Kapitel 23 - Discovered

Kapitel 23 – Discovered

Desto mehr ich las, desto einleuchtender wurde mir, was mein Vater sich bei seinem Experiment gedacht haben muss. Er muss den Schluss gezogen haben, dass ein höherer Anteil an Engelsblut im Körper auch mehr Stärke und Macht bedeutete. Der Schattenjägerkodex beschrieb Jonathan Shadowhunter als den mächtigsten Schattenjäger überhaupt. Ob das daran lag, weil er als erster aus dem Engelskelch getrunken oder ob es andere Gründe hatte; darauf gab es bis heute keine eindeutige Antwort.

Auf meine Frage zu den Runen hatte ich bisher auch noch keine Antwort gefunden. Jace hatte Recht behalten, die Rune stammte nicht aus dem grauen Buch. Ich hatte es wieder und wieder durchsucht, doch nicht einmal einen Hinweis auf eine ähnliche Rune gefunden. Ich saß an dem kleinen runden Tisch, über ein weiteres Buch zum Thema Runen gebeugt. Es musste irgendwo einen Hinweis geben. Auch wenn er noch so klein war. Ich blätterte auf die nächste Seite und unterdrückte ein frustriertes Seufzen.

„Clary." Beim Klang der Stimme aus der Dunkelheit erschreckte ich mich so sehr, dass ich mir mein Knie am Tisch stieß.

„Beim Erzengel", flüsterte ich und wirbelte in einer schnellen Bewegung herum. Ich spähte in die Dunkelheit und sah, wie eine Gestalt auf mich zukam. Dann trat Jace in das weiße Licht des Elbensteins. Ich erstarrte augenblicklich. Seine Gesichtszüge wirkten in dem spärlichen Licht noch härter als sonst und seine goldenen Augen schienen mich in Stücke reißen zu wollen.

„Da habe ich dich wohl gerade beim Regelbruch erwischt", sagte er ruhig und sein Blick wanderte zu den Büchern, die über den Tisch verstreut lagen. Die meisten von ihnen waren auf ganz bestimmten Seiten aufgeschlagen, wo ich etwas vermeintlich Wichtiges gefunden hatte.

„Ich– Ich bin doch nur am Recherchieren, das ist doch nichts schlimmes", versuchte ich ihm zu erklären, auch wenn ich wusste, dass es sinnlos war mit ihm zu diskutieren. „Hör mir zu, ich habe viele Dinge herausgefunden und ich glaube, ich weiß, warum mein Vater uns diesem Experiment unterzogen hat. Ich könnte noch weiteres über die tatsächliche Wirkung herausfinden, wenn du mich nur lassen würdest."

Jace erwiderte nichts auf meine Worte. Stattdessen warf er mir einen düsteren Blick zu. Seiner Stimme fehlte jede Emotion. „Ich habe dich gerade bei einem Regelbruch erwischt", wiederholte er nur, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Seine Augen fixierten mich weiterhin. Doch seine Tatenlosigkeit konnte man auch als Zögern interpretieren.

„Hier schau es dir selbst an", forderte ich hastig, bevor er sich auch nur einen Schritt bewegen konnte. Ich merkte selbst, wie flehend meine Stimme klang und ich musste mich zwingen, ihn nicht wütend anzufahren. Morgensterns flehten nicht. Sie baten nicht. Sie erteilten Befehle. Auch wenn es im Anbetracht deines Vaters nicht klug wäre, das laut zu sagen.

„Jonathan Shadowhunter hatte ebenfalls Träume, ähnlich wie ich sie habe, nur noch mächtiger. Raziel hat sie ihm geschickt, so haben sie kommuniziert", erzählte ich ihm und hielt den Schattenjägerkodex hoch. „Es steht sogar im Kodex geschrieben. Trotzdem habe ich keine Erklärung für die Rune, die er mir gezeigt hat. Sie steht nicht im grauen Buch. Es gibt keinen einzigen Anhaltspunkt, was sie bedeuten könnte."

„Er?", war das Einzige, das Jace fragte und starrte mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte. Von allen Informationen, die ich ihm geliefert hatte, musste er sich gerade daran aufhängen. Natürlich wusste ich sofort warum.

„Ithuriel", erwiderte ich kurz angebunden und wartete auf seine missbilligende Reaktion.

Jace schnaubte und schüttelte den Kopf, was seine blonden Haare aufwirbeln ließ. Eigentlich sah er sogar ganz gut aus: Gut gebaut, tiefe goldene Augen, beinahe seidenes Haar mit schmalen und kantigen Gesichtszügen. Jede seiner Bewegungen war so flüssig, dass ich mich fragte, ob er es mit Absicht machte oder von Natur aus so anmutig war. Doch seine negative Ausstrahlung, sein unfreundliches und ablehnendes Benehmen, machten all das zunichte. Er wirkte nicht viel anders als Jonathan, der sich nicht weniger von Wut anstacheln ließ. Nur dass Jace darüber hinaus auch von seinem Schmerz gesteuert wurde, anders als Jonathan.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass ich dir glaube, wird nicht höher mit jedem Mal, mit dem du solche Dinge von dir gibst", bemerkte Jace platt und kam auf mich zu. Sein Blick streifte über die Bücher, die auf dem Tisch lagen. Ich fragte mich, ober er sie tatsächlich überflog oder nur so tat.

Genau wie vor einigen Stunden in seinem Zimmer zuckte ich wieder nur mit den Schultern. Ich würde mich von seinen Kommentaren nicht mehr anstacheln lassen. Es hatte sowieso keinen Zweck. Stattdessen sprach ich weiter. „Der Teil mit der Rune ist erstmal sowieso nur nebensächlich, weil ich nicht weiß, ob sie wirklich funktioniert. Ich werde es erst testen müssen."

„Und wie genau gedenkst du dies zu tun?", fragte er und hob seine rechte Hand. Mit seinen Fingern strich er über die aufgeschlagenen Seiten des Schattenjägerkodexes. Sie glitten die Zeilen herunter und es kam mir so vor, als würde er die Sätze wirklich lesen. Als würde er wirklich versuchen, zu verstehen. Dort wo seine Finger das alte Papier berührten, bildeten sich kleine Dunstflächen um seine Kuppen.

Wieder wusste ich, worauf er eigentlich hinauswollte. Ich hatte keine Stele. Irgendjemand würde mir eine geben müssen, bevor ich die Rune ausprobieren konnte. Und er würde es sicherlich nicht tun. Spontan fiel mir nur eine einzige Person ein, die mir vielleicht dabei helfen würde. Adam. Doch ich sprach seinen Namen nicht laut aus. Jace konnte sich möglicherweise denken, an wen ich mich am Ehesten wenden würde, aber ich würde kein unnötiges Risiko eingehen. Wenn die Möglichkeit bestand, dass Adam mir helfen würde, dann würde ich diese Chance sicher nicht gefährden, nur um vor Jace Herondale einen vermeintlichen Trumpf auszuspielen.

Also zuckte ich wieder mit den Achseln. „Das werden wir dann sehen", antwortete ich in einem möglichst neutralen Ton und beobachtete Jace aus zusammengekniffenen Augen. Was tat er da überhaupt? Er hatte mehr als deutlich gemacht, dass er meinen Worten keinen Glauben schenkte. Und doch war er nun über meine Bücher gebeugt. „Dafür, dass ich nur Lügen erzähle, scheinst du aber sehr interessiert."

Mehr brauchte es nicht, damit er von den Büchern hochfuhr und mich mit einem finsteren Blick fixierte. Das Gold in seinen Augen schien so kalt, dass ich frösteln musste. „Ich glaube dir immer noch nicht", stellte er tonlos fest und schlug den Kodex mit einem dumpfen Knall zu. Winzige Staubpartikel wirbelten auf, die durch das Licht des Elbensteins in seltsamen Bewegungen durch die Luft zu tanzen schienen.

Daraufhin zwang Jace mich, alle Bücher wieder an ihre alten Plätze zurückzulegen. Ich versuchte, ihm weitere Erklärungen zu liefern, doch er hörte nicht mehr zu und als ich mich keinen Zentimeter bewegte, räumte er sie schließlich alle selbst zurück. Mit vor der Brust verschränkten Armen warf ich ihm zornige Blicke zu, die er jedoch gekonnt ignorierte. Wieder verspürte ich das Bedürfnis, ihn zu schlagen. Das Blut in meinen Adern kochte und ich merkte, wie mich der Zorn langsam aber sicher übermannte. Beweise den Lightwoods, wer du wirklich bist und sie werden dich unterstützen. Wie sollte mir das gelingen, wenn Jace mir immer wieder neue Steine in den Weg legte?

„Wir gehen zurück zum Haus der Lightwoods", sagte Jace mit fester Stimme, die keine Diskussion zuließ.

Der Rückweg erschien mir um einiges länger als der Hinweg, was wahrscheinlich daran lag, dass wir durch die Straßen gingen und nicht über die Dächer sprangen. Wir schwiegen beide, was mir nur recht kam. Selbst wenn er etwas gesagt hätte, hätte ich sicher nicht darauf geantwortet. Doch Jace war von Anfang an nicht scharf darauf gewesen, mehr Worte als nötig mit mir zu wechseln. Es ließ die Wut in mir nur stärker aufkochen.

Als wir am Anwesen der Lightwoods ankamen, hob Jace seine Hand in Richtung seines Fensters und bedeutete mir, vorzugehen. Ich warf ihm einen letzten funkelnden Blick zu, wandte mich dann von ihm ab und kletterte dann so anmutig wie möglich die Fassade des Hauses herauf. Es gab zwar kaum Möglichkeiten, um mit meinen Füßen Halt zu finden, aber das kümmerte mich nicht. Ich würde nicht stürzen, nicht vor Jace. Meine Finger suchten auf seiner glatten Fensterbank nach Halt und eine Sekunde später schwang ich mich in einer federleichten Bewegung durch sein Fenster. So leise wie es mir ohne eine Unhörbarkeitsrune möglich war, landete ich auf dem Parkett in Jace' Zimmer.

Ich stand gerade aus der Hocke auf, als Jace hinter mir durch das Fenster sprang. Für einen Augenblick beobachtete ich ihn. Sein Auftreten wirkte nicht mehr arrogant, so wie zuvor. Es hatte sich etwas in seiner Haltung geändert, aber so wie es mir vorkam, hatte es sich nur ins Schlechtere entwickelt. Jace setzte sich auf und begegnete zum ersten Mal direkt meinem Blick. Nicht einmal der Hauch einer Regung war in seinen hellen Augen erkennbar.

Mein Gesicht gefror zu einer undurchdringlichen Maske. Ich betrachtete ihn einen weiteren Moment und schnaubte dann in seine Richtung. „Anstatt zu versuchen, das System zu durchschauen, bist du nur ein erbärmlicher Lakai deiner Großmutter. Doch im Gegensatz zu dir hat sie ein Anrecht auf ihre Meinung."

Ich drehte mich auf dem Absatz herum und ließ ihn in seinem Zimmer stehen. Imogen Herondale hatte meinen Vater miterlebt. Sie wusste, wozu er fähig war. Sie hatte den Tod ihres Sohnes miterleben müssen. Der Tod eines geliebten Menschen war eine Qual, die einen wahrscheinlich noch Jahre später in ein Loch aus Verzweiflung, Kummer und Schmerz ziehen würde. Die Inquisitorin hatte jedes Recht darauf, meinen Vater zu hassen und mich zu fürchten. Aber Jace war ohne Eltern aufgewachsen, er hatte von Anfang an ein Leben ohne sie geführt. Auch wenn er den Verlust tagtäglich in seiner Brust spürte. Besonders in den Momenten, in denen er zu Maryse aufblickte und tief in seinem Inneren erkannte, dass sie ihn doch so sehr lieben konnte und trotzdem niemals seine wahre Mutter sein würde. Auch in den Momenten war dieses Gefühl kaum mit dem tatsächlichen Verlust einer Person vergleichbar, die man kannte, die man liebte und mit der man einen Teil seines Lebens geteilt hatte. Jace folgte den Worten seiner Großmutter, weil es so viel einfacher war als sich mit der Wahrheit auseinanderzusetzen.

Ich würde ihm beweisen, dass ich Recht hatte. Ich würde ihm beweisen, dass die Rune tatsächlich funktionierte.

oOo

Als Isabelle mich am nächsten Morgen unsanft aus dem Schlaf riss, wurden mir die nächtlichen Stunden in der Bibliothek erst richtig bewusst. Die Augen zu öffnen war eine Qual. Ich spürte förmlich, wie der Schlaf an meinen Gliedern zerrte und versuchte, mich in die Kissen zu drücken. Doch Isabelles Rufe waren laut und penetrant, man konnte sie nicht ignorieren. Ich gab einen Laut von mir, eine Mischung aus einem genervten Schnauben und einem müden Seufzen, und Isabelle verstummte. Ich vernahm ihre Schritte auf dem hölzernen Boden des Flures, als sie sich von meiner Tür wegbewegte.

Sie warf mir einen beinahe amüsierten Blick zu, als ich einige Minuten später in der Küche stand. „Du siehst schrecklich aus", sagte sie ohne Abneigung in der Stimme, selbst wenn ihre Worte nicht gerade von Zuneigung sprachen.

Anders als Jace schien sie sich damit abgefunden zu haben, dass ich mit ihr unter einem Dach lebte. Die misstrauischen Blicke, die sie mir noch vor Kurzem zugeworfen hatte, waren verschwunden. In Augenblicken, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, konnte ich ihre neugierigen Augen in meinem Rücken spüren. Sie war immer noch auf der Hut, was ich ihr nicht verübeln konnte und doch war es möglich, freundliche Worte mit ihr zu wechseln. Auch wenn diese nie von tieferer Bedeutung waren. Es würde noch eine Weile dauern, bevor wir möglicherweise eine weitere Grenze überschreiten würden. Es hing auch davon ab, wie sich meine Beziehungen mit den anderen entwickeln würden. Alec bekam ich kaum zu Gesicht und Jace ... Jace war eine Geschichte für sich.

Ich seufzte und massierte meine Schläfen. Meine Glieder schmerzten. Die Reise über die Dächer musste meinen Körper wirklich beansprucht haben. Mir war nie bewusst gewesen, wie abhängig ich von Runen war. Der Fakt, dass sie mir keine Stele gestatteten, machte die Situation nur unangenehmer. Ich war es nicht gewohnt. Ich brauchte die regelmäßige Verstärkung meiner Runen, so wie jeder andere Schattenjäger auch. Ich konnte zunehmend spüren, dass ich schneller ermüdete. Mein Geist konnte sich nicht beruhigen. Meine Bewegungen wurden unpräziser und meine Konzentration schlechter.

„Genauso fühle ich mich", murmelte ich und erst jetzt, nach einer ganzen Minute, bemerkte ich Jace, der am Küchentisch saß und so fehlerfrei und anmutig wirkte wie immer. Innerlich verfluchte ich ihn dafür.

„Das Treffen mit der Inquisitorin wird da wohl nicht viel helfen", meinte Isabelle halb scherzend und halb im Ernst. Ihr schwarzes Haar fiel ihr glatt über die Schultern, während die sie einen großen Schluck aus einer abgenutzten Tasse nahm. Sie trug einen roten Pullover aus Lammfell und eine passende Jogginghose. Wäre ich nicht so unfassbar müde gewesen, hätte ich vielleicht wegen ihres Outfits gelächelt. Aber der Gedanke mit Jace und der Inquisitorin in einem Raum zu sein, deprimierte mich genug, um nur angestrengt die Augen zu verdrehen.

Jace und ich sprachen nicht miteinander, als wir uns kurz darauf auf den Weg zur Garnison machten. Obwohl wir beide lange Mäntel trugen, um uns vor dem eisigen Wind zu schützen, der seit heute Morgen durch die Straßen Alicantes fegte, konnte ich erkennen, wie er seine Hände während des gesamten Weges zu Fäusten ballte. Am höchsten Punkt des Hügels vor der Garnison, nur wenige Meter von den großen Flügeltüren der Garnison entfernt, standen Malik und Kadir. Sie nahmen uns mit grimmigen Gesichtern in Empfang und führten uns dann zum Büro der Inquisitorin, die genauso wie der Konsul hier ihren Amtssitz hatte.

Kadir hatte sich um einiges besser unter Kontrolle als gestern. Er war genauso schweigsam wie sein Bruder und bedachte mich zu keiner Zeit mit einem seiner argwöhnischen Blicke. Allein seine Hand, die am Heft seines goldenen Schwertes ruhte, war ein Anzeichen für seine Vorsicht. Vor den Türen ihres Büros ließen sie uns schließlich stehen und verschwanden dann, ohne ein einziges Wort zu verlieren. Eine seltsame Atmosphäre lag über der gesamten Szenerie. Es war erdrückend und wurde nicht besser, als die beiden Krieger uns alleine im Flur zurückließen.

Ich lehnte mich leicht gegen die kalte Wand aus farblosem Gestein und betrachtete ein Ölgemälde, welches an der gegenüberliegenden Wand hing. Es zeigte ein ödes Schlachtfeld voll von Dämonen, in ihrer Mitte eine kleine Scharr von Nephilim. Ihre Seraphklingen blitzten im Kontrast zu den dunklen Körpern der schleimigen Kreaturen. Die Nephilim waren umzingelt und weit in der Unterzahl. Über der Szenerie schwebte ein riesiger Engel mit ausgestreckten Händen. Seine weißen Schwingen erstreckten sich über den gesamten Nachthimmel des Gemäldes und ließen die Sterne in den Hintergrund rücken. Egal wie verloren ein Kampf scheint, die Erzengel werden immer über euch wachen.

Ich fragte mich, ob dies auch für mich galt. Ob die Erzengel auch für mich ein genaues Schicksal vorherbestimmt hatten oder ob es ihnen vielleicht egal war, weil mein Vater all diese schrecklichen Dinge getan hatte. Ich fragte mich, ob Raziel vielleicht genauso dachte wie die Nephilimgemeinschaft oder ob ich in seinen Augen auch eines seiner Kinder war. 


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Hallo ihr Lieben,

hoffentlich gefällt euch das neue Kapitel! Sagt mir gerne, was ihr denkt.

Liebe Grüße

Skyllen :)

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