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Ich liege in einem fremden Bett. Das ist nicht mein Bett. Wie bin ich hierher gekommen? Was ist passiert?
Panisch blicke ich mich um. Weiß, weiß, weiß. Warum ist hier alles weiß? Das Bett, der Boden, die Wände.
Habe ich geschlafen? Nein, wäre ich gerade aufgewacht, würde ich mich anders anfühlen. War ich ohnmächtig? Aber...dann müsste es mir doch jetzt richtig mies gehen. Und das tut es nicht, körperlich gesehen geht es mir gut!
Warum bin ich plötzlich hier? Ich war doch gerade noch bei der Polizei! Ich war bei dieser Polizistin, Maier oder wie auch immer die hieß. Ich saß im Warteraum, zusammen mit ihr und einem Psychologen. Was ist dann passiert? Wie bin ich hierhergekommen? Vor allem...wo bin ich überhaupt? Verdammt, das macht doch alles keinen Sinn! Was ist passiert? Wie bin ich hierher gekommen? Frustriert beiße ich auf die Innenseite meiner Wange.
Wird sowas jetzt dauernd passieren? Dass ich mein Gedächtnis verliere und dann irgendwo wieder zu mir komme und keine Ahnung habe, was passiert ist? Was passiert denn bloß mit mir? Ich fluche laut.
Oh Gott, wie viel Zeit ist vergangen? Wie lange ist das Gespräch jetzt her? Wie lange bin ich schon hier? Ich kann doch nicht plötzlich noch mal fünf Jahre älter sein, oder? Oh Gott, dann wäre ich ja jetzt neunundzwanzig Jahre alt!
Plötzlich höre ich Schritte. Da kommt jemand! Die Schritte werden langsamer und kommen näher, immer näher. Sie bleiben stehen. Ich höre das Quietschen einer Türklinke. Mit Grauen beobachte ich, wie sich die Türe zu dem kleinen Raum langsam öffnet. Wer ist das? Sind das die Schweine, wegen denen mir fünf Jahre fehlen? Oh verdammt, da könnten gerade meine Entführer durch die Türe kommen und ich habe keine Chance mich zu verteidigen. Panisch versuche ich die Decke weg zu strampeln. Schnell setze ich mich auf. Ich muss aufstehen, ich muss sofort raus aus diesem Bett, vielleicht schaffe ich es ja wegzurennen. Ich muss nur schnell genug sein, um sie zu überraschen, dann habe ich vielleicht eine Chance an ihnen vorbeizulaufen und...
„Frau Graf, geht es Ihnen gut?", höre ich eine sanfte Stimme, „Bitte warten Sie noch eine Sekunde, ich helfe Ihnen sofort auf!"
Eine Frau steht in der Tür. Misstrauisch mustere ich sie. Sie hat rote Locken, die zu einem Pferdeschwanz gebunden sind, ist breit gebaut, einen Kopf kleiner als ich und....hat einen großen Babybauch. Sofort entspanne ich mich. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese Frau zu meinen Entführern gehört.
„Wo bin ich?", frage ich sie ängstlich.
„Im Krankenhaus, Frau Graf!", antwortet sie ruhig, „Das am Stadtrand, nicht das im Zentrum. Sie wurden gestern Abend eingeliefert."
Gestern Abend also? Solange bin ich also noch nicht hier.
„Der wievielte ist heute?", bohre ich nach.
„Der 19. Dezember!", antwortet die Fremde sofort.
„Und welches Jahr? Welches Jahr verdammt?"
„2017!"
Erleichtert atme ich auf. Nicht mal ein Tag! Das ist gut, das ist sehr, sehr gut sogar!
„Warum kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wie ich hierhergekommen bin?", frage ich unsicher.
Nervös weicht die Frau meinem Blick aus. Verloren zupft sie am Kissen des Nebenbettes herum.
„Ich glaube nicht", antwortet sie schließlich, „Dass ich die richtige Person bin, um Ihnen diese Frage zu beantworten..."
Ich stöhne auf und vergrabe verzweifelt meinen Kopf in den Händen.
„Aber Ihr Therapeut sollte jeden Moment hier sein!", versucht sie mich zu beruhigen. „Der wird Ihnen erklären können, was Sache ist."
„Können Sie es mir nicht einfach jetzt gleich sagen?"
Die Frau schneidet eine Grimasse und schüttelt den Kopf. Frustriert stöhne ich auf: „Ich habe fünf Jahre verloren und jetzt auch noch die letzten paar Stunden. Das scheint fast schon zur Gewohnheit zu werden! Woher weiß ich, dass ich später noch ich selbst bin, wenn ihr es mir endlich sagt? Woher wisst ihr, dass ich nicht schon wieder weg bin. Was wenn ich wieder weg bin? Woher soll ich dann bitte wissen, wann ich wieder hier sein werde?"
Die Frau blickt mich verloren an. Sie scheint keine Antwort auf meine Fragen zu haben, genau so wenig, wie ich selbst.
Ich fühle mich schlecht. Sie kann ja nichts dafür. Wahrscheinlich darf sie es mir nicht sagen, weil sie nur Krankenschwester und keine Ärztin ist. Oder sie hat Angst alles noch schlimmer zu machen, als es eh schon ist. Ich sollte das Thema wechseln...
„Ist das Ihr erstes?", frage ich sie mit Blick auf ihren Babybauch. Erleichtert strahlt sie mich an.
„Das zweite!", grinst sie. „Mein Großer ist jetzt schon vier Jahre alt!"
Sie redet weiter, erzählt irgendwas von ihrem Sohn und ihrem Mann und, dass sie vielleicht bald heiraten wollen. Sie bemüht sich, mich abzulenken, doch ich schaffe es nicht, ihr zuzuhören. Es tut zu weh.
Sie sieht so glücklich aus. Wie alt sie wohl ist? Fünfundzwanzig? Sechsundzwanzig? Sicher nicht viel älter als ich. Ob ich in einer anderen Welt wie sie hätte sein können? Vielleicht hätte ich auch so glücklich sein können, wie sie es ist. Warum traf es mich und nicht sie? Ich wünschte, ich wäre sie.
Aber nein, ich bin Erna. Erna Graf, das Mädchen, dem fünf Jahre einfach fehlen. Und ich bin mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt wissen will, was während dieser Zeit passiert ist.
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