Seven
Seven:
Platz siebenunddreißig B
„Wo warst du?"
Rachel atmete tief ein als sie in das Hotelzimmer trat, dass Epps, Vanessa und sie sich teilten.
„Ich habe mich ein wenig zu sehr betrunken", gestand sie ihnen. „Ich hatte einen One-Night-Stand", log sie gleich hinterher.
Es war nicht als würde sie sich schämen, die Nacht mit Lennox verbracht zu haben. Sie wollte nur nicht, dass es jemand erfuhr. Sie wollte, dass diese Nacht ein Geheimnis blieb. Eine kleine Auszeit, die sie sich aus ihrem Leben genommen hatte.
„Und sie sagt mir nicht Bescheid." Nessa sah von ihrer Zeitschrift auf. Rachel als auch Epps wandten sich ihr zu. „Ich bin enttäuscht." Sie sah ihre beste Freundin an und dann den ehemaligen Soldaten, der irritiert schaute. „Ich habe doch gesagt, sie kommt klar."
Rachel zog ihre Augenbrauen zusammen und öffnete sich ihren Reißverschluss selbst. Dann fing sie an, sich vor beiden aus dem Kleid zu schälen.
Epps rollte mit den Augen und drehte sich demonstrativ um. „Egal wie gut wir befreundet sind, Rachel. Deine Brüste mag ich trotzdem nicht sehen."
„Oh ja, zeig her." Demonstrativ setzte Nessa sich breitbeinig in ihrem Sessel zurück und lachte einige Sekunden später.
Rachels Mundwinkel zuckten als sie zu ihrem kleinen Koffer lief.
„Heute Abend ist der Rückflug." Sie wühlte durch ihre Klamotten, ehe sie eine Jogginghose herausfischte und ein weites Shirt, dass sie Sideswipe einst abgemurkst hatte. „Möchtet ihr noch etwas essen gehen? Ich verhungere."
„Essen?" Epps drehte sich wieder um und verschränkte die Arme vor der Brust. „Hast du an ein bestimmtes Restaurant gedacht?"
Rachel schüttelte ihren Kopf. „Ein einfaches. Nichts wo wir uns herausputzen müssten."
Beide musterten die sechsunddreißigjährige, die nach ihrer Haarbürste griff und ihre Mähne zu bändigen begann.
--------
Rachel lächelte leicht als sie ihren Koffer neben sich herzog.
„Fällt auch niemandem auf, dass du einen Kinderkoffer schleppst, ohne Kind dabei zu haben."
Nessa kicherte.
„Ich hatte nun mal keinen kleinen Koffer mehr, der nicht mit einem Cars Motiv drauf war."
Rachel seufzte als sie am Schalter hielten.
„Hi." Epps lächelte die Dame sich gegenüber an, bereit die Flugtickets zu kaufen.
-----------
„Wie? Es sind keine drei Plätze mehr nebeneinander übrig?", fragte Rachel verstimmt am Schalter. „Hören Sie", sagte sie ihr und Epps seufzte resigniert. „Es ist wichtig, dass wir zusammensitzen."
Sie stützte ihre Arme auf dem hochgelegten Tresen ab.
„Ja, dann müssen Sie allerdings leider auf den nächsten Flieger morgen früh warten." Die Dame am Schalter zuckte mit den Schultern. „Anders wird es nicht gehen. Tut mir leid."
Rachel sah hinter sich zu ihren beiden Freunden. „Was machen wir jetzt?", fragte sie nach.
Nessa seufzte. „Das ist kein Weltuntergang." Sie sah Epps an, der genau derselben Meinung wie das Hologramm war.
„Bis morgen können wir nicht warten", stellte Nessa klar. „Aber wir können uns auseinandersetzen."
Rachel murrte und sah wieder nach vorne. „Gut", brummte sie. „Die beiden sitzen zusammen, ich woanders", entschied sie sich.
------------
„Siebenunddreißig b."
Rachel sah sich um und sah Nessa und Epps weiter vor sich, die bereits ihre Plätze gefunden hatten und sich leise unterhielten. „Siebenunddreißig b."
Sie sah sich weiterhin um.
Es dauerte länger. Offensichtlich hatte sie die blöde Dame am Schalter weit von ihren Freunden weggesetzt.
Nach mehreren Minuten fand sie endlich ihren Platz und atmete erleichtert auf.
Doch dann sah sie sich ihrem ersten Problem gegenüber.
Dieses bestand nämlich darin, dass am Fenster – am Platz siebenunddreißig c – ein gewichtiger alter Mann saß, der schon beinahe ihren Platz in der Mitte einnahm. Und vorhin auf dem Anzeigebildschirm hatte sie bereits gesehen, dass Platz siebenunddreißig a auch vergeben war.
Na, super...
Seufzend sah sie auf ihr Flugticket, verstaute es dann in ihrer kleinen Handtasche und zog sich ihre Jacke aus.
„Sir?" Sie sah den Mann an, der von seinem Telefon aufsah. „Ich, eh", sie zeigte auf ihren halbbesetzten Platz, „Müsste mich setzen."
Er lächelte.
„Oh, verzeihen Sie, Miss." Er versuchte sich etwas schlanker zu machen und tief einzuatmen, ehe die ehemalige Liaison mit unwohlem Gefühl im Bauch ihren Platz soweit sie konnte einnahm. „Ich muss wohl wieder etwas abspecken." Er lachte etwas verlegen und haute sich leicht auf seinen Bauch. Rachel lächelte ihn matt an und nickte.
„Wenn Sie meinen." Sie sah aus Höflichkeit weg.
Gott, hilf mir, bat sie innerlich als ihr ein unangenehmer Geruch in die Nase kroch.
Einige Minuten versuchte Rachel nicht an Atemnot zu sterben, während der Mann zu reden anfing. Sie stellte schnell fest, dass es wohl an seinem Mundgeruch lag, was hier so stank.
„Wissen Sie, ich werde meinen Enkel in Manhattan besuchen." Er grinste breit mit seiner Zahnproteste im Mund. „Es ist bereits zwei Jahre her, seit ich ihn zuletzt getroffen habe. Er ist Bankkaufmann."
Rachel lächelte ihn höflich an und nickte. „Sehr interessant."
„Und was machen Sie beruflich?" Der Rentner sah sie interessiert an.
„Ich bin Ärztin", erzählte sie ihm.
„Oh, haben Sie eine eigene Praxis?" Er deutete mit seiner Hand auf seinen Rücken und als Rachel hinzu noch diesen Schweißgeruch wahrnahm, wäre sie am liebsten tatsächlich gestorben. „Ich habe da auf dem rechten Schulterblatt so einen Leberfleck, den ich mal untersuchen lassen möchte."
„Nein." Sie schüttelte den Kopf. „Ich arbeite im Krankenhaus."
„Ach so." Er sah sie verstehend an. „Da rettet man ja viele Menschenleben, nicht wahr?"
„Ja." Rachel schluckte und fummelte sich am Kragen herum, ehe sie sich umständlich schon mal anschnallte. Sie wollte das nicht tun müssen, wenn der andere Passagier auch noch hinzukam. Obwohl sie bereits innerlich hoffte, dieser würde den Flug verpassen. Dann könnte sie sich bestimmt heimlich umsetzen.
„Wir bitten alle Passagiere, langsam Ihre Plätze einzunehmen. Wir starten in wenigen Minuten." Die Durchsage kam als ein Mann neben ihrer Sitzreihe stehenblieb und das Handgepäck herunterzog, welches eben erst geschlossen worden war.
Überrascht – positiv in diesem Sinne – studierte sie diesen wohlgeformten Körper mit der ausgeprägten Fracht in seiner Hose, was ihre Mundwinkel zucken ließ. Der Herr neben ihr versuchte sie weiter abzulenken, indem er ihr ein Foto seines Enkels zeigte.
„Sehen Sie?" Er lächelte voller Stolz. „Dies ist mein Enkel Bobby."
„Ein prächtiger Junge", lächelte Rachel leicht. „Wirklich." Paralysiert wandte sie sich wieder dem Kerl zu ihrer Linken zu, der seufzte und gerade das Handgepäckfach am Schließen war.
„Ja, meine Frau und ich waren sehr stolz als unsere Tochter ihn damals zur Welt brachte."
Rachel sah wieder zu ihm, schon fast genervt, obwohl sie so nicht zu einem Fremden sein wollte.
„Sie müssen wissen, dass meine Frau vor drei Jahren verstarb."
„Mein Beileid."
Der Kerl setzte sich neben sie. Sie fühlte wie er neben ihr nach dem Gurt griff und sich auch schon anschnallte.
„Ja, sie hatte, denke ich, ein erfülltes Leben mit mir als ihren Ehemann."
Er lachte leise und Rachel lächelte ein wenig breiter, obwohl ihr durch den schlechten Geruch zum Kotzen zumute war.
„Wir sind früher viel öfters nach New York zu unserer Familie geflogen." Der ältere Herr sah auf den anderen Platz vor sich geradeaus. „Doch seit ihrem Tod war alles nicht mehr so wie es früher war, verstehen Sie?" Rachel nickte mitfühlend. „Und wieso wollen Sie nach New York?"
„Ich wohne dort", erklärte sie ihm.
„Und warum waren Sie dann hier?" Er lächelte sie warmherzig an und Rachel erlaubte sich einen tiefen Atemzug zu nehmen. Sie bereute es im selbigen Atemzug. „Urlaub?"
„Nein." Sie strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Ich war hier zur Beerdigung meiner kleinen Schwester."
„Oh." Der Mann zog seine Augenbrauen zusammen. „Mein herzlichstes Beileid, Miss."
„Danke." Ihre Mundwinkel zuckten leicht, ehe sie endlich einen Blick auf ihren anderen Sitznachbarn werfen wollte.
Doch das überraschte sie gleich wieder aufs Neue. Sehr sogar.
„Es ist schade, wenn geliebte Menschen von uns gehen." Der Mann redete weiter, während Rachel ihre Gesichtszüge entgleisten.
„Will?!" Sie war lauter als beabsichtigt und er sah auf.
„Hi", erwiderte er und lehnte den Kopf hinten an seinen Sitz an. „Eine... Überraschung."
Sie schluckte und blickte auf seine Lippen.
„Ich muss hier weg." Sie schnallte sich kurzerhand ab und stand auf als eine Stewardess vorbeikam, um die Gepäckfächer zu überprüfen.
„Miss, es tut mir leid, aber Sie müssen sich wieder hinsetzen." Sie drückte sie zurück auf ihren Sitz. „Wir möchten gleich starten."
„Aber, aber", sagte die sechsunddreißigjährige. „Ich kann hier nicht sitzen bleiben."
Lennox runzelte seine Stirn.
„Miss, bitte beruhigen Sie sich", bat die brünette sie. „Haben Sie Flugangst?"
„Was? Nein!" Rachel schüttelte den Kopf. „Ich kann hier nur wirklich nicht sitzen bleiben."
Das ging nicht. Nicht nach gestern Nacht. Nicht nachdem, was sie getan hatte.
Der Rentner redete ohne Probleme – in seine Welt vertieft – weiter. Er erzählte davon, wie er seine Frau fünfzig Jahre zuvor kennenlernte.
--------------
„Ich kann das nicht fassen."
„Ich kann nicht fassen, dass du wirklich vom neuen abhauen möchtest."
„Das hat nichts mit dir persönlich zu tun."
„Nun ja." Er drehte seinen Kopf ihr zu. „Nach allem, was zwischen uns schon passiert ist, nehme ich doch sehr wohl an, dass es persönlich ist."
Ja, aber anders als du denkst, dachte Rachel.
Sie seufzte, das Gewissen begann sie zu plagen.
Wenn sie Lennox länger in die Augen sah, länger den Mann vor ihr betrachtete... dann sah sie ihren Sohn. Den, der eben Zuhause saß und sein Leben ahnungslos weiterführte.
Rachels Mundwinkel bewegten sich, doch mehr immer wieder nach unten. Sie schien ihm etwas sagen zu wollen, das spürte der Soldat. Doch es kam kein Laut aus ihr heraus.
---------------
Datum der Veröffentlichung: 02.10.2022 13:10 Uhr
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top