71 | give her hell.
Als die Weasley Zwillinge Hogwarts verließen, schimmerte der Himmel über den Ländereien glänzend grau. Und dreißig Minuten, bevor es begann, saß Logan in einem der Lernräume des dritten Stockwerks und rollte ihren Federkiel über den Tisch.
Dieser Morgen war einer jener gewesen, an denen weder Schlaftrunkenheit noch Wachheitszustand greifbar gewesen waren und Logan hatte schon so viel Zeit damit zugebracht, ihre Lippe wund zu kauen, dass sie der metallische Geschmack nach verdünntem Blut seit dem Mittagessen begleitete.
Irgendwo tief in sich musste sie geglaubt haben, von nun an immun gegen Verlust zu sein. Dass sie, nachdem sie ihre Familie hatte loslassen und sich in ein absolutes Nichts begeben müssen, diesen Schmerz nun wenigstens nie mehr empfinden würde. Doch dort saß sie nun, im Westflügel von Hogwarts, und krampfte ihre Finger um die Kante ihres Tisches. Weil sie sich vorbereitete, zu verlieren. Und zwar das letzte Bisschen, das sie nicht mehr verlieren wollte.
Das letzte Bisschen, an dessen Erinnerung sie sich hielt. An den ganzen letzten Abend, den sie mit Fred im Schatten der Kastanien verbracht hatte. Sein vibrierendes Lachen und die süßen Küsse auf ihrer Haut. Beinahe Zuversicht.
Aber trotzdem wartete sie. Ohne wirklich zu wissen worauf – einfach bloß, dass etwas geschah.
Solange – und später auch darüber hinaus–, bis die Spitze eines gefalteten Miniatur-Papierfliegers gegen ihren Hinterkopf krachte. Überrascht sah sie sich um. Brixton und Anne waren in ihren Mondkalendern versunken; Voraussagen von denen keine die Wahrheit trug. Klammheimlich faltete Logan den Zettel auseinander. Die Handschrift kannte sie. Sie war tief in Georges Handrücken eingraviert: Wandvorhang im siebten Stock, Bernold der Bärtige.
Ihr gemurmeltes „Bin gleich wieder da" war kaum zu hören. Stattdessen war sie so rasch auf ihre Beine gesprungen, dass sie kaum blinzelte, bis sie im Zentralgebäude angelangt war. Und vier Atemzüge später, bis sie den Vorhang erreichte.
Der dunkelblaue Stoff zitterte, als Logan ihn einen Spalt breit beiseite schob.
„George?"
Tiefgrüne Augen starrten ihr aus dem Halbschatten entgegen – und schon packte sie ein Handgelenk und zog sie in den Nebengang hinein.
Es war klamm, so wie all die Tiefen Hogwarts, und roch als hätte jemand den Silvestermorgen festgehalten. Eine dunkelbraune Holzkiste prangte inmitten des Ganges und Fred, der hinter einem Dutzend Raketenspitzen hervorlugte, schoss in die Höhe: „Ah, du hast die Nachricht bekommen."
Er klopfte sich den Ruß von den Fingern, Logan musterte ihn.
„Ist es Zeit?", fragte sie.
George sah zu den Raketen, die sich zwischen ihnen aufreihten, bis zu seinem Bruder. „Ich denke, oder?"
„Man soll gehen, wenn es am schönsten ist."
Ein winzig kleiner Teil in Logan flüsterte, dass Fred das auf verschrobene Art und Weise ernst meinte.
„Was habt ihr damit vor?", stellte sie eine der überflüssigsten Fragen, damit sie in den letzten Minuten ihrer Freundschaft nicht schwiegen.
„Warts ab und sieh zu." Fred raffte sich die Ärmel in die Ellenbeugen und stieg über die Raketen hinweg. „Nicht umsonst hast du dir einen Platz in der ersten Reihe gesichert."
Fred gehen zu lassen, bedeutete, ihn womöglich nie wieder zu sehen. Das wusste Logan. Das hatte sie sich in den vergangenen vierundzwanzig Stunden ständig gesagt. Bei jedem Kuss, den er ihr gegeben und bei jeder Anekdote, die er ihr erzählt hatte, während sie im Gras in seinen Armen lag. Sie hatte es gewusst.
Und in diesem Moment fragte sie sich, ob Fred das ebenfalls tat. Denn so, wie er sie ansah, tat er es nicht. So, wie er sie ansah, sprühte er vor Freude, vor Begeisterung, vor Zukunftslust – vor Zuversicht. Und Logan wagte es nicht, auch nur irgendetwas davon ins Wanken zu bringen.
„Wie viele davon habt ihr im Schloss verteilt?" Sie fragte es, als sie die zweite Kiste vor dem schmalen Turmfenster klickte.
George ruckte die Achseln. „Sieben."
„Vielleicht auch acht?"
„Nein, ich glaub es waren zehn."
Sie grinsten. Fred holte Luft: „Bereit?"
Er fragte George, nicht Logan. Vermutlich weil er wusste, dass sie ihm nie mit demselben Enthusiasmus zunicken würde.
„Bereit."
„George?" Logan erkämpfte sich ihre Stimme, bevor er ein Bein aus dem Vorhang schwang. „Danke."
Mit dem blauen Stoff hinter ihm und der Begeisterung im Blick sah er keinen Tag älter aus als vor neun Monaten, als sie sich begegnet waren. Als wäre all das Durcheinander, die Erschöpfung und der Widerstand nie gewesen.
„Hey. Jeden Tag wieder." Und das glaubte sie ihm, bevor er verschwand.
Alles, was blieb, war Fred. Und Logan wünschte sich, mit der Unendlichkeit wäre dies genug. Dabei hatte sich spätestens jetzt der Hauch eines Abschiedes in seinen Ausdruck geschlichen.
Logan wusste, was sie von ihm verlangte, als sie zu ihm sagte: „Versprich mir, dass wir uns wiedersehen."
„Ich versprech es", entschied er trotzdem und schmiegte seine Hand an ihr Ohr. „Keine Todesser halten mich von dir fern."
Und als seine Lippen sie berührten, wusste Logan, sie würde nie wieder vollkommen sein, bis sie Fred Weasley eines Tages wiedersah.
„Mach deine Träume war, versprichst du's?", grinste sie gegen seinen Kuss, noch bevor sie ihre Beherrschung verlieren und seinen Körper enger zu ihrem ziehen konnte, weil so bloß ihre Stirne aneinander blieben. Blau in Grün, Grün in Blau. Feurige Lebenslust in bebende Angst. Bis in die Unmöglichkeit und wieder aus ihr zurück.
„Natürlich, Logan." Und wieder küsste er sie, flüchtig nur, als wolle er versiegeln, was ihr sonst vielleicht über die Lippen gekommen wär. „Das hier ist kein Abschied, verstanden?"
„Verstanden."
Trotzdem inhalierte sie seinen Atem wie Zimtgeschmack.
„Also", sagte Fred. Küsste sie ein letztes Mal, mit einem Versprechen nach so viel mehr. „Bis später, dann."
Das waren die Worte, mit denen er verschwand. Und das Zwinkern, mit dem sie sich seine Liebeserklärung vorgestellt hatte. Dabei war die Tatsache, dass er sich von ihr zu einem Abschied hinhalten ließ der größte Liebesbeweis, den Fred Weasley ihr jemals erbringen würde.
Und so schoss sein Zauber knapp an ihr vorbei, traf die Box am Fenstersims, dessen Schnur zum Ende raste. Das Glas klappte auf, die zweite Schnur zündete sich an, und Logan folgte ihm aus dem Gang hinaus. Gerade noch rechtzeitig, um ihn mit George gemeinsam die Treppen hinunterrasen zu sehen, als irgendwo hinter ihnen der erste Schuss ertönte. Gemeinsam, mit dem Herbeisausen zweier Besen, die ihr Gepäck im Anschluss trugen.
„Fred?", rief Logan, bevor er auf seinen Besen sprang.
George schoss bereits in die Höhe, doch Fred sah sich um.
Irgendwo in der Ferne explodierte ein Raketengeschoss; eine Klassenraumtür jagte auf.
Doch Logan sah nur ihn. „Wir sehen uns."
„Ich weiß", rief er zurück. Spannte seine Brust und atmete Hogwartsluft. Ein aller letztes Mal. „Ich warte auf dich."
Und dann jagte er davon.
Fred und George Weasley verließen Hogwarts mit einem Knall. Mit einem Knall, der letztendlich das Durcheinander unzählbar vieler war. Ein Knall aus bunten Farben, grellem Konfetti, das noch wochenlang in den Fluren liegen würde, und einem Verschwindesumpf, über den Umbridge bis zum Ende ihrer Amtszeit nicht hinweg kam.
Das ist der Wahnsinn, Mathilda, hast du das gesehen?
Fred und George Weasley verließen Hogwarts mit einem Knall. Und Logan stand im Flur des siebten Korridors und sah ihnen nach. Wie sie sich ihre Besen schnappten und durch das Treppenhaus schossen. Bis das Adrenalin sie erfasste und ihre Füße sie trugen. Hinaus in den Innenhof, mitten in die aus den Klassenzimmern strömende Masse hinein.
Dabei erleuchtete das Feuerwerk den Himmel so grell, sie konnten keine Zeugen eines Abschieds sein.
Und nicht einmal das Chaos um sie ergab einen Sinn; nicht das Knallen, Krachen, Johlen, die rennenden Schüler, wehenden Haare, donnernder Applaus. Raketen, die Flint und Janette über den Innenhof jagten; Trelawnys Schal, der von knallenden Bomben über den Pflasterstein verschleppt wurde, Konfetti, das auf die Zinnen rieselte und Logan, die hin und her gerissen zwischen Sehnsucht und Freude, Ekstase und Panik gar nicht verstand, dass sie gehen ließ; dass sie Abschied nahm.
„Mr. Weasley, Mr. Weasley, ich verbitte mir diesen Tumult!"
Professor Umbridges Stimme ertrank unter den Raketengeschossen, egal wie laut sie krakehlte.
„Wir verbitten uns ganz andere Dinge, Professor."
„Sie beide werden lernen, was mit Taugenichtsen an meiner Schule passiert!"
Die Schleife war längst aus Umbridges faden Locken gerutscht, sie tauchte unter einem Feuerwerkskörper hinweg –
„Weißt du, Georgie, ich glaube, unsere Stärken lagen schon immer außerhalb einer akademischen Laufbahn."
„Fred, ich hab mir grad genau das selbe gedacht."
Und fast konnte Logan sich einbilden, als Fred ihr quer über den grellen Himmel hinweg zuzwinkerte, dass sie ihn an diesem Nachmittag doch nicht verlor. Nicht wirklich vielleicht.
Solange, bis sie Anne und Brixton wiedertraf.
Solange, bis Jubelschreie aus der Menge ertönten, Applaus die Korridore erwog und Spitzhüte in den bunt gefleckten Himmel sausten. Solange, bis Fred und George durch das Portal über den Innenhof in die Lüfte jagten, sie am Horizont standen und sich umsahen, ein letztes Mal –
„Mach ihr die Hölle heiß von uns, Peeves!"
Und Fred johlte, bevor er im gleißenden Frühlingsgrau aus Logans Leben verschwand.
Letzten Endes wusste Logan nicht, wie lange sie dort stand. Inmitten ihrer Klassenkammeraden und ihre Augen vor dem Tageslicht schirmte. Es war solang, dass sie sich die zwei dunklen Flecken am Horizont nicht mehr einbilden konnte. Solang, bis die Abstände, in denen der Himmel in knallbunten Farben ergoss, seltener wurden.
„Das wars, oder?", ertönte eine Stimme hinter ihr. Sogar Corben und Naome waren aus Arithmantik ausgebrochen. Corben blinzelte in die Wolken hinein. „Sie sind wirklich weg?"
Aus dem Augenwinkel sah Logan, wie eine Drittklässlerin unweit von ihnen herzhaft in eine Kanariencremeschnitte biss – irgendwo über ihnen entbrannte ein Regenbogen und plötzlich sauste ein quietschgelber Vogel durch die Luft, den schallendes Gelächter begleitete.
Zufrieden sah Logan ihr nach.
„Ich fürchte, so richtig sind sie niemals weg."
Der Tag, an dem Fred und George Weasley Hogwarts verließen, war wie ein helles Versprechen besserer Tage in einer finsteren Nacht. Und Logan hatte selbst das Gefühl, dass immer noch ein Teil davon in ihr schien, als sie am nächsten Abend im Schlafsaal saß und in einem Kapitel über Werwolfbeschwörungen las. Auch, wenn sie sich auf keinen der Sätze wahrhaft konzentrierte.
„Und?", ertönte Anne als die Paragraphen des sechsten Kapitels zum unzähligsten Mal vor ihren Augen verschwammen. „Wie kommst du voran?"
Annes Matratze knarrte, als sie sich darauf niederließ, und Logan musste blinzeln um sich an die Distanz zu gewöhnen.
„Es geht", seufzte sie und ließ den Einband um ihren Daumen zufallen. Trotz ihrer Verbissenheit hatte sie erst ein gutes Drittel geschafft. „Darin zu lesen, ist wie seine schlimmsten Albträume zu durchleben, ohne dass man wegsehen kann."
Sie rollte ihre Lippen so heftig übereinander, dass das Blut daraus entwich. Als könne es die Bilder vor ihren Augen über Gebeinriten und Todesmäler aus ihrem Gedächtnis verbannen. Doch als sie ihre Lider wieder hob und aus dem Fenster sah, waren die Vorstellungen noch immer da.
„Ich weiß gar nicht, wie Rob das schafft."
Alles, was sie von ihm wusste, war, dass er sich in einem Kapitel über Klonzauber und ungewollte Extremitäten verloren hatte.
Naome, die mit zerzaustem Haar aus dem Bad gestackst kam, schnaubte. „Ach der hat doch schon immer eine ziemlich masochistische Seite an sich gehabt."
Ein klein wenig wünschte Logan sich, sie hätte ihr widersprechen können, doch stattdessen schmunzelte sie.
„Vermisst du ihn?", fragte Naome dann, als sie eine Weile nichts gesagt hatten und Logans Daumen in der Buchmitte zu kribbeln begonnen hatte; nun ächzte auch ihre Matratze.
Logan sah auf. „Wen?"
Nur, weil sich ihre Augen an das Licht im Schlafsaal gewöhnen mussten, merkte sie, wie fest sie in die Nacht hinausgestarrt hatte.
Naome lächelte bloß, weil es offensichtlich war.
Da antwortete Logan: „Ja." Und das stimmte. „Sehr."
Fred und George Weasley verließen also Hogwarts. Sie verließen Hogwarts, bevor sie ihren Abschluss erreichten und bevor Umbridge oder Filch sich an neu erdachten Bestrafungsriten vergnügen konnten.
Sie verließen Hogwarts, auch wenn Logan sich ab dann an in jeder einsamen Stunde, bei jedem Vortrag von Professor Binns und jedem Blick in die Große Halle nach ihnen sehnte. Sie gingen, weil sie mussten, und Logan verfing sich an ihnen, weil sie nicht anders konnte.
Und so strichen die Tage dahin. Klammheimlich wartete sie auf eine Eule, von der sie wusste, dass sie vielleicht niemals kam, und traf sich jeden zweiten Tag in zwielichtigen Augenblicken, um mit Rob zu protokollieren, wie nah sie endgültiger Verzweiflung waren.
All das, nachdem Fred und George Hogwarts verließen.
Denn Fred und George verließen Hogwarts, und der Kompass in Logans Jackentasche blieb. Sie verließen Hogwarts, und die Sonne schien und der Regen fiel und Logan war wieder ein klein wenig mehr allein. Allein vor einem Rätsel, das womöglich auf ewig aussichtslos war.
Solange, bis Rob sie eine Woche nach Fred und Georges Verschwinden am Umhangkragen packte.
Logan erstarrte so abrupt auf ihrem Weg in den Gemeinschaftsraum, dass ihr fast die Luft wegblieb – „Rob!"
„Ich weiß es."
Das Blau seiner Augen starrte geradeaus. Das Zischen seiner Worte jedoch blieb.
„Was – ?"
„Ich habe die Antwort." Mehr Zeit ließ er ihr nicht. „Kapitel sieben. Um drei im Gewächshaus."
Und damit war er verschwunden.
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Oh. Haha. Fieser cut, ich weiß.
Aber bei dem Abschied von den Zwillingen wurd ich so ein bisschen wehmütig. Es hat mir so Spaß gemacht, sie in Hogwarts zu schreiben und jetzt ist das vorbei. Zeit, für eine neuere Ära.
Wo wir auch wieder bei Logan und Rob wären. Kapitel sieben, worum es da wohl geht? Die meisten von euch liegen ja schon auf 'ner guten Spur, aber was das alles wirklich bedeutet, erfahren wir wohl erst nächstes Mal, um drei, im Gewächshaus. Rob muss nämlich seine Begonien schneiden.
Danach kommen übrigens auch mal wieder zwei Updates die Woche, anders halte ich es mit den nächsten paar Posts nicht aus.
Die wichtigen Fragen kommen auch erst zum nächsten Mal, deshalb heute nur: Wie geht's euch?
Und, vielleicht noch: Glaubt ihr so wie ich, dass Logan kurz davor war, Fred 'Ich liebe dich' anstatt 'Wir sehen uns' zuzurufen? This idea lives in my head rent free. Noch haben sie es ja nicht gesagt.
Danke für eure Kommentare, eure lieben Worte, eure Motivation. Ich bin euch so unendlich Dankbar.
Ganz viel Liebe für alles, was noch kommt. Ally x
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