Kapitel 3

           

„Womit kann ich dir denn helfen?", fragt mich die ältere Dame mit knalligen orangenen Haaren hinter dem Tisch. „Ich bin für den Eignungstest hier", teile ich ihr kleinlaut mit.

Nach dem Frühstück heute Morgen habe ich mich sofort auf den Weg ins Stadtzentrum gemacht. Ich will diesen blöden Test so schnell wie möglich hinter mich bringen. Nun stehe ich vor dieser äußerst schlecht gelaunten Dame, die sich wohl auch besseres vorstellen könnte, als hier zu sitzen.

Sie mustert mich gelangweilt und verdreht ihre Augen. „Hast du denn schon einmal den Test gemacht?" Darauf schüttle ich etwas eingeschüchtert meinen Kopf.
mit einem lauten Seufzer und wackeligen Beinen hebt sie sich von dem quietschenden Stuhl ab. „Dann kannst du mir gleich folgen und wir sehen, ob eines der Prüfungszimmer frei ist." Zu meiner Überraschung macht sie sich flott auf den Weg und verschwindet hinter einer Ecke. Für so eine kleine, alte Frau ist sie äußerst schnell unterwegs.

Ruckartig bleibt sie vor einer hölzernen Tür mit einer großen Nummer darauf stehen. „Warte da drinnen bis dein Überwacher kommt." Damit dreht sie sich um und würdigt mich keines letzten Blickes.

Der Raum hinter der Tür ist recht kahl möbliert. In der Mitte des Zimmers befindet sich lediglich ein Tisch mit zwei Stühlen. Die Tischmitte ziert ein kleiner kümmerlicher Kaktus und oberhalb der Tür hängt noch eine verstaubte Uhr. Neben dem kleinen Kaktus steht außerdem noch eine unansehnliche Metallbox.
Ich lasse mich auf einem der Stühle fallen und fange an die Minuten zu zählen.

Zehn Minuten später war ich gerade kurz davor mir die Schuhe auszuziehen und meine Füße auf den Tisch zu legen, doch bevor es dazu kommen konnte, erklingt plötzlich eine Stimme vor der Tür. Kurz danach klopft auch schon jemand an. Doch dieser Jemand hat keine Lust auf meine Antwort zu warten und öffnet die Tür.

„Guten Tag Kalia O'sulio. Du bist da bist das erste Mal hier, richtig?", begrüßt mich ein grauhaariger Mann. Im Gegensatz zu der Empfangsdame trägt er wenigstens ein kleines Lächeln im Gesicht. Trotz der freundlichen Miene schüchtert mich seine Präsenz ein. Sobald er auch nur in meine Richtung blickt, überkommt mich das Bedürfnis ihm zu Gehorchen. Er nähert sich mit selbstsicheren Schritten dem Tisch und setzt sich auf den mir gegenüberliegenden Sessel. Er dann bemerke ich den kleinen Koffer in seiner Hand, welchen er nun vor sich auf den Tisch legt.

„Ich bin heute dein Überwacher und werde deinen Eignungstest durchführen." Dabei holt er einen kleinen silbernen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnet damit die Metallbox neben dem Kaktus. Meine Augen finden sofort das kleine Glasfläschchen im inneren der Box und sofort breitet sich ein mulmiges Gefühl in meinem Bauch aus. Mein Überwacher streckt mir die kleine Glasflasche mit einer milchigen Flüssigkeit darin entgegen und blickt mich erwartungsvoll an. Da ich momentan völlig auf der Leitung stehe, starre ich dem Mann ebenfalls erwartungsvoll an. Schließlich realisiert er, dass ich keinen blassen Schimmer habe, was ich mit diesem Gefäß anfangen soll, denn es macht sich ein winziges Schmunzeln auf seinem Gesicht zu erkennen. „Du musst es trinken, Liebes."

Sofort errötet mein Gesicht. Das hätte ich mir doch denken können, wie blöd bin ich eigentlich? „Oh, okay. Was passiert dann?"
„Dir wird vermutlich etwas schwindelig werden. Anschließend versetzt dich das Mittel in eine Trance und dein Unterbewusstsein wird sich zufällige Szenarien ausdenken. Sobald du in dem Trancestadium bist, werde ich dich an ein Gerät anschließen und nach etwa zwanzig Minuten bist du dann auch schon fertig und wirst von unseren Wachen nachhause gebracht. Dort kannst du in Ruhe die Wirkungen auszuschlafen. Vermutlich wirst du bis morgen früh schlafen."

Stumm nehme ich die kleine Flasche in meine zitternde Hand, doch bevor ich sie zu meinen Lippen führe, fällt mir noch etwas ein. „Und wann erfahre ich für welche Tätigkeit ich geeignet bin?"
„Es wird jemand vorbeikommen und dir einen Brief überbringen. Wenn alles so läuft, wie es sollte, bekommst du den Brief vielleicht auch schon morgen."

Da mir keine Fragen mehr einfallen und ich nicht noch mehr Zeit verschwenden will, schraube ich die Flasche auf und bringe sie zu meinen Lippen. Bevor ich es mir wieder anders überlegen kann, kippe ich den ganzen Inhalt in den Mund und würge die weiße Flüssigkeit hinunter. Der bittere Geschmack macht es mir aber nicht sonderlich leicht die Flüssigkeit auch unten zu behalten. Ich kneife meine Augen zu um mich besser darauf zu konzentrieren mich nicht zu übergeben. Als ich mich schon bei meinem Überwacher beschweren will, verschwindet der bittere Geschmack jedoch gänzlich, so als wäre er nie da gewesen. Habe ich mir das jetzt nur eingebildet?

Ich öffne meine Augen und richte meinen Blick auf die Uhr. Doch dort wo vorhin nur drei Zeiger waren, finde ich nun sechs. Ich wende meinen Blick von der Uhr ab und mustere die Gestalt vor mir. Ich könnte schwören, dass dort wo nun ein schwarzer Fleck sitzt, vor einigen Sekunden noch mein Überwacher gesessen ist. Bevor ich den schwarzen Fleck jedoch hinterfragen kann, überkommt mich ein unglaublicher Schwindel.
Am liebsten würde ich mich jetzt auf den Boden legen, doch als Alternative kneife ich lediglich wieder meine Augen zu. Dies macht es jedoch nur noch schlimmer und ich bin gezwungen mich an der Tischkannte festzukrallen um nicht vom Stuhl zu kippen. Was habe ich da bloß getrunken!? Ich kenne den Mann nicht einmal und ich habe einfach alles befolgt ohne es anzuzweifeln. Wer weiß, ob er überhaupt hier arbeitet.

Ich bringe mich dazu langsam ein und auszuatmen und fange an zu zählen. Als ich bei sechs angekommen bin, verschwindet langsam das Schwindelgefühl und ich kann den armen Tisch von meinem Todesgriff erlösen, doch zur Sicherheit lasse ich meine Augen geschlossen.

Plötzlich höre ich entfernte Stimmen meinen Namen rufen. Verwirrt öffne ich nun doch. Die Dunkelheit um mich herum wird immer heller und heller bis alles strahlend weiß ist. Fasziniert beobachte ich meine Umgebung, kann aber nichts erkennen. Keine einziger Umriss, oder Schatten ist zu entdecken. Alles ist einfach weiß.

Das einzige farbige weit und breit ist mein Körper und Kleidung, doch auch mein Körper hat keinen Schatten. Plötzlich nehme ich wieder eine sanfte Stimme wahr und drehe mich danach um. Ohne groß darüber nachzudenken, fange ich an der Stimme durch den unendlich großen Raum zu folgen.

Unzählige Schritte später formt sich ein kleiner schwarzer Punkt in der Ferne, welcher sich mir langsam annähert. Es scheint so, als würde die Stimmen von dieser kleinen Rauchwolke kommen. Zögerlich setze ich meinen Weg fort.

Die kleine Wolke wird immer größer und als ich nur noch einige Meter von ihr entfernt bin, verformt sich der Rauch. Langsam nimmt die Rauchwolke vor mir die Form eines Menschen an. Der Rauch wird dunkler und sieht jetzt irgendwie fester aus. Es bilden sich genauere Gesichtszüge und schon bald wird mir klar, dass die Rauchwolke eine Frau darstellt.
Die langen weißen Haare der Dame hängen in sanften Locken über ihre zierlichen Schultern. Der fragil wirkende Körper trieft förmlich von Autorität doch ihre freundliche Miene gibt mir sofort das Gefühl ihr vertrauen zu können.

Um ihre schmalen Schultern ist ein schwerer roter Umhang geschlungen, darunter trägt sie ein bodenlanges weiß-goldenes Kleid, welches unendlich viele Perlen und Edelsteine zum Funkeln bringen. Ein goldenes Diadem vollendet ihr Aussehen und mir bleibt nichts anderes übrig als sie mit offenem Mund zu bestaunen.
Sie schenkt mir ein Lächeln und streckt beide Hände aus. Verwirrt runzle ich meine Stirn. Erst nach einigen Sekunden bemerke ich die zwei kleinen Gegenstände in ihren Händen. In ihrer rechten Hand befindet sich ein goldener Ring, verziert mit einem kleinen Rubin. Ihre linke Hand hält einen unscheinbaren Stein.
Ohne zu zögern, überquere ich nun die wenigen Meter zwischen uns. Es wäre unmöglich ihrer unausgesprochenen Aufforderung nicht zu gehorchen. Vor ihren Händen halte ich ein letztes Mal inne. Mein Blick gleitet abermals zu dem funkelnden Ring, doch egal wie schön er auch sein mag, der kleine Stein hat mich in seinen Bann gezogen. Ohne nachzudenken greife ich nach dem Stein.

Als ich meine Augen wieder das nächste Mal öffne, fühlt es sich so an, als wäre ich Tage lang wach geblieben. Ich könnte mit Leichtigkeit noch einen ganzen Tag durchschlafen, doch irgendetwas hält mich davon ab. Ich starre auf die altbekannte weiße Decke und bin, bis auf die Müdigkeit, vollkommen zufrieden. Erst nach einigen Momenten fängt mein Gehirn langsam wieder an zu arbeiten und plötzlich wird mir bewusst, wieso ich auf einmal in meinem Bett aufwache. Ich setzte mich, wie vom Blitz getroffen, auf und sofort ist die Müdigkeit auch schon vergessen.

„Na endlich, hat auch lang genug gedauert", höre ich ein tiefes Lachen auf meiner rechten Seite. Ich drehe mich zu meinem Bruder und schaue ihn genervt an. „Wie lange habe ich schon geschlafen? Und habe ich schon einen Brief bekommen?", frage ich gespannt.
„Nope", sagt er und schüttelt dabei seinen Kopf. Mit einem enttäuschten Seufzer lasse ich mich zurück auf das Bett fallen.
„Und du wurdest gestern ungefähr um elf nachhause gebracht und hast bis gerade eben geschlafen. Und bevor du fragst, es ist jetzt etwa sechzehn Uhr."
„Was?? Ich habe einen ganzen Tag geschlafen?", frage ich geschockt. „Jap. Um genau zu sein, waren es neunundzwanzig Stunden."
Ich rolle meine Augen auf seine unnötige Aussage.
„Es gibt noch Reste vom Mittagessen, wenn du willst."
Ich nicke abwesend und mache mich träge auf den Weg in die Küche. 

Doch bevor ich dort ankommen kann, werde ich von meinem Spiegelbild gestoppt und kann mir eine angewiderte Miene nur schwer verkneifen.
Meine schönen Locken von meinem Geburtstag haben sich während meinem Schlaf in ein Vogelnest verwandelt. Noch dazu könnten meine rotblonden Haare dringend mal eine Dusche vertragen. Als wäre das noch nicht schlimm genug, sind meine Augenringe noch dunkler als sonst. Und der krönende I-Punkt bildet mein widerlicher Mundgeruch.
Obwohl mein Bauch dagegen protestiert, entscheide ich mich zuerst einen kurzen Abstecher ins Bad zu machen.

Unter der Dusche genieße ich das warme Wasser. Ich nütze die Gelegenheit und rubble mir vergebens den Schlaf aus den Augen.
Ein Klopfen reißt mich aus meinen nicht vorhandenen Gedanken. „Ja?", rufe ich als ich das Wasser abdrehe.
„Dein Briefträger ist da! Er muss ihn aber dir persönlich geben", ruft Lynk durch die Tür.

Sofort hüpfe ich aus der Dusche. Ein seltsames Quicken entkommt mir als ich in meiner selbst kreierten Wasserpfütze beinahe ausrutsche. Mein dunkelrotes Handtuch wird in Windeseile um meinen Körper gewickelt und ein weites findet kurz danach sein Zuhause auf meinem Kopf. Sekunden später bin ich auch schon auf dem Weg zur Eingangstür. Im Gang kommt mir mein Bruder entgegen und schüttelt nur lachend seinen Kopf.
Zu beschäftigt um mich von ihm nerven zu lassen, laufe ich vorsichtig zur Tür, während ich versuche nicht auf den Fliesen auszurutschen.

Vor der Tür steht ein relativ junger Mann, vielleicht Mitte zwanzig. Er lächelt mir zu und begrüßt mich äußerst freundlich. „Hallo, bist du Kalia?" Währenddessen wandert sein Blick von meinem Kopf über meinen klatschnassen Körper. Seine Augen bleiben an meinen Beinen hängen, was mir etwas peinlich ist und es dauert auch nicht lange bevor mir das Blut in die Wangen schießt. Ich räuspere mich ungeduldig um seine Aufmerksamkeit wieder auf mein Gesicht zu lenken.
„Aja, hier", er holt einen braunen Umschlag aus seiner schwarzen Lederjacke. Verlegen überreicht er ihn mir und kratzt sich anschließend am Hals. „Naja, bis später. Oder nicht bis später. Wir kennen uns ja nicht." Meine Bekleidung hat ihn wohl etwas aus der Ruhe gebracht, sein peinlich-berührtes Lachen ist Anzeichen genug dafür.
„Danke für den Brief", erlöse ich den armen Mann und schließe mit einem kleinen Winken die Tür.

Mit einem Kopfschütteln und einem kleinen Schmunzeln begebe ich mich ins Wohnzimmer, wo ich sofort den Umschlag untersuche und nach kurzem Anschauen etwas unsanft aufreiße.
Mit äußerster Vorsichtig dagegen hohle ich den weißen Brief heraus, zerbreche das Wachssiegel und entfalte ihn.

„Sei gegrüßt Kalia,
Dies ist die offizielle Einberufung für deinen zukünftigen Beruf. Du musst dich morgen im Stadtzentrum melden um die sofortige Anstellung in Kraft zu setzten. Jegliche Verzögerungen werden verfolgt und bestraft. Solltest du morgen keine Zeit haben, musst du es uns ebenfalls unverzüglich gemeldet werden.
Schönen Tag,
Meister Jandor"

Um sicher zu gehen, dass ich nichts überlesen habe, lese ich den Brief noch einige Male. Das Knurren meines Magen ist mittlerweile so laut, dass es unmöglich ist ihn noch länger zu ignorieren. Schlussendlich gewinnt also mein Hunger den Kampf und ich mache mich auf dem Weg zu meinem ursprünglichen Ziel.
Nach einer ausgiebigen Mahlzeit und einem übervollem Bauch, gehe ich wieder zurück in mein Zimmer, wo ich Lynk, wie zu erwarten, an seinem Port finde.
„Wann fährst du eigentlich wieder zurück nach Kabisera?", frage ich ihn, während ich mich hinter der Schranktür umziehe, sodass mein Bruder mich nicht sieht.

„In ein paar Stunden."
„Was?! Heute schon? Wieso hast du das nicht schon früher gesagt?"
Er tippt noch schnell was auf seinem Port bevor er antwortet.
„Du warst den ganzen Tag lang praktisch eine Leiche. Ich hab's auch erst gestern erfahren. Kados Eltern holen ihm einen Shuttle, also hat er mich gefragt, ob ich gleich mitkommen will."
„Oh", enttäuscht lasse ich meinen Kopf hängen.
„Mach dir keine Sorgen," er steht auf und setzt sich zu mir aufs Bett und legt seinen Arm über meine Schulter. „Es wird schon alles gut gehen und bald wirst du vermutlich so viel zu tun haben, dass du mich vergisst", sagt er mit einem Lachen. „Vielleicht wirst du auch in Kabisera eingeteilt."
„Mhm", sage ich in meinen Gedanken versunken.
„Ich weiß was du denkst und es ist sicher nicht so schlimm wie du denkst. Fast alle, die wir kennen haben einen gewöhnlichen Beruf und sind zufrieden damit. Sahira wirkt doch auch glücklich."
„Mhm", erwidere ich erneut.
„Und nein du wirst sicher nicht als Putzfrau enden, dafür bist du zu talentiert."
„Kannst du bitte aufhören meine Gedanken zu lesen?! Du musst mir deine Begabung nicht auch noch unter die Nase reiben, ok?" Ich entferne mich von seinem Arm und werfe mich auf mein Bett.
„Ich wollte es dir nicht unter die Nase reiben, Lia. Ich weiß, mehr als alle andere, wie sehr du auch nach Paaralan gehen willst, aber man kann sich das eben nicht aussuchen. Du solltest wirklich versuchen mit deinem neuen Beruf zufrieden zu sein."

EinigeStunden später ist es so weit und ich muss mich wieder einmal von Lynk verabschieden.Es ist zwar nicht so schlimm wie beim ersten Mal, aber es bricht mir trotzdemetwas das Herz.
Als er mit neunzehn ausgezogen ist, hat es Stunden gedauert bis ich endlichaufhören konnte zu weinen und es waren bestimmt Wochen bis ich nicht mehrdeprimiert war.
Dieses Mal laufen mir nur einige wenige Tränen über die Wangen. Zum Abschied schließt er mich ein letztes Mal in eine feste Umarmung und flüstert mir noch einige ermutigenden Sachen zu.

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