Mitarbeitergespräche (Teil I)
„Sie haben gefrühstückt, sich die Zähne geputzt und sind fertig angezogen." Valentino rang die Hände, drehte wie wild an den Ringen, die seine Finger schmückten. „Und ich habe ihnen Brote für die Schule gemacht. Die sind schon in ihren Rucksäcken drin."
Da war aber jemand sehr bedacht darauf, mich davon zu überzeugen, dass er angemessen auf meine Sprösslinge aufpassen konnte. Dass ich sie ihm anvertrauen konnte.
„Gut." Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. „Jetzt geh sie holen, ich habe nicht ewig Zeit."
„Ja!" Er fuhr herum und tigerte ins Obergeschoss, wo er zwei Schlafzimmer für die Kinder eingerichtet hatte.
Ich schaute ihm hinterher, allerdings nicht lange, weil August keinen Augenblick später aus dem Wohnzimmer zu mir trat. Ausnahmsweise ohne lederne Handschuhe. Ein äußerst seltener Anblick.
„Josias!" Er legte beide Hände auf meine Schultern und zog mich für eine Umarmung und einen flüchtigen Wangenkuss zu sich heran. Valentino färbte definitiv auf ihn ab. „Wie geht es dir?"
„Wie immer. Selbst?"
„Ganz ausgezeichnet." Er schmunzelte mich an, während er die Umarmung wieder löste. „Ich habe Val selten so glücklich gesehen wie letzte Nacht. Ihr habt ihm einen großen Gefallen damit getan, ihm die Bälger zu überlassen."
Ich schnaufte. „Dir ist klar, dass wir das lediglich deshalb getan haben, weil du anwesend warst, nicht wahr?"
„Ja, aber das ist etwas, das er nicht erfahren wird."
„Selbstverständlich nicht." Ich blickte kurz zur Treppe hin. Trampelnde Schritte waren zu hören. „Wie haben die Kinder sich benommen? Sind sie rechtzeitig schlafen gegangen?"
„Die Mädchen haben wir um halb acht ins Bett geschickt, Ares durfte eine Stunde länger wachbleiben."
Das hieß, sie hatten ihre benötigte Ruhephase eingehalten.
Ich nickte und wurde im nächsten Moment bereits von besagten Kindern belagert.
„Papa!" Delilah stoppte mit Theresa direkt vor mir. Beide drehte sich einmal im Kreis. „Guck mal! Onkel Val hat uns Fischgartenzöpfe gemacht!"
„Fischgrätenzöpfe", verbesserte ich und betrachtete Valentinos Werke, während ich ein bisschen erlernte Empathie zusammenkratzte. „Ihr seht wunderschön aus."
Sie strahlten mich an. Er hatte ihnen sogar kleine Spangen mit weißen Kunstblumen eingearbeitet.
„Mir hat August die Haare gemacht!" Ares schob sich zwischen die Mädchen und reckte das Kinn, ein wenig hochnäsig. Sein Schopf war glatt nach hinten gegelt.
Ich blickte zu August, amüsiert. Sie hatten dieselbe Frisur. „Hat er dich sehr beansprucht?"
„Kaum." August legte dem Jungen eine Hand auf den Kopf. „Er war sehr artig."
„Fast-Onkel August ist voll cool!" Ares drückte den Rücken durch, machte sich groß. „Nicht so ein Weichei wie Onkel Val."
Er sagte es passend genau in dem Moment, in dem Valentino am Treppenabsatz ankam. Und der Hauch von Verletzlichkeit, der ihm unwillkürlich über die Züge huschte, ließ uns wissen, dass er Ares' Aussage gehört hatte.
„Entschuldige dich bei deinem Onkel." August nahm prompt die Hand von Ares' Kopf. „Oder deine Schwestern werden die Einzigen sein, die uns in Zukunft besuchen kommen dürfen."
Ares wollte widersprechen, das sah man ihm an, aber er schien es sich in letzter Sekunde anders zu überlegen. Statt einer frechen Antwort wandte er sich zu Valentino um: „Tut mir leid, Onkel Val."
Valentino lächelte, aber es erreichte seine Augen nicht. „Ist okay", meinte er, offensichtlich nicht okay.
August schnappte es auf, ließ Ares sofort stehen und wechselte zu meinem Halbbruder hinüber. Kurzes Flüstern später wurde Valentinos Lächeln echter.
Mit August hatten wir wirklich eine ganz hervorragende Wahl getroffen.
„Ich habe ihm ein Kompliment gemacht." Ares beobachtete sie mit zusammengezogenen Brauen. „Warum ist er deswegen sauer auf mich?"
„Weil ein Kompliment für eine Person eine andere nicht beleidigen sollte." Ich schob ihn Richtung Flur. „Zieh dir deine Schuhe an. Wir müssen los."
Ares gehorchte und die Mädchen musste ich gar nicht erst separat bitten. Sie rasten Ares hinterher und kämpften sich in ihre Turnschuhe – außer Theresa. Sie schaffte es nicht, den Knoten in ihrem rechten Schnürsenkel zu entwirren.
„Brauchst du Hilfe?" Ich kniete mich zu ihr hin. Sie beförderte hastig ihre kleinen Finger aus dem Weg und nickte. Allerdings war es kein schwieriger Knoten, sondern ein äußerst lockerer mit einer großen Schlaufe in der Mitte, an der ich bloß ein einziges Mal ziehen musste, um ihn zu lösen.
„Danke, Onkel Josias." Sie schlüpfte in den Schuh hinein und griff dabei mit beiden Händen grob nach den Pinken. Es sah abenteuerlich aus, wie sie versuchte, eine Schleife zu binden. Aber vor allem schaffte sie es nicht. Nicht einmal im Ansatz.
Ich blieb einen Moment lang stumm, während ich ihr lila Kleid betrachtete. Dann: „Hast du dir die Knöpfe heute Morgen selbst zugemacht, Theresa?"
Sie schüttelte zögerlich den Kopf. „Deli hat mir geholfen."
Das war nicht die Antwort, die ich hatte hören wollen. „Hilft dir Delilah auch, wenn du bei uns schläfst?"
Vorsichtiges Bejahen.
„Und sonst?" Nun war ich derjenige, der die Pinken ergriff. „Wenn sie nicht bei dir ist?"
Ihre Augen wanderten tiefer, fixierten den Boden. „Zuhause hab ich Schuhe mit Klettverschlüssen. Und nur Kleider ohne Knöpfe."
Großartig, das konnte ich gerade überhaupt nicht gebrauchen. Sie war schon von Vornherein fehlerhaft, da benötigte es keine weiteren Funktionsstörungen.
Ich atmete langsam aus, band ihr den Schuh ordentlich zu und richtete mich wieder auf.
Nach der Schule musste ich mit dem Kind zum Arzt. Und davor sollte ich ein ernstes Wort mit ihrem Vater sprechen.
Ich ging schon mit denkbar ungünstigen Voraussetzungen ins Lokal und meine Laune verschlechterte sich zusehends, weil Judah meine Anrufe ignorierte und Yves nicht in seiner Wohnung vorzufinden war, weshalb ich mich dazu herablassen musste, mir meine Informationen woanders zu besorgen.
„Guten Morgen, Sir." Leon blinzelte verschlafen zu mir auf. Er trug nichts außer Boxershorts und sein Haar stand hinten senkrecht nach oben. Ich ließ ihm sein Auftreten durchgehen, weil er bis vor zweieinhalb Stunden noch gearbeitet hatte und ich unangekündigt bei ihm aufgekreuzt war.
„Guten Morgen." Ich stand mit verschränkten Armen vor ihm. „Weißt du, wo Yves sich aufhält?"
„Nein." Er fuhr sich über die Stirn. „Ist er nicht in seiner Wohnung? Wir haben gestern zusammen Schicht gehabt und er schaute am Ende echt müde aus. Wie wir alle."
Ich war nicht direkt wütend, aber ich grämte mich etwas – allerdings wäre es kontraproduktiv, diesen Gram an Leon auszulassen, der keinen Beitrag zu meiner momentanen Verfassung geleistet hatte.
„Ich, äh, könnte ihn aber kurz anrufen, wenn Sie möchten?"
Ich bedeutete ihm mit einer forschen Handbewegung, dass er sich beeilen sollte. „Tu das."
„Moment, ich hole schnell-" Er brach ab. Ihm war wohl gerade eingefallen, wen er da vor sich hatte und was der Ausdruck Höflichkeit implizierte. „Wollen Sie vielleicht kurz reinkommen und im Wohnzimmer warten, bis ich fertig telefoniert habe?"
„Gerne." Ich bemühte mich um eine nichtssagende Miene und trat an ihm vorbei in seine Wohnung hinein, wanderte zu seinem Sofa hinüber und setzte mich dort an den äußersten Rand, weil es gegenwärtig als Bett fungierte und ich es als unhygienisch erachtete, würde meine Straßenkleidung mit seiner Decke in Kontakt kommen.
„Okay, dann", er gestikulierte hinter sich, „gehe ich mal eben telefonieren." Er wollte sich im Vorbeigehen sein Handy von der Sofalehne neben mir schnappen, aber ich kam ihm zuvor.
„Du kannst hier in diesem Raum telefonieren." Ich hielt ihm das Handy hin, mahnend. „Mit eingeschaltetem Lautsprecher."
Er zögerte einen Augenblick lang, bevor er sich zu mir hockte, ergeben nach seinem Smartphone griff und durch seine Kontakte scrollte. Er stoppte bei The Newest Hoe {()}.
Ich hob beide Brauen, während er sich leise räusperte und auf die grüne Telefontaste tippte, um seinen Bildschirm sofort danach abzudunkeln.
Beizeiten sollte ich eventuell einmal überprüfen, worunter er mich eingespeichert hatte.
„Leon?" Es rauschte im Hintergrund, als Yves' Stimme keine zehn Sekunden später ertönte. „Alles okay? Warum rufst du an? Ich dachte, du schläfst erstmal."
„Ja, witzige Sache ..." Leon räusperte sich erneut. „Herr Lindqvist ist grad bei mir und sucht dich."
„Mich?" Yves klang verwirrt. „Wieso denn?"
„Keine Ahnung, aber", Leon schielte flüchtig zu mir, „er wirkt irgendwie nicht so glücklich, also wär's vielleicht besser, wenn du deinen Knackarsch möglichst schnell von wo-auch-immer zu ihm rüberschwingst."
Kurz blieb es still in der Leitung, bevor Yves sehr laut und sehr stockend einatmete. „Hab ich was angestellt? War ein Kunde unzufrieden? Hat Herr Lindqvist irgendetwas gesagt?"
„Nope, ich weiß von nichts. Also mach einfach hinne."
„Ja, klar! Aber-" Yves brach ab, bevor er mit leiser Stimme fortfuhr: „Kann ich ... kann ich mit ihm sprechen?"
Sofort ruckelten dunkle Augen zu mir hin, fragend.
Anstelle einer Rückmeldung entwendete ich ihm sein Smartphone. „Ich kann Sie hören", sagte ich.
„Ah!" Yves klang, als hätte er sich spontan verschluckt. „Herr Lindqvist! Ich bin gleich bei Ihnen, ich stehe nur noch an der Kasse und muss bezahlen. Es wird nicht mehr lange dauern, ich verspreche es!"
Nach Hause. Dieser kleine Schwindler würde bald kein Zuhause mehr haben.
Sein Atem drang lautstark an mein Ohr – höchstwahrscheinlich aus purer Nervosität, weil ich nichts auf seine Aussage erwiderte. „Können Sie mir sagen, was ich gemacht habe? Ich kann es Ihnen bestimmt erklären, wenn ich weiß, was los ist!"
„Das ist ein Gespräch, das ich gerne unter vier Augen mit Ihnen führen würde." Ich ließ meinen Daumen über der roten Taste schweben. „Lassen Sie mich nicht zu lange warten, Herr Wyss." Und legte auf.
„Wyss?" Leon zog die Stirn kraus. „War sein Nachname nicht Steiner?"
„Der Annahme war ich bis heute Morgen ebenfalls." Und dieser Umstand störte mich. „Aber scheinbar wurde ich getäuscht."
„Okay, ähm." Er zog die Beine auf das Sofa. Seine Zehennägel glitzerten, sobald Licht auf sie fiel. „Ich hab absolut keine Ahnung, was das bedeutet, aber Yves macht echt gute Arbeit. Und das sag ich, obwohl er mir gestern einen Kunden ausgespannt hat." Er schlang beide Arme um seine Unterschenkel. „Er gibt sich Mühe, Sir, richtig Mühe, und er kriegt massig Trinkgeld."
Ich erwiderte seinen Blick unbeeindruckt. „Worauf möchtest du hinaus?"
„Egal, was passiert ist, es war zu hundert Prozent nicht extra. Er will diesen Job wirklich haben, Sir. Den würde er nicht für irgendetwas Dämliches aufs Spiel setzen."
Sie kannten sich seit keinen zwei Wochen. Es war mir unverständlich, weshalb er sich für Yves einsetzte, wenn er keine Entlohnung dafür erwarten konnte – im Gegenteil half er damit eher direkter Konkurrenz, immerhin stimmte es, dass ihm durch Yves einige Kunden abhandengekommen waren.
„Ich werde mir anhören, was er zu sagen hat", meinte ich. „Und auf Grundlage dessen entscheiden, was für Konsequenzen zu ziehen sind."
Es dauerte knapp zwanzig Minuten, bis es schließlich zaghaft an meiner Bürotür klopfte.
Ich nahm meine Augen vom Computerbildschirm vor mir, auf dem ich bis eben wenig produktiv die Umsätze des letzten Monats mit denen davor verglichen hatte. „Herein."
Und herein kam ein Junge mit rosigen Wangen und verschwitzter Stirn, der ganz offensichtlich hierher gerannt war – ohne Umwege, wenn man die volle Einkaufstüte in seiner rechten Hand bedachte.
„Herr Lindqvist!" Yves schwang die Tüte vor sich, um ihre Henkel mit beiden Händen zu umgreifen. „Ich ... ich bin so schnell hergekommen, wie ich konnte."
Das war offensichtlich. Und ich musste zugeben, dass es mir gefiel, wenn er vor lauter Unsicherheit nicht einmal seine Einkäufe auspackte, bevor er bei mir auf der Matte auftauchte.
Ich tat trotzdem, als würde sein Gebaren mich nicht tangieren, und deutete auf den Stuhl mir gegenüber auf der anderen Seite meines Schreibtisches. „Setzen Sie sich."
„Ja, danke!" Er stolperte halb über seine eigenen Füße, während er versuchte, sich und seine Einkäufe auf den Stuhl zu verfrachten. Eine Packung Zitronen-Mandeleines fiel dabei aus der Tüte heraus, die er eilig wieder hineinstopfte.
Augenscheinlich war meine kleine Diätberatung umsonst gewesen. Das wiederum gefiel mir weniger. „Bei einer Fruktoseintoleranz sollten Sie solche Lebensmittel vermeiden."
„Wie?" Als er sich wieder aufrichtete, schwebten Fragezeichen um ihm herum. „Reis und Würstchen meinen Sie? Ich dachte, die sind verträglich."
Ich hob beide Brauen. „Ich meine das Gebäck, das Ihnen gerade aus der Tasche gefallen ist."
Er linste wieder nach unten, bevor sein Mund ein tonloses Oh formte. „Nein!", sagte er schnell. „Das ist ein Geschenk für Leon, weil er mir seine Arbeitskleidung in den ersten Tagen geliehen hat. Eigentlich mag er Schokoladengeschmack mehr, aber die Sorte gab es nicht."
Die Ausführung akzeptierte ich – zumal ich Leon auf der Autofahrt nach Hause regelmäßig bei der Bäckerei die Straße runter erwischte, wie er vor der Glasfront stand und mit den Küchlein im Inneren liebäugelte, ohne sie zu kaufen, weil seine Haut auf Süßkram reagierte. Und sein äußeres Erscheinungsbild war sein Kapital, das wollte er lieber nicht in Gefahr bringen.
„Mh." Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, abwartend.
Es hatte den gewünschten Erfolg und entlockte Yves ein paar Laute. „Also." Er klemmte die Tüte zwischen seine Schienbeine und faltete die Hände in seinem Schoß. „Sie ... Sie wissen, dass ich Sie angelogen habe?"
Weiterhin keine Reaktion meinerseits.
Aus dem Händefalten wurde Fingerknöchelknacksen. „Es tut mir leid, dass ich das getan habe."
Da machte es sich jemand aber sehr einfach.
„Wobei genau haben Sie mich denn angelogen?", brach ich mein Schweigen und löste die Verschränkung meiner Arme, um sie auf den Lehnen links und rechts abzulegen.
Er sog seine Unterlippe zwischen die Schneidezähne. „Ich habe Ihnen erzählt, dass ich eine Jungfrau bin."
Ich nickte knapp. „Und?"
„Ähm." Er stockte. „Ich hab nur darüber ...?"
„Sonst fällt Ihnen nichts ein, das Sie mir verheimlicht haben könnten?" Ich reduzierte den Abstand zwischen uns, stützte meine Ellbogen auf dem Schreibtisch ab. „Sind Sie sich sicher?"
„Ich ... ja?"
„Verstehe." Ich lehnte mich wieder zurück, bevor ich mich schließlich erhob. „Innerhalb der nächsten Tage erhalten Sie schriftlich Ihre Kündigung. Laut Vertrag haben Sie das Anrecht, die nächsten zwei Wochen noch in der Wohnung zu verbleiben – nach Ablauf dieser Frist erwarte ich, dass Sie ohne Aufforderung ausziehen und Herrn Conti oder mir Ihre Schlüssel für die Wohnung und das Lokal aushändigen. Ihr Gehalt überweisen wir Ihnen anteilig zum Monatsende."
„Was?" Yves erstarrte, den Blick mit weit aufgerissenen Lidern auf mich gerichtet. „Sie wollen mich entlassen? Aber ich habe-"
„Übrigens erwarte ich, dass Sie während dieser zwei Wochen weiter im Lokal tätig sind, wenn Sie für diesen Zeitraum auch bezahlt werden möchten." Ich schritt an ihm vorbei zur Tür und öffnete sie. „Damit wäre unser Gespräch beendet. Sie dürfen jetzt gehen."
Doch er rührte sich nicht. Lieber guckte er weiter zu mir, dieses Mal mit völligem Entsetzen in der Mimik – ehe er schlagartig aufsprang, bloß um direkt vor mir auf die Knie zu fallen.
„Bitte!" Er beugte sich vor. Sein Haar fiel dabei vornüber, die Spitzen streiften den Boden. Nachher sollte er sie dringend waschen. „Ich weiß nicht, was Sie von mir hören möchten, aber ich erzähle Ihnen alles! Egal was, egal, ob es privat ist oder nicht, einfach alles, und ich schwöre Ihnen, ich werde nicht lügen, nie wieder, aber bitte werfen Sie mich nicht raus! Ich habe keinen Ort, an den ich zurückgehen kann."
Man hörte die Tränen, bevor man sie sah. Sie brachen längst aus seiner Stimme hervor, liefen aber erst über seine Wangen, als er erneut zu mir hinaufblinzelte. Sie waren funkelnde Spuren, die sich über seine Haut fraßen, bis hinab zu seiner Kehle, damit sie unter dem Rand seines Pullovers verschwinden konnten.
Er war hübsch, wenn er weinte. Er war hübsch, weil es mein Verdienst war, dass er weinte.
„Sie werden mir alles erzählen, was ich wissen möchte?" Ich musterte ihn. Befänden wir uns in einer intimeren Situation, hätte ich bereits zugeschlagen. Einvernehmlich. „Unabhängig davon, wonach ich frage?"
„Ja!" Er nickte hektisch. Ein Tropfen löste sich im Prozess, verfing sich in seinen Wimpern. „Wirklich alles!"
Es war eine Mischung aus seiner Verzweiflung und, zugegeben, meinem Sexualtrieb, der dafür sorgte, dass ich die Tür wieder ins Schloss drückte. Außerdem besaß ich gerne hübsche Dinge. „Ich gebe Ihnen diese eine Chance", sagte ich. „Überlegen Sie sich demnach gut, was Sie mir als Erklärung verkaufen möchten."
„Versprochen." Er rieb sich mit dem Unterarm grob über die Augen. „Danke, Herr Lindqvist."
„Sie sollten mir nicht danken, bevor ich mich nicht endgültig entschieden habe." Damit wandte ich mich von ihm ab und trat zurück auf meine Seite des Schreibtisches, bevor ich wie zu Beginn unseres Treffens auf den Stuhl mir gegenüber zeigte. „Setzen Sie sich."
Er kam der Aufforderung sofort nach, sorgte sich dieses Mal allerdings nicht um seine Einkäufe, als er die Tüte beim Zurückschieben des Stuhls umwarf. Ich hörte, dass einzelne Gegenstände herausfielen, konnte das Ausmaß jedoch aufgrund der Holzfläche zwischen uns nicht ausmachen, während er bewegungslos verharrte, als ginge die Situation komplett an ihm vorbei.
Schätzungsweise waren ihm die paar Lebensmittel im Angesicht einer eventuellen Kündigung unwichtig.
„Fangen Sie an." Ich machte es mir in meinem Stuhl bequem. „Ich bin äußerst gespannt auf Ihre Begründungen."
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