Mitarbeiterrabatt


„Das ist Vals Apartment."

„Dessen bin ich mir bewusst." Ich parkte direkt vor der Eingangstür. Den Motor ließ ich laufen. „Steig aus."

Aber Judah blieb sitzen, skeptisch. „Wieso sind wir hier?"

„Weil ich gleich noch ins Lokal muss und dich in der Zwischenzeit nicht unbeaufsichtigt lassen werde."

„Übertreib nicht." Er schnaubte. „Ich werde schon nichts Dummes anstellen."

„Du warst zehn Minuten", ich betonte die letzten zwei Worte zusätzlich, „ohne Betreuung und hast es geschafft, jahrelange Abstinenz zunichtezumachen. Damit hast du endgültig mein Vertrauen verspielt."

Er rollte mit den Augen. „Und da denkst du ausgerechnet an unser Halbbrüderchen als Aufpasser? Der springt, sobald ich mit dem Finger schnipse, um mir jeden Wusch von den Lippen abzulesen."

„Weshalb ich auch August gebeten habe, sich dieser Aufgabe anzunehmen." Passend zu der Aussage sah ich im Rückspiegel, wie ein weißer Tesla hinter uns zum Stehen kam.

„Oh." Und schon sah Judah nicht mehr ganz so überheblich aus. „Das ist uncool."

„Ein Rehabilitationsaufenthalt wäre uncooler, meinst du nicht?" Ich fixierte ihn. Prüfend. „Dort wären wir für eine längere Zeitspanne als bloß zwei Tage voneinander getrennt."

Er schürzte die Lippen. „Ich hoffe, du bist dir der emotionalen Erpressung bewusst, die du gerade mir gegenüber ausübst."

„Zu Schuldgefühlen bin ich nicht fähig." Ich öffnete seinen Gurt. „Morgen früh werde ich dich wieder abholen."

„Als wäre ich ein ungezogenes Kind." Er murrte, während er die Tür aufstieß und tatsächlich ohne größeren Kampf auf den Bürgersteig trat. „Und das alles nur, damit du in Ruhe mit Yves spielen kannst, jetzt, wo du dich traust, weil er eh bald wegkommt."

Ich verzog keine Miene. „Das ist nicht der Grund, weshalb ich das Lokal aufzusuchen gedenke."

„Natürlich nicht." Er schnaubte und schlug ohne ein weiteres Wort die Tür hinter sich zu, während ich in den ersten Gang wechselte. Durch das Beifahrerfenster sah ich, wie Judah mit verschränkten Armen zu Valentinos Apartment stapfte, dicht gefolgt von Valentino selbst und August, die beide im Gegensatz zu ihm erstaunlich zufrieden mit der Situation wirkten.

Mir war es gleich. Judah würde mir zwar nicht dafür danken, aber ich tat, was notwendig war, um ihn zu beschützen. Wenn es sein musste, auch gegen seinen Willen.


Leons Feier hatte früh genug geendet, um den dort anwesend Gewesenen genügend Zeit zu lassen, sich noch relativ gemütlich auf ihre Schicht einzustimmen – aber ich wollte trotzdem sichergehen, dass sich keiner verspätete. Ansonsten würde ich dafür sorgen, dass sie an ihren Arbeitstagen keine Zusammenkünfte mehr veranstalteten, selbst wenn es sich dabei rein rechtlich um ihre Freizeit handelte.

Ich zupfte mir meinen Hemdkragen zurecht und inspizierte das Lokal. Leander stand hinter der Bar und schnitt Früchte für diverse Cocktails, Konstantin dirigierte die letzten Reinigungsarbeiten bezüglich der Vergnügungsräume und Marco stand geduckt am Eingang und versuchte, unter meinen Radar zu fallen. Ihm war noch nicht bewusst, dass der Zwischenfall mit Yves und dem Kunden scheinbar doch nicht ihm und Konstantin zugerechnet werden konnte – ich ließ ihn allerdings in dem Glauben, Mitschuld zu tragen. Ein bisschen existentielle Furcht würde sich auf Dauer positiv auf seine Arbeitsmoral auswirken.

„Guten Abend." Jesse, einer der wenigen Switcher unter meinen Angestellten, nickte mir von einem der Nischenplätze aus zu, als ich mich ihm näherte. Er stellte gerade einen mit Eiswürfeln und einer Flasche Champagner gefüllten Eimer in die Mitte des Tisches.

Eigentlich hatte ich diese Aufgabe jemand anderem auferlegt. „Du richtest den Tisch für den Junggesellenabschied?"

„Ja, Sir." Er rückte die Flasche im Eimer zurecht. „Silas hat mich darum gebeten, es für ihn zu übernehmen, weil er sich ein kleines bisschen verspätet."

Ich hob eine Braue. Das passte nicht zu seiner sonstigen Überpünktlichkeit. „Er verspätet sich?"

Zögern, bevor Jesse von der Flasche abließ und zu mir aufschaute. „Er hat eine neue Enthaarungscreme ausprobiert."

Ich verschränkte ungeduldig die Arme vor der Brust. „Das bedeutet?"

„Dass er scheinbar ein bisschen allergisch gegen sie ist."

Ein bisschen war ein sehr weitläufiger Begriff.

Ich presste die Lippen zusammen. „Finde ich ihn in seiner Wohnung?"

Er nickte und sagte nichts weiter, während ich den Innenbereich durchquerte. Hinter der Bühne waren schon ein paar meiner Jungs damit beschäftigt, sich zurechtzumachen. Sie begrüßten mich artig, als ich auch durch diesen Raum schritt, um den Flur dahinter zu betreten und schließlich vor Silas' Wohnung zu stoppen. Um dort anzuklopfen.

Daraufhin tat sich für ein paar Sekunden erst einmal nichts, bis eine äußerst gestresste Stimme mir von der anderen Seite aus antwortete: „Leon, bist du das?"

„Nein."

Die Stimme wechselte von Stress zu Hysterie. „Herr Lindqvist! Ich ... ich bin sofort im Lokal! Und ich habe die Gruppe nicht vergessen, die ich heute betreue, Jesse hilft mir mit den Vorbereitungen, damit alles fertig ist, wenn die Gäste kommen!"

Falsch, es war keine Hysterie. Silas klang, als wäre er den Tränen nahe. Oder ihnen längst verfallen.

„Darüber bin ich im Bilde. Ich habe ihn soeben getroffen", sagte ich und schob beide Hände in die Hosentaschen. „Er hat mir auch den Grund genannt, weshalb du noch nicht mit deiner Schicht begonnen hast."

Silas' Erwiderung bestand im Öffnen seiner Tür. Und sein Gesicht war in der Tat tränenverschmiert. Wobei er mir zwar nicht verbal, nichtsdestotrotz aber unmissverständlich mitteilte, weshalb dies der Fall war – seine Beine, lediglich bedeckt von knappen Shorts, waren über und über mich Pusteln übersät. Vom Ansatz seiner Hose bis zu den Knöcheln.

Ich atmete tief ein. „Sind deine Beine die einzigen Stellen, auf der du die Creme angewendet hast?"

Er schniefte, bevor er den Kopf schüttelte. „Ich hab sie auch ... Also, in meinem ..." Das Ende des Satzes konnte ich mir denken.

Ich zückte mein Handy. „Ich werde Doktor Nyström herbestellen, und du bist zunächst freigestellt, bis dein", ich musterte seine Haut, „Zustand sich geklärt hat. Um einen Ersatz für dich werde ich mich kümmern."

Silas schrumpfte in sich zusammen. „Sind Sie wütend auf mich?"

„Glücklich bin ich nicht", meinte ich, ließ meine Stimme jedoch direkt wieder weicher werden, als auf meine Worte hin erneut Wasser an seinen unteren Lidrändern aufquoll. Menschen wie ihn erhielt man sich durch nette Gesten und nicht durch Strafen. Strafen ließen sie zerbersten. „Allerdings bezweifle ich, dass dies deine Absicht war. Entsprechend bin ich nicht wütend auf dich."

„Es tut mir leid." Er flüsterte, rang die Hände. „Ich wollte für die Gäste schön aussehen, aber in der Drogerie gab es die Creme, die ich sonst benutze, nicht mehr, deswegen habe ich eine andere genommen."

Er hatte wirklich Glück, dass ich mir seiner absoluten Loyalität sicher war und er mir monatlich eine nicht unbedeutende Summe Geld einbrachte. Und sich generell fast nie krankmeldete.

„Es ist in Ordnung", sagte ich, während ich in der Kontaktliste meines Handys Mias' Nummer auswählte.

Es klingelte über zehn Mal, bis er sich wenig enthusiastisch meldete. „Warum kannst du mich nicht zu normalen Uhrzeiten anrufen? Warum immer nur nachts?"

„Weil ich einen Nachtclub betreibe", meinte ich und verabschiedete mich mit einem knappen Nicken von Silas, die Tür hinter mir zuziehend. „Ich erwarte dich in spätestens zwanzig Minuten im Lokal. Du kannst direkt zu Silas gehen. Sieh zu, dass du etwas mitbringst, das gegen allergische Reaktionen hilft."

„Handelt es sich um einen lebensbedrohlichen Notfall?"

Ich schnaubte. „Würde ich dir so viel Zeit einräumen, wenn dies der Fall wäre?"

„Ah." Er seufzte lautstark. „Nein, vermutlich nicht. Aber ich kann erst in frühestens einer Stunde da sein. Ich weiß nicht, wo ich mein Auge hingetan habe. Ich suche es schon seit einer halben Ewigkeit."

Es war mir schleierhaft, wie Judahs und mein Genpool Ähnlichkeit mit seinem haben konnte.

„Zwanzig Minuten", wiederholte ich. „Oder du bist fristlos gekündigt."


Männer an Junggesellenabschieden wurden mit jedem Tropfen Alkohol ungehemmter und alberner – Torben mit seiner Affinität für seltsame Outfits und Pet Play sollte demnach gutes Entertainment für die Gruppe bilden, die eigentlich Silas hatte unterhalten sollen.

Jetzt musste ich dem Jungen bloß noch seinen freien Tag rauben, und das tat ich auch prompt, indem ich die paar Meter zu seiner Wohnung überwand.

Allerdings riss er im Gegensatz zu seinem Kollegen sofort sperrangelweit die Tür auf, mit einem äußerst überraschten Ausdruck im Gesicht. „Oh! Hallo, Herr Lindqvist!"

Dass die Hälfte der Jungs einfach nicht daran denken konnte, sich vor dem Öffnen zu vergewissern, wer denn eigentlich ihr Besuch war – aber das war ein Thema für einen anderen Tag.

„Guten Abend." Ich schaute über seine Schulter hinweg. Er hatte das Sofa beiseitegeschoben und schien die entstandene freie Fläche im Wohnzimmer nun für ein großes, buntes Puzzle zu nutzen. Weit war er nicht gekommen. „Ich bräuchte dich in spätestens einer Viertelstunde im Lokal. Wir haben einen Junggesellenabschied, dem momentan noch keine Bewirtung zugeteilt ist."

„Aber heute ist mein freier Tag ..."

Ich schwieg, sah ihn einfach nur an, abwartend.

Es dauerte keine Minute, bis er einknickte. „Okay", murmelte er. „Ich mache mich fertig und komme sofort rüber."

„Vielen Dank." Ich setzte den Rückzug an. „Lass dich von Jesse darüber in Kenntnis setzen, um welchen Tisch du dich zu kümmern hast."

„Ja, Sir." Er klang enttäuscht, ich war zufrieden. Problem gelöst.


Als Eigentümer des Lokals musste ich nach dem Rechten schauen. Das war meine Aufgabe. Dass Yves sich heute Abend ebenfalls im Dienst befand, war purer Zufall. Dass mein Körper bei seinem Anblick mit einer Mischung aus Wut und Erregung reagierte, ebenfalls. In Wahrheit allerdings hatte Judah recht – normalerweise würde ich mich einem meiner Angestellten niemals körperlich nähern, wenn diesem die Ausübung der von mir erwünschten Praktiken zuwider war. Ich hatte mich seit meiner frühesten Jugend bewusst dazu entschieden, die allgemeingültigen Gesetze und Menschenrechte einzuhalten. Dies galt jedoch bloß für Personen, die weder meiner Familie noch mir vorsätzlich Schaden zufügten.

Yves hingegen hatte Judah vorsätzlich geschadet und fiel damit aus dem Raster. Er verdiente es nicht länger, dass ich Rücksicht nahm. Außerdem würde er geknebelt auch nicht länger den jämmerlichen, schüchternen Jungen mimen können, dessen Anblick meiner Libido regelmäßig erhebliche Dämpfer zufügte.

Ich öffnete den obersten Knopf meines Hemdes und krempelte die Ärmel hoch, während ich ihn dabei beobachtete, wie er einen Gast anstrahlte, als dieser ihm eine Hand auf das Knie legte und mit ihr langsam sein Bein hochwanderte, bis zum Ansatz seines Rockes und schließlich darunter. Dafür, dass er nach seiner kleinen Verletzung arg traumatisiert gewirkt hatte, benahm er sich mittlerweile, als wäre nie etwas gewesen.

„Herr Lindqvist? Kann ich Sie kurz sprechen?"

Widerwillig löste ich meinen Blick von ihm und richtete ihn auf Jesse. „Worum geht es?"

„Ein Gast ist gerade zu mir gekommen und hat nach Silas gefragt. Als ich ihm gesagt habe, dass er heute nicht arbeitet, wollte er wissen, wann er das nächste Mal im Dienst ist." Er stoppte kurz, runzelte die Stirn. „Er war ziemlich fordernd und ich kann ihn nicht einschätzen. Keine Ahnung, ob das eine Sache für die Security ist, aber das Ganze erinnert mich irgendwie ziemlich an die Sache mit Lexie und seinem Stalker letztes Jahr. Ich meine", er sah kurz über die Schulter und zeigte dabei hinter sich, „als ich ihm nicht verraten wollte, wann Silas das nächste Mal arbeitet, ist er direkt zu Torben gegangen und hat angefangen, ihn zu löchern."

Kunden, die an einzelnen Jungs interessiert waren, entsprachen beständigen Geldquellen. Kunden, die allerdings zu interessiert an einzelnen Jungs waren, stellten eine Gefahr dar. Der eben erwähnte Vorfall mit Lexie, bei dem ein Gast es ohne seine Zustimmung bis zu seiner Wohnungstür geschafft hatte, zeugte davon. „Wo befindet der Kunde sich jetzt?"

„Leander hält ihn an der Bar hin." Jesse wich einen Schritt zur Seite, um die Sicht auf die beiden freizugeben. „Soweit ich weiß, hat jeder, den der Kerl bisher angesprochen hat, dichtgehalten."

„Sehr gut." Ich lief an ihm vorbei und zielgerichtet auf die Bar zu. Noch bevor ich sie erreicht hatte, stellte Leander Blickkontakt mit mir her und bedeutete mir mit einer unauffälligen Kopfbewegung, wer der unliebsame Gast war. Unglücklicherweise war es niemand, den ich einfach meines Lokals verweisen konnte. Diese Situation war eine absolut unnötige Ablenkung von denjenigen Aktivitäten, die ich für die nächste Stunde ursprünglich angedacht hatte.

„Herr Tolstoi." Ich setzte ein freundliches Lächeln auf. „Es freut mich, Sie erneut bei uns willkommen heißen zu dürfen."

Der Russe drehte sich augenblicklich zu mir um. Er sah ausgesprochen verbittert aus. „Sie sind der Besitzer?"

Wenigstens erinnerte er sich halbwegs an mich.

„Richtig", meinte ich und blieb neben ihm stehen. „Ich hoffe, es geht Ihnen gut?"

„Ja." Schroff. „Der Mitarbeiter von letzter Woche. Sagen Sie mir, wann er wieder arbeitet."

Dieser Mann war tatsächlich ziemlich aufdringlich, und das gefiel mir nicht – die Beachtung, die Silas hier zuteilwurde, war keine, die seine sonstigen Stammkunden an den Tag legten.

„Nun", ich hielt meine Freundlichkeit trotzdem aufrecht, weil Tolstois Benehmen nichts an seinem sozialen Status änderte, „aus diesem Grund bin ich zu Ihnen gekommen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich in mein Büro zu begleiten?"

Das schien ihn etwas aus dem Konzept zu bringen. Ich sah, wie seine Augen für eine Sekunde zu Leander wanderten, der seinen Blick allerdings stur nach unten gerichtet hielt und stillschweigend einen Drink mischte.

„Weshalb?", fragte er schließlich und stieg von dem Barhocker herab, auf dem er bis dahin gesessen hatte.

„Darüber würde ich gerne in Ruhe und ohne Zuhörer mit Ihnen sprechen."

Jetzt wirkte er nicht mehr länger aus dem Konzept gebracht, sondern sichtlich unwohl. Als würde er sein soeben an den Tag gelegtes Verhalten reflektieren und zu dem Schluss kommen, dass es unangemessen gewesen war. „In Ordnung."

„Vielen Dank." Ich wandte mich halb in Richtung der Bühne. „Wenn Sie mir folgen würden?"


Tolstoi fühlte sich in der Tat unwohl. Er musterte mehrmals Sebastian, einen meiner ältesten Angestellten und ehemaligen Kampfsportler, der sich unaufgefordert mit dem nötigen Höflichkeitsabstand an unsere Fersen geheftet hatte.

Dafür würde ich ihn nachher loben müssen.

„Beachten Sie ihn nicht weiter", sagte ich. „Er wird uns nicht stören."

Ich erhielt keine Antwort auf meine Aufforderung, lieber folgte er mir wortlos bis vor und schließlich in mein Büro hinein, wo ich auf einen der zwei gepolsterten Stühle vor meinem Schreibtisch deutete. „Bitte, setzen Sie sich."

„Mh." Er nahm Platz, schaute dabei erneut zu Sebastian, der bei der Tür stehengeblieben war und so tat, als würde er uns nicht beachten, der Etikette halber.

„Zuallererst möchte ich Ihnen das Verhalten meiner Angestellten erklären." Ich ließ mich auf meinem Bürostuhl nieder und bemühte mich um eine offene Körperhaltung, weil es nicht in meiner Absicht lag, meinen Gast zu verärgern. Ich musste lediglich einige Dinge klarstellen. „Ihnen ist sicher aufgefallen, dass keiner von ihnen Informationen bezüglich Silas teilen wollte."

Tolstoi nickte, weiterhin stumm. Er wirkte angespannt.

Ich fuhr fort: „Unter meinen Kunden gibt es immer wieder welche, die – wie Sie ebenfalls – nach bestimmten Angestellten fragen, wenn sie uns einen Besuch abstatten. Das ist nichts Ungewöhnliches. Allerdings wurde einer meiner Jungs letztes Jahr so erheblich von einem dieser Kunden bedrängt, dass es selbst außerhalb seiner Arbeitszeiten zu unerwünschtem Kontakt kam. Es führte letztlich dazu, dass rechtliche Schritte eingeleitet werden mussten." Rechtliche Schritte in Form meines Bruders. „Alle meine Jungs haben eine schwierige Vergangenheit hinter sich, Herr Tolstoi, und sie sind hier, weil ich Ihnen Schutz bieten kann. Weil sie sich durch mich auch gegenseitig Schutz bieten können. Wenn nun also ein Kunde auftaucht, der, sagen wir, ausgesprochen beharrlich nach jemandem verlangt, werden sie vorsichtig. Verstehen Sie?"

Vermutlich tat er es, da er den Blick abwandte und mittlerweile aussah, als würde er mit jeder verstrichenen Minute dringender das Bedürfnis verspüren, dieses Gespräch vorzeitig zu beenden. „Ich hatte nicht vor, Ihren Angestellten Angst zu machen."

Ich nickte, durchwegs lächelnd. „Davon gehe ich aus. Ich schätze Sie nicht wie jemanden ein, der anderen schaden möchte, jedoch muss ich die Sorgen und Befürchtungen meiner Jungs ernstnehmen. Darauf verlassen sie sich."

„Natürlich." Er verkrampfte sich. „Mir war nicht bewusst, wie ich mich verhalten habe."

Ich konnte nicht sicher sagen, ob er sich darüber tatsächlich nicht im Klaren gewesen war, oder ob er sich bloß in die Ecke gedrängt fühlte. Es war eine Gratwanderung.

„Vielen Dank für Ihr Verständnis", sagte ich. „Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich Sie als Kunden nur sehr ungerne verlieren würde. Vielleicht wäre es daher besser, Sie kontaktieren mich persönlich und nicht meine Mitarbeiter, wenn Sie Silas buchen möchten."

Kaum war mir der letzte Halbsatz über die Lippen gekommen, sah er aus, als hätte ich ihn zutiefst beleidigt. „Ich will ihn nicht buchen, ich will mich mit ihm unterhalten."

Unterhalten war inakzeptabel. Interesse an Silas als Person war inakzeptabel. Es war nervig genug, wenn die älteren, weniger reichen Männer versuchten, meine Angestellten dauerhaft zu sich nach Hause zu locken. Aber das erledigte sich meist von allein, aufgrund des Umstandes, dass eine Suggar-Daddy-Beziehung sie dazu nötigen würde, jederzeit für Geschlechtsverkehr zur Verfügung stehen zu müssen, abseits der Möglichkeit, ablehnen zu können, ohne enorme wirtschaftliche Einbußen befürchten zu müssen. Und das Entwickeln von Gefühlen vonseiten meiner Jungs schloss ich bei diesen Herrschaften konsequent aus, da ich mehr oder minder unfreiwillig in genügend Kaffeekränzchen geplatzt war, in denen sie über ihre präferierten Männergeschmack diskutiert hatten.

Tolstoi hingegen entsprach ihrem präferierten Männergeschmack. Und Silas verliebte sich generell in jede Person, die ihn länger als eine Minute auch nur ansatzweise mit Würde behandelte.

Mein Lächeln wurde etwas härter. „Leider kann ich ihn während seiner Arbeitszeit nicht ohne entsprechende Buchung zur Verfügung stellen. Dafür reicht mein Kontingent an Arbeitskraft nicht aus."

„Gibt es dann eine Möglichkeit, ihn privat zu kontaktieren?"

Ganz bestimmt nicht. Er mochte einflussreich sein, aber ich war nicht gewillt, etwas an ihn abzutreten, dass ich seit über zwei Jahren in die gewünschte Form heranzüchtete. Ich hatte mir Silas nicht so früh einverleibt, um ihn gerade dann gehen zu lassen, wenn er begann, mir Erträge zu bringen. „Tut mir leid, aber ich kann aus Sicherheitsgründen keine Daten meiner Angestellten herausgeben."

Tolstoi presste die Lippen zusammen. „Dann würde ich ihn gerne buchen."

„Gerne. Allerdings", ich fischte mein Handy heraus und öffnete den Dienstplaner, suchte Silas' Namen heraus und ließ mir seine Termine für die nächste Woche anzeigen, weil ich nicht davon ausging, dass seine Haut sich bis zum Wochenende hin wieder normalisiert haben würde. Außerdem brauchte ich Zeit für diverse Gespräche, um ihm seinen neusten Fanatiker madig zu reden, „muss ich selbstverständlich zunächst Silas selbst fragen, ob er einem Treffen mit Ihnen zustimmt." Ich sah wieder zu Tolstoi auf. „Sollte er dies tun, könnte ich Ihnen nächste Woche Freitag anbieten."

„Das passt." Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Fragen Sie ihn gleich."

„Oh, momentan ist er gesundheitlich leider unpässlich, deshalb würde ich ihn heute nur sehr ungerne darauf ansprechen. Sie können mir aber gerne Ihre Kontaktdaten dalassen, dann melde ich mich persönlich bei Ihnen, sobald es Silas wieder besser geht."

Zwar verzog er kurz das Gesicht, stimmte schließlich jedoch zu und ließ mich seine private Handynummer einspeichern. Das hieß, ich hatte noch knapp anderthalb Wochen Zeit, um Silas entsprechend zu bezirzen. Keine schwierige Aufgabe.

„Dann gehe ich jetzt und warte auf Ihren Anruf." Tolstoi erhob sich, ich ebenfalls.

„Ich werde mich schnellstmöglich bei Ihnen melden", sagte ich und umrundete meinen Schreibtisch, um zu meiner Bürotür zu gelangen und sie ihm aufzuhalten. „Nach Ihnen."


Damit war der unliebsame Teil der Nacht erledigt und ich konnte mich wieder dem widmen, weshalb ich eigentlich hergekommen war – Yves.

Schweigend setzte ich mich auf einen freien Hocker an der Bar und blickte zu dem Tisch, an dem er sich vor meinem kurzen Gespräch mit Tolstoi befunden hatte. Er saß immer noch dort, allerdings mittlerweile bei einem anderen Mann auf dem Schoß. Rittlings, ohne jegliche Scheu vor Berührungen.

Bevor wir miteinander spielen könnten, müsste er sich zunächst gründlich einseifen und abduschen. Alle Stellen seines Körpers.

„Möchten Sie etwas trinken?" Leanders Stimme in meinem Rücken.

Ich nickte knapp. „Das Übliche."

„Kommt sofort!" Er wandte sich ab. Im Hintergrund hörte ich ihn herumhantieren, dann das Zischen eines Wasserkochers, der einzig und allein aufgrund meiner Wenigkeit hier stand. Für gewöhnlich tranken meine Gäste nämlich weniger Tee, wenn es ihr Ziel des Abends war, betrunken sexuellen Aktivitäten nachzugehen.

„Bitte sehr. Einmal Fencheltee."

„Vielen Dank." Ich nahm Leander die Tasse ab und betrachtete weiterhin Yves, wie er sich immer wieder vorbeugte, um seinem ausgewählten Kunden etwas ins Ohr zu flüstern.

Sobald ich meinen Tee ausgetrunken hatte, würde ich dafür sorgen, dass der Junge sich überhaupt nicht mehr irgendwie würde ausdrücken können. Aber bis es so weit war, könnte ich mich kurz bei August melden und fragen, ob es Probleme beim Babysitten gab – was sich als unnötig herausstellte. Judah schien mich freiwillig mit unzähligen Bildern auf dem Laufenden halten zu wollen.

Etwas argwöhnisch klickte ich ein paar von Ihnen an. Die meisten zeigten Valentino, wie er wild mit vollem Körpereinsatz gestikulierte, oder August, der mit einem Stift in der Hand abstrakte Bilder auf ein leeres Blatt zeichnete.

Alkoholisierter_Judah: Wir spielen Taboo und keiner errät meine Begriffe, weil niemand unsere Insider-Witze versteht :c

Das erklärte die Fotos, jedoch nicht, wie sie sich zu dritt und damit ohne entsprechende Teambildung dieses Spiel antun konnten. Oder generell. Es war lächerlich.

Frauenkleider-Fetischist: Wir besitzen keine Insider-Witze

Eigentlich hatte ich noch eine Frage nach seiner Verfassung beifügen wollen, aber diese erübrigte sich offensichtlich, wenn er Zeit und Lust fand, sich erneut in das Betriebssystem meines Smartphones zu schummeln.

Überhaupt_Nicht_Alkoholisierter_Judah: Musst du mich immer abweisen? Das verletzt meine Gefühle </3

„Welche Gefühle?", murmelte ich und öffnete erneut die Tastatur. Aber er kam mir zuvor.

Überhaupt_Nicht_Alkoholisierter_Judah: Traust du dich doch nicht an Yves ran?

Ich hob eine Braue, obgleich er es nicht sehen konnte. Die Macht der Gewohnheit und Übung.

Frauenkleider-Fetischist: Was führt dich zu der Annahme?

Überhaupt_Nicht_Alkoholisierter_Judah: Na, du schreibst mit mir, statt dich mit ihm zu vergnügen

Überhaupt_Nicht_Alkoholisierter_Judah: Darf ich übrigens raten, was für ein Gesicht du gerade machst?

Überhaupt_Nicht_Alkoholisierter_Judah: So eins hier: ô.o

Prompt senkte ich meine Braue wieder.

Frauenkleider-Fetischist: Ich bin in circa drei Stunden bei euch. Benimm dich in der Zwischenzeit

Überhaupt_Nicht_Alkoholisierter_Judah: Du dich auch – das heißt, ungeschützter Analverkehr ist strengstens verboten!

Überhaupt_Nicht_Alkoholisierter_Judah: (Aber mit dem Gesicht hatte ich doch recht, oder?)

Ich verdrehte die Augen und schloss den Chat wieder. Die Ziehzeit war mittlerweile rum, also konnte ich mit dem Trinken meines Tees beginnen. Langsam und vorsichtig, während Yves seine Finger in fremden Haaren vergrub und damit spielte, als hätte er nie etwas anderes getan.

Gleich würde ich es sein, der die Finger in seinem Haar vergrub. Und ihn daran zu Boden riss. Zu Boden und wieder in die Höhe, zwischen meine Beine, mit seinem Mund-

Ich stellte die Tasse halbleer zurück auf den Tresen hinter mir und erhob mich. Wieso warten, wenn ich aus dem Gleich auch einfach ein Sofort machen könnte?

Mit einem letzten Glätten meines Hemdes überwand ich die wenigen Meter zu Yves hin und verharrte seitlich neben ihm und seinem Kunden, die beide verwundert zu mir aufschauten.

„Es tut mir leid, der Herr, aber ich muss Ihnen Ihre Begleitung entwenden. Es kam zu einem unglücklichen Ereignis." Ich richtete meine Aufmerksamkeit von dem Gast zu Yves. „Wenn Sie mir folgen würden, Herr Wyss?"

Man sah dem Mann an, dass er protestieren wollte, aber Yves sprang ohne Widerworte von seinem Schoß und eilte neben mir her, als ich mich daraufhin in Bewegung setzte.

„Sir!" Er musste seine Schritte beschleunigen, um mit mir mithalten zu können. „Was für ein Ereignis? Habe ich etwas angestellt? Sind Sie sauer auf mich?"

„Nichts dergleichen." Obwohl es eher alles dergleichen war, hätte ich Judah nicht versprochen, mir nichts anmerken zu lassen, um Yves weiterhin in Sicherheit zu wiegen.

„Okay ...?" Er gab sich nervös, während ich ihn hinter die Bühne winkte. Die Vergnügungsräume fielen als Rückzugsort aus, sie waren momentan alle für längere Sessions in Benutzung und mit der anschließenden Reinigungszeit müsste ich mich noch weit über eine Stunde in Geduld üben. Und diese Geduld besaß ich momentan nicht.

„Kommen Sie." Ich schob den Vorhang beiseite, hinter dem Florence gerade mit Dehnübungen dabei war, sich auf die Zweiundzwanzig-Uhr-Show vorzubereiten. Heute war seine erste Schicht nach einem zweiwöchigen Urlaub in Spanien – einige Kunden erwarteten ihn bereits sehnlichst. Mich wunderte das nicht, unter all meinen Angestellten war er der begabteste Tänzer. Und mit seinen knapp hundertsechzig Zentimetern Körpergröße ebenfalls der Kleinste.

„Hallo, Sir, und ... Oh, ein neues Gesicht!" Florence stoppte seine Verrenkungen und schwang sich zurück in die Gerade. „Hi, ich bin Florence. Und ja, das ist zu hundert Prozent ein Unisex-Name."

Yves stockte kurz, bevor er glockenhell kicherte und von meiner Seite weg einen kleinen Schritt nach vorne auf ihn zuging. „Yves, genauso zu hundert Prozent ein Unisex-Name. Ich bin erst seit Kurzem mit dabei."

„Cool." Florence musterte ihn neugierig von oben bis unten. „Bist du ein Tänzer?"

„Mm." Kopfschütteln. „Ich bin Kellner, aber ich kann auch tanzen. Mein Ex mochte Burlesque-Shows."

„Ja, geil!" Florence grinste. „Burlesque ist mein Spezialgebiet. Wenn du nach deiner Schicht heute nicht tot umfällst, können wir uns ja mal kurz austauschen. Ich habe ein paar Ideen, die ich gerne ausprobieren würde, zu denen mir aber ein Bühnenpartner fehlt."

„Ich weiß nicht ... ich bin ja als Kellner angestellt, darf ich da denn einfach so wechseln?"

Zwei große Augenpaare schauten zu mir, während ich noch damit beschäftigt war, meine innerliche Gereiztheit zu unterdrücken – ich meine, wie konnte es Valentino bei seinem Erstgespräch mit Yves entgangen sein, dass dieser tanzen konnte? Bei unserem Personalmangel in dem Bereich hätte das seine erste Frage sein sollen. Und ich hatte ihm wie ein Lemming vertraut und gar nicht in Betracht gezogen, Yves in einen anderen Bereich als der Bewirtschaftung einzusetzen.

Was konnte Valentino eigentlich richtig machen?

„Können Sie", meinte ich, die Stimme bemüht ruhig. „Aber zuvor muss ich mich Ihres Potentials vergewissern."

„Das könnte ich für Sie übernehmen." Florence sah mich aufgeregt an. „Ich tanze doch schon seit meiner Kindheit, da weiß ich, worauf es ankommt."

Bloß hatte ich gerade genug von blindem Vertrauen.

„Gerne, allerdings werde ich ebenfalls anwesend sein", bestimmte ich und legte Yves eine Hand zwischen die Schulterblätter. „Wir führen diese Unterhaltung später fort. Ich werde mich zeitnah bei dir melden, Florence."

„Okay, ich freu mich!"

Wir verabschiedeten uns voneinander, ehe ich Yves aus dem Vorbereitungsraum lotste und an meinem Büro vorbei zu den Wohnungen. Er registrierte das mit verwirrt zusammengezogenen Brauen.

„Sir? Gehen wir nicht in Ihr Büro?"

„Nein, wir gehen in Ihre Wohnung." Vor der wir auch just in diesem Moment eintrafen.

„Oh, ähm." Er stellte sich blitzschnell wie eine kleine, fragile Wand vor die Tür, als würde er sie versperren wollen. „Können wir nicht vielleicht doch in Ihrem Büro miteinander reden?"

Das war kein normales Verhalten.

„Gibt es einen genauen Grund dafür, weshalb Sie mir den Zutritt verwehren, Herr Wyss?"

„Also ..." Er rang die Hände. „Ich habe nicht aufgeräumt."

Ich hob eine Braue. Wenn er mir durch stehengelassenes Essen irgendwelches Ungeziefer ins Haus holte, dann vergaß ich mich. „Wie genau definieren Sie nicht aufgeräumt?"

Er ließ seinen Kopf minimal nach vorne fallen. Einige Haarsträhnen lösten sich von dem Bereich hinter seinen Ohren und fielen ihm vor die Augen. Honigbraun auf Honigbraun. „Sie haben gesagt, dass ... dass Sie nicht mit mir schlafen werden, deswegen hab ich probiert, uhm", er hob den Blick wieder, „es allein zu tun. Also, mit mir selbst. Und die Sachen liegen noch herum."

Auch trotz meiner Vorliebe für Sauberkeit war das tatsächlich nichts, das mich abschreckte. Dazu gefiel mir das Bild zu sehr, das er damit beschrieb.

„Das passt hervorragend", meinte ich. „Genau darüber wollte ich mich nämlich mit Ihnen unterhalten."

Woraufhin er mit einem Schlag völlig verschreckt aussah. „Sie wollen mit mir darüber reden, wie ich mir ... hintenrum ...?"

In seinem Genpool schien Dummheit ziemlich großzügig verteilt worden zu sein.

„Nein", sagte ich nachdrücklich. „Ich möchte darüber sprechen, inwieweit ich Ihnen ungeachtet meiner Worte vor einigen Tagen möglicherweise doch etwas entgegenkommen könnte."

„Haben Sie es sich nochmal überlegt?" Er tippelte sofort näher, nicht mehr länger verschreckt. „Heißt das, Sie werden mit mir schlafen?"

„Es steht jedenfalls zur Debatte." Tat es nicht, es war eine feststehender Fakt. Zumal er etwas Unverzeihliches getan hatte und mir daher alles schuldete, wonach es mich verlangte. „Allerdings würde ich dieses Thema nicht gerne im Flur mit Ihnen erörtern."

„Ja, natürlich!" Er friemelte das kleine Stoffband an seinem Handgelenk ab, an dem er seinen Wohnungsschlüssel befestigt hatte. Es war eine etwas seltsame Konstruktion, die an die Armbänder für die Spinde in Schwimmbädern erinnerte. „Kann ich Ihnen was zu Trinken anbieten? Oder was zu essen? Ich habe Gebäck aus dem Reformhaus da, aber ich könnte auch schnell was kochen, wenn Sie-"

„Es würde mir schon reichen, wenn Sie die Tür öffnen würden", unterbrach ich ihn und verdrehte innerlich die Augen, als seine Bewegungen so hektisch wurden, dass er das Band samt Schlüssel auf den Boden fallen ließ. Jetzt, wo ich wusste, dass einige seiner Allüren bloß Schauspielereien waren, wirkte sein Auftreten nahezu erbärmlich.

„Ah, Mist, Entschuldigung!" Er bückte sich. Nicht besonders damenhaft, wohlgemerkt.

Ich legte den Kopf schief und betrachtete das Körperteil, das er mir so ausgiebig darbot, höchstwahrscheinlich absichtlich. Was mich nicht daran hinderte, den Anblick zu genießen, obgleich ich in ein paar Minuten weit mehr zu genießen haben würde.

„Hab ihn!" Er richtete sich wieder auf und steckte den Schlüssel hastig ins Schloss. „Aber", er zögerte ein letztes Mal, bevor er die Tür langsam öffnete, „bitte lachen Sie mich nicht aus."

Ich gab ihm keine Antwort und ging voran – nur um seine Geschichte von eben bestätigt zu bekommen, als ich sein Schlafzimmer erreichte. Auf dem kleinen, braunen Nachttisch stand eine orangefarbene Tube Gleitgel, daneben ein Taschentuch, auf dem drei Plugs in verschiedenen Größen drapiert waren. Für Spielereien geeignet, zur alleinigen Vorbereitung auf Verkehr mitnichten ausreichend.

„Die sind alle sauber." Yves huschte neben mich und linste zu mir hinauf. „Und ich gehe immer nur geduscht ins Bett."

Ich erwiderte seinen Blick ungerührt. Dass meine Abneigung gegenüber unhygienischem Verhalten unter meinen Angestellten längst die Runde gemacht hatte, war mir bewusst. Trotzdem würde ich die Aussage nicht unkommentiert lassen. „Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb Sie mir das erzählen?"

Er blinzelte, kratzte sich dann über den linken Oberarm. „Die anderen haben mich vorgewarnt, dass Sie es gar nicht mögen, wenn etwas dreckig ist. Und Leon muss sich vor Ihren Terminen immer waschen, sagt er."

Gut, dass Judah nicht anwesend war. Er hatte mich schon in unserer Jugend zur Genüge damit genervt, wie ich es überlebte, jemanden anzufassen, wo ich doch wusste, dass circa zehn Millionen Bakterien auf einem Quadratzentimeter menschlicher Haut lebten. Dabei hatte ich keine Angst vor Keimen, ich bevorzugte es lediglich, nicht mit Personen intim zu werden, denen ein anderer Mensch anhaftete. Ein anderer Mensch oder bestimmte Umwelteinflüsse.

„Verstehe." Ich ging tiefer in den Raum hinein und ließ meinen Blick über das Bett schweifen. Das Kissen lag aufgeschüttelt am Kopfende, die Decke zu einem Rechteck gefaltet am Fußende, damit die Matratze durchlüften konnte. Sehr ordentlich.

Ich wanderte weiter, zum Fenster und strich dort mit dem Zeigefinger über den Sims.

Kein Fünkchen Staub.

„Sie haben durch Ihren Ex-Mann bereits erste Erfahrungen mit meiner Spielweise gemacht?" Ich wandte mich wieder Yves zu, sah, wie er eifrig nickte.

„Ja, Sir, habe ich."

„Inwieweit?"

Er strich sich sein Haar beidseits hinter die Ohren. „In Richtung Spanking und Atemkontrolle und Fesseln und so ..."

Das war immerhin etwas. Zumindest in diesen Bereichen könnte ich mich also getrost mit ihm vergnügen – allerdings müsste ich trotzdem ein wenig vorsichtig sein, schließlich hatte ich Judah versprochen, Yves nicht zu vergraulen, bis er Hand an ihn legen konnte. Und bis dahin wäre es mir recht, wenn unter meinen Angestellten kein Geschwätz darüber aufkommen würde, dass ich meine Sexualpartner misshandelte. Es gefiel mir, dass die Jungs mir ihr Vertrauen entgegenbrachten, ihre Dankbarkeit. Ich verdiente sie.

„Das ist ein Anfang", meinte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich wäre einverstanden, Ihrer Bitte nachzugeben, solange wir uns auf einige Grundregelungen einigen können."

Er strahlte mich an. „Mir ist alles recht!"

Es gab nichts Unsinnlicheres als jemanden, der seine eigenen Wünsche und Grenzen nicht kannte. In seinem Fall könnte es jedoch auch von Vorteil sein, wenn er mir dadurch kein Überschreiten besagter Grenzen unterstellen könnte, da er sie schließlich nie mit mir kommuniziert hatte.

Ich schnalzte trotzdem missbilligend mit der Zunge. Ein reiner Automatismus. „Zunächst sollten Sie wissen, dass ich meine Partner während des Spiels nicht sieze."

„Sie müssen mich überhaupt nie siezen, Sir. Ich", er fummelte an den Trägern seines Oberteils herum, „fände es sogar wirklich schön, wenn Sie mich immer nur duzen würden."

Als bräuchte ich seine Erlaubnis dafür. Bisher war ich lediglich höflich geblieben, weil mir danach gewesen war – was nun endete.

„Außerdem", fuhr ich fort, „lege ich großen Wert auf Respekt. Dazu zählt, dass du nicht ohne Aufforderung sprichst."

„Aber wenn es mir zu viel wird, kann ich doch sprechen, um mein Safeword zu sagen, oder?"

„Wir werden nicht mit einem Safeword arbeiten."

Daraufhin zögerte Yves, sagte aber nichts. Stattdessen nickte er nach kurzer Bedenkzeit – mit anderen Worten ließ er sich bewusst auf eventuellen Missbrauch ein. So unfassbar ungeeignet.

„Die Nutzung eines Safewords würde mit sofortiger Wirkung die gesamte Session beenden", erklärte ich. „Wenn ich das erste Mal mit einem neuen Partner verkehre, wende ich daher das Ampelsystem an. Ist dir die Anwendung geläufig?"

Jetzt fiel sein Nicken wesentlich entspannter aus. „Ja, Sir, damit kenne ich mich aus."

„Gut." Ich musterte ihn eindringlich. „Über welche Tabus sollte ich Bescheid wissen?"

Er erwiderte den Blickkontakt. „Nichts, was auf Dauer bleibt. Kein Feuer. Und", er legte sich eine Hand in den Nacken, „ich mag es nicht, angespuckt zu werden."

Den letzten Part hätte er sich sparen können. Das stand auf meiner eigenen Liste selbst sehr weit oben.

„Passabel." Normalerweise wäre ich noch weitaus detaillierter auf das Thema eingegangen, aber er verdiente es nicht. Außerdem wollte ein nicht unerheblich großer Teil ihn mir endlich von ihm kosten. „Dann beginnen wir jetzt. Geh ins Bad und richte dich her."

„Sofort!" Er eilte hinter mich, wo sein Schrank stand, und fischte ein völlig neues Outfit heraus. Ich konnte nicht genau erkennen, um was für Kleidungsstücke es sich handelte, allerdings sah ich schwarze Spitze, das ließ darauf hoffen, dass er mich nicht enttäuschen würde.

„Du hast eine Viertelstunde", entschied ich und verließ das Schlafzimmer. „Ich warte derweil im Wohnzimmer." Weil es sich nicht gehörte, in Alltagskleidung in fremde Betten zu steigen oder ins eigene, und ich hatte nicht vor, mich jetzt schon zu entblößen.

„Ja, Sir, ich werde mich beeilen." Damit fuhr er herum und schlüpfte ins Bad, während ich ins Wohnzimmer wechselte und mich dort auf das Sofa niederließ, die Augen auf die Uhr gerichtet, die mir gegenüber an der Wand hing.

Noch vierzehn Minuten und er gehörte mir.

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