Kapitel 18.1. - Interrogation

Kapitel 18 – Interrogation

In einer eleganten Bewegung schritt die Inquisitorin hinter das Podium und hob ihre linke Hand. Sie hatte ihre blassen Lippen zu einem dünnen Strich gepresst und ihre Haare fielen ihr in einer aufwändigen Frisur über die Schultern. Ihr erhobener Arm machte den Blick frei auf einen Ledergurt an ihrer Hüfte an dem nicht nur einer sondern gleich drei Dolche hingen.

Das Getuschel der Schattenjäger wurde allmählich leiser, bis es schließlich völlig verstummte und die Letzten ihre Plätze einnahmen. Ich beobachtete den Konsul, wie er auf dem linken Thron platznahm und mir dabei einen beinahe süffisanten Blick zuwarf. Augenblicklich wandte ich den Kopf der Inquisitorin zu. Ihre Augen ruhten bereits auf mir, als hätte sie auf mich warten müssen. Sie deutete auf die Bank neben dem Podium. „Clarissa, setz dich doch bitte dorthin." Ihre Worte waren formuliert wie eine Bitte, doch der Ton in ihrer Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Befehl handelte. Vor ein paar Stunden war sie noch nicht vollends so kalt gewesen.

Während ich mich auf der unbequemen harten Bank niederließ, betrachtete ich die Inquisitorin von der Seite. Kaum etwas an ihr erinnerte an Jace, bis den harten Blick in ihren Augen. Ich fragte mich, wie ihr Sohn wohl ausgesehen haben mochte. Er war der Grund, weshalb sie mich mit diesem gefühllosen Blick zu bestrafen versuchte.

Mit klopfendem Herzen streifte mein Blick über die Menge, die sich von meiner Linken bis zu meiner Rechten erstreckte und mich einzukreisen schien. Die Nephilim waren überall und sie starrten auf mich herab, als würden sie mich in jeder Sekunde in Stücke reißen. Manche von ihnen fluchten im Flüsterton, sodass ich sie nicht verstehen konnte. Doch wieder andere redeten mit Absicht so laut, sodass ich jedes Wort verstehen konnte. Verräterin. Mörderin. Die richtige Strafe ist der Tod.

Ich versuchte, sie auszublenden. Es würde mir ohnehin nichts nützen, mich ihren Schikanen hinzugeben. Das Blut in meinen Adern raste ohnehin schon so schnell, dass ich kaum noch etwas hören konnte. Unauffällig senkte ich meinen Kopf und blickte auf meine Hände. Ich hatte sie in meinem Schoß gefaltet. Meine Fingerspitzen zitterten so heftig, dass ich meine Finger verschränken musste, um ihnen keine Chance zu geben, sich daran zu ergötzen. Mein rotes Haar fiel mir in sauberen Strähnen über die Schultern und kitzelte in meinem Nacken. Warum dachten sie bei meinem Anblick nicht zuerst an Jocelyn, anstatt an Valentin? Nephilim sind wie Menschen, sie sehen immer nur das Negative, sie werden das Gute in einem immer übersehen.

Mein Magen machte einen unangenehmen Satz, als ich die Lightwoods in einer der vorderen Sitzreihen entdeckte. Maryse flüsterte etwas in das Ohr eines breitschultrigen Mannes mit braunem Haar. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen, doch er ließ mich an die Jungen auf dem Familienportrait der Lightwoods zurückdenken. Bei ihm musste es sich um Robert Lightwood handeln. Neben ihnen saßen Isabelle, Jace und sogar Alec, der jedoch noch immer angeschlagen aussah. Man konnte es ihm nicht verübeln, schließlich waren seit seiner Entlassung aus den Basilias keine 24 Stunden vergangen. Auch Max Lightwood war ich nie zuvor begegnet, doch er sah seinen Eltern so ähnlich, dass ich ihn sofort erkannte. Er war ungefähr zehn Jahre alt und trug eine schwarze Brille, die ihm ein wenig von der Nase rutschte. Seine Finger hatten sich um den Zipfel von Jace' Umhang gelegt und er wirkte verwundert. Seine dunklen Augen musterten mich neugierig, ohne eine Spur von Abscheu oder Angst. Zwischen all den erbosten Nephilim wirkte er völlig fehl am Platz.

Sein Anblick hätte mich beinahe zum Schmunzeln gebracht, hätte Jace nicht neben ihm gesessen und hätte er nicht düster auf mich herabgeschaut. Etwas in seinen Augen funkelte, womöglich war er immer noch sauer wegen vorhin oder er betrachtete dies einfach als meine gerechte Strafe, weil er mich sowieso am liebsten tot sehen wollte. Als er bemerkte, dass wir uns anstarrten, wandte er den Blick ab.

Auf der linken Seite des Saales, einige Reihen weiter oben, entdeckte ich Adam. Besser gesagt, ließ er mich ihn entdecken, denn er gestikulierte auffällig mit seinen Händen, sodass mir seine Bewegungen sofort im Augenwinkel auffielen. Ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen. Wie gerne hätte ich es erwidern können. Doch meine Mundwinkel fühlten sich mit einem Mal so unglaublich schwer an, dass es beinahe unmöglich schien, überhaupt jemals wieder zu lächeln.

Adam konnte mir die Qual im Gesicht ablesen, denn sein Lächeln verschwand langsam von seinen Zügen. Stattdessen nickte er kurz und ließ die Hände sinken. Adam hatte mir in der Vergangenheit mehrmals von seinen Geschwistern erzählt und welche Verantwortung er als Ältester oft tragen musste. Alle drei saßen neben ihm, nach ihrer Größe geordnet. Der kleinste von ihnen, ein Junge, der höchstens fünf sein konnte, hatte seinen Kopf gegen Adams Seite gelehnt und war eingedöst. Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Herzen aus und irgendwie brachte ich dann doch ein winziges Lächeln zu Stande.

„Gemeinschaft der Nephilim", durchschnitt in diesem Augenblick die eiserne Stimme der Inquisitorin die Stille und ließ mich zusammenzucken. Langsam wandte ich mich von Adam ab. „Hiermit ist diese Sondersitzung des Rates eröffnet." Der Saal war totenstill. Alle Augen waren auf die Inquisitorin gerichtet, die Nephilim hefteten ihre Blicke voller Spannung auf sie. Wie wenn sie versuchten, auch keine Sekunde davon zu verpassen.

„Vor euch sitzt heute Clarissa Morgenstern. Die Tochter von Valentin Morgenstern, der für beinahe zwei Jahrzehnte für tot gehalten wurde, nachdem er nicht nur Verrat am Rat übte, sondern auch verantwortlich für den Tod einer bis heute ungewissen Zahl von sowohl Nephilim als auch Schattenwesen ist. Valentin Morgenstern ist ein Mörder und Deserteur, den es schnellstmöglich zu fassen und richten gilt." Sie hielt kurz inne und fuhr dann mit den neusten Erkenntnissen fort.

„Nach den Angriffen auf Toronto, Paris und die stillen Brüder hat es keine weiteren Meldungen mehr gegeben, was jedoch nur bedeutet, dass Valentin sich auf etwas Größeres vorbereitet. Alle Schattenjäger haben Alicante sicher erreicht, es hat keine Verluste während der Evakuierung gegeben. Wie die meisten jedoch wissen, hat Valentin es geschafft, eines der Engelsinsignien zu stehlen. Er schlachtete die Stillen Brüder ab, ihr Blut klebt am Engelsschwert, das er nun sein Eigen nennt." Einige Schattenjäger begannen zu tuscheln, als wären sie überrascht, diese Nachrichten zu hören. Bei jedem Wort, das die Lippen der Inquisitorin verließ, wurden die Mienen der Nephilim grimmiger. Ihre Augen verengten sich zunehmend, sie beugten sich vor und ihre Haltung versteifte sich.

„Wir sind heute hier zusammengekommen, um Clarissa in einer ersten Sitzung zu befragen. Ich weiß, dass viele von euch sich wundern werden, welchen Nutzen dies birgt. Wir haben kein Engelsschwert, doch die Eisernen Schwestern haben sich einen Weg überlegt, wie wir Clarissa genauso dazu bewegen können, die Wahrheit preiszugeben", erklärte die Inquisitorin und klang beinahe zufrieden dabei.

„Wir sollten sie einfach töten! Valentin hat es nicht anders verdient", rief in diesem Moment jemand aus den obersten Rängen.

„Sie kann uns dabei helfen, seine Pläne zu offenbaren", rief ein anderer von der anderen Seite des Saals. Mehrere Schattenjäger sprangen auf und eine hitzige Diskussion brach aus. Immer mehr begannen durcheinander zu reden. Sie beleidigten sich gegenseitig, nannten sich verblendet, dumm und sogar das Wort Verräter fiel.

Die Ruhe, die vor wenigen Augenblicken noch geherrscht hatte, war vorbei. Mein Herz raste in meiner Brust und mein ganzer Körper begann zu zittern, sogar meine Zähne klapperten. Ich konnte meine Angst nicht länger verbergen. Es fühlte sich wieder an, als schnürte mir jemand die Luftröhre zu. Ich konnte nicht atmen. Der Raum verschwamm vor meinen Augen, wurde unscharf. Ich hörte ihre Rufe, ihr Gerede, doch ich verstand ihre Bedeutung nicht. „Du wirst nicht sterben", murmelte ich. Ich konnte meine eigenen Worte nicht hören, doch ich spürte ihre Laute auf meinen Lippen. „Du wirst nicht sterben. Sie werden dich nicht hinrichten. Alles wird gut. Alles wird gut." Ich kannte sie nicht und mein Vater hatte mir das Schlechteste über sie erzählt. Was erwartete ich also?

„Genug!" Die Inquisitorin hatte mit der flachen Hand auf das Podium geschlagen. Ich brauchte nicht aufzuschauen, um ihr wütendes Gesicht vor meinen Augen zu sehen. Zusammengekniffene Augenbrauen, funkelnde Augen, verzogene Lippen. „Wie sollen wir dem Mädchen klarmachen, dass bei uns ein gerechtes und richtiges Rechtssystem herrscht, wenn ihr alle euch aufführt wie ... wie Wilde. Das hier ist keine Gerichtsverhandlung, sondern eine Befragung. Heute stirbt noch niemand."

Ihre Worte klangen so endgültig, dass ich beinahe mein Bewusstsein verloren hätte. Heute stirbt noch niemand. Ich starrte weiter auf meine zitternden Finger, während sie weitersprach. „Nach Rücksprache wie man denn einen Effekt herstellen kann wie bei Mellartach, verwiesen die Eisernen Schwestern auf eine alte Rune aus dem Grauen Buch." Die Inquisitorin winkte jemandem zu, der im Schatten der Sitzränge stand. Mit eiligen Schritten kam er auf sie zu und händigte ihr ein Exemplar des Grauen Buches aus.

„Heute wird diese Rune nicht mehr verwendet, so wie die meisten Runen in diesem Buch. Sie nennt sich die Rune der Wahrheit, doch sie allein reicht nicht aus, um die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu garantieren. Deshalb haben wir uns etwas Hilfe geholt. Ein Zauberspruch verstärkt die Wirkung der Rune, übt einen ähnlichen Zwang aus wie das Schwert, ist jedoch um einiges schmerzhafter." Wieder winkte sie jemanden herbei. Diesmal drehte ich mich um und entdeckte eine Tür, die ich bisher nicht sehen konnte, da eine Säule mir die Sicht versperrt hatte. Und aus genau dieser Tür spazierte nun Magnus Bane, der mich mit einem neutralen Ausdruck betrachtete und sich dann an meine Seite stellte. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Inquisitorin auf meiner anderen Seite stand. Erstaunt hob ich den Kopf und sie beide konnten die Panik in meinem Gesicht sehen. Ich, die es hasste, wenn irgendjemand mir meine Gefühle ansehen konnte, wurde vor der gesamten Schattenjägergemeinschaft entblößt.

„Zeichnet es ihr auf das Schlüsselbein", hörte ich die schneidende Stimme des Konsuls direkt über meinem Ohr. Sie alle waren hier, um mich zu quälen. Augenblicklich zückte die Inquisitorin ihre glänzende Stele, drückte ihre Finger in meine Schulter und trug mir ohne Vorwarnung eine Rune auf. Ich schnappte nach Luft, als das kalte Adamant meine Haut berührte. „Desto näher am Herzen, desto besser die Wirkung", hörte ich den Konsul beinahe scherzend sagen, doch seine Stimme hörte sich plötzlich weit entfernt an.

Nur spärlich nahm ich wahr, wie die Inquisitorin ihre Stele sinken ließ und einen Schritt von mir zurücktrat. Etwas rauschte in meinen Ohren. Meine Augen blieben an ihrem kantigen Gesicht hängen, das von tiefen Falten gezeichnet war. Sie nickte in Magnus' Richtung und er öffnete ein Buch in seinen Händen. Dann erfüllten lateinische Worte die Luft.

Ein kaltes Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Meine Gelenke fühlten sich stumpf an, so schwer, dass ich sie nicht bewegen konnte. Bunte Funken sprühten aus Magnus' Händen, während er den Zauberspruch aufsagte. Meine Augen wanderten ein letztes Mal durch die Menge der Nephilim, auf der Suche nach Jace. Seine dunklen Augen erwiderten meinen Blick, diesmal schaute er nicht weg. Dann verschwamm das Bild vor meinen Augen und ich keuchte auf.

„Clarissa, kannst du mich hören?" Eine leise Stimme vom Rande meiner Wahrnehmung drang zu mir hindurch. Die Inquisitorin. Ihre Stimme klang seltsam verzerrt. Ich spürte, wie mein Kopf sich zur Seite neigte und meine Augen sie anschauten, doch ich konnte sie nicht sehen. Ich sah nichts außer ein Gewirr von Farben. Langsam nickte ich. Ich hatte nicht nicken wollen, ich war zu schwach, um irgendetwas tun zu wollen, doch eine fremde Kraft hatte die Kontrolle meines Körpers übernommen. Sie steuerte meine Bewegungen, während mein Geist in meinem Kopf festsaß und nur aus weiter Ferne zuschauen konnte.

„Gut", sagte Herondale. „Dann sag mir nun deinen vollständigen Namen."

Ich wusste, dass meine leeren Augen sie anstarrten und ihr weismachten, dass ich sie wahrnahm, doch das war nicht ich. Es war jemand anders. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wusste nicht, was sie von mir wollte. Doch mein Körper reagierte von selbst. Ich spürte, wie sich meine Lippen beinahe automatisch öffneten, als würden sie ferngesteuert werden. „Clarissa Adele Morgenstern."

„Nun sag mir dein Alter und die Namen deiner Eltern."

„Ich bin achtzehn Jahre alt. Meine Mutter ..." Meine Stimme kam ins Straucheln und ich spürte einen leichten Stoß in meinem Herzen. Was hatte das zu bedeuten? Ein Pochen, das mir die Kehle zuschnürte und mich keuchen ließ. Ich konnte mir ihr Bild nicht vor Augen rufen, doch ich wusste, dass es an ihr lag.

„Den Namen deiner Eltern", forderte die Inquisitorin ohne jedes Mitgefühl. „Sofort."

„Jocelyn Fairchild Morgenstern und Valentin Morgenstern." Selbst jetzt konnte ich hören, wie meine Stimme leicht zu beben begann.

„Nenn mir deinen Geburtsort und den Ort, wo deine Familie bis vor Kurzem lebte."

Kaltes Gift fraß sich durch meine Adern. „Ich wurde in Idris geboren. Auf dem Landgut, wo wir bis vor kurzem gelebt haben. Ich weiß nicht, wo genau es sich befindet. Einige Stunden von Alicante entfernt." Die Worte sprudelten aus mir heraus und ich es nicht verhindern. Ich hatte meine Zunge nicht unter Kontrolle.

Ich spürte einen tiefen Schmerz in meinem Körper. Meine steifen Muskeln verkrampften sich, versuchten sich gegen den Zauber zu wehren. Doch desto stärker mein Körper sich zur Wehr setzte, desto stärker wurde die Macht, die ihn unter Kontrolle hielt. Und umso größer wurden die Schmerzen. Als würde ein Gift durch meine Adern strömen und mich von innen heraus auffressen.

Die Schuhe der Inquisitorin gaben ein hohes Klacken von sich, während sie vor mir auf und ab ging. Ich konnte nur ihre Silhouette ausmachen, ihre Umrisse vor meinen Augen. „Wie war dein Leben? Was hat dein Vater dir beigebracht, wie sah dein Tagesablauf aus?"

Ein leichtsinniges Lachen entfuhr meinen Lippen, welches die Inquisitorin zum Stehen brachte. „Mein Tag war nicht immer gleich. Jeder Tag war anders."

Herondale beugte sich zu mir herunter und ich konnte ihren Atem vor meinem Gesicht spüren. „Doch es muss ein Muster hinter deinen Tagesabläufen gegeben haben." Ihr Ton war so endgültig, wie immer. Als wüsste sie alles und als wäre sie immer im Recht. 



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Die Befragung beginnt und die Methoden der Inquisitorin scheinen doch etwas fragwürdig zu sein, auch wenn sie natürlich nur die Wahrheit herausfinden möchte. Was haltet ihr von dem Kapitel? Denkt ihr, dass Clary sich gegen den Zauber wehren kann oder wird die Imogen sagen, was sie hören will?

Liebe Grüße

Skyllen

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