[19]
Jisung PoV
Er stand vor mir. Auf einer kleinen Lichtung in dem Wald, durch den er mich schon unzählige Male gejagt hatte. An seinem Messer klebte Blut. Instinktiv wusste ich, dass es meines war. Auch wenn mein Körper nun unversehrt schien, lief das Blut der vergangenen Nächte die Klinge herunter und tropfte zu Boden.
Wenn ich ihn jetzt töten konnte, dann konnte ich zurück zu Minho.
Ohne Angst haben zu müssen.
Weil ich genau wusste, dass ich stärker war als er.
Weil ich wusste, dass ich ihn jeder Zeit wieder besiegen könnte, wenn ich musste.
Wie ein Raubtier stand er mir gegenüber und ich wünschte mir gerade nichts mehr, als einfach die Polizei rufen zu können, die ihn abführte, und dann in Minho's Arme zu flüchten, um die Träume und die Furcht zu vergessen.
"Es musste irgendwann so kommen, Jisungie. Ich wusste, dass du irgendwann auf die Idee kommen würdest gegen mich zu kämpfen. Doch ich denke nicht, dass du gewinnen wirst. Wie oft habe ich dich bereits umgebracht, ohne dass du dich wehren konntest? So hilflos..."
Lino grinste mich an und ich durchsuchte meine Taschen nach einer Art Waffe.
'Das ist dein Traum, Jisung. Du hast die Kontrolle.', sagte ich mir selbst und zog kurzerhand eine Pistole aus meiner Tasche. Ich hatte keine Ahnung, wie die darein gepasst hatte, aber das war ja eigentlich auch egal. Langsam richtete ich die geladene und entsicherte Waffe auf meinen Gegenüber. Das Ding war echt schwerer als es aussah.
"Das wirst du sowieso nicht tun. Dafür erinnere ich dich zu sehr an deinen ach so tollen Minho. Und deine Augen verschließen, kannst du auch nicht. Dann triffst du nicht."
"Ich weiß genau, dass du nicht Minho bist. Du hast es selbst gesagt: Minho liebt mich. Du willst mir nur weh tun und das kann ich nicht mehr zulassen."
"Dann hör auf zu reden und schieß, du Feigling!"
Dies ließ ich mir nicht zweimal sagen.
Die erste Kugel traf seinen Kopf und ich setzte direkt eine zweite in sein Herz. Ich hatte mich lange genug damit gequält, was Lino mir angetan hatte.
Lino sank blutend zu Boden. Es war vorbei. Endlich war es vorbei. Der Schuss in den Kopf hatte vermutlich alleine schon gereicht, um Lino zu töten, doch ich hatte auch den zweiten Schuss noch setzen wollen. Es war einfach etwas, das ich getan hatte, um sicher sein zu können, dass er tatsächlich gestorben war, und weil es sich falsch anfühlte, es nicht zu tun.
Der Körper Lino's löste sich langsam auf und ebenso taten es nun der Wald und die Lichtung.
Erleichtert lag ich in meinem Bett. Ich hatte es geschafft. Ich hatte Lino umgebracht. Damit sollte ich nun frei sein von allen Alpträumen. Eine Euphorie durchfloss meinen Körper und erfüllte mich vollkommen. Felix hatte Recht gehabt und ich würde mich später bei ihm bedanken, doch nun hatte ich zuerst etwas anderes zu tun. Etwas Wichtigeres, das auf keinen Fall bis zum Morgengrauen warten konnte.
Ich sprang auf, zog mir hektisch meine Schuhe an, als meine Mutter im Flur auftauchte.
"Jisungie-Schatz, es ist 3 Uhr nachts. Wo willst du hin? Warum bist du überhaupt hier? Ich dachte du schläfst bei Minho.", sagte sie verschlafen. Es war mir vollkommen unklar, wie sie so verständnislos sein konnte. Jetzt gerade war der perfekte Zeitpunkt, um meine Beziehung zu retten. Das musste sie doch auch einsehen.
"Genau zu dem gehe ich jetzt. Wir haben etwas Wichtiges zu besprechen.", sagte ich breit grinsend. "Schlaf gut, Mama."
Damit verschwand ich aus der Tür und lief, nur in T-Shirt und Jogginghose durch die leeren Straßen zu dem Haus, das mir so vertraut war wie mein eigenes.
Meine Lungen brannten und ich fror, aber das war mir herzlich egal. Immer wieder klingelte ich und wartete auf eine Reaktion, die irgendwann darin bestand, dass Minho's Vater mir die Tür öffnete und mich genauso verschlafen ansah wie meine Mutter zuvor.
"Oh du bist der Verrückte, der hier seit 3 Minuten klingelt, Jisung. Komm rein. Du weißt ja wo Minho's Zimmer ist."
"Danke!"
"Ach ja... Junge Liebe...", hörte ich ihn noch seufzen, bevor er wieder ins Bett ging.
Ich stürmte durch den Flur und bremste vor Minho's Zimmer ab. Vorsichtig öffnete ich die Tür, da ich mir nicht sicher war, ob Minho noch schlief. Minho schlief tatsächlich noch, auch wenn es ein sehr unruhiger Schlaf war. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere und schien einfach nicht aufzuhören.
Langsam ging ich auf sein Bett zu und sprach mit ihm. Was genau das bewirken sollte, wusste ich auch nicht, aber es schien ihn tatsächlich zu beruhigen, denn als ich anfing zu reden, lag er bewegungslos im Bett.
"Hey, Minho. Ich hab dir Morgen eine Menge zu erzählen. Wenn ich könnte, würde ich es jetzt schon machen, aber da du schläfst, vergisst du es sowieso. Deshalb sage ich dir fürs erste nur das hier: Es tut mir leid. Bitte versteh mich. Ich liebe dich."
Mich beruhigte der Anblick Minho's ungemein und ich würde schläfrig. Ohne groß darüber nachzudenken, schlüpfte ich zu Minho unter die Bettdecke und kuschelte mich an ihn, allerdings ohne ihn zu wecken. Durch seine Wärme und seinen leicht beschleunigtem Herzschlag wurde ich noch müder und ich schlief letzten Endes ein. Zufrieden und ohne Alptraum, der mich plagte. Ich konnte nur hoffen, dass Minho mir verzieh, wenn er wusste, was ich mir gedacht hatte, mit ihm Schluss zu machen, und hoffen, dass meine Alpträume mich von nun an in Frieden ließen. Doch jetzt, da ich wusste, ich konnte mich wehren, machte ich mir um Letzteres keine Sorgen. Nur die Erklärung gegenüber Minho konnte ich nicht aus meinem Kopf verbannen.
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