

Das Bild meiner Eltern verblasste vor meinen Augen und für einen Augenblick starrte ich wieder in ein helles Licht. Dann stand ich plötzlich in der Dunkelheit. Ich brauchte einige Sekunden, um mich an das wenige Licht zu gewöhnen und erkannte die dunkle Lichtung vor mir, auf der Jonathan mich beinahe getötet hatte. Es war tiefste Nacht und der Himmel war von Wolken bedeckt. Mein Vater stand auf der Lichtung, versteckt von einer Vielzahl an grünen Bäumen, die aufgrund des fehlenden Winds wie eine Mauer wirkten.

Einige Meter von meinem Vater entfernt stand eine dunkle Frau. Ihre nackte Haut war von schwarzer Asche überzogen und ihre schwarzen langen Haare ließen ihr Gesicht verschwinden. Sie hatte ihre Hände gen Himmel gestreckt. „Nun hast du mich auf diese Erde gerufen, Nephilim", sprach sie mit einem mir unbekannten Akzent. „Wieso?"

„Ich bitte Euch darum, meinen Sohn unter euren Schutz zu stellen, meine Königin", sagte mein Vater und ging vor der Frau auf die Knie. Seine Stimme war sanftmütig und sogar ein wenig flehend. „Im Gegenzug bin ich bereit, sein Leben in Eure Hände zu legen."

Die Frau drehte ihren Kopf in einer raschen Bewegung in seine Richtung und senkte die Hände. „Deinen Sohn sagst du?" Ihr Tonfall nahm einen amüsierten Ton an, aber man konnte eine verborgene Überraschung darunter erkennen. „Ich bin Lilith, die Mutter aller Dämonen und doch habe ich mich nie mehr nach etwas gesehnt als nach einem menschlichen Kind. Dir ist doch bewusst, dass man nicht mit den Wünschen einer Dämonin meines Rufes spielt, oder Schattenjäger?"

„Das würde ich niemals tun", versicherte Valentin und schaute ihr direkt in die Augen. „Einzig und allein das Wohl meines Sohnes liegt mir am Herzen. Ich werde ihn nicht allein gegen die Schergen des Rates schützen können. Dafür benötige ich Eure Hilfe."

Lilith lachte ein liebliches Lachen und trat näher an meinen Vater heran. „Wie stellst du dir meine Hilfe vor?"

„Ich brauche Euer Blut. Für meinen Sohn Jonathan. Er braucht es, um sich gegen den Rat der Nephilim verteidigen zu können. Er muss der stärkste Nephilim werden, den die Welt jemals gesehen hat."

„Nun gut", flüsterte Lilith nach einer Weile und öffnete ihre Hand. Ein kurzer goldener Dolch erschien wie aus dem Nichts in ihrer Handfläche. Sie griff danach und schnitt sich damit in ihren linken Arm. Schwarzes Blut quoll hervor und reflektierte das wenige Licht der Sterne. „Du bekommst mein Blut, Valentin Morgenstern. Aber dein Sohn wird danach nicht mehr derselbe sein. Das Blut wird ihm einen Großteil seiner Menschlichkeit rauben."



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Hi :)

Ich hoffe das Kapitel gefällt euch!

LG

Skyllen

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