14. Ellie
14. Ellie
Dieses dümmliche Grinsen, das ich nun trage, seitdem Fynn indirekt angedeutet hat, dass er mich mag, will mein Gesicht nicht verlassen. Und das Blut jagt meine Ader hinunter, weil das seltene Glücksgefühl mein Gehirn immer wieder in Besitz nimmt.
Überall spüre ich Fynns harte Muskeln. Ich genieße es, die Arme und Beine um ihn geschlungen zu haben. So verborgen habe ich mich seit geraumer Zeit nicht mehr gefühlt. Sein exquisites Rasierwasser umhüllt mich. Die getrimmten, dunkelblonden Haare der seinen verleihen einen weichen Eindruck, dass es mich in den Fingern juckt, darüber zu fahren.
Als wir die vertraute Umgebung des Flachlandes erreichen, holt mich die Realität und Vernunft ein. Fynn Tyler Vaughn ist der Freund meiner allerbesten Freundin, der gutherzigsten und liebenswürdigsten Person im ganzen Universum. Ich darf jeden verletzen, nur nicht sie. Niemals.
Aber was, wenn sie und Fynn eines Tages beschließen, getrennte Wege zu gehen? Würde ich dann bereit sein, über meinen eigenen Schatten zu springen und meine Gefühle für Fynn Tyler Vaughn offen auf den Tisch legen? Würde Ava das akzeptieren können?
Fakt ist, dass, selbst wenn sie ihren Segen dazu gäbe, ich nicht den Mut und das Selbstbewusstsein hätte, mit Fynn eine romantische Beziehung einzugehen. Für mich würde er stets der Ex-Freund von Ava bleiben und somit absolut tabu.
„WAS – ZUR – HÖLLE?"
Bei dem Klang von Fynns zornerfüllter Stimme hebe ich neugierig den Blick. Das Szenarium, das gerade vor uns abspielt, verschlägt mir die Sprache.
Ava und Travis liegen auf der Wiese und küssen sich.
Wow.
Ich meine, ich unterstütze Ava bei allen, was sie tut, solange es ethisch richtig ist – aber DAS??
Das ist definitiv nicht richtig. Egal ob bezüglich der Ethik oder generell.
Sofort fahren die Beteiligten auseinander und finden sich im Nu in voller Lebensgröße vor uns wieder. Beide tragen zunächst einen konfusen Gesichtsausdruck.
Fynn deutet mir mit einem Räuspern, die Arme um ihn zu lockern, dann werde ich abgesetzt. Der mit Holz bepackte Rucksack gleitet seinem Arm hinunter, um letztendlich den Untergrund zu tangieren. Anscheinend hat sich Ava mittlerweile wieder gefangen und begibt sich auf den Weg zu uns.
Von der Seite aus bemerke ich Fynns angespannten Kiefer und zusammengeballte Fäuste. Mein Herz fängt an, schneller zu pochen. Herrje, kündigt sich der dritte Weltkrieg an?
Ich werfe Ava einen besorgten Blick zu, bevor ich die beiden allein zurücklasse und in die entgegengesetzte Richtung humpele. Sie erwidert meinen Blick mit einem beruhigenden Lächeln, das meine vorhandene Irritation vervierfacht.
Travis sitzt mit hängenden Schultern auf eines der Klappstühle, die wir mitgebracht haben.
„Willst du mir erklären, was das eben war?" Meine Stimme klingt schärfer als beabsichtigt. Mich in einer potenziellen Dreiecksbeziehung einzumischen ist das Letzte, was ich möchte. Aber ich kann unmöglich tatenlos zusehen, wie meiner Freundin das Glück entrissen wird.
Daher verliere ich meine übliche Besonnenheit. Ich kann nicht glauben, dass Travis dazu fähig sein würde, mit jemandem intim zu werden, die vergeben ist, und gleichzeitig einer anderen Person (sprich: mir) seine ach-so-leidenschaftliche Liebe zu gestehen. Obwohl ich über seine Liebeserklärung nicht glücklich bin, fühle ich mich hintergangen. O Mann, liegt mir doch mehr an ihm als behauptet?
„Ein Unfall. Wir haben herumgealbert. Sie ist hingefallen und hat mich mitgezogen", erklärt er ganz sachlich.
Ich mustere ihn skeptisch. Er grinst daraufhin unverschämt. „Eifersüchtig?"
Arschloch. Ich nehme alles zurück. Er ist definitiv zum skrupellosen Hintergehen fähig. Hat er nicht auf dieser Party letztens eingestanden, dass er schon mal fremdgegangen ist? Nichtsdestotrotz entscheidet sich mein Herz dazu, seinen Worten Glauben zu schenken. Weil ich Ava vertraue.
Es ist nicht zu leugnen, dass sie gerne Streiche spielt und dass diese eventuell manchmal zu weit gehen. Dennoch kenne ich sie lange genug, um garantieren zu können, dass sie aufhört, bevor die Grenzen überschritten werden.
„Großer Gott, du blutest ja!", ruft er entsetzt und eilt zu seinem Zelt, um daraufhin mit einem Verbandkasten zu erscheinen. Er führt mich zu dem Stuhl, auf dem er vor einigen Sekunden gesessen hat, und beginnt, die beschädigten Stellen zu desinfizieren. Währenddessen wandert mein Blick zurück zu dem Fleck, auf dem Fynn und Ava zuletzt gestanden haben, finde diesen jedoch leer vor. Fynns Wagen ist ebenfalls verschwunden.
Wird Fynn Schluss machen?
Bei diesem Gedanke zieht sich mein Herz zusammen – einerseits aus Bedauern, andererseits aus ... Hoffnung. Hoffnung auf ein Ellie und Fynn? Ohne zu zögern verbanne ich diesen Teil aus dem Kopf. Denke daran, was Ava je für dich getan hat.
„Fertig", sagt Travis zufrieden und verschließt den Kasten.
„Vielen Dank", meine ich ehrlich. Er hat wirklich gute Arbeit geleistet. Ich bin froh, dass er seine alte Fürsorglichkeit beibehalten hat.
„Hör zu", er richtet sich auf, „bitte interpretiere das, was vorhin passiert ist, nicht falsch, okay? Zwischen Ava und mir läuft nichts. Ich würde nicht mal im Traum daran denken, mit ihr was anzufangen, wenn du doch diejenige bist, nach der ich mich verzehre!"
Den letzten halben Satz hat er so gut wie herausgebrüllt. Geschockt und zugleich perplex verharre ich in meiner Position. Mittlerweile ist es vollständig dunkel geworden. Die einzige Lampe, die in der Mitte des Tisches platziert ist, gibt gerade genug Licht ab, um den verbitterten Ausdruck auf Travis Gesicht zum Vorschein zu bringen.
Verzweifelt beiße ich mir auf die Unterlippe. Was soll ich tun? Hier kann ich nirgendwohin flüchten, sondern mich der Situation stellen. Mir kommen Leahs Ratschläge in den Sinn. Warum versuche ich es nicht einfach? Ein paar Dates kann mir nicht Schaden. Meinem Liebesleben und meiner Sozialkompetenz würde das auf jeden Fall gut tun. Vor allem werde ich vielleicht aufhören, von Fynn zu fantasieren und womöglich die Freundschaft zu Ava zu gefährden. Und wenn Travis letztendlich erkennt, dass ich längst nicht mehr die schöne, unerreichbare Prinzessin bin, wird er mich vielleicht in Ruhe lassen.
Ich hole tief Luft, um Mut aufzubringen, und trete ihm gegenüber. Sein kräftiger Körper sendet Hitze aus, die meine Atemzüge beschleunigen. Die grauen Sprenkel seiner blauen Augen funkeln in der Dunkelheit. Meine Nervosität verrät, dass ich nicht völlig immun gegen ihn bin. Gut.
„Travis", meine Stimme zittert, „ich kann dir nicht versprechen, dass ich jemals so viel empfinden kann wie du es für mich tust. Aber ich bin bereit, uns eine Chance zu geben."
Für die nächsten Sekunden ist nur das Rauschen des Wasserfalles zu hören. Dann werde ich von zwei starken Armen hochgehoben und durch die Luft gewirbelt.
„SIE HAT JA GESAGT! VERDAMMT!", brüllt er, von Freude überwältigt. Seine überschwängliche Reaktion bringt mich zum Lachen. Als meine Füße wieder den Boden berühren, stoße ich einen erleichterten Seufzer aus. Nicht deshalb, weil ich unversehrt geblieben bin, sondern weil die Entscheidung mir zahlreiche Lasten von Schultern genommen hat. Ava und Leah werden sich nicht dauernd den Kopf über mich zerbrechen müssen. Ich habe einen plausiblen Grund, jegliche unangemessenen Fantasien von dem Freund meiner besten Freundin aus dem Kopf zu verbannen. Und Fynn wird Ava nicht missverstehen, weil Travis ein Verhältnis mit mir hat. Mein Gott. Hätte ich gewusst, dass ich mit so einem kaum wahrnehmbaren Schritt zu der Aufrechterhaltung des Glücks der Menschen, die mir wichtig sind, beitragen kann, hätte ich schon viel eher gehandelt.
Travis zieht mich in seine Arme, und ich spüre, wie mein ganzer Körper sich verkrampft.
„Nur ganz kurz."
Kontrolliert atme ich ein und aus, um nicht in den Versuch zu geraten, die Flucht zu ergreifen.
„Du kannst mir nicht versprechen, dass du mich jemals so sehr lieben wirst wie ich dich. Aber ich kann dir versprechen, dass du - mich - eines Tages - ", er lehnt sich zurück und nimmt meine Hände in die seinen, „genauso sehr lieben wirst wie ich dich."
Ich ziehe innerlich eine gequälte Grimasse. Nach jahrelanger Vernachlässigung seitens meiner Großeltern, die, das Gesetz außer Acht gelassen, Fremde sind, befürchte ich, die Fähigkeit des Liebens verlernt zu haben.
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