7. Travis
7. Travis
Ob Ava als Verkupplerein tauglich ist, wird sich bald herausstellen. Ihr erster Plan jedenfalls ist eine Party, auf der Ellie und ich uns näher kommen sollen.
„Du bist neu hier. Und Ellie kennt so gut wie niemanden hier. Also seid ihr beide zunächst verlorene Menschen. Dann begegnet ihr euch und kommt – bang – ins Gespräch, weil ihr ja sonst niemanden kennt."
Verdammt, ich bin so armselig. Ich kriege es nicht selbst hin, das Mädchen anzuquatschen, das ich über zehn Jahre liebe. Zu große Angst habe ich vor ihrer Reaktion.
Nun bin ich also auf irgendeiner Hausparty, von deren Veranstalter ich keinen blassen Schimmer habe. Das Haus ist gigantisch. Es hat vier Etagen und einen riesigen Garten mit Pool. Innen gibt es ein Büffet und außerdem allerlei elektronische Geräte zur Unterhaltung. Außen hängen die Leute im Pool rum oder verteilen sich auf Sitzgruppen und trinken. Im Hintergrund läuft leise Loungemusik.
Mit einer Flasche Bier stehe ich an der Bar und beobachte zwei Mädchen im Pool, die sich gegenseitig die Zunge in den Hals stecken. Als sie mich bemerken, steigen sie aus dem Wasser und kommen mit verführerischem Lächeln auf mich zu. Das neonfarbene Bikini, das sie beide tragen, offenbart mehr als es bedeckt.
„Hey, Hübscher", ertönt es wie aus einem Chor voller Barbies. Die eine legt mir eine Hand auf die Brust und die andere nimmt mir die Bierflasche aus der Hand. Sie nimmt einen Schluck und kippt den restlichen Inhalt aus. Die Flüssigkeit rinnt über ihre Titten und sie stöhnt übertrieben laut. „Hmmm, das hat mich geil gemacht."
Die andere lässt ihre Hand plötzlich meiner Brust hinunter wandern und sieht mich dabei lasziv an.
„Okay, Mädels. Es reicht", ich mache eine abwehrende Handbewegung, „ich bin nicht an einem Dreier interessiert."
Sie zucken mit den Schultern und ziehen ab.
Ich stoße einen tiefen Luftzug aus und fahre mir durch die Haare. Mann, können Mädchen aufdringlich sein. Schade nur, dass das einzige Mädchen, das ich will, das Gegenteil davon ist.
„Wow, du amüsierst dich ja richtig."
Ava steht mit verschränkten Armen vor mir und schmunzelt.
Ich atme erleichtert auf. „Gott sei Dank. Sonst müsste ich die Hauptrolle eines schlechten Porno spielen."
„Tut mir leid, mein Lieber. Es braucht ein wenig Überredungskunst, um Ellie auf Partys zu schleppen."
Meine Miene verfinstert sich. „Hoffentlich hast du es geschafft."
„Natürlich! Bin ich so unzuverlässig, oder was?"
Ich zeige auf meine Armbanduhr. „Zu Zuverlässigkeit zählt auch Pünktlichkeit. Da fällst du schon mal durch."
„Klugscheißer. Wie wär's mit ‚Danke'?"
Dann tritt Ellie Theresa Holmes durch die Tür und die Erde hört für einen Moment auf zu drehen. Die Menschen ringsherum verschwinden. Es bleibt nur sie.
Sogar in einfachen Jeans und T-Shirt ist sie atemberaubend.
Ava folgt meinem Blick und lächelt wissend. Sie legt eine Hand auf meiner Schulter und drückt ermutigend zu. „Na los, sprich sie an."
Ich bin völlig fokussiert auf Ellie und die Art, wie sie sich bewegt – elegant mit einem Hauch von Schüchternheit – sodass ich Ava kaum höre. Sie gibt mir einen kleinen Schubs und ich taumele nach vorne. Genau in diesem Moment bemerkt mich Ellie. Sie bleibt wie angewurzelt stehen.
Ich gehe schnellen Schrittes auf sie zu, um ihr keine Gelegenheit zu lassen, mir zu entkommen. In den letzten Wochen war dies nämlich häufig der Fall. Jedes Mal, wenn wir uns auf dem Campus begegnen, läuft sie mir davon. Ich verstehe das nicht. Müsste ich nicht derjenige sein, dem das Ganze unangenehm ist? Immerhin bin ich derjenige gewesen, der ihr seine Gefühle gestanden hat und zurückgewiesen wurde.
„Hi, Ellie."
Ihr Kopf ist gesenkt und sie spielt nervös mit dem Saum ihres weißen T-Shirts. „Hi, Travis."
Fieberhaft überlege ich, welche Frage man einer Freundin stellen sollte, mit der man eine unschöne Erinnerung teilt und diese unschöne Erinnerung möglichst bald zu einer schönen machen will. Es ist nicht so, dass ich noch nie eine Freundin hatte. Zur Hölle, ich bin 23. Ich sehe nicht schlecht aus und habe einen gewissen Ruf im Bett, den die weibliche Bevölkerung zu schätzen weiß.
Jedoch halten meine Beziehungen nie länger als drei Monate. Tja, mein Herz habe ich eben schon längst verschenkt. Es schlägt einzig und allein für das eine Mädchen, das mich nicht will.
„Es ist schön, dich wiederzusehen", rutscht es aus mir heraus.
„Ähm, ja", stammelt sie.
Ich kratze mich am Hinterkopf. Es gibt so viele Fragen, die ich ihr gerne stellen möchte. Doch ich befürchte, sie zu nahe zu treten und abzuschrecken. Sie hat sich zu einer kühlen und unnahbaren Persönlichkeit entwickelt, die schwer zu erfassen ist.
Ich bin gerade dabei, Ellie zu fragen, ob sie etwas zu trinken möchte, als laute Musik aus den Boxen dröhnt. Einer ruft laut irgendwas und sofort beginnen Leute, sich zu ihm zu gesellen.
Ava taucht plötzlich zwischen uns auf und legt uns jeweils einen Arm auf den Schultern. „Da machen wir mit", sagt sie fröhlich und drängt uns vorwärts.
Gut fünfzehn Leute sitzen um einen kleinen Tisch, auf dem sich Schnapsgläser befinden, die mit bernsteinfarbenem Inhalt gefüllt sind.
Ein braunhaariges Mädchen, das goldene Kreolen trägt, ruft in die Runde: „Okay, wir spielen ‚Ich habe noch nie ...', falls irgendjemand nicht vertraut mit dem Ablauf ist: Ihr fängt einen Satz mit ‚ich habe noch nie ...' an und gesteht Dinge, die ihr glaubt, im Gegensatz zu euch, die anderen schon mal getan haben. Aber wenn alle anderen es auch noch nie getan haben, dann müsst ihr trinken. Die wichtigste Regel: Die Wahrheit sagen."
Ich werfe Ava einen vorwurfsvollen Blick zu, der etwa so zu deuten ist: „Muss das sein?! Es lief gerade gut zwischen Ellie und mir!"
Na ja, ‚gut' ist übertrieben, eher ‚gerade so'. Trotzdem. Endlich habe ich die Chance, Ellie näherzukommen. Da möchte keine Sekunde verschwenden.
„Entspann dich. Ich versuche nur, die Stimmung etwas aufzulockern", formt sie mit den Lippen.
Das Kreolen-Mädchen fängt an: „ Ich hatte noch nie Sex im Auto." Sie lächelt gewinnsicher.
Beinahe die ganze Runde greift nach vorne. Ich leere mein Glas mit einem Zug. Der Alkohol brennt in meiner Kehle. Es ist Tequila.
Ellie sitzt mir schräg gegenüber. Sie ist wie zugefroren. Ihre Finger umklammern fest das Band ihrer Tasche.
Der Junge links von dem Kreolen-Mädchen ist als nächstes dran. „Ich habe mir noch nie vor einem Mädchen einen runtergeholt." Er grinst dümmlich und seine Zahnlücke kommt zum Vorschein.
Geht es also nur um Sex?
Die Menge johlt. Vier nehmen sich ein Glas. Davon sind zwei die Neonbikini-Mädels, die vorhin versucht haben, mich zu einem Dreier zu überreden. Warum überrascht mich das nicht?
Die Leute kommen der Reihe nach dran.
„Ich bin noch nie von einem 20 m Brett gesprungen."
„Ich bin noch nie Scheiße angefasst."
„Ich habe noch nie'nen Vierer gehabt."
„Ich bin noch nie fremdgegangen."
Das war Ava. Zögerlich strecke ich eine Hand nach dem Alkohol aus. Aus den Augenwinkeln bemerke ich die erstaunten Gesichter von Ava und Ellie. Für einige Sekunden bereue ich meine Entscheidung. Warum bin ich so ehrlich? Niemand würde es wissen, wenn ich gelogen habe. Was würde Ellie nun von mir denken? Ich bin kein Arschloch. Es war kein wirkliches Fremdgehen, sondern ein Ausrutscher. Ich war betrunken und dieses Mädchen war ein ganzes halbe Jahr hinter mir her. Meine damalige Freundin hat ständig an mir herumgenörgelt, sodass mein Gehirn den Geist der Vernunft aufgegeben hat.
Plötzlich will ich nichts mehr langsam angehen lassen. Ellie soll wissen, dass sich meine Gefühle für sie über all die Jahre hinweg nicht geändert haben. Also gestehe ich, als ich an der Reihe bin: „Ich habe noch nie in meinem Leben ein anderes Mädchen geliebt. Für mich hat es immer nur das eine gegeben."
Dabei sehe ich Ellie direkt in die Augen. Die Runde ist auf einmal still. Es ist, als ob nur wir beide existieren. Ein unbeholfener Ausdruck huscht über ihr Gesicht. Eine leichte Röte breitet sich auf ihrer Wange aus und sie senkt den Kopf.
Welch ein Kontrast zu ihrer Reaktion von damals. Jene war kalt, achtlos und verletzend.
„Uuuuhh, ein richtiger Romantiker unter uns, hm?", sagt das Kreolen-Mädchen schließlich, „aber leider scheint niemand anderes die Erfahrung gemacht zu haben. Also musst du leider trinken." Sie zieht eine unglückliche Grimasse und hält mir ein Glas vor die Nase.
Ich nehme es entgegen. Hoffentlich hat Ellie verstanden, wen ich in meinem Geständnis gemeint habe.
Schließlich ist auch sie dran. Ich verschränke die Arme vor der Brust und warte gespannt, was sie sagen wird. Ich brenne darauf, mehr über das jetzige Sie zu erfahren.
Das Spiel dient doch mehr, als ich es erwartet habe.
„Ich ... Ähm ... ich", stammelt sie, „ich habe mich nie von meinen Eltern verabschieden können."
Ihre Stimme klingt leise und gebrochen. Ihre Nase nimmt einen leichten Rotton an. Erneut breitet sich ein Schweigen in der Runde aus.
Verdammt. Ellie darf nicht weinen. Das würde mir das Herz brechen.
Ava räuspert sich. „Zweite Runde, Leute! Auf geht's!", plappert sie übertrieben gutgelaunt. Sie nimmt die halbvolle Tequilaflasche und gießt alle Gläser voll.
„Schön, dann fange ich mal an: Ich bin noch nie nackt geschwommen."
Es folgen ein paar ungläubiges Gemurmel.
„Das Problem könnten wir auf der Stelle beseitigen", kommentiert ein Aufreißer-Typ und deutet auf das Pool.
Ava verdreht die Augen.
Was für ein Idiot.
Weil ich zu beschäftigt war, das ganze Szenario zu beobachten, habe ich gar nicht gemerkt, dass Ellie auf einmal verschwunden ist.
Fuck. Schon wieder läuft sie mir davon.
Abrupt stehe ich auf. Wie eine orientierungslose Fliege durchwühle ich das Haus, in dem jede Spur von Ellie fehlt. Ich durchsuche den Garten, der viel zu groß für einen Garten ist, aber der Erfolg bleibt aus.
Frustriert lasse ich mich auf eine der Liegen neben dem Pool fallen. Wo ist sie nur hin? Offensichtlich hat die Erinnerung an ihre Eltern sie aus der Fassung gebracht. Hoffentlich geht es ihr gut. Es beunruhigt mich, dass sie auch nach so langer Zeit nicht über den Tod ihrer Eltern hinwegkommt. Natürlich ist es okay zu trauern, aber man muss die Tatsache akzeptieren und versuchen, das Beste daraus zu machen. Ihre Eltern hätten gewollt, dass sie glücklich ist.
Ich stütze die Ellenbogen auf den Knien ab und lege das Kinn in die Hände. Ava hat Recht. Ich bin ein Schwächling. Ich traue mich nicht, Ellie einfach an mich zu reißen und fest an mir zu binden. Ich lasse sie immer wieder gehen.
Fröhliche Unterhaltungen dringen in meine Ohren, doch ich nehme sie kaum wahr. Für mich ist der Abend gelaufen. Ich steuere auf das Ausgang zu. Am besten hole ich mir auf dem Weg nach Hause zwei Sechserpack Bier und betrinke mich in meiner einsamen Wohnung. So kann ich wenigstens für paar Stunden aufhören, an Ellie zu denken.
„TRAVIS!", ertönt eine scharfe Stimme hinter mir, als ich bereits mit einem Fuß über die Türschwelle getreten bin.
Ich drehe mich um. Ava steht klitschnass da. Ihre lange blonden Haare kleben an ihrer Wange. Ihr Makeup ist verschmiert. Aus den Enden ihres zartblauen Hemdkleides tropft Wasser. Anscheinend wurde sie ins Pool geschmissen.
„Wo willst du hin?", fragt sie.
„Nach Hause", antworte ich müde.
„Und was ist mit Ellie?"
„Was soll mit ihr sein?"
„Ich dachte, ihr wärt zusammen."
„Ich weiß nicht, wo sie ist. Sie ist plötzlich verschwunden und ich konnte sie nicht finden."
„Sie hat mir eine Nachricht geschickt. Sie ist noch auf der Party", versucht sie zum Bleiben zu bewegen.
„Ich denke, sie möchte lieber allein sein", sage ich leise.
„Herrgott, Travis! Wie kannst du nur so leicht aufgeben? Ellie braucht einfach ein bisschen Zeit, um mit dir warm zu werden."
„Deswegen gebe ich ihr ja Zeit", knurre ich. Plötzlich bin ich schrecklich wütend. Wütend auf Ava, dass sie uns überhaupt auf diese Party mitgeschleppt hat. Wütend auf Ellie, dass sie nicht dasselbe wie ich empfindet. Und wütend auf mich selbst, weil ich so bin, wie ich bin.
Eine leichte Windbrise weht über die Stadt. Ava zittert leicht und kreuzt ihre Arme vor der Brust.
Ich ziehe meinen Pulli aus. „Hier", ich halte diesen ihr hin, „erkälte dich nicht."
Sie stößt einen leisen Pfiff aus und zieht sich den Pulli über. „Wenn du schon dabei bist zu gehen", sagt sie und wirft mir auf einmal ihren Autoschlüssel entgegen, „kannst du mich ja erst mal nach Hause fahren."
Ich stutze. „Ähm, dir ist klar, dass ich ein halbes Bier und drei Tequilas intus habe?"
Sie verdreht die Augen. „Travis, was habe ich dir gesagt? Sei kein Gentleman, sei ein Bad Boy. Also los. So'n bisschen Alkohol bringt uns nicht um."
Mit diesen Worten hackt sie sich bei mir unter und zerrt mich zu ihrem Wagen.
Danke fürs Lesen! Ich hoffe, es hat euch gefallen. Über Kommentare und Votes würde ich mich sehr freuen!
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