17
»Oh mein Gott...«, stottere ich.
»Ich liebe es was du aus diesem Zimmer gemacht hast.«, spricht er. Seine Stimme ist tief mit einem leichten Kratzen, so wie in meiner Erinnerung. »Du hast einen netten Geschmack in Dekoration.«
Er ist es.
Ich fummel an dem Griff von meiner Kommode herum, versuche die Schublade zu öffnen.
Er lacht, setzt sich auf dem Bett auf. »Komm schon, Gwen. Ich weiß, dass du da drin dein Pfefferspray aufbewahrst.«
»Du kennst meinen Namen noch?«
»Ich weiß viel mehr über dich als nur deinen Namen.«
Ich schlucke, drücke mich erneut gegen die Tür.
»Wie bist du hier rein gekommen? Was willst du von mir?«, frage ich, meine Stimme schwankend.
»Mal sehen. Ich bin durch die Haustür, die Treppen hoch, und in dieses Zimmer gelaufen.«
»Die...die Haustür ist abgeschlossen.«
Sein Schmunzeln weitet sich.
»Wer bist du wirklich?«, hauche ich.
»Ich denke das weißt du bereits, in Anbetracht dessen, dass du gerade mein Foto angeschmachtet hast.«
Er ist es auf dem Foto wirklich, nur sieht er in echt nicht so lieb aus. Nein, was denke ich da? Er hat mich damals zu dem Greifer geführt.
Normalerweise würde ich erwidern, dass ich das Foto wohl kaum angeschmachtet habe, doch ich stehe zu sehr unter Schock.
»Du bist M. D.«, sage ich langsam.
Er hebt eine Augenbraue. »Ich war M.D.«
Ich blinzele. »Was zur Hölle soll das bedeuten?«
»Es bedeutet...«, sagt er, steht vom Bett auf und läuft mir, bis er nur ein Meter von mir entfernt steht. »...dass ich tot bin.«
Die Kälte, die ich vorhin gespürt habe, als ich in das Zimmer gelaufen bin, ist jetzt wo er näher steht intensiver. Es ist keine körperliche Kälte; es ist eine Kälte, die man tief in den Fasern seines Wesens spürt, tief in seinen Knochen.
»Tot.«, wiederhole ich das Wort.
»Tot.«, sagt er, Nickt. »Wie in Immortally Challenged, Gone To Sleep City, legte die Sauerstoff-Gewohnheit auf, wurde Living-Challenged, gewann einen für The Reaper.«
»Aber... warum bist du hier...? Das ist unmöglich.«, sage ich. »Du kannst nicht tot sein, du stehst direkt vor mir. Du müsstest nicht hier sein. Du solltest es nicht.«Ich war zu überfordert, dass selbst wirres Zeug von mir kam. Ich habe ihn damals direkt gesehen, ich habe sie alle gehört und gespürt. Sie haben mir mir gesprochen. Direkt aus dem Jenseits.
»Willst du, dass ich es dir beweise?«
Ich runzel meine Augenbrauen, mache eine Schritt zurück und sehe ihn misstrauisch an. »Ich weiß nicht.«
Er lacht, streckt seine Hand aus. »Berühr mich.«, sagt er.
Ich starre ihn an.
»Na los.«, drängt er, verengt seine Augen ein wenig. »Sieh, was passiert.«
Ich trete vorsichtig nach vorne, strecke meine Hand aus und streife meine Fingerspitzen gegen seine.
Es ist wie, als würden meine Knochen zu Eis werden, mein Blut vereisen. Ich spüre, wie die Kälte durch meine Fingerspitzen und in meine Venen sickern, mich aufbrauchen. Ich atme scharf ein, meine Augen schnellen hoch, um seine zu treffen.
»Hat sich irgendeine lebende Person jemals so für dich angefühlt?«, fragt er bescheiden.
Ich trete zurück, lasse meine Hand zur Seite fallen. Das ist nicht real.
»Was willst du von mir? Damals... es war vorbei.«, hauche ich.
»Naja, zuerst möchte ich das du weißt, für was die Initialien stehen.«, sagt er, steckt seine Hände in die vorderen Taschen seiner Hose.
»M.D.?«
»Michal Dawson.«
»Guck nicht so entsetzt. Du kennst mich doch schon.«, sagt er, halb lächelnd. »Du hättest es kommen sehen müssen, ehrlich gesagt.« Seine Augen huschen zu meinem Hals. »Übrigens, die Kette sieht so reizend an dir aus, wie ich dachte.«
Meine Hand fliegt zu dem Totenkopfanhänger.
»Ja, ich habe die die Kette in den Schrank getan.«, sagt er beinahe voller Stolz. »Und das Foto, und die Box.«
Ich starre ihn an.
»Warum?«, frage ich.
Seine Lippen krümmen sich zu einem schiefen Lächeln. »Das wüsstest du wohl gerne.«
Ich öffne meinen Mund, um zu antworten, als ich höre wie die Haustür zuschlägt und Schlüssel klimpern, verharrte ich.
Ich sehe nicht ausweichend in seine dunklen mandelförmigen Augen, in denen ich mich spiegelte, er lächelte mich verschmilzt an.
»Kannst du nicht unsichtbar werden, verschwinden?!«, flüstere ich, während ich höre wie Schritte beginnen die Treppe hochzukommen. Tante würde fuchsteufelswild werden, wenn sie heraufkommen und einen Jungen in meinem Zimmer finden würde, besonders einen toten.
»Unsichtbar...«, höhnt er, läuft zum Fenster herüber und öffnet es. »Wie klischeehaft.«
Ich starre ihn perplex an, als er auf die Fensterbank steigt, sich etwas umdreht, um mir zuzuwinken, ehe er sich umdreht und springt.
Schock sitzt tief in mir.
Nachdem er gesprungen ist, starre ich einen Moment das Fenster an, komplett entsetzt.
»Gwen, ich bin Zuh-« Meine Tante kommt in mein Zimmer und hält inne, als ich mich umdrehe um sie anzugucken. »Gwen, was ist los? Du siehst aus als hättest du gerade ein Geist gesehen.«
Die komplette Ironie ihrer Aussage bringt mich dazu ein kleines Lachen von mir zu geben, schüttele meinen Kopf.
Sie starrt mich an.
»Tut mir leid, nein, mir geht's gut.«, sage ich, stoppe schnell mein kurzes Lachen. »Mir geht's gut.«
»Warum ist das Fenster offen? Es ist nicht so heiß hier drin, oder?«
»Nein, ich wollte nur frische Luft.«,log ich.
Sie nickt. »In Ordnung. Ich fange jetzt mit dem Abendessen an.«
»Okay.« Ich beobachte wie sie rausläuft und sobald die Tür sich schließt wende ich mich wieder dem Fenster zu.
Ich lehne mich leicht raus, um auf den Boden zu schauen, suche den gesamten Hinterhof nach Michal ab. Er ist nirgends zu sehen.
Ich blicke zu meinem Bett herüber, wo er gelegen hat. Das Laken ist glatt und sieht unberührt aus- seltsam dafür, dass jemand für wer weiß wie lange draufgesessen hat.
Ich setze mich auf das Bett und denke nach.
Obwohl ich völlig verwirrt und von der Tatsache, dass ich gerade praktisch vom Tod berührt wurde, äußerst angeschlagen bin kann ich nicht anders als auf einer Art fasziniert zu sein, doch auch ein Schauer lief mir über den Rücken.
Aus irgendeinem Grund weiß ich, dass ich das für mich behalten muss, auf die gleiche Art und Weise das ich wusste, dass ich das Foto und die Schachtel für mich behalten muss.
Ich stehe auf und schaue aus dem Fenster, meine Augen streichen den riesigen Hinterhof nach irgendeinem Zeichen von dem eigenartigen Jungen ab.
Danach vergingen zwei Tage. Es war mein letzter Tag, bevor ich wieder in das Studienheim gehen müsste. Ich höre Schritte im Flur und stöhnte genervt, denn mein Onkel hatte mich davor mit unglaublichen Kram seiner Dokumentationen voll gequatscht und kam mehrere Male in mein Zimmer. Ich trat einen Schritt über die Türschwelle.
»Ich habe wirklich-« Ich verharrte.
»Hast du jemand anderes erwartet?«, fragt Michal, schließt hinter ihm die Tür. Er sieht genau so aus wie vor zwei Tagen.
»Ja.«, schaffe ich zu stammeln. »Meinen Onkel.«
»Oh, ist das der Typ der unten auf der Couch sitzt?«
Ich nicke. »Das ist er.«
»Verstehe.« Seine Augen treffen meine und führen dann um das Zimmer, schließlich zum offenen Fenster.
»Sagst du mir nun... was du von mir willst? Warum du hier bist?«
»Hast du vor zu springen?«
Ich schüttel meinen Kopf, drehe mich um und schließe es. »Nein, ich wollte nur...«
»Nach mir suchen.« Die Winkel von seinen Lippen zucken, drohen in ein schiefes Lächeln nach oben zu wenden.
»Du bis zwar nicht lebendig, aber aus dem Fenster zu springen ist doch trotzdem... gefährlich...«
Er wirft lachend seinen Kopf zurück. »Gefährlich.«, wiederholt er. Er verhakt seinen Blick mit meinem, hebt eine Augenbraue. »Wie kann etwas gefährlich sein, wenn man bereits tot ist?«
Ich verenge meine Augen.
»Was willst du von mir?«, stelle ich ihm die Frage, die er mir das letzte Mal, als sich unsere Wege gekreuzt haben, nicht beantwortet hat und zuvor auch nicht.
»Es geht nicht darum, was ich von dir will.«, sagt er, macht ein paar Schritte in meine Richtung. »Es geht mehr darum, was getan werden muss.« Er hält seine Hand hinter seinem Rücken, fährt seine Zunge über seine Lippen.
»Hör auf verschlüsselt zu reden.«, gebe ich zurück, verschränke meine Arme über meiner Brust. »Sag mir einfach, wer zur Hölle du bist und was du von mir willst, damit ich es aus meinem Kopf schaffen und mein Leben weiterleben kann.«
»Temperamentvoll«, merkt er an, neigt seinen Kopf leicht auf die Seite.
Ich stehe wie eingefroren da, als er erneut in meine Richtung tritt, seine dunklen Augen verengen sich, während er mich analysiert.
Die seltsame Kälte, die von ihm abstrahlt scheint durch die Luft zu hauchen, kollidiert mit meiner Haut und schickt einen Schauer durch meinen Körper. Wie damals. »Warum bist du so kalt?«
Bei meiner Frage lächelt er halb. »Meine Organe arbeiten nicht.«, sagt er, zuckt leicht mit den Schultern. »Deswegen halte ich die Homöostase nicht aufrecht.«Doch ich konnte mich damals nicht daran erinnern, dass er so launisch war.
»Aber du bist so eine seltsame Art von Kälte.«, sage ich. »Sie ist fast...klirrend kalt.«
»Der Tod neigt dazu, diesen Effekt zu haben.«
Danach hören wir für ein paar Minuten auf zu reden. Er starrt mich neugierig an, als er mich erneut mustert. Warum betrachtet er mich immer so genau?
Aber ich befasse mich damit ihn anzuschauen, als er mich anschaut, fasziniert von der seidigen, blassen Haut, die ihn ziert und das Rot von seinen geformten Lippen.
»Ich möchte, dass du mit mir wo hingehst.«, sagt er schließlich.
»Nein.«, antworte ich rundheraus.
»Warum nicht?«
»Du bist tot. Und ich kenne dich kaum.«
»Warte, bist du anti-tot oder sowas?«
»Gibt es das?«
»Scheint so, als ob du es gerade erfunden hast.«
»Schätze das habe ich.«
»Scham.«
»Warum?«
»Die Toten bringen das in die Welt, was die Lebenden nicht können.«
»Bedeutet?«
Ein Lächeln kreuzt seine Lippen. »Du musst eine Menge über das Leben nach dem Tod lernen, Gwen. Und ich werde dir alles beibringen.«
»Auf keinen Fall.«
Er raunzt die Stirn fragend.
»Im Gegensatz zu dir bin ich nicht tot, wenn ich aus dem Fenster springe dann bring ich mich um.«
Er steht mit verschränkten Armen vor mir, die leichte Brise vom Fenster zerzaust seine Haare.
»Sei nicht albern.«, sagt er. »Da ist eine Kletterpflanze, die stark genug ist um an ihr herunterzuklettern, sie wächst an der Seite des Hauses. Wie denkst du habe ich mich nachts rausgeschlichen?«
Ich muss zweimal hingucken. »Was?«
»Ich erklärs dir.« Er steckt seinen Kopf etwas aus dem Fenster, schaut unten auf den Boden hinab.
»Ich hab ein wenig Höhenangst.«, sage ich. »Ich werde einfach die Treppen nehmen.«
Er sieht zu mir zurück, bewegt sich wieder rein und verschränkt erneut seine Arme vor der Brust. »In Ordnung, mach das. Und sag mir, wie werden deine überfürsorgliche und aufdringliche Tantchen es findet.«
Ich balle meinen Kiefer.
Er schmunzelt. »Das dachte ich mir.«
»Ich weiß noch nichtmal, wieso ich auf dich höre.«, sage ich, schüttel meinen Kopf. »Du bist ein Geist, und du bittest aus irgendeinem Grund, den ich nicht kenne, mit dir irgendwo hin zu gehen. Du könntest ein psychopathischer Geist sein.«
»Du bist stur.« Seine Lippen zucken mit Spuren eines Schmunzelns.
»Ich habe gute Gründe. Ich kenne dich nicht.«
»Noch nicht.« Er lächelt mich schief an, bevor er hochlangt und das Fenster ein wenig weiter öffnet. »Jetzt steig auf die Leiste und rutsch an der Kletterpflanze runter. Es ist einfach.«
Ich starre ihn an.
Er sieht mich erwartend an.
Ich weiß, dass Tante die Fassung verlieren wird, wenn sie hochkommen und sehen würden, dass ich nicht da bin. Gott, sie würden die Nationalgarde von hier anrufen, um mich zu finden. Dennoch steht ein auffallend gutaussehnder, toter Junge vor mir, der mich so verwirrt, dass ich keine guten Entscheidungen mehr zu machen scheine, und ich bin mehr als fasziniert von ihm.
Er hebt eine Augenbraue.
Ich drehe mich um und laufe zu meiner Zimmertür rüber, drehe das Schloss von ihr um.
»Ich werde ihnen sagen, dass ich geschlafen habe, falls sie hochkommen.«, sage ich ihm und seine Lippen verwandeln sich in ein Lächeln.
Ich durchquere das Zimmer zurück zu dem Fenster und sehe ihn kurz an, bevor ich mich vorsichtig aus dem Fenster und auf den kleinen Vorsprung ducke.
Ich blicke auf den Boden unter mir und versuche mich nicht zu übergeben, als ich meinen Kopf drehe, um nach der Kletterpflanze zu suchen, von der Michal geredet hat.
Sie erscheint mir stabil genug, als ich eine Hand um den grünen Stängel hülle. Ich atme tief durch und trete von der Kante herunter, rutsche an der Kletterpflanze herab und erreiche mit einem dumpfen Schlag den Boden.
Ich schüttel leicht meinen Kopf und versuche zu verschnaufen, während ich mich von meinem kurzen Sinneswandel erhole.
»Siehst du, ich hab dir gesagt das es einfach ist.«
Ich wirbel herum und runzelte meine Augenbrauen, der ein paar Meter von mir entfernt steht, unbeeindruckt.
»Wie bist du-«
»Ich bin gesprungen.« Er läuft an mir vorbei, durch den Hinterhof. Ich mache ein paar große Schritte, um mitzuhalten, wie immer verwirrt.
Ich frage ihn nicht aus, während wir entlang gehen, ich folge ihm nur. Er schreitet durch das Tor an der Grenze des Grundstückes, hält es höflich für mich auf. Ich laufe nach ihm durch, und er biegt ab und führt mich an einem Schotterpfad entlang, der aus dem Lichtwald gemacht ist, der hinter dem Haus existiert. Die Bäume wehen in dem leichten Wind, groß und schirmt den schwarzen Nachthimmel ab.
Das Geräusch von zirpenden Grillen füllt die Luft und ich schaue nach oben, um die hellen Augen einer Eule zu sehen, die auf uns herabstarrt, während sie weit über uns auf einem Ast sitzt.
»Dort hab ich immer Verstecken gespielt.«, merkt Michal an. »Ich hab jeden in die Irre geführt und mich in den Bäumen versteckt. Sie sind ideal fürs Klettern, wie du siehst.« Er wohnte also in dem Haus. Und das was etwa sein Zimmer, in dem ich jetzt bin?
Er erzählt mir etwas von sich?
Ich sehe nach oben durch die Baumkronen, bemerke, dass das Schwarz der Nacht mit winzigen, schimmernden Sternen im Himmel versetzt ist. Der Mond ruht in einer Sichelform, wirft fahles Licht auf uns. Ich sehe, wie das Licht des Mondes in seinen dunklen Augen reflektiert, als er mich weiter den Pfad entlangführt.
Wir laufen eine kurze Strecke weiter, ehe wir zu einer Waldlichtung zwischen den Bäumen kommen.
Die kleine Lichtung ist von einem gewaltigen Weidenbaum geprägt- möglicherweise die größte, die ich je gesehen habe. Der Stamm ist riesig und die silbernen Stränge, die von Geästen hängen bestäuben den grasigen Waldboden. Als wir näher heranlaufen bemerke ich, dass zwei Holzschaukeln mit dickem Seil an die verschiedenen Äste gebunden sind, bewegen sich leicht im Wind.
»Setz dich.«, sagt Michal, setzt sich auf eine von ihnen.
Ich willige ein und nehme die Schaukel, die von dem Ast gegenüber von ihm hängt, schiebe ein paar Weidenstränge von mir weg.
Ich sehe Glühwürmchen, die in der Mitte der Lichtung durch die Luft schwirren, eine weitere Quelle von schwachem Licht, um den Mond zu begleiten. Ich bin noch nie zuvor an so einem Ort gewesen.
»Wie findest du diesen Ort?«
Meine Augen bewegen sich zurück zu ihm. »Es ist angenehm.«,meinte ich nur.
Er nickt, blinzelt langsam. »Es war mein Lieblingsort. Ich habe diese Schaukeln mit meinem Vater aufgehängt, als ich zehn war.«
»Wie alt bist du überhaupt?«
»Ich bin 20.«, antworte er. »1966 geboren, 1984 gestorben. Du warst ein Mal an meinem Grab.«Seine Stimme kühl. Ich erinnere mich.
Ich sehe einen Moment zurück. Der Nebel wird dichter und langsam wird der Schweiß etwas kalt auf meinem Rücken. Eine Schweißperle läuft über diesen und ich zischte den Raben an, der auf dem vielleicht damals weißen, jedoch jetzt sehr verschmutzen Stein sitzt. »Gebe mir nicht noch mehr Unglück! Zisch ab!«
Ich sehe wie automatisch auf die Zahlen, denn der Grabstein sah bereits etwas alt aus. Geboren im Jahr 1966, dem 11.11. gestorben ist diese Person 18 Jahre später und das am selben Tag. Er hatte kein langes Leben. Sein Tod war erst vor wenigen Wochen. Ich blickte den Raben an.
Mein Puls erhöht sich etwas.
Er nickt, sein Gesichtsausdruck ernst. »Am elften November.« Ich starre ihn an, mein Kopf rast.
Ich räuspere mich. »Du wurdest ermordet von dem Greifer... aber den habe ich getötet. Jetzt sag schon... Michael...«Unsere Blicke treffen sich.
»Warum bist du noch immer im Jenseits gefangen?«
Er schaut mir direkt in die Augen, hebt seine Augenbrauen ein wenig an. Seine Zunge gleitet über seine Lippen, fährt kurz über sie, bevor er sie öffnet.
»Ich wurde ermordet.«, sagt er monoton.
Ermordet.
»Vom Greifer.«
Plötzlich scheint all das hier so real, vor ihm zu sitzen und zu hören, wie er diese Worte sagt. Zuvor hat es so sonderbar und schlicht unmöglich geschienen, doch jetzt weiß ich, dass ich mir diesen blassen Jungen mit einem teuflischen Lächeln nicht einbilde. Es ist real.
Allerdings ist sein teufliches Lächeln jetzt nirgends zu sehen. Es ist von einem abgestumpften Stirnrunzeln verborgen, während er auf meine Reaktion wartet.
Doch er wartet nicht. Er lehnt sich auf der Schaukel etwas zurück, ein kleines Lächeln entweicht ihm.
»Ja, es ist wahr. Ich bin noch immer hier. Das sind noch alle von der anderen Seite.«, sagt er, sieht zurück zu mir. »Jemand hat entschieden, dass ich mein Haltbarkeitsdatum überschritten habe und somit hat er etwas dagegen unternommen.«
Die Art wie er so ungezwungen und gleichgültig darüber ist, bringt mich aus dem Konzept.
»Es gibt einen zweiten Greifer. Ja, es gibt zwei.«
Er sieht mich an.
Ich schwieg.
Ich schüttel meinen Kopf, meine Augen immernoch auf ihm. »Du...du hast gesagt, dass du dich immer rausgeschlichen hast, indem du die Kletterpflanze neben meinem Fenster benutzt hast...?«
»Ja.« Er dreht sich, um mich anzuschauen, seine Hände hinter seinem Rücken geklammert.
»Der Name des Hauses ist Cadence Manor. Es wurde 1857 von meinen Großeltern gebaut, und von meinem Vater und meiner Mutter übernommen, als sie geheiratet haben. Es sollte an mich weitergegeben werden.« Er verzieht das Gesicht. »Leider habe ich nie solange gelebt, um den Tag zu sehen, an dem ich das Grundstück vollständig übernehme.«
Er trifft meine Augen.
»Meine Großeltern waren in den 1860er Teil eines sehr erfolgreichen Öl- Unternehmens in Kanada, obwohl sie von hier aus in Washington gearbeitet hatten. In den 60ern haben sie eine Menge Geld damit gemacht, und mein Vater hat das Unternehmen gekauft, als mein Großvater krank wurde. Er hat mir immer gesagt, dass mir eines Tages das Unternehmen gehören würde wenn ich alt genug bin.«
Das Haus in dem ich jetzt lebe, gehörte tatsächlich ihm.
»Ich bin in Harper's Ferry aufgewachsen. Nie habe ich irgendwo anders gelebt.«Er hält inne. »Dem Haus wurde sein Name von meinem Großvater gegeben. Meine Großmutter hieß Cadence, und er hat es nach ihr benannt.«
Er beginnt vor mir auf und ab zu laufen.
»Als ich im November achtzehn geworden bin, war ich bloß vier Jahre davon entfernt meinen Platz als Leiter der Dowsons Petroleum Industries einzunehmen. Sobald ich aus dem College gewesen wäre, hätte ich dort meinen zustehenden Platz eingenommen.« Er stoppt, dreht sich wieder um, um mich anzuschauen. »Es ist interessant, wie der Tod solche vielversprechenden Pläne so einfach durchkreuzen kann.«
»Und du willst, dass ich dir wieder helfe, zweiten und letzten Greifer zu töten?«
Die Spuren eines Schmunzelns blitzen in Michals Gesichtszügen auf. »Es gibt ein paar Dinge, die ich in meiner Zeit als Verstorbener über den Tod gelernt habe.«, sagt er. »Die Welt ist in drei Bereiche unterteilt. Es gibt das Leben, wo du bist; es gibt das Nachleben, und da bin ich.«
Alles, was ich dachte über den Tod gewusst zu haben, scheint sich in Luft aufzulösen.
»Der Tod hat zwei eigene Bereiche.«, sagt er. »Jeder will ins Paradies gehen, wo es Frieden gibt. Die Meisten gehen beim Sterben dorthin.« Er verlagert sich. »Jedoch gibt es auch ein Zwischending, wo ich bin. Ich bin tot, aber ich laufe immernoch auf der Erde. Es gibt eine feine Linie, die das Jenseits von dem Zwischending unterscheidet, und ich stehe auf ihr.« Er macht eine Pause. »Diejenigen, die im Zwischending festsitzen sind dort, weil sie unvollendete Angelegenheiten aus ihrem Leben haben.«
Die Erkenntnis sickert in mich hinein. »Und deine ist...den Greifer zu finden.«
Ich fahre eine Hand durch meine Haare, meine Finger sinken zu der Totenkopfkette, die immernoch um meinen Hals hängt, fummel an dem Anhänger herum. Das ist alles so sonderbar, jedes einzelne Detail hiervon.
»Sobald ich herausfinde wer es getan hat und warum kann ich in das Jenseits überschreiten und Frieden haben und das scheinst du zu wissen. Du hast es schon ein Mal für uns getan.«, sagt Michal.
Ich nickte.
»Ich werde es tun.«
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