Twenty
Twenty:
zu viele Gedankengänge
„Ich habe gehört, du kamst vorhin zu spät."
Rachel lächelte leicht, während Mine sich die Jacke überzog.
„Warum warst du zu spät?"
Mine hob ihre Augenbrauen.
Rachels Mundwinkel zuckten. „Ich habe jemandem geholfen."
Mine zog eine Augenbraue leicht hinunter. „Wem?"
Die sechsunddreißigjährige hätte sich niemals getraut, den Namen des Soldaten in Nessas oder Mirandas Gegenwart zu erwähnen. In Mines Gegenwart hielt sie es für ansatzweise ungefährlich.
„William Lennox."
So sah auch der Gesichtsausdruck der Gynäkologin aus. „Nicht dein Ernst", sagte sie.
„Doch." Rachel nickte. „Es gab Probleme mit-"
„Du triffst dich mit ihm?"
Rachel runzelte bei ihrem Ton die Stirn. „Ja, also-"
„Sag Mal, hast du Fieber?" Sie zuckte zurück als Mine ihr die Hand an die Stirn legte.
„Mine", nannte sie sie bei ihrem Namen.
„Der Typ jagt Colan", stellte sie klar. „Bist du dir bewusst, in was für eine Gefahr du ihn bringst?"
Schon wieder das Thema?, dachte sie sich.
„Ja, ich bin mir bewusst", erwiderte Rachel verstimmt. „Ich rede mit ihm offen darüber."
„Mit Lennox?!"
„Mit Colan!", widersprach Rachel heftig. „Ich dachte, du würdest es verstehen."
„Verstehen?" Mine riss die Augen auf. „Er hat dir das Herz gebrochen und du hast deine Konsequenzen vor sehr langer Zeit daraus gezogen."
„Ich weiß." Rachel sah zu Boden als würde sie getadelt.
„Wenn du beschließt, ihn wieder in dein Leben zu lassen, dann solltest du dir sicher sein, dass du ihn auch an Teddys Leben teilhaben lassen musst und er somit nie wieder verschwinden wird."
Rachel war sich dessen sehr bewusst. Denn ihr schlechtes Gewissen sagte es ihr jeden Morgen, wenn sie lächelnd in den Spiegel guckte, nachdem sie seine guten Morgen Nachricht gelesen hatte.
Sie wusste es. Und die einzigen Momente, in denen sie ihr schlechtes Gewissen zum Schweigen bringen konnte, waren, wenn sie dem Soldaten nah war. Mit ihm war es leicht, alles um sie herum zu vergessen.
Sie wollte das nicht ruinieren oder gar verlieren. Nur sie ahnte, dass sie das würde, würde er die Wahrheit erfahren und was sie in der Wut an ihn vor neun Jahren beschlossen hatte.
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„Doktor Dumblin?"
Sie seufzte und drehte sich um.
Verdammt, sie hatte Feierabend. Und verdammt, sie war so kurz vor dem Ausgang gewesen.
Mines Worte vom Vormittag hallten noch immer in ihr nach und alles was sie wollte, war nach Hause, Mittagsschlaf machen und dann Teddy von der Schule abholen.
„Ja?" Sie drehte sich zu Dr. Banning um. „Oh, zweimal an einem Tag." Sie seufzte resigniert. „Was für ein Pech ich habe." Schlussendlich verdrehte sie ihre Augen. „Ich habe Feierabend. Was wollen Sie?"
„Nur kurz." Er reichte ihr einen Brief, verschlossen. „Die Rechnung meines Nasenbruchs."
„Was ist damit?"
Sie zog eine Augenbraue hoch, öffnete den Brief anstandslos und sah auf die hohe Summe für den Nasenbruch und die Nasenkorrektur.
„Geben Sie das Ihrem Freund", stellte der Chirurg klar. „Ich will das Geld für die Behandlung sehen oder ich schalte einen Anwalt ein."
Ihre Mundwinkel zuckten nach oben, ehe sie freudlos lachte. „Entschuldigen Sie, Doktor." Sie drückte ihm sein Schreiben gegen die Brust und ließ los, ehe sie sich umdrehte. „Das zahlt er nicht." Sie schüttelte den Kopf und lief auf den Ein- und Ausgang zu.
„Und ob!", rief er ihr nach und setzte sich ebenfalls direkt in Bewegung. „Er hat sie mir immerhin gebrochen, Dumblin."
„Banning, er zahlt Ihre Rechnung nicht", stellte sie seufzend klar als sie aus dem Hospital traten. „Sie haben es sich immerhin selbst zuzuschreiben."
„Er hat mir die Nase gebrochen!" Er packte sie am Oberarm, ehe sie herumfuhr und ihre Tasche kräftiger umfasste – bereit sie als Verteidigungsmittel einzusetzen.
„Und Sie haben ihn als Stricher beleidigt", erwiderte sie. „Sie beide sind quitt miteinander." Sie sah ihn angewidert an. „Und er wird Ihre Rechnung der gebrochenen Nase garantiert nicht übernehmen."
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„Hey, mein Schatz!"
Teddy strahlte als er mit einem seiner Freunde aus dem Gebäude lief. Im Gegensatz zu anderen Kindern, die sich bei solch einem Spruch für ihre Eltern schämen würden, liebte Teddy es, wenn seine Mutter ihm ihre Liebe gegenüberbrachte.
„Wie war dein Tag?" Sie streckte die Hand nach seinem Rucksack aus und er gab ihn ihr.
„Ganz okay." Er drehte sich noch zu seinem Freund Michael um und winkte. Er winkte zurück und lief auf das Auto seines Vaters zu, das woanders geparkt hatte. „Mom?"
Teddy sah zu seiner Mutter hoch.
„Ja, Teddy?"
Sie öffnete ihm die Beifahrertür und der neunjährige kletterte hinein und schnallte sich schnell an. Sie sah ihm währenddessen dabei zu.
„Darf ich heute noch mit Colan draußen spielen?"
„Klar", erwiderte sie sofort und schloss die Tür.
Sie öffnete kurz die Beifahrertür und legte seinen Schulrucksack zu ihrer Handtasche, ehe sie vorsichtig auf der Fahrerseite einstieg.
„Das musst du aber mit Colan ausmachen", sagte sie ihm. „Ich habe nicht nachgeschaut, wie lange er heute arbeiten muss."
Teddy zuckte mit seinen Schultern. „Darf ich sonst auch alleine raus? Ich verspreche auch, ich gehe nicht allzu weit weg."
„Meinetwegen." Rachel lächelte und startete den Motor.
Um Teddy machte sie sich weniger Gedanken, wenn er raus aus der Tür war – obwohl er im Mittelpunkt stehen müsste.
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„Wann kommen wir wieder zurück?", fragte Rachel und reichte Teddy seine dünne Jacke.
„Gegen zwanzig Uhr." Er hob seine Armbanduhr an. Er nahm sie immer mit, wenn er alleine nach draußen ging. „Wenn der große Zeiger auf der zwölf und der kleine Zeiger auf der acht ist." Er seufzte. „Und wenn ich zwischendurch auf Klo muss?"
„Dann komm rein." Rachel lachte und schüttelte den Kopf. „Du wirst hier doch nicht verbannt."
Er nickte.
„Darf ich den Ball mitnehmen?"
Er zeigte in Richtung seines Zimmers.
„Teddy, ich habe dir doch schon erlaubt-"
„Bitte!", quengelte er und unterbrach sie. „Mom, bitte." Er hob beide Arme an. „Ich bin auch ganz brav heute, wenn ich ins Bett soll."
Rachel seufzte. „Schön." Sie rollte mit ihren Augen.
„Ja!"
Er jubelte und lehnte schnell das Skateboard wieder am Türrahmen der Haustür an. Dann lief er schnell in sein Zimmer.
„Aber beeil dich!", rief sie ihm und seufzte. „Ich wollte noch ein paar Sachen erledigen."
Sie hatte vor, mit Epps zu telefonieren, um was abzumachen wegen seinem bevorstehenden Flug nach Kuba. Ihr langwieriger Freund wollte nämlich unbedingt Topspin besuchen und mit ihm reden. Sie konnte es ihm auch einfach nicht ausreden, es endlich sein zu lassen.
Sie sah auf die Uhr im Flur. Sein Flug würde gegen halb sieben gehen. Wenn sie sich nicht beeilte, würde sie ihn definitiv verpassen.
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Grinsend stellte Teddy sein Skateboard ab, sprang rauf und fuhr ein paar Meter damit. „Ja."
Er warf den Ball glücklich von einer Hand in die nächste, ehe er ein Bein auf dem Boden absetzte und hielt.
Er sah gerade rechtzeitig auf, stolperte aber beinahe gegen einen Erwachsenen vor seiner Haustür. „Ups", machte er als das Skateboard ohne ihn weiterfuhr
Der Erwachsene hielt es mit seinem Fuß auf.
„Entschuldigung." Der neunjährige verzog die Miene als der Mann schmunzelnd das Skateboard aufhob.
„Kein Ding."
Er hielt es Teddy hin, der schnell zu ihm lief und es entgegennahm.
Teddy kicherte. „Ich muss noch viel lernen." Er rollte mit seinen braunen Augen und sah dem Herrn vor ihm ins Gesicht.
Lennox zog leicht die Augenbrauen zusammen als er den Jungen sah. „Huh", machte er.
„Huh?" Teddy legte wie er zeitgleich den Kopf schief. „Kenne ich Sie?", hakte er nach.
„Das frag ich mich grad auch", entgegnete Lennox. Er war verwirrt. Er könnte schwören, der kleine Junge... er kam ihm so bekannt vor. Woher nur?
„Naja." Teddy zuckte mit den Schultern. „Ich sehe hundert Menschen täglich." Er lief schnell weiter. „Entschuldigung nochmal." Er hob die Hand und das Skateboard darin.
Lennox blickte ihm nach, runzelte seine Stirn noch stärker. „Kein Ding", sagte er ruhig.
Er seufzte als er gerade klingeln wollte, allerdings durch sein Handy unterbrochen wurde, das klingelte. Das Timing von Rachels Schwester hätte allerdings nicht schlechter sein können.
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Rachel hatte Epps nicht mehr erwischt.
Frustriert hatte sie begonnen, den Haushalt zu machen und war dann ächzend auf ihr Bett niedergesunken.
Seitdem hockte sie dort – die Gedanken bei dem ehemaligen Soldaten und seiner Sturheit, in ein Flugzeug zu steigen, um Sachen zu klären, die sich in der heutigen Position nicht mehr großartig klären ließen.
Rachel war verspannt mit all den Gedanken, die ihr im Kopf umherschwebten. Das wusste sie. Sie wusste auch, was sie statt dem Haushalt nun tun könnte. Sie hatte die Wohnung für sich. Sie musste sich in keinster Weise zurückhalten. Trotzdem murrte sie und sah weiter gegen ihre Decke.
Es vergingen Minuten bevor Rachel sich seufzend doch dazu entschied und das Band ihrer Jogginghose lockerte.
Es war nicht so als hätte sie nicht genügend Fantasie übrig. Aber sie spürte, dass sie heute zu faul war, dass sie zu wenig Energie hatte und im Allgemeinen drückten ihre Gedanken mit aller Macht auf sie ein.
Ein frustriertes Seufzen glitt über ihre Lippen als sie nicht spürte, wie sie feucht wurde.
Und dann zuckte sie zusammen, weil es klingelte.
„Ich hab ja offensichtlich nicht Mal fünf Minuten für mich."
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Datum der Veröffentlichung: 02.10.2022 Uhr 13:44 Uhr
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