Kapitel 22 teil 1


Sein Vater , Haudrauf, setzte sich vor ihn auf den Esszimmertisch, während Jack die blaue Samt-Couch für sich beanspruchte, die Beine wie selbstverständlich hochlegte und die Augen schloss.
Hicks ließ Autumn auf dem Boden krabbeln. Er war unsicher, wusste nicht genau was er tun sollte, schließlich hatte er so gut wie gar nichts hier, was für Kinder in ihrem Alter geeignet wäre. Einen Fernseher, den bevorzugte er allerdings nicht. In ihrem Alter hatte er nur in die Windel gemacht und dumm gekichert, da hatten seine Eltern ihn nicht vor den Fernseher gesetzt. Das würde er auch mit seiner Tochter nicht machen.
Einen Garten mit Wiese hatte er, aber sie konnte noch nicht richtig gehen. Vielleicht war das der erste richtige Ansatz, nur fühlte er sich dazu verpflichtet diese Meilensteine im Leben seiner Tochter auch mit dessen Mutter zu teilen. Er würde warten.
Fast schon hatte er ein schlechtes Gewissen, aber Autumn hatte sich den leuchtenden Katzenball seiner schwarzen Kurzhaarkatze Ohnezahn geschnappt und er war sich sicher, sie hätte mit nichts glücklicher sein können.
Ohnezahn war recht scheu und kam bei Besuch nur selten aus einem seiner Verstecke.

,,Also, ihr müsst mir noch eine Frage beantworten. Wie seid ihr so schnell hier her gekommen und warum bist du mitgekommen, Vater. Die Firma hat doch schon offen."

,,Wir-"

Hicks' Handy piepte. Eine Sms von Astrid. Er nahm es von Tisch, entschuldigte sich und tippte rasch eine Nachricht. Ladys lässt man ja bekanntlich nicht warten.

8:40 Astrid
Ist alles in Ordnung? Seid ihr gut angekommen oder noch unterwegs?

Hicks schmunzelte.

8:41 Hicks
Sind eben angekommen. Mein Vater und Jack, den kennst du ja noch von letztens, haben und geholt. Sie spielt mit dem Katzenball meines Katers. Keine Sorge, wir gehen dann noch einkaufen. ;)

Er öffnete die Kamera und schoss ein rasches Foto für sie, bevor er er sein Handy wieder auf den Tisch legte und seine Autoschlüssel, die der Tischkante recht nahe kamen, dabei beinahe vom Tisch gestoßen hatte.

,,So, fahr fort."

Jack lachte, während Autumn versuchte ihm den Ball entgegen zu werfen. Er beugte sich vor, hob den Ball von Boden auf und warf ihn etwas weiter weg. Als wäre Hicks Tochter ein Hund. Er beschloss es nicht anzusprechen, da es Autumn zu gefallen schien.

,,Der Boss hat mich von Zuhause abgeholt, da mein Auto seit gestern in der Werkstatt ist. Wir haben uns in der Nähe befunden. Er hat seiner Arbeit den Mittelfinger gezeigt und ist mit mir zum Einkaufszentrum gefahren, als er erfahren hat, dass Autumn bei dir war.", sagte Jack grinsend, bevor Haudrauf es ihm sagen konnte. Sein Vater bedachte Jack mit einem finsteren Blick, bevor er sich am Kinn kratzte und ertappt den leeren Esszimmerstühl anstarrte. Hicks nickte verstehend. Jacks Wohnung lag mit dem Auto vielleicht fünf Minuten entfernt.

,,Wie auch immer. Danke dafür. Ohne euch zwei hätte ich wohl nicht gewusst was ich tun hätte sollen."

Die Mundwinkel seines Vaters hoben sich dezent und Jack hob beiläufig die Hand, während er den Ball, den Autumn mühsam erkrabbelt hatte wieder bei ihm ablieferte. Irgendwie war das schon sehr süß.

,,Warum bist du nicht mit dem Auto gefahren?", fragte Haudrauf vorsichtig. Hicks wandte sich ihm zu und deutete auf seine Nase und seine Rippen. Er lächelte mild. Die Erinnerung war gerade mal vierzig Minuten alt, aber sie verursachte bei ihm Schmetterlinge im Bauch. ,,Astrid hat mir verboten in meinem Zustand mit ihr Auto zu fahren. Du weißt ja, dass meine Rippen beleidigt und meine Nase gebrochen ist." Vom blauen Auge ganz zu schweigen, aber das war genau so gut zu sehen, wie seine demolierte Nase. Sein Vater nickte. ,,Deshalb hatte ich Jack gebeten uns anzuholen und ... ja ... hier sitzen wir nun." Er zuckte mit den Schultern. Es blieb still am Tisch. Stumme Blicke, unausgesprochene Fragen und Sachen - sie hingen in der Luft und raubten einem den Atem.

,,Als ich vor ein paar Tagen mit dir über die Freilassung von Astrids Ex-Freund und deine Beleidigungen Grobian gegenüber gesprochen habe, haben wir unser Gespräch vorzeitig beendet. Ich würde da gerne fortfahren, wo sich unsere Wege gekreuzt haben", begann er. Hicks hob eine Augenbraue. Alles in ihm zog sich zusammen. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Der Unmut stieg. ,,Also wirklich heftig beleidigt hab ich ihn nicht", nuschelte er und biss sich auf die Unterlippe. Glatt gelogen. Er bezweifelte, dass sein Vater wortwörtlich meinte, dass sie die Situation von vor ein paar Tagen erneut zum Leben erwecken wollen. Das würde nämlich fliegende Gegenstände, eine Menge Anschuldigungen und Schimpfwörter und vermutlich auch ein paar Frust-Tränen. Dennoch akzeptierte er das Bedürfnis seines Vaters. Dieser äußerte sich nicht zu seiner Meldung. Ein monotones ,,Klar" später, nickte Hicks Jack zu. Eine stumme Botschaft. Er verstand, hob Autumn und den Ball vom Boden auf und joggte die Treppen hoch. Nur für den Fall, dass dieses Gespräch doch wie das letzte verlaufen sollte. Sie protestierte für einen Moment, aber schien sich rasch beruhigt zu haben. Jack war ein Naturtalent. Alle Kinder, die wir kannten liebten ihn abgöttisch und da dieser weißhaarige Spast sein aller bester Freund war , zweifelte er nicht daran, dass er mit einer Miniaturausgabe von Hicks klar kam. Die Art von vertrauen hatten sie zueinander. Er würde ihm in jedem Kampf seinen Rücken anvertrauen.

Sein Vater räusperte sich. ,,Also..."

Die Stimmung zwischen ihnen war bereits am kippen. Sie war so unangenehm, dass er am liebsten aufgestanden und an die frische Luft gegangen wäre. Er tat es nicht. Stur wie sein Vater blieb er auf seinen vier Buchstaben sitzen und wartete darauf, dass Haudrauf die Themen ansprach, die Hicks ausdiskutieren und für die er gehört werden wollte.

,,Ich verstehe nun besser, warum du so wütend reagiert hast, als man dir von seiner Freilassung berichtet hat. Dennoch müssen wir so professionell wie möglich bleiben. Erzähl mir in aller ruhe, was im Krankenhaus zwischen euch passiert ist. Und das sage ich nicht nur, weil ich wissen möchte, was er alles gemacht hat. Sag mir was du gemacht hast. In allen Einzelheiten."

,,Wozu soll das gut sein? Wir haben uns geprügelt, er wollte den Mädels was tun und ich habe ihn aufgehalten. Er schlug zuerst zu, falls es das ist was du wissen möchtest." Er suchte nach dem Schuldigen. Den Namen seiner Firma aus dem Rampenlicht ziehen, war alles, was er hier gerade von ihm verlangte. Hicks verstand, dass er bestimmte Sachen während seiner Arbeitszeit nicht machen durfte - wie zum Beispiel ein Verbrechen begehen- aber das hatte er bereits getan. Lorenz saß immer noch in der Zelle mit einem Gips. Gut, vielleicht hatte er etwas überreagiert (hiermit belog er sich erneut), aber er hatte seinen Zorn nicht im Zaum halten können. Diese Konsequenzen würde er hinnehmen. Erin hingegen hatte ihn zuerst attackiert, somit war es Notwehr. Der Rest ergab sich.

,,Hicks, verstehst du überhaupt was es bedeutet jemanden zu führen? Verantwortlich für Menschen zu sein, deren Leben davon abhängt wie gut du deinen Job machst?"
Er stand auf, holte sich ein Glas aus dem alten Mahagoni-Küchenschrank und befüllte es bei dem Waschbecken mit frischem Leitungswasser. ,,Damit meine ich nicht, dass du jetzt jemanden hast, um den du dich kümmern sollst/musst/willst. Stell dir vor, dein nächster Job läuft schief und Jack oder Eugene werden unter deiner Führung verletzt, wie reagierst du? Was tust du dann?"
Er setzte sich und sah ihn prüfend an.

Hicks überlegte nicht lange. Den Ablauf kannte er bereits. ,,Die Umgebung sichern, mich um den Verletzten kümmern und ihn, soweit es möglich ist, außer Gefahr bringen. Dann die Rettung verständigen, sollte es lebensbedrohend sein."
Hicks verschränkt seine Arme. Sein Blick wanderte durch sein Wohn-,und Esszimmer. Er musste dringend mal neu dekorieren, auch, wenn er darin nicht sonderlich gut war.
An den Wänden hingen noch alte Fotos seiner Großmutter, sowie Kinderfotos von seinem Vater und an manchen Ecken starrte ihn sogar sein eigenes Gesicht an. Die alte Blumentapete und der Sessel mit dem Loch im Leder. Er hatte nichts verändert. So viele gute Erinnerungen umgaben ihn hier. Erinnerungen an seine Großeltern und an seine Mutter. Er würde sie nie vergessen. Sein Vater hatte das hier alles ihm übergeben ohne es sich zweimal zu überlegen. Ob da ein Grund ist?
Sein Gegenüber nickte zufrieden. ,,Und jetzt stell dir vor, dass Autumn von einem Baum in einem öffentlichen Park blutig gekratzt wird und weint. Was tust du dann?"

,,Den Baum mit der nächsten Kettensäge niederschneiden und ihn dann in Flammen aufgehen lassen."No hesitation.

Haudrauf schüttelte den Kopf seufzend. ,,Nein."
Die Enttäuschung war ihm anzusehen. ,,Das erste was du tust ist sicher zu gehen, dass es ihr gut geht. Mission ist das eine, ein Vater zu sein, das andere. Manchmal muss man zwischen wirklicher Gefahr und harmloser Situation unterscheiden. Kinder können das noch nicht unterscheiden, weil sie der neuen Situation noch nicht ausgesetzt waren, deshalb weinen sie. Du musst nicht alles eliminieren was ihr annähernd die geringste Angst macht. Sie darf lernen."

,,Also soll ich zulassen, dass sie entführt oder angegriffen oder geschlagen wird, damit die lernen kann?" Allein der Gedanke ließ ihn sein Taschenmesser ziehen.

Haudrauf hob die Hände vor sich um die Situation. ,,Aber nein. Du hast richtig gehandelt im Krankenhaus, ich will damit nur sagen, dass du überreagierst und die Situationen unterscheiden lernen musst, bevor die erste Anzeige ins Haus flattert. Was machst du, wenn sie in der Sandkiste sitzt und ein anderes Kind in ihrem Alter mit einer Plastikschaufel auf ihren Kopf schlägt. Autumn weint nicht."

Jegliche Antwortmöglichkeiten, die ihm so im Kopf herum schwirrten, würden vor einem Richter nicht zählen. Er enthielt sich seiner Stimme.

,,Genau. Du reagierst nicht. Wenn du reagierst, reagiert sie und dann stachelt ihr euch auf. Du erklärst dem Kind, dass es nicht richtig war, fragst es, warum es das gemacht hat oder wendest dich direkt an dessen Eltern. Keine Attentäter-Aktion, wenn es nicht wirklich notwendig ist. Verstanden?"

Hicks schmollte und rollte mit den Augen.

,,Junge, hast du mich verstanden?"

,,Ja, Vater."

Jack kam mit schnellen Schritten die Treppe runter. In seinen Armen hielt er Autumn, die kicherte und mit ihren süßen Pausbäckchen und ihren grünen Augen ihre Umgebung erkundete. Er hatte sie von sich weggehalten. Seine Arme waren ausgestreckt. Sein hilfloser Gesichtsausdruck verzog sich.

,,Dada muss die Windeln wechseln."

Das hier war jetzt seine Realität. Der erste Schritt um eine weitere Bindung zu seiner Tochter aufzubauen.
Er nahm sie entgegen und war sich für einen Moment nicht mehr sicher, ob er das hier tun wollte. Es stank bestialisch.  ,,Oh shhii-weste"

,,Ernsthaft? Ihr wisst doch, wie man eine Windel wechselt." Haudrauf klang belustigt.

,,Ja,klar",sagte Hicks mit stolzgeschwellter Brust, legte sie auf das Sofa und holte die Feuchttücher und die Windel.
Er setzte sich zu ihr auf das weiche Sofa und hielt sich eine Sekunde die Nase zu, ehe er sich überwand und Autumn untenrum freimachte. Die kicherte immer noch und er fragte sich, wie man mit einer derart vollen Windel fröhlich sein kann.

,,Zuerst muss man die Windel entfernen," sagte er, während er dieser Tätigkeit nachging. Dabei hätte er sich beinahe übergeben. Sie hatte ordentlich geschissen und zwar flüssig.
Jack linste ihm über die Schulter.
,,Ich glaub ich muss kotzen." Er ließ sich auf der Sofalehne nach unten rutschen und krümmte sich am Boden. Er ertrug vieles, aber das war zu viel.

,,Es wird ja doch noch lustig ," bemerkte Haudrauf.

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