Kapitel 13.2. - Alicante
Die Inquisitorin lachte ein freudloses Lachen. „Du bist die Tochter von Valentin Morgenstern. Deine Existenz fürchtet der Rat genug, um dich ohne großes Vergehen lieber tot sehen zu wollen. Keiner von uns kann genau sagen, wozu du alles in der Lage bist, wie viel du über diese Welt weißt, über ihre Normen und Gesetze. Viele Schattenjäger denken, dass dein Vater dich nach seinen Lehren und Traditionen aufgezogen hat. Sie fürchten, dass du dich jederzeit als Waffe entpuppen könntest. Wie gesagt, wir wissen nicht, wozu du fähig bist."
Es wunderte mich, dass die Inquisitorin so offen sprach. Mein Vater hatte mir nicht viel über sie erzählt, nur dass sie eine verbitterte alte Frau war, besessen davon das Gesetz so hart wie möglich durchzusetzen. „Ich ... kann die Bedenken des Rates verstehen", brachte ich langsam hervor. „Wäre ich an Ihrer Stelle, würde ich mir wahrscheinlich auch nicht trauen. Ihr habt Recht wenn Ihr sagt, dass unser Vater unsere Leben geprägt hat, allerdings hatte auch unsere Mutter einen großen Einfluss auf uns. Ich kann Gutes von Bösem unterscheiden, sonst wäre ich nicht hier."
„Das mag sein, aber für nichts gibt es auch nur einen Beweis", erwiderte sie sofort. „Kannst du Beweisen, dass du nicht mehr unter Valentins Einfluss stehst und mehr noch, dass du seinen Werten nicht mehr folgst?"
Ich dachte über ihre Worte nach. Valentin hatte uns zwar klargemacht, dass der Rat mehr Schwächen als Stärken hatte, aber er hatte nie gegen die Schattenjäger gehetzt. Er hatte nie gegen jemanden gewettert, das war einfach nicht sein Stil. Valentin war ein Stratege, er schlich sich still und heimlich in die Köpfe der anderen ein. Mein Vater war ein Meister im Manipulieren gewesen. Seine Weltansichten hatten mich definitiv geprägt, allerdings war meine Welt nicht einfach schwarz und weiß. Meine Mutter hatte mir gesagt, dass seine Ansichten falsch waren, jemanden zu töten der menschlich sein konnte, war falsch. Würde ich jemals einem Schattenweltler begegnen, würde ich ihn nicht töten, auch wenn mein Instinkt es mir sagte. „Ich halte mich an Regeln. Ich habe lange ein sehr beschränktes Leben gelebt, aber das bedeutet nicht, dass ich meine Ansicht zu Dingen nicht ändern kann. Ich kann nicht beweisen, dass ich nicht mit meinem Vater unter einer Decke stecke, aber genauso wenig könnt Ihr und der Rat das Gegenteil beweisen."
Ich wusste nicht, ob ich nicht zu weit gegangen war. Es sollte nicht wie eine Herausforderung oder Provokation klingen, ich meinte meine Worte genauso. „Interessant" sagte die Inquisitorin. „Valentin hatte auch immer einen klugen Spruch auf den Lippen. Allerdings hat ihn das nicht sehr weit gebracht."
„Es tut mir leid, falls ich Euch verärgert habe, Inquisitorin", antwortete ich rasch aber mit ernstem Tonfall. „Aber wenn diese Welt gerecht sein soll, gesetzlich geregelt, dann habe ich doch auch Rechte oder nicht? Ein Rechtsstaat kann seine Bürger nicht einfach ohne Beweise verurteilen."
„Nun gut." Die Inquisitorin lächelte, es war ein düsteres, grausames Lächeln. „Die Frage ist nun, ob du denn auch Bürgerin unseres Staates bist."
Ich presste die Lippen aufeinander. Eine Diskussion mit der Inquisitorin war keine gute Idee, ich würde sie nur noch mehr gegen mich aufbringen. Was hatte ich denn erwartet? Valentin hatte ihren Sohn getötet, Stephen. Sie sah in mir sicher nur meinen Vater und projizierte ihren gesamten Hass auf mich. Trotzdem erschien sie mir halbwegs ruhig, ich hatte Schlimmeres erwartet.
„Die nächsten Wochen werden hart für dich, Clarissa. Es wäre alles so einfach, hätten wir Mellartach hier, um die ungefilterte Wahrheit von dir zu erfahren. Es gibt einige Hexensprüche die das können, allerdings sind diese bei weitem nicht so ausgeprägt wie das Schwert der Seelen und ihre Wirkung hält nur sehr kurz und schmerzt viel mehr als das Engelsschwert. Es wird sehr schwer für dich, den Rat von der Wahrheit zu überzeugen." Schließlich setzte sich die Inquisitorin in Bewegung. Ich folgte ihr schweigend.
Wir betraten das Gebäude, es hatte hohe Decken mit einigen Malereien und Bildern. Auch wenn es vom Bau dem Institut ähnelte, waren die Gänge doch blasser und kahler. Man fühlte sich automatisch einsam, es schüchterte einen ein wenig ein. Vielleicht war genau das der Sinn der Garnison: Menschen einschüchtern, die nicht hierhergehörten.
„Lange hat der Rat Valentin für tot geglaubt." Die Stimme der Inquisitorin durchschnitt die Stille wie ein Messer. Und doch war es angenehm, Reden war angenehmer als Schweigen. „Achtzehn Jahre lang lebte die Schattenwelt eine friedliche Zeit, Schattenjäger zusammen mit Schattenweltlern. Man hat langsam begonnen sich an die neue Zeit zu gewöhnen und plötzlich erfahren wir von Maryse Lightwood, dass sie zwei Frauen Zuflucht in ihrem Institut gewährt hat. Zwei Frauen auf der Flucht vor Valentin und seinem Sohn." Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich zu mir um, in ihren kalten Augen loderte eine Flamme.
„Als wäre die Rückkehr Valentins nach achtzehn Jahren nicht genug gewesen, hat er noch Kinder in die Welt gebracht und direkt zwei an der Zahl. Erst dann wurde uns klar, dass man uns beinahe zwei Jahrzehnte zum Narren gehalten hatte. Während sich die Schattenjäger in Sicherheit wähnten, hatte Valentin achtzehn Jahre Zeit, eine neue Waffe zu erschaffen: Dich und deinen Bruder. Er konnte euch füttern mit Lügen über die Schattenwelt, zu mächtigen Kriegern ausbilden und Wissen weitergeben, dass normale Schattenjäger so nicht lernen würden. Wir kennen Valentin, doch du und dein Bruder Jonathan, das ist Neuland für uns. Wir wissen nichts über euch."
„Ich kann euch versichern, dass ich keinen Groll gegen die Schattenjäger hege. Ich hätte auch bei meinem Vater bleiben können, meine Mutter hat mir die Wahl gelassen. Doch nach all dem was sie mir erzählt hat, wollte ich nicht zu ihm zurückkehren. Er hat in meinen Augen unverzeihliche Dinge getan. Valentin hat uns breitgefächert ausgebildet, ich kenne die Ausbildung der Schattenjäger nicht, weshalb ich es nicht vergleichen kann, doch die Reaktionen von den Schattenjägern im Institut waren eindeutig. Aber ich möchte diese Kraft nicht gegen die Schattenjäger verwenden, deshalb bin ich nicht hier."
„Warum bist du dann hier, Clarissa?" Die Inquisitorin betrachtete mich und ihr Blick zeugte von Lebenserfahrung.
„Gerade weil ich die Tochter Valentins bin, habe ich nie ein freies Leben führen dürfen. Jeder Tag war streng getaktet, Freizeit gab es nicht. Nun ist es mir möglich ein freies Leben zu führen, abseits von meiner Familie und das möchte ich tun. Ich möchte diese Welt endlich kennenlernen, meine Wurzeln und die Kultur der Schattenjäger." Ich sagte die Wahrheit. Achtzehn Jahr meines Lebens hatte ich in einer Art Gefangenschaft verbracht, ohne es überhaupt bemerkt zu haben. Wer weiß wie lange Valentin noch ausgeharrt hätte, bis er die Möglichkeit eines Sturzes gesehen hätte. Vielleicht wäre es nie dazu gekommen und mein ganzes Leben wäre umsonst gewesen, weil er uns niemals hätte gehen lassen. Ich wusste nicht was Freiheit war, aber ich wollte sie kennenlernen.
„Ich habe den Eindruck, dass du bereit bist zu reden", fuhr sie fort. „Deine Informationen könnten uns die Möglichkeit geben, Valentin und seinen Plan zu durchschauen und vorbereitet zu sein auf seinen Angriff."
„Ihr glaubt, es wird zu einem Angriff kommen?" Verdutzt starrte ich sie an. Bei dem Gedanken, dass Jonathan möglicherweise hierherkommen würde, um Leben auszulöschen, drehte sich mir der Magen um.
„Valentin hat fast zwei Jahrzehnte gewartet, eure Flucht zwingt ihn nun zum Handeln. Er hat keine Wahl, das hier könnte seine letzte Chance sein, den Plan den er anstrebt zu erfüllen. Was dieser Plan genau ist und wie er ihn durchsetzen will, das müssen wir herausfinden." Sie war die Großmutter von Jace, sah ihm aber bis auf die blauen Augen kein bisschen ähnlich. Ihre Mundwinkel zogen sich nach unten und sie öffnete den Mund, ohne einen Laut von sich zu geben, als würde etwas sie zurückhalten. „Du bist vielleicht unsere einzige Möglichkeit, Valentin das Handwerk zu legen. Das bedeutet, wir werden dir eine Chance geben müssen. Doch wähne dich nicht in Sicherheit, Clarissa. Es bedarf nur ein falsches Wort, nur ein Fehler, der dir unterläuft und dein Leben in Freiheit ist schneller vorbei als es angefangen hat." Eine unverkennbare Drohung und doch war ich froh, denn man gab mir eine Chance.
Vollkommen frei war ich allerdings nicht, wie sich herausstellte. Während unseres Gesprächs setzte die Inquisitorin die Rahmenbedingungen meiner Freiheit fest. Mir war es nicht erlaubt, irgendwo alleine hinzugehen. Es musste mich stets mindestens eine Person begleiten. Ich durfte natürlich keine Waffen tragen, die Stadt nicht verlassen und an Sitzungen des Rats nur bei deren Zustimmung teilnehmen. Außerdem würde es, falls notwendig, Befragungen geben und man würde mich regelmäßig auf meine Fähigkeiten testen. Ich konnte ihre Bedenken verstehen. Ihre Entscheidung mich nicht für die Dauer meines Aufenthalt in einer Zelle verrotten lassen erleichterte mich zutiefst.
Mittlerweile befanden wir uns nicht mehr in einem der Gänge der Garnison, sondern im Büro der Inquisitorin. Sie hatte sich an ihren Schreibtisch gesetzt, hinter ihr stand eine Vitrine mit alten restaurierten Messern und Dolchen. Manche von ihnen waren aus purem Adamant oder Dämonenmetall, sehr hochwertig und wertvoll. Die Inquisitorin bemerkte meinen Blick. „Hast du einen Bestimmten im Blick?" Ihre Stimme klang zu neutral, sie versuchte sich ihr Interesse nicht anmerken zu lassen.
Ich nickte langsam. „Der Kindjal aus Dämonenmetall, ich kenne ihn nur aus Büchern."
„Der Legende nach stammt er aus dem Endlosen Nichts. Dämonenmetall kommt nicht natürlich auf dieser Welt vor und ist deshalb sehr selten", sagte die Inquisitorin. „Sehr effektiv gegen unsere Rasse einsetzbar." Sie seufzte und wandte sich wieder mir zu. „Ich werde dir nicht glauben, nichts was aus deinem Mund kommt werde ich Glauben schenken, solange es keine Beweise dafür gibt." Wie schnell und abrupt diese Frau das Thema wechseln konnte.
„Es tut mir leid, dass Ihr so empfindet, Inquisitorin. Natürlich verstehe ich Eure Bedenken." Was hätte ich denn auch sonst antworten sollen? Diese Welt war verwirrend. Ich war nicht geübt genug in ihrem Verhalten, ihren Werten und Gefühlen. Ich musste noch so viel lernen und hoffte, dass es mir hier schneller gelingen würde, mit den Schattenjägern vertraut zu werden.
Die Inquisitorin ging nicht auf meine Worte ein, stattdessen hob sie ein Blatt Papier von ihrem Schreibtisch auf. „Deine erste Befragung wird bereits heute Abend stattfinden", sagte sie, ohne aufzuschauen. „Du wirst im Haus der Lightwoods wohnen, es ist bereits alles geklärt. Du hast einige Stunden Zeit dich von der Zeitverschiebung zu erholen, man wird dich dann bei den Lightwoods abholen."
Ich sollte mit Alec, Isabelle und Jace unter einem Dach wohnen? Das konnte sie doch nicht ernst meinen. Betroffen seufzte ich in mich hinein. Das würde eine Katastrophe werden. Adam würde in seinem eigenen Haus leben, bei seiner Familie, die ebenfalls aus Toronto zurückgekommen war. Am liebsten wäre ich noch länger hiergeblieben, doch die Inquisitorin hatte recht. Die Zeitverschiebung war das eine, aber seit dem Kampf in New York war kaum Zeit vergangen und mein Gesundheitszustand meldete sich wieder, mit unerfreulichen Neuigkeiten. Ich hatte zwar geschafft mich heute Morgen selbst aus der Krankenstation zu entlassen, doch das bedeutete nicht, dass ich hundertprozentig fit war.
„Alles in Ordnung?", fragte die Inquisitorin und betrachtete mich eingehend. Seit wann fiel es anderen Menschen so leicht, mir meine Gefühle im Gesicht abzulesen?
Ich nickte. „Ich frage mich nur, wie ich nun zu den Lightwoods gelangen soll. Ich kenne den Weg nicht und alleine darf ich nicht gehen." Sie wusste, dass ich log, ich konnte es ihr ansehen. Doch sie ging nicht weiter darauf ein.
„Keine Sorge, ich habe bereits jemanden herbestellt, der dich zum Haus der Lightwoods begleiten wird." In diesem Moment ging die Tür zu ihrem Büro auf und ein großgewachsener, stämmiger Mann mit olivfarbener Haut trat ein. Er hatte kurzes schwarzes Haar, sein Kiefer waren angespannt aufeinandergepresst und er hatte seine Hände in den Taschen seiner verschlissenen Hose versteckt. Seine blauen Augen, die funkelten wie Saphire, waren fest auf mich gerichtet. Er stand im Türrahmen und bewegte sich keinen Schritt vorwärts. Ein gequälter Ausdruck lag in seinem Blick. So würde es wohl den meisten gehen, wenn sie Valentins Tochter das erste Mal zu Gesicht bekamen. Erst jetzt beim genaueren Hinschauen fiel mir auf, dass er keinerlei Runenmale besaß. Eine dunkle Vorahnung kam in mir hoch.
„Clarissa, das hier ist Luke Garroway, Anführer des New Yorker Werwolfrudels. Er ist dir wahrscheinlich bekannt als Lucian Graymark."
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