Kapitel 10
Sie fühlte sich verunsichert. Ihr Körper war wie betäubt. Unfähig auch nur einen Muskel zu rühren. Ob die Geschehnisse der letzten Stunde wirklich passiert waren oder ob ihr Gehirn ihr im Schlaf erneut einen Streich konnte sie nicht deuten. So surreal kam ihr nur der letzte Traum im Kaufhaus vor. Mit rasendem Herzen hatte sie sich auf das Sofa gesetzt, an dem sie Autumn zuvor Schlafengelegt hatte.
Ihr Kostüm zwickte an Stellen, die für die Sonne meist unerreichbar war und ihr Bikinioberteil war ohnehin kaum an ihr dran. Nur die allmächtige Bikinischnur und die kleinen, aus Stoff bestehenden Dreiecke, ihres Oberteils hielten Mister und Misses in Schach. Das aus Fell bestehende Schultercape und den aus Plastik bestehenden Schulterschutz im Metalllook hatte sie sich beim Betreten des Umkleideraums aufgewühlt von der Schulter gerissen zur Seite geworfen. Glücklicherweise bestand der Verschluss aus zwei Magneten. Alle Mädchen hier hatten leicht zu öffnende Verschlüsse an ihren Kostümen. Lorenz wollte damit sichergehen, dass sie während ihrer Vorstellungen leicht vom Körper zu streifen sind. Billiges, schlecht verarbeitetes Zeugs.
,,Hier."
Ein Stück Stoff streifte ihre Wange und sie löste erschrocken ihren Blick von der Wand. Beinahe hätte sie sich in Schock und Kummer verloren. Mira saß neben ihr und legte Astrid ihr T-Shirt in den Schoß, während Layla in ihren Kasten nach etwas krampte.
,,Ihr hattet echt Glück. Wer weiß was passiert wäre, wenn der strahlende Ritter nicht aufgekreuzt wäre." Astrid hatte Mira und Layla den Ursprung von Autumn's Entstehung erzählt. Nicht nur, dass die beiden sie dabei unterstützt haben es in diesem Job auszuhalten, sie haben Autumn und sie mit offen Armen empfangen und behütet. Taten, die sie ihnen hochanrechnete.
Layla meldete sich zu Wort. Ihre Stimme klang aufgebracht. ,,Ich war kurz davor ihm den heftigsten Tritt der Welt zwischen die Beine zu verpassen."
Laylas Tasche landete vor ihnen auf den Boden und auch Astrids Tasche, samt Unterwäsche, Hose, Schuhe und Jacke lag dabei. Autumn's kleiner Mantel blitzte unter den Sachen hervor und Astrid lächelte schmerzerfüllt. Es war das erste Kleidungsstück, dass sie ihr gekauft hat. Damals war sie im zweiten Trimester und ging an dem Schaufenster des Babyladens vorbei. Da sah sie diesen Blitzblauen gefütterten Babymantel. So unerfahren wie sie war, hatte sie den Mantel einige Nummern zu groß gekauft. Es war ihr zu peinlich gewesen nach Hilfe zu fragen und das war ihr nach der Geburt zum Verhängnis geworden. Ihr Ex hatte sie angeschrien dafür, dass sie ungefragt sein Geld verwendet hatte und sie im Schlafzimmer eingesperrt. Er hatte einige Zeit geglaubt, Autumn sei von ihm, denn sie hatte ihm erst gesagt, dass sie schwanger war, als sie mit ihm geschlafen hatte. Die Hölle war über sie her gebrochen, als sie ihm die Wahrheit in einem hitzigen Streit entgegendonnert hatte. Missratener Hundesohn.
,,Wir sollten uns fertig machen. Dein tätowierter Schönling wartet sicher schon", sagte Mira. Das Grinsen war selbst in der Art wie sie diesen Satz aussprach zu hören.
Bitte verschon mich, dachte sich Astrid seufzend. Miras Kommentar blieb unbeantwortet.
Bereit sich anzuziehen war sie nicht und noch viel weniger war sie dazu bereit Hicks erneut über den Weg zu laufen. Am liebsten wäre sie mit der Kleinen so wie sie war aus dem Nachtclub gegangen, nur, um Autumn nicht aus ihren Armen legen zu müssen. Abstand gewinnen war Option Nummer eins auf ihrer Liste. Hicks und Lorenz standen da ganz weit oben auf ihrer zweiten, mit Gründen und Ausreden bestückten Liste.
Mira kicherte, hob den Daumen, um ihr ihre Zustimmung zu signalisieren und streichelte Astrid's Arm zur Beruhigung. ,,Du hättest ihn wirklich mit seinem Toupet füttern sollen."
Astrid lächelte dankend, ehe sie sich dem kleinen Kind in ihrem Arm widmete. Autumn hatte sich nach zehn quälenden Minuten beruhigt und schlief in Astrid's Armen. Ihr gesamtes Gesicht war durch das erbitterte Schreien und Weinen gerötet und ihre Augen geschwollen. Ihre Nase lief unkontrolliert. Der Rotz klebte an Astrids Dekolleté. Unter anderen Umständen hätte sie das klebrige Zeugs ekelhaft gefunden, aber ihr Kind war ihr wichtiger als ihr eigenes Wohlbefinden. Solange ihr kleines Mädchen lächelte, ging es Astrid gut. Autumn's kleine Händchen hatten zwischendurch die schnurartigen Träger ihres Bikinis umklammert, während der Rest ihres Körpers von Astrid dicht an ihrem gehalten wurde. Ihr Herzschlag beruhigte Autumn seit ihrer Geburt und diese Eigenschaft kam ihr gerade Recht.
Zärtlich streichelte sie über den Kopf des kleinen Kindes. Eine kleine Wölbung unter ihren Fingern ließ sie innehalten. Ihr wurde schwer ums Herz und der Kloß in ihrem Hals wuchs. Schnürte ihr bei jedem Atemzug ein kleinen wenig Luft ab. ,,Ich bring ihn um", schniefte sie murrend und sprang auf. Ihr erstes Ziel war die Tür. Das Shirt streifte von ihrem Schoß und landete geräuschlos zu Boden. Mira's Blick veränderte sich. Sie folgte ihr irritiert. ,,Was ist los?" Keine Antwort. ,,Astrid!", hakte Layla nach, die in ihrer Tätigkeit inne gehalten hat und ihre Bürste zur Seite gelegt hatte.
,,Autumn hat eine fette Beule am Kopf", zischte sie verärgert. Das war es mit ihrem Plan auf Abstand zu gehen. ,,Astrid warte! Wir sollten zuerst schaun ob – ach vergiss es", gab Layla auf.
Astrid wusste, dass Autumn diese Beule vor Beginn ihrer Schicht nicht hatte. Auf dem Boden lagen genug Kissen zum Schutz, um selbst einen Sturz von dem Sofa unbeschadet zu überstehen, also woher hatte ihr Baby diese Beule? Ihr viel nur eine Person ein und nun durfte er sein Toupet im wahrsten Sinne des Wortes fressen.
Schnellen Schrittes stapfte sie von Wut getrieben den Gang hinunter. Einzelne Tränen kullerten ihre Wange hinunter und ihr Auge zuckte vor Zorn. Wie kann man ein kleines Kind verletzten? So eine Beule kam nicht von einem Sturz vom Sofa. Er hat sie absichtlich verletzt, dem war sie sich sicher.
Grüne Augen trafen auf die ihre und ihr Gesicht machte erneut Bekanntschaft mit seiner Brust. Seine Irden funkelten aufgeregt und auch Hicks gesamte Körperhaltung richtete sich danach. Erschrocken hob er beide Arme, legte seine Arme jedoch geschwind um sie, als er bemerkte, dass sie der Aufprall ins Schwanken brachte. Astrid hatte währenddessen vergessen zu Atmen. ,,He-",stammelte er.
Er schon wieder. Warum verschwindet er nicht wieder? Warum fühlt es sich gut an so nah bei ihm zu sein?
Hinter Astrid kamen Mira und Layla zum Stillstand. Keiner von ihnen war im Stande etwas zu sagen, denn Astrid hatte Autumn innerhalb von Sekunden von sich gelöst und das Kind in Hicks' Arme gedrückt. Unsicher sah er sie an, doch ihr Blick kreuzte sich kein weiteres Mal mit seinem. Stattdessen lief sie an ihm vorbei und bei der Tür wenige Meter hinter ihm wieder raus. ,,Traumprinz...Wir haben ein kleines Problem und du musst uns helfen", begann Layla.
Traumprinz?
Das Zittern in ihrer Stimme und der besorgte Blick ließ sein Herz schneller rasen. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit. Autumn begann sich zu winden und zu wimmern.
,,Astrid glaubt Lorenz hat Autumn verletzt, weil sie eine Beule am Kopf hat, die zuvor noch nicht da war und ist fuchsteufelswild", erklärte Mira aufgeregt und ließ ihren Blick von ihm zu Autumn und wieder zurück wandern.
Er hätte ihn umbringen sollen.
Vorsichtig strich er den Kopf des Kleinkindes entlang. Da war sie. Autumn's Wimmern stieg in raues Weinen um. Besorgt begann er sie zu trösten. Er hatte bereits väterliche Gefühle für dieses kleine Wesen, dass ihm so ähnlichsah, dass er selbst sie nicht abstreiten konnte. War er wahrhaft der Vater?
,,Jack ist draußen bei dieser Verschwendung von Luft. Ihr passiert nichts. Ich halte sie nicht davon ab ihre Wut rauszulassen. Wenn ich die Kleine hier nicht im Arm hätte, wäre ich ihr hinterher, um mit ihr auf ihn hinzutreten."
Mira hatte darauf nichts zu sagen. Sie hätte genauso gehandelt, aber Sorgen machte sie sich. Layla hingegen schmunzelte und drehte sich zwinkernd um, um wieder in die Umkleide zu gehen. ,,Prinz, lass sie ja nicht wieder gehen."
Nickend lächelte er. ,,Habe ich nicht vor."
Nur er, Autumn und Mira blieben zurück. Hinter ihm konnte sie Geschrei hören. Autumn klammerte sich an seinem Hemd fest. Ihr Kopf lag auf seiner Brust, während ihre untere Hälfte von ihm gestützt wurde. Seine freie Hand strich ihr beruhigend über den Rücken. Ihre Windel war voll und es stank, aber es störte ihn nicht. Er war gerade dabei der Kleinen beruhigende Worte zuzuflüstern, da übergab sich Autumn auf seinem Hemd. Scheiße.
Alarmglocken aktiviert.
Mira und er sahen sich gleichzeitig an. ,,Greifen Sie in meine Hosentasche."
Sie starrte ihn an, als hätte er sie nicht alle. ,,Bitte?!"
,,Beeilung! Meine Autoschlüssel sind da drinnen. Setzen sie sich mit ihr ins Auto ich hole Astrid."
Er begann nervös zu werden und das sah man ihm an. Die Tatsache, dass Autumn's Weinen im Sekundentakt zu verstummen schien, bekam seinem Gefühlszustand absolut nicht. Konzentration gleich null. Der Sorgenpegel sprengte die Skala.
,,Dafür muss ich aber nicht in deine Taschen greifen – und hör auf mich zu Siezen. Bleib ruhig. Ich verstehe, wie du dich fühlst. Atme. Gib mir die Kleine und dann greif in deine Hosentasche, um die Autoschlüssel zu finden", wies Mira ihn an und kurz zögerte er. Hicks traute dieser Frau, aber er wollte das Kind – sein vermeintliches Kind - nicht loslassen. Es geschah, wie sie angewiesen hatte. Er gab ihr die Autoschlüssel und Mira eilte zu dem Auto. Inzwischen machte Autumn keinen Mucks mehr. Hicks Körper fühlte sich wie betäubt an, aber er hatte keine Zeit, um sinnlos hier zu stehen. Im Stand drehte er sich um und raste zur Tür. Sein Plan war simpel und einfach: Rausrennen, Astrid über die Schultern werfen und zum Auto befördern. Mit ihnen ins Krankenhaus fahren und das Gespräch mit Astrid suchen.
Er erreichte die Tür. Seine Hand legte sich auf die Türklinke und ehe er sich versah, hatte er die Tür im Gesicht.
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