77 | das safehouse.
Wenn die Nacht in den kommenden Stunden um Shell Cottage röhrte, lag Logan auf dem Sofa im Wohnzimmer und sah den Giebeln beim Ächzen zu. Fred und Georges gedämpfte Stimmen waren lange zu einem fernen Hintergrundrauschen geworden, fortgetragen von dem nie ruhenden Wind.
Die Stunden vergingen in einer Unendlichkeit und Logan wusste nicht, dass sie eingeschlafen war, bis sie am nächsten Morgen bei matt einbrechendem Dämmerlicht erwachte.
Georges entlegenes Summen aus der Küche war alles, was von dem Sturm der vergangenen Nacht geblieben war. Und mit ihm Freds aschfahle Haut, gemeinsam mit seinem besorgten Blick, der sie quer durch das Wohnzimmer fand.
Er saß auf dem Sessel auf der anderen Seite des Raumes und sprach alles, was Anklage und Sorge in einem waren, bloß durch seinen Gesichtsausdruck aus.
„Wie fühlst du dich?", fragte er.
Logan schielte an sich hinab. Nur ein distanziertes Ziehen in den Rippen erinnerte sie an das offene Fleisch unter ihrem Pullover.
„Als hätten mich tausend Hippogreife überrannt."
Freds Lippen zuckten.
„Habt ihr etwas vom Orden gehört?", fragte Logan in bemühter Nebensächlichkeit und stemmte sich die Kissen empor.
Das Lächeln, das eben noch auf Freds Lippen gewesen war, erlosch.
„Nichts Neues seit gestern Nacht, nein."
Die Welt war immer noch dieselbe, bloß tobte draußen der Wind nicht mehr.
An diesem Morgen brachte George ihnen ein Frühstück, von dem Logan sich gar nicht traute zu fragen, wo er es aus den Tiefen dieser staubigen Geisterhütte ausgegraben hatte.
„Ist 'ne Art Safehaus", erklärte er bei dampfenden Bohnen und saftigem Speck, der auf ihre Teller tropfte.
Logan wünschte sich, er hätte ein Wort zu der scheußlichen Drachenlederjacke verloren, die hinter ihm an der Stuhllehne hing. Doch für Witze waren selbst die Zwillinge zu erschöpft.
„Ein Notunterschlupf für den ganzen Orden. Hat mal unserer Tante Muriel gehört."
Fred schnaubte. „Wenigstens eine Art und Weise, wie sie sich nützlich macht."
Wenn die Sonne über Shell Cottage den Himmel empor kletterte, wurde das Meeresrauschen zu einer Melodie und als sie nach dem Essen die Fenster öffneten, roch die frische Brise nach herbem Salz und feuchtem Gras. So, wie sich ihre Ankunft gestern Nacht angefühlt hatte.
Als der Mittag sich näherte, verschwand George vor der Haustür im blechernen Nichts. Logan und Fred standen auf der hölzernen Schwelle und sahen seiner Silhouette nach, die im gleißenden Licht verpuffte. Und währenddessen hielt Fred Logans Hand als wisse er, dass er alles sein konnte, was sie nun brauchte. Vielleicht gar noch viel mehr.
Sie standen eine Weile so da, gedanklich bei George, der nur kurz zum Fuchsbau verschwunden war – Bloß nach dem Rechten sehen, damit wir irgendwas erfahren, wisst ihr? Ich pass auf.
Aber trotzdem trug Fred diesen Ausdruck, den Logan eigentlich immer bloß Corben zugeordnet hatte, als sie später am Küchentisch saßen.
„Und du musstest dem Ding folgen? Ausgerechnet jetzt?", schlussfolgerte er, nachdem Logan beglichen hatte, was sie ihm schuldig gewesen war: Eine Erklärung, die über die Rätsel ihrer Briefe hinausging. „Es gibt keine andere Wahl? Du musst es tun?"
Sie wünschte sich, er würde den Kompass zwischen ihnen fokussieren und nicht sie, weil sie nicht die Schuldige war.
„Es kann nur ich", war alles, was sie sagte. Ihre Finger umspielten das Gehäuse.
Auf Freds Miene schloss sich etwas, das der Qual von Umbridges Nachsitzen gleich kam.
„Als die Seele von Robs Vater vergangen ist, hat er den Besitz des Wegweisers an meinen Dad weitergegeben. Und als der starb, gab er ihn an mich."
Fred seufzte: „Und solange wie du atmest, musst du es sein, die ihm folgt."
Im gleißenden Mittagslicht wirkten die Spitzen von seinem knallrotem Haar golden. Wie an dem Morgen nach ihrem Quidditchspiel. Dabei blinzelte er nun mit genau derselben Distanz zu ihr hinüber. Und mit derselben Unergründlichkeit, die Logan wahnsinnig machte.
Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie ihren Arm ausgestreckt und ihn berührt. Fred, seine Finger und die raue Haut. Hätte seine Wärme gespürt, ihn vielleicht zum Lächeln gebracht. Doch Logan wusste, dass er es war, der grade Abschied nahm. Von all den Vorstellungen, die er von ihnen beiden gehabt hatte. Als erkannte er nun, lange nach ihr, dass es für sie keine Zukunft gab.
Vielleicht bauen wir uns ein Leben auf, George und ich. Und vielleicht baue ich dann auch eins für dich.
„Ich werd zu dir kommen", sagte Logan, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten. „Wenn das vorbei ist, schaue ich bei euch im Laden vorbei. Ohne das ganze Blut."
Sie deutete auf die Flecken der vergangenen Nacht, die tief in sein weißes Hemd gezogen waren. Jetzt lächelte er. Sie hatte ihn gar nicht berühren brauchen.
Und Fred musterte sie, reckte seine Finger und fuhr die Risse auf ihrem Handrücken nach. Sah aus als inhaliere er ihre Präsenz, als ließe er zu, dass geschah, was schon immer geschehen war: Jetzt grade bricht es mir das Herz.
Bis draußen ein Knall ertönte. Augenblicklich schoss Fred auf seinem Stuhl herum.
Auf der Wiese vor der Hütte strich der Wind und George materialisierte sich im Sonnenschein. Die Türscharniere knarrten, als er das Haus betrat.
Er war kaum weg gewesen und doch trug er nicht mehr sein Shirt der vergangenen Nacht, die Lederjacke fern, war nun gekleidet in einen alten Pullover seiner Hausmannschaft und brachte den Duft dampfender Kartoffeln mit sich.
„Es geht allen gut", war das Erste, was er sagte, um den starrenden Blicken von Logan und Fred zu begegnen. Trotzdem lag etwas Unergründliches in seiner Miene. „Bis auf Sirius. Er ist wirklich –"
„Wie?"
Fred, der nie sitzen konnte, wenn um ihn herum Unkontrollierbares geschah, stemmte die Hüfte gegen die Küchenzeile. Die Arme so fest vor der Brust als wolle er die Angst darin behalten.
„Bellatrix Lestrange. Ist alles noch unklar, es war mitten im Kampf."
Der Geschmack heißer Bohnen bahnte sich in Logans Kehle zurück. Und aus irgendeinem Grund gelang es ihr nicht, auch nur einen der Zwillinge anzusehen. Stattdessen starrte sie aus dem Fenster, mitten in die gleißende Sonne hinein. Solange, bis ihre Netzhaut brannte und ihre Nägel sich in ihre Ballen bohrten, und versuchte sich krampfhaft daran zu erinnern, was für ein Mensch Sirius gewesen war.
Dabei war alles, woran sie sich erinnerte, sein kerniger Ausdruck und was er gesagt hatte, bevor er verschwunden war: Logan, bleib hier.
Mehr blieb ihr nicht. Nur die Idee eines mottenzerfressenen, seidenen Morgenmantels. Der schmale Schnauzer auf dem einst reinen Gesicht. Starke Hände auf ihren Schultern. Logan, was auch immer passiert, lauf nicht davon. Und all das unausgesprochene Verständnis, das er gewesen war. Und all die Gemeinsamkeiten, die sie nie wieder zurückbekam. Der einzige Mensch der Welt, der sie verstand.
Alles, was sie hätten werden können und nun nie wurden.
„Hat eure Mum was von Rob gesagt?", flüsterte Logan, nachdem sie sich vom ätzenden Sonnenlicht losgerissen hatte. Lichter flirrten vor ihrem Sichtfeld.
„Nein." George nahm ihre Frage hin, ohne sie zu bewerten. „Aber er wird uns hier nicht finden."
„Glaubt ihr, er ist zurück ins Schloss?"
George hatte sich die Schultern bis ans Kinn gezogen und noch nie war er so verloren erschienen. „Mum sgat, Dumbledore ist zurück in Hogwarts. Ginny, Ron, Harry und die anderen ebenfalls. Vielleicht Rob auch."
Für einen Moment, flüchtig und jäh wieder verflogen, glaubte Logan zu wissen, wohin sie musste. Bis sie wieder auf den Kompass vor sich sah. Wie sollte sie zurückkehren, wenn Dumbledore sie ganz woanders brauchte? Würde er mit ihr gehen, wenn sie ins Schloss zurückkam und ihn darum bat? Was hatte man sich innerhalb der vergangenen zwanzig Stunden zu ihrem Verschwinden erzählt? Wussten vielleicht schon alle über sie bescheid?
War von allen Plätzen der Welt nicht ausgerechnet Hogwarts der, an dem man sie am meisten suchte?
„Robs Vater, Rheinar Kalgan, war auch da. Gestern Nacht", hauchte Logan in das Schweigen hinein. Das Bild vor ihrem geistigen Auge von Kalgans ausgemerkelter Gestalt und dem schreienden Rob verstand sie noch immer nicht.
Fred hatte sich von der Küchenzeile abgestoßen: „Wie kann das eigentlich?"
„Sein Körper. Die Todesser haben ihn benutzt", erklärte sie. „Deswegen gab es Spuren von ihm bei meinem Haus. Er war in jener Nacht da und hat meine Familie getötet. Aber er war es nicht wirklich, es war der Imperius."
Mit einem Seufzen schlossen sich Freds Finger um ihre Schulter und sie fragte sich, ob er wusste, dass Sirius' Griff immer so ähnlich gewesen war. Sachte schloss Logan ihre Augen und stützte ihr Kinn gegen seine Hand.
Seine Stimme blieb trotzdem da: „Was ist der nächste Schritt? Was tun wir jetzt?"
Georges Pullover raschelte. „Mum sagt, wir können in den Fuchsbau zurück. Es ist alles sicher."
Als Logan ihre Augen wieder öffnete, blinzelte sie nicht bloß gegen die Sonne an.
„Nein", sagte sie nämlich. „Ich kann das nicht." Ihre Finger fanden den Kompass, ohne hinsehen zu müssen. „Ich muss diesem Ding hier folgen, bis es mich zum Ende bringt. Ich bin mittendrin. Ich kann nicht wieder anfangen."
Freds Hand glitt von ihrer Schulter, weil er es nicht war, der diese Entscheidung stützte.
„Wenn ich den Horkrux finde, zu dem mich dieser Kompass führt, kann alles vorbei sein. Dieses ganze Chaos. Niemand muss mehr sterben, Du-Weißt-Schon-Wer kann - "
„Und wie lang soll das gehen?", fragte er und sein Blick bohrte so fest auf ihr, als versuche er, ihr diese Gedanken aus dem Kopf zu jagen. Dabei musste er doch wissen, wie aussichtslos es war. „Du kannst dich doch nicht ewig durchs ganze Land teleportieren lassen."
„Ich hab keine andere Wahl", befand Logan.
Wieder stand Fred im Sonnenlicht, wieder war er golden.
„Man hat immer eine Wahl", sprach er und erinnerte sie ironisch an sich selbst.
„Dann sehe ich eben die Fehler, die ich mache. Und trotzdem begehe ich sie."
Als Logan eine halbe Stunde später im hohen Gras vor Shell Cottage stand, hatte sich die Sonne bereits gen Horizont gewandt und eine diesige Wolkenfahne zog heran. Sie schmeckte die Gischt bei jedem Atemzug.
„Ich begleite sie."
Logan hörte ihn, drehte sich aber nicht um.
„Fred."
Er und George standen an der Türschwelle und sahen genau wie Logan in die Unendlichkeit des Tages hinein.
„Nein George", beteuerte Fred und Logan musterte, wie ihre Sohlen im Gras versanken. „Ich meins ernst. Ich lass sie nicht alleine gehen."
Sie wusste, dass es egoistisch war. Allerdings wusste sie auch, dass Fred diesen Entschluss gefasst hatte, bevor sie aus der Küche gegangen waren. Sie hatte es in seinen Augen gesehen, in dem endlosen Grün und seinen Lippen, die bloß noch schmale Striche gewesen waren. Er hatte diesen Entschluss lange gefasst, bevor er sie überhaupt das erste Mal geküsst hatte. Er wollte es nicht, doch er konnte auch nicht anders.
Und genau derselbe Frust flammte auch in Logan, als sie seinen Worten lauschte. Sie wusste, dass sie ihn zurücklassen wollte. Wusste, wie sich die Verzweiflung und Angst anfühlte, ihn nicht in Sicherheit zu wissen.
Aber trotzdem spannte in ihr eine noch viel größere Angst bei allem, was kam, alleine zu sein.
„Ich lass dich nicht gehen", kam es von George, die Nägel in das blutverschmierte Hemd seines Bruders gekrallt. „Dann geh ich mit."
„Aber irgendwer muss es Mum erklären."
„Derjenige war ich schon immer."
In der Ferne rauschte die See. Und Fred und George Weasley starrten einander an, tausend Wortgefechte in einem Blick. Bis George die Schultern sinken ließ.
„Ich hab dir was versprochen, Logan", rief er nun zu ihr. „Damals, in Hogwarts."
„Ich weiß", antwortete sie. Erinnerte sich an seinen Blick, bevor er zum Gryffindortisch verschwunden war. Nett, dass du mich für den Zwilling mit mehr Verstand hältst.
„Was soll ich tun?", fragte George sie also nun.
Logan antwortete nicht ihm, sondern sprach zu Fred: „Weißt du, das ist genau das, was ich nicht wollte."
„Ich weiß", entgegnete Fred. „Aber du kennst mich. Ich mach halsbrecherische Sachen gerne. Nicht nur, weil ich wen liebe."
Logan stockte.
Doch Fred zeigte kein Quäntchen Scham: „Aber ausgrechnet dann tu ich es ganz besonders."
Jetzt starrte Logan nicht mehr nur gegen ihren inneren Wiederspruch, sondern auch gegen das unglaubliche Wort Liebe an, das im Wind tanzte wie süße Hoffnung.
„Und wenn ich mit ihr gehe?" George vergrub die Hände in den Taschen. „Du bleibst hier und ich –"
„Bist du verrückt?" Fred lachte heiser. „Komm, lass mich einmal im Leben was Närrisches tun."
Also sah George Logan an. Und Logan sah mit einer Willenlosigkeit zurück, die Erschöpfung gleichkam. Kraftlosigkeit, weil sie sich nicht länger wehren konnte, weil sie Fred doch wirklich bei sich wollte.
Und das verstand George.
„Ich liebe dich, Bruderherz", versprach er also und klopfte Fred auf die Brust.
„Hey", wehrte der, „ich komm zurück."
George blinzelte gegen die Sonne an, geradewegs zu Logan. „Versprich mir, dass du auf ihn aufpasst."
Sie lachte. „Ich bemühe mich."
Mit einem Lächeln, so gewinnend als hätte er sie just um ein Neues im Quidditch besiegt, schritt Fred auf sie zu. Die Ärmel in der Ellenbeuge, die Haare peitschend aus dem Gesicht als wäre er wirklich bereit.
„Ich geb dem Orden bescheid", versprach George. „Und Dumbledore."
Doch Fred baute sich nur neben Logan auf. Als hätte er all die Dinge von eben wirklich einfach so gesagt. Für jemanden, den ich liebe.
„Okay", sprach er und schielte auf den Kompass hinab, den Logan zwischen ihnen hielt. Er deutete in das Land hinein, weit vom Meer entfernt. „Wie geht's los?"
Sie nahm seine Hand, drückte sie fest. Verschränkte sie mit ihrer, den Kompass zwischendrin. Sie hatte noch nicht Ich liebe dich auch gesagt. Doch in diesem Moment dachte sie es ganz fest.
Aber trotzdem dachte sie genau so an Rob. Und wie der sie angesehen hatte, gestern Abend noch. In einem Leben, das schon jetzt ein vollkommen anderes war. Bereit?
„Du bist dir sicher, dass du das willst?", fragte sie Fred.
Er lachte. „Kein Todesser der Welt hält mich von dir fern."
Die Meeresluft brannte sich in Logans Lunge hinein. Flüchtig schielte sie zu George zurück, der in der Tür lehnte und sie gehen ließ. Dann holte sie ihren Zauberstab raus, tippte den Kompass an – Porteo.
Und schon riss er sie fort.
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Da haben wir's: Logan und Fred im Mission-Mode. Hach, die nächsten Kapitel werden ein Schatz! Ich hoffe, dass ihr sie genau so genießen könnt wie ich. Zumindest habe ich's geliebt, sie zu schreiben, so schwer es auch war.
Glaubt ihr, es ist gut, dass Fred Logan begleitet?
Und wie sneaky war bitte seine Liebeserklärung? Ich meine, natürlich müssen sie es sich noch direkter sagen, aber das ist doch ein netter Anfang.
Wohin gehen wir jetzt? Last chance for you to guess. We're on a final countdown. So wenige Kapitel noch.
Also jetzt erst recht unendlich viel Liebe, Ally.
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