68 | rebellion.

Wenn an Frühlingsabenden wie diesen die Sonne tief über den Baumwipfeln von Hogwarts stand, warfen ihre Lichtstrahlen goldene Farbenspiele in das Gras als könne die Welt eines Tages eine bessere sein.

Dann war die Luft lau und das Sommerversprechen klar. Und heute saß Fred unter den Kastanien am Seeufer, die sich unter dem matten Himmelrosagold zwischen Hagrids Hütte und dem Quidditchfeld entlang reihten, und hielt Logan in seinem Schoß.

Der Tag war in einem milchigen Sorgenschleier vorbeigezogen. Nach ihrem Gespräch mit George hatte sie Stunden damit zugebracht, ihr Für und Wieder abzuwägen. Rob nach Auswegen zu fragen – Vergiss es Logan, wir brauchen wirklich dieses Buch. 

Solange, bis am Nachmittag nichts übrig geblieben war außer eine Sorgenfalte auf ihrer Stirn, über die Fred gelacht hatte – Komm schon, was glaubst du wird passieren wenn sie es erfahren? Sollen sie die Auroren rufen? George? Der wird mir höchstens eine reinhauen.

Das hatte Logan Fred erst nicht geglaubt. Aber hier, am Seeufer, erschien ihr plötzlich alles weniger fatal – Du musst dringend mal an was anderes denken.

„Gus war also bei den Dragons, hm?" Das raunte Fred ihr mit süßer Leichtigkeit zu.

„Hmmm", machte sie und zog einen Halm durch ihre kühlen Finger hindurch. „Du und Gus, ihr hättet euch verstanden."

Ganz nah an ihrem Nacken spürte sie, wie Fred eine amüsierte Grimasse zog.

Also betonte Logan: „Mit meinem Vater auch."

Jetzt lachte er laut. „Bist du dir sicher? Ich glaub eher, er hätte mich fertiggemacht."

Überrascht fuhr Logan herum.

„Ich mein", erklärte Fred, seine Stimme so verschwörerisch kratzend, dass es beinah ein Geheimnis war: „Ich bin ein Tunichtgut. Und er ist Irlands Vizeminister. Ich hab was mit seiner Tochter. Ist das nicht verboten?"

Jetzt kräuselten sich auch Logans Lippen tief in Freds Hemd hinein. Seine lose baumelnde Krawatte war wie all seine übrigen an der Spitze versenkt.

„So sind sie nicht. Wenn du sie gekannt hättest, würdest du's verstehen." Belustigt strich Logan mit dem Halm über den Reißverschluss seiner Jacke hinab. Jedes Heben und Senken seiner Brust war blendender Balsam, schläfrige Ruhe.

Mittlerweile war es neun Monate her, dass sie mit jemandem über ihre Familie gesprochen hatte. Sirius hatte bloß einmal und danach nie wieder gefragt. Fred fragte ständig und mit jedem ihrer Treffen mehr. Und Logan liebte alles daran.

„Mein Bruder John hätte dich verehrt."

Fred hob eine Braue. „Na den hätte ich gern kennengelernt."

„Du hättest ihm Feuerknaller in seiner Weitschusskanone installieren müssen." Logan zog eine dramatische Grimasse. „Vielleicht umso besser, dass ihr euch nie begegnen müsst."

Fred lachte.

„Du vermisst sie", flüsterte er dann.

An Abenden wie diesen Lag das Gefühl dunsener Unendlichkeit um das Schloss. Und hier, im Versteck der Kastanienknospen war Fred so schamlos ihrs, dass sie die Berührung seines Körpers kaum begriff.

Er führte sie nicht oft hier her. Doch wenn er es tat, dann lag Logan jedes Mal danach wach in ihrem Bett und speicherte all die Wärme, die er zurückgelassen hatte. Damit sie gewappnet war, wenn Fred eines Tages wirklich ohne sie Hogwarts verließ. Oder sie es ohne ihn.

Heute hingen seine Worte in der Frühlingsluft nach. Du vermisst sie.

„Unendlich."

Logan hatte einen Moment nachgedacht, auch wenn es gar nicht in Frage stand. Sie vermisste ihre Familie in jeder Sekunde, die verstrich. Jeder Gedanke an sie sickerte durch ihren Kopf wie Blut aus einer pulsierenden Wunde. Jeder Klang ihrer Namen schmeckte wie Gift. Aber trotzdem inhalierte sie sie jedes Mal.

„Hast du's gesehen?"

Es war das erste Mal, dass Fred das fragte. So leger und unbedeutend, wie er auf die stumme Seeoberfläche starrte als wäre es eigentlich kaum von Belang. Dabei erkannte Logan, dass er ihr gerade ein Angebot machte.

Das Angebot, zum ersten Mal den Schrecken einer Erinnerung nicht mehr nur mit sich selbst zu teilen.

„Ich weiß es nicht", sagte sie also und ging in dem Schutze Freds warmer Arme an den Moment zurück.

Wenn sie in einsamen Augenblicken die Lider schloss, war sie diesen Szenen nie gewappnet. Jetzt schon. Jetzt keimte in ihr ein Licht das stark genug für Widerstand war.

„Vielleicht", korrigierte sie dann. Sie sah Augustus Gesicht vor sich, schärfer denn je. Den verzerrten Schrei, den er nie schrie und der in Schutt verpuffte. Den Kompass, der in ihre Hände glitt und das gleißend grüne Licht, das ihren Bruder rücklings niederstreckte. „Sie kamen plötzlich."

Die Lichter des Schlosses waren wässrig geworden.

„Ich hatte meinen Zauberstab nicht bei mir. Sie kamen und ich hatte ihn nicht. Ich weiß gar nicht, was ich mir gedacht hab, dass ich ohne ihn –"

„Du warst zuhause. Du hättest ihn nicht brauchen sollen."

„Sie haben Gus mit einem Avada getötet. Einfach so." Das war das erste Mal, dass Logan es aussprach, die Bilder vor ihren Augen in Worte hüllte. Sie standen in der Luft und hingen nach wie der bittere Duft einer ausgepressten Limette. Brannten bis an ihr Kinn. „Kannst du dir vorstellen, wie das Leben aus Menschen herausgeht? Wie es aus jemandem heraussickert?"

Freds Herzschlag hallte in ihrem Oberkörper nach und nur das beruhigte sie.

„Nein", sagte er also, nachdem er wirklich überlegt hatte.

„Ich frag mich", wisperte Logan, klemmte ihre Kiefer zusammen. „Ob ich – wenn ich in der Schule besser aufgepasst hätte. Wenn ich besser im Duellieren gewesen wäre, wenn ich die Welt ernster genommen hätte –"

„Du hättest es nicht mit Todessern aufnehmen können." Fred sagte das so zweifellos und glasklar, dass es Logan befreite. Dass es ein Tor ihres Glaskerkers aufstieß, durch den plötzlich Luft eindrang. „Es ist nicht deine Schuld."

„Manchmal fühlt es sich so an."

„Ist es aber nicht." Fred strich das Haar aus ihrem Nacken fort, damit er sie küssen konnte. Leicht und sachte und ein Versprechen. Als Teile er ihren Schmerz. Nicht in der Hälfte, doch etwas nahm er mit. „Ich bin mir sicher, das würden sie dir auch sagen."

Logan war tief in seine Jacke gesunken. Die erleuchteten Fenster Hogwarts nun bloß noch zerfließende Flecken.

„Du wirst sie nie kennenlernen."

Diese Erkenntnis keilte sich in ihr Zwerchfell. Aber Fred lachte sie davon.

„Doch", hauchte er und grinste frech. „Wenn du mir weiter so penetrant von Augustus Flugkünsten erzählst, bis es mir aus den Ohren raushängt – dann irgendwann schon."

Logan redete sich gerne ein, dass Fred genau wusste, was er tat, wenn er sie an diese fernen Orte entführte. Raus aus dem Trubel der Hallen, hinter Wandvorhänge, in Geheimgänge, unter die Kastanien am See. Dort wo niemand sie fand als gehöre ein Teil ihres Lebens wirklich noch ihr.

Dabei nahm er sie am Ende aber auch immer an die Hand und führte sie ins Schloss zurück. Arm um ihre Schulter, Lippen in ihrem Haar. Und ließ sie am Ende trotzdem in die Welt zurückgehen, der sie beide nicht gewappnet waren.

George hatte sie für den Rest des Tages mit spekulativer Miene und süffisant gespitzten Lippen bedacht. Balancierte den ein oder anderen kecken Versuch, nicht doch noch eine Wahrheit frühzeitig aus Logan herauszukitzeln, jeder Zeit auf der Zunge. Doch als der Abend ums Schloss sank und Fred Logan zum Ravenclawtisch entließ, war noch immer derselbe Tag und George hatte sich fürs Warten entschieden.

Das war seine Art und Weise, ihr Respekt zu zollen.

„Wo kommst du denn her?", fragte Naome sie bloß barsch, als Logan sich mit vor Kälte geröteten Wangen an ihren Tisch fallen ließ und sich eine extra große Schwarzteeladung eingoss.

„Von den Ländereien, kannst du's nicht sehen?", erwiderte Anne an Logans Stelle resigniert und blätterte ihre Wahrsageaufgaben durch.

Naome zupfte missmutig ihr Brot zurecht. Corben, der abseits von ihnen saß und mit Brixton Schach gespielt hatte, sah sie nicht an. Aber er musterte Fred.

„Wir müssen vorsichtiger sein", beteuerte Rob Logan am nächsten Morgen als sie sich in den Kerkern über den Weg liefen. Er auf dem Weg zu Hagrids Hütte, sie hinab zu Snape. „Er ahnt was."

„Er wäre nicht Corben, wenn er nichts ahnen würde", war alles, was Logan dazu einfallen wollte. Als fühlte sie sich nicht schlecht genug, ihn während Zaubertränke und Verwandlung anzuschweigen, weil ihnen die Gesprächsthemen fehlten. Weil die Distanz besser war.

„Logan." Rob kaute nervös auf seinem Zigarettenfilter. „Ich will ihn echt nicht in der Nähe von diesem Teil haben."

Sein Kopfnicken in Richtung ihrer Umhangtasche reichte. Der Kompass war in den letzten Tagen schwerer als Blei geworden.

„Ich weiß, ich hab's verstanden", beteuerte sie. „Ich doch auch nicht."

Trotzdem musste sie an die Momente denken, an denen er an ihr vorbeizog. An den Abenden im Gemeinschaftsraum, an denen er sich nicht zu Naome, Anne und ihr fallen ließ, so wie er es früher getan hatte. An die Tage im Kesseldunst, an denen er nicht sein Buch mit ihr teilte.

„Bereust du's manchmal?", fragte sie Rob, nachdem sie einen Moment aneinander vorbei gestarrt und an genau dasselbe gedacht hatten. „Dass wir ihn damals mit reingezogen haben?"

Damals hatte Logan sich bei den Gormocks sicher gefühlt, weil Corben dagewesen war. Heute kam ihre naive Schutzsuche egoistisch vor. Alles, was sie mit Corben McLaggen getan hatte, war egoistisch gewesen, doch diese Erkenntnis minderte nicht die Wirklichkeit. Das hatte sie lange genug gehofft.

„Ja", sagte Rob schließlich, als es über ihnen zum Unterrichtsbeginn läutete. „Jeden Tag. Aber wir haben es nicht besser gewusst."

Und vielleicht war das auch eine Wahrheit, die sich einzugestehen überfällig war.

Was nicht hieß, dass Corben McLaggens Geduld nicht an einem dünnen Seidenfaden hing. Einen, dessen sich androhende Reißstelle jedes Mal gefährlich blitzte, wenn ihre Blicke einander begegneten, er aber am Ende doch nichts sagte.

Wenn er sie zwischen den Stunden musterte, wenn Freds Hand ihre streifte oder wenn er ihr seinen Tintenkelch lieh, obwohl er wusste, dass ihrer in ihrer Tasche lag. Ein lachhafter Versuch, Konversation zu betreiben; Normalität vorzugaukeln.

Also war es am Ende bloß eine Frage der Zeit. Oder eine Frage des richtigen Momentes. Oder eine Art von Corben McLaggens grandiosem Timing, als er Logan genau an dem Vormittag, an dem sie sich auf ein Gespräch mit Naome, Anne und George vorbereitete, nach Verwandlung aus der Menge griff.

Er hatte ihren abwesenden Blick stundenlang an diesem Morgen beobachtet.

„Was heckt ihr aus?"

Seine Stimme war zwar gedämpft und er war noch mitten drin, das Pergament- und Bücherchaos in seiner Tasche zu bewältigen, aber trotzdem war genug Anspannung da, dass seine Worte zitterten.

„Hm?", machte Logan und schritt galant über den Treppenabsatz zur Großen Halle hinweg, spaltete sich vom Schülerstrom ab.

Corben packte sie am Arm, sie blieben stehen. „Du und Rob –"

Die übrigen Schüler teilten sich um sie als spalteten Corben und Logan die Welt.

„Ihr heckt was aus."

„Corbs."

„Logan." Er trat auf sie zu. Es war als hätten sie dieses Gespräch in den vergangenen Tagen tausendfach bloß durch ihre Blicke geführt. Logan sprich mit mir; nein.

„Ich hab Rob schonmal eine Dummheit begehen lassen, ich lass keine zweite zu. Erst recht nicht, wenn du dabei bist."

Die Worte ballten sich wie Ballast um ihre Brust. Kniffen in ihr Zwerchfell –

„Also, was plant ihr?"

„Gar nichts." Trotzdem hielt Logan daran fest. Bemühte sich, hinter Corbens starrem Grau Robs entschlossenes Blau zu sehen. Auch, wenn es ihrer Kehle alle Feuchtigkeit entzog. Wenn er sie ausdörrte wie die Wüste der Sahara. „Wir planen nichts."

Corben stemmte sich zurück. Und alles an ihm schrie nach Protest. Nach Frust und nach etwas, das noch viel entsetzlicher war: Gebrochenem Vertrauen.

Und weil Logan das nicht mit ansehen konnte, wandte sie sich zum Gehen.

„Wenn es mit Maden Bolton zu tun hätte –"

Corben rief ihr so laut hinterher, dass Logan sofort festfror.

„– würdest du es mir sagen, oder? So weit würdest du mir vertrauen, nicht?"

Auch, wenn in Corbens Blick bloß aufrichtige Verzweiflung lag, wurde ihr schlecht.

Selbst, als er viel gedämpfter nachsetzte: „Wenn es stimmt, was alle sagen, Logan, wenn du wirklich ihre Komplizin bist, wenn du sie deckst und ihr helfen willst – Lass mich, erklär mir doch –"

„Corbs."

„Deckst du ihr den Rücken?"

„Corben."

„Logan, ich habe ein Anrecht auf die Wahrheit."

Noch nie in ihrem Leben hatte sie Corben McLaggen hilflos gesehen. Nicht, als Harry Potter ihnen den Schnatz vor der Nase weggeschnappt hatte. Nicht, als die Scouts gegangen waren. Nicht einmal, als sie ihn für Fred gehen ließ. Nicht einmal dann. Nur jetzt. Dabei sah er doch bloß sie.

„Merlin, Logan, ich verdien 'ne Antwort. Verdammt nochmal, ich –"

„Ja?"

Das Ende dieses Satzes verschluckte er. Und auch, wenn Logan ihn so herausfordernd ansah, wusste sie, wie er hatte enden sollen. Denn es reichte, sein Herz in seinen Augen brechen zu sehen; liebe dich.

Also holte Logan Luft. Blendete das Kribbeln in ihren Wangen aus. Den Frust und die Angst und den Schmerz, weil sie für Corben McLaggen niemals gut und erst recht nicht die Richtige war.

„Das, worauf du ein Anrecht hast, Corben", es kostete ihr alle Kraft, vor ihm zu stehen und vor berstender Schuld nicht in seine Arme zu fallen, „ist Sicherheit. Und die gebe ich dir."

Corbens Kiefer verhärtete sich.

„Ich habe so viel falsch gemacht. Ich bin so unfair gewesen. Aber das hier nehme ich dir nicht. Deine Zukunft. Also reicht es, wenn du weißt, dass ich nicht Maden Boltons Komplizin bin. Die Gerüchte kannst du dir sonst wohin stecken."

Ihre Fingerkuppe, die sein Hemd berührte, bebte. Und in Corbens Augen brannte etwas, das mehr als Wut und Unverständnis war. Der selbe salzige Schmerz schwamm auch vor ihr.

„Aber ich werde dir nichts verraten", beteuerte sie. „Du hast so viel Besseres verdient als mich, verstanden?"

Er schnaubte. „Für diese Schiene ist es lange zu –"

„Merlin, Corben McLaggen!" Sie schmetterte die flache Hand vor seiner Brust, weil er trotzdem näher kam. „Wirst du je verstehen wie wichtig du bist? Für mich, für die ganze Welt?"

Er schüttete den Kopf. Aber selbst, wenn er das nicht hören wollte, musste er es: „Ich will dich nicht in meinem Umkreis, wenn ich in die Luft gehe, verstehst dus'?"

„Aber Fred willst du schon? Und Rob und George und Naome? Auch Anne? Die können da sein?"

Der Korridor um sie war lange vereinsamt. Die trommelnden Schritte, die sie jetzt noch in der Ferne hörten, könnte genau so gut Frühlingsregen sein. Oder ihre Leben, die für immer voneinander brachen.

„Glaubst du wirklich, ich hätte euch nicht gesehen?" Er flüsterte es nur, doch jedes bebende Wort war so schwer, es zog sie bis auf den Grund des schwarzen Sees. Und sie wusste sie hatte es nicht anders verdient. „Ich bin nicht dumm, Logan. Ich sehe, wie er dich küsst."

„Corben."

Sie war grade schnell genug, um sein Handgelenk zu fangen, bevor er ging. Falsche Haut, falsches Gefühl.

„Corben, Fred ist –"

„Vergiss es, okay?" Er riss sich los. Und ging trotzdem davon. Auch wenn das Hintergrundtrommeln Schülertrippeln war und es draußen gar nicht regnete. Auch wenn die Sonne schien; die Welt müsste brechen an dem Tag an dem Logan Corben McLaggen verlor. „Vergiss es einfach."

„Ich wollte dir nicht weh tun."

Es war wichtig, dass er wenigstens das verstand. Doch das tat er nicht.

„Das hast du nicht", sagte er nämlich. „Dich zu wollen ist schon immer meine Wahl gewesen."

Und mit diesen Worten ging er. Als könnte es eine Entscheidung sein, an wen man sein Herz verlor. Dabei wusste er nicht und würde es nie wissen, dass Logan ihr Herz ihm gegeben hätte, vor einiger Zeit, hätte sie es je gekonnt.

Doch jetzt war er nur eine Silhouette, die sich im gleißenden Frühlingslicht am Ende des Korridors verlor.

„Verdammt Corben, kannst du mich nicht einfach hassen?", schrie sie ihm nach, weil das die Welt so viel einfacher machte.

Dabei war Corben nicht hier, um die Welt leichter zu machen. Er machte sie gut. Also drehte er sich um. Verzog ausdruckslos das Gesicht.

Logan flüsterte: „Ich hasse mich nämlich selbst."

Und Corbens Lippen verzogen sich. „Findest du nicht, dass das schon reicht?"

Die Sonne schien grell, als er in den Gängen verschwand.

Beim Mittagessen vergrub Logan den Kopf zwischen den Knien.

„Das ist Corben."

Von hier aus hörte sich Robs Stimme seltsam dumpf und weit entfernt an, dabei nuschelte er doch nur gegen einen weiteren Zigarettenhalm. Den zuvielten, den er in dieser Pause rauchte.

„Der ist gar nicht fähig, jemanden zu hassen." Mit dieser Erkenntnis aschte er auf den Boden. Und schob Logan das Baguette zu, das er vom Slytherintisch hatte mitgehen lassen.

Ergeben griff sie danach.

„Es würde einige Dinge leichter machen, wenn er's täte", seufzte sie.

„Wem sagst du's." Rob riss sich die andere Hälfte des Brotes ab. Zupfte einen Fetzen hervor, steckte ihn sich hinter die Zigarette in den Mund.

Logan hatte aufgehört, ihm zu beteuern wie ekelig das war. Sei nicht wie Naome, sagte er immer nur.

Also saßen sie bloß nebeneinander und schwiegen einander an. In dieser seltsamen Phase, in der ihre Abschlussprüfungen noch viel zu weit entfernt, aber die theoretische Idiotie eines selbstzerstörerischen Plans greifend nah war, schmeckte die Frühlingsluft trügerisch.

„Hast du dich eigentlich entschieden?", fragte Rob nach einer Weile als wolle er auch nicht weiter darüber nachdenken, wie abstrus all das war. „Wie wir sie rumkriegen?"

Logan wusste genau, wovon er sprach. Also kramte sie einen Zettel hervor, den sie heute während Wahrsagen ganze sechs Mal neu geschrieben hatte. Rob musterte ihn im Mittagslicht.

„Was willst du ihnen sagen?"

Logan kaute auf dem Baguette. „Die Wahrheit."

„Alles?"

„Alles." Logan blinzelte zu ihm.

„Hast du nicht Angst?"

Diese Frage war überflüssig. Angst hatte Logan in den vergangenen Monaten ständig gefühlt.

„Was glaubst du ist das Schlimmste, das passieren wird?", fragte sie Rob. 

Der grinste bloß in den Mittagshimmel. „Gar nichts." Damit schlang er den letzten Happen seines Baguettes hinunter. „Naome wird dich fertigmachen. Aber sie ist kein Mensch, den du einfach so verlieren kannst. Das hab nicht einmal ich geschafft."

Den ganze restlichen Nachmittag überlegte Logan, wie sie die Nachteile dieser Entscheidung, Naome, Anne und George in ihre Wahrheit einzuweihen, stärker in den Fokus rücken könnte. So stark, dass sie sich vielleicht letzten Endes doch dagegen entschied. Dabei sah auch Rob wirklich keine andere Wahl. Immerhin hatte er sich langsam mit Zynismus abgefunden.

Also fing Logan Naome und Anne am nächsten Morgen am Frühstückstisch ab, bevor auch nur eine Spur von Corben oder Brixton in der Großen Halle zu erahnen war.

Und alles, was Logan tat, während Naome geistesabwesend in ihrem Tagespropheten blätterte, war, ihr einen Fetzen Pergament zuzuschieben.

3. Stock, Verwandlungsflur. Westflügel. 16:00 Uhr.

Perplex hatte Naome den Zettel über dem Dampf ihres Tees hin und her gedreht. „Das Ruinenzimmer? Dein Ernst?"

Doch dazu hatte Logan bloß geschwiegen und unbehelligt ihren Joghurt gelöffelt. Ihr Blick hatte gereicht: Vielleicht ist jetzt die Wahrheit dran. Und all das, ohne auf die Doppelseite des Tagespropheten zu schielen, von der Maden Bolton aus an die verzauberte Sonnenscheindecke der Großen Halle starrte.

„Bei Merlins geblühmten – !"

Es war punkt sechzehn Uhr, als Anne Naome auf die Füße trat.

Sofort dämpfte sie ihren Tonfall: „Du willst, dass wir was tun? Sich mit dir anzufreunden ist echt ein Fehler, Ainsley!"

Logan stand mit dem Rücken zur Klassenzimmertür inmitten des Ruinenraumes und starrte ihrer Freundin in ihr aalglattes, fassungsloses Gesicht.

„Ihr seid zu rein gar nichts gezwungen", versicherte Logan, auch wenn sie an dem Funkeln in Naomes dunklen Augen sah, dass ihre Worte bloß auf taube Ohren trafen – denn die hatte sich längst an Rob gewandt, den Zeigefinger erhoben.

„Und du erst Recht, du musst so einen bescheuerten Plan anzetteln! In Dumbledores Büro einbrechen? Wieso überhaupt? Merlin, Pierce, du bist so ein Arsch –"

Rob feixte ihr hemmungslos entgegen: „Vor zwei Wochen hast du mich noch ganz anders genannt."

„Du verdammter –"

Wieder hämmerte Annes Hacke auf Naomes Zehen und sie verstummte sofort, der sich anbahnenende Schrei verquoll in ihrem Hals. Widerspenstig starrte sie Anne an.

Logan nutzte die Chance: „Naome, bitte."

Das Ruinenklassenzimmer war kalt. So als hätte es den gesamten Winter über die Anwesenheit jeglicher Schüler vermisst und Logan hatte beinahe vergessen, wie matt die Deckenlampe den Raum in dunsenes Licht tauchte. Dabei erstickte die eisige Luft die Wärme aller Anwesenden im Keim.

George lehnte an einer Tischreihe und beobachtete das Geschehen. Halb amüsiert, halb fasziniert. Hatte bloß noch nicht ganz verstanden, warum Fred ihm gegenüber stand, anstatt neben ihm zu sitzen.

Dabei sprach Logan auch zu ihm: „Ihr müsst es wirklich nicht tun." Naomes Brauen hoben sich. „Aber ich weiß, dass ich euch eine Erklärung schuldig bin, wenn ihr es tut."

Aus dem Augenwinkel band sie sich an Fred, der seinen Rücken gegen die Tür presste und die Klinke umklammerte. Die Vorstellung, dass selbst ihm dieser Moment unangenehm war, schnürrte Logan die Luftröhre zu. Dabei hatte sie sich entschieden. Und rein gar nichts mehr zu verlieren.

Naome hatte die Arme vor der Brust verschränkt. So straff, ihr weißes Hemd spannte sich an ihren Schultern. „Na, da bin ich aber gespannt."

Ohne, dass sie es wollte, schielte Logan zu Rob hinan. Rob, der neben Fred an der Zimmerwand lehnte und sich als die Rückendeckung verstand, die Logan brauchte. Sie würde es nicht tun, wenn sie sich nicht vollkommen sicher waren, deshalb wartete sie nur auf eines – und Rob nickte. Er nickte, weil auch er wusste, dass es ihre einzige Möglichkeit war.

In diesem Moment hätte sie beinah genau so gut den gesamten Orden des Phönix verraten können.

„Also. Es ist wichtig, dass Rob und ich in Dumbledores Büro kommen, weil – naja, weil wir etwas brauchen, das –"

„Wie gut kanntest du Maden Bolton?"

Diese Frage hatte seit Wochen auf Naomes Zunge gebrannt, vielleicht sogar schon seit Anfang an. Sie hatte sie bloß nie gestellt. Doch nun war die Luft zu kalt für Mitleid und der Augenblick zu entscheidend.

Langsam ließ Logan die Lider vor ihre Augen sinken. Das Schwarz war wie ein Willkommensgruß, trotzdem war Naomes Stimme klar, auch wenn sie zitterte. Auch, wenn sie versuchte, es nicht nach einer Anschuldigung klingen zu lassen: „Stimmt es, dass du dich hier versteckst? Stimmen die Gerüchte, dass die Bolton deine Freundin war? Dass du ihre Komplizin bist? Dass du eine Mörderin versteckst?"

Logan spürte, wie George sich aufsetzte als hätte auch für ihn das Gespräch eine unerwartete Wendung genommen.

„Ich –" Logan glaubte, die Worte sicher zu haben, dabei blendete das Klassenzimmerlicht als sie die Augen wieder öffnete. Naomes Gesichtszüge waren weich. Sie war trotz allem ihre Freundin. „Naome, ich –"

Mehr schaffte sie nicht. Die Worte brachen, noch bevor sie ihren Mund verließen. Hilfesuchend sah sie sich um, fand Freds durchdringenden Blick. Er verstand, noch bevor ihre Lippen es formten: Bitte.

Langsam hob er seinen Zauberstab und sein Flüstern fraß sich in den Staub: Revelio.

Logan spürte es. Das Kribbeln unter ihrer Haut, das Prickeln an ihren Haaren, das Ziehen in ihren Muskeln, die Schmerzen an ihrem Kopf, als tauche sie ihre Netzhaut in Säure. Sie wurde größer, kaum merklich. Ihre Haare glitten bis an ihre Schultern, verdunkelten sich –

Trotz seiner eigenen Überraschung war Rob schnell. Er sah den Ausruf in Naomes Gesicht bevor er kam, also erklangen sie gleichzeitig:

„Muffliato"

„Oh verdammte –"

Dabei war Anne die lauteste: „Was in Merlins Namen –?"

Und mit einem Mal konnte Logan es sagen: „Ich bin Maden Bolton."

Georges Gesicht war bleich geworden. Die Sommersprossen grau. „Niemals."

Logan machte eine platte Geste. Wenigstens war George der einzige, der nicht zu Eis gefroren war. Seine Augen glitten bloß langsam zu Fred hinüber, der seine Lippen zu einer schmalen Linie presste. Es ratterte, klickte. George verstand.

„Fred, das ist der mieseste Zeitpunkt für Witze, das mein ich ernst." 

Trotzdem zuckte keiner seiner Mundwinkel, als Fred seinen Zauberstab sinken ließ und der Bann verflog; Logans kurzes Haar, die spitzere Nase, die blassere Haut kamen zu ihr zurück. 

„Ist kein Witz, Georgie."

„Ist auch nicht mal minimal witzig." Georges Wangen waren eingefallen. Und seine aufgerissenen Tassenaugen starrten die Fremde vor ihm an. Als hätte er Logan nie wirklich gesehen. Er stöhnte. „Alter, ich hab Mörderwitze gemacht –"

„Hey George", lachte Maden, die wieder Logan war. „Ist okay."

Naomes Stimme hingegen war fahl: „Du. Bist Maden Bolton?"

„Es tut mir leid, Naome, das ist eine lange Geschichte –"

Aber darauf wollte sie nicht heraus: „Du hast deine Familie gar nicht umgebracht."

Perplex starrte Logan sie an und stolperte über ihre eigene Zunge, bevor sie die Worte fand: „Nein. Nein, um Himmels Willen, niemals –"

„Sie wurden ermordet." Robs Stimme erklang angenehm kühl. „Von Todessern." Er wagte einen Schritt nach vorne als müsse auch er sich etwas stellen: „Wahrscheinlich wegen meinem Vater."

Also zog Logan etwas aus ihrer Umhangtasche hervor. Reckte es so unangenehm vertraut im Ruinenzimmerschein: „Diesen Kompass bekam mein Vater von Robs Dad, bevor er den Dementoren ausgeliefert wurde. Er hört nur auf mich."

Das hämische Flackern des Kompasses kämpfte gegen Naomes starren Blick.

Logan holte Luft: „Dieses Ding allein soll den Dunklen Lord aufhalten können. Aber wir wissen nicht wie."

„Deshalb müssen wir in Dumbledores Büro", sagte Rob.

„Er hat mir ein Passwort zugesendet, bevor er die Schule verlassen hat. Wir glauben, dass es nur dorthin führen kann."

Naome blinzelte gegen die Windrosenreflektion. Ihre Kiefer spannten sich derart, dass ihr spitzes Gesicht viereckig wirkte. Annes Rosenwangen waren neuschneeweiß.

Selbst George starrte vollkommen verlassen in den Raum. Fand nicht einmal den Kompass. Auch nicht Fred. Verstand. Fand aber nichts.

„Ihr müsst also in das Büro?", rekapitulierte er.

„Wir müssen in das Büro", sagte Fred.

„Um den Dunklen Lord aufzuhalten?", flüsterte Naome.

Rob tat einen Schritt auf sie zu. „Wir müssen zumindest sein Geheimnis verstehen."

Und dann wurde es für einen Augenblick lang still. So still, dass man ahnte, wie entscheidend ein wenig kleiner Augenblick, eine ungefasste Entscheidung war.

„Alles, was wir tun müssen, ist Kotzpastillen zu verteilen?" Anne war die Erste, die Logan wieder ansah.

Fred machte eine ausladende Geste. „Und dafür sorgen, dass Umbridge so schnell wie möglich Wind davon kriegt."

Naomes Muskeln spannten sich. Noch ein Stückchen mehr und sie müssten bersten. Piercender Blick, der von Logan zu Rob und zurück jagte als verfluche sie sie bis aufs düsterste Mark.

Dann klickte etwas in ihr um. Etwas schaltete. Und sie hatte eine Entscheidung getroffen.

Im nächsten Augenblick trat sie auf Logan zu. Ein Schritt, vielleicht auch zwei, bis sie sie berührte. Und so nahm sie sie das erste Mal, seitdem sie einander kannten, wirklich in den Arm.

So unerwartet, Logan rang nach Luft –

„Es tut mir leid", hauchte Naome und ihre Worte brachen beinah. Das dünne Salz ihrer Tränen floss heiß auf Logans Haut. „Du bist Maden Bolton, es tut mir so leid."

Anne war ebenfalls da. Ihre spindeldürren Arme umschlangen sie wie sanftes Geäst, während Naome flüsterte: „Maden Bolton, es tut mir leid." 

Und dann kam George. Drückte sie so fest, alle drei, Logan musste keine Kraft aufbringen um zu stehen.

„Ist das ein ja?", wisperte sie, ihre Lippen tief in Naomes Haar, hielt sich an Annes Schulter und Georges Hemd. Atmete Zuckerpastenduft und Rosenparfüm und Büchereinband. Und vor ihrer Netzhaut sammelte sich etwas, dass die Erkenntnis war, nicht mehr länger allein zu sein.

Am Rande ihres Blickfeldes schlang Rob theatralisch einen Arm um Freds Schulter. Der schob ihn jedoch schamlos beiseite.

Und Naomes Stimme hauchte in Logans Ohr hinein, wild entschlossen und für immer da: „Du kannst von Glück reden, dass es so viel Spaß macht, das System zu rebellieren"


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Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte Naome und Anne nicht für genau diesen Moment erschaffen. Ein bisschen Liebe zwischen den most unlikely characters to unite ever. Yet here they are, in full on mission mode. 

Beim nächsten Mal schleichen wir uns in Dumbledores Büro. Danach kommen die Updates bloß noch einmal wöchentlich. Ich komme sonst mit den Kommentar-Antworten kaum hinterher und da in den nächsten Kapiteln so viel passiert, möchte ich mich nicht nur von Update zu Update hangeln, sondern das Rätseln mit euch genießen. 

Aber ihr dürft aussuchen: Möchtet ihr die weekly updates lieber Dienstags Abends oder Samstags haben? Wann passt es euch besser? Ich werd auch hier und da noch ein zweites Update einstreuen, keine Sorge. Aber erstmal wirds einmal wöchentlich.

Die Widmung geht diesmal an die liebe Pia (pia_dostal), die mich drei Mal umgehauen hat: Einmal, weil sie sich nach so langer Zeit an mich erinnert hat. Ein zweites Mal, weil sie diese Geschichte in gefühlt einer Nacht aufgeholt hat. Und ein drittes Mal, weil sie Corben nicht so verfallen ist, wie ich es bin. Und ich liebs.

Wir treffen uns fürs nächste Kapitel im Geheimgang. Haltet die Zauberstäbe bereit. Und das Instant-Finsternisspulver. 

All the love, Ally x

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