56 | loslassen können.

Als Logan Dumbledores Büro verließ, trommelte der Regen bloß noch wie ein fernes Schlaflied gegen die Turmfenster des fünften Stockwerks.

Trotzdem drückte der Puls in ihren Ohren und die Schwere in ihrer Magengegend zog sie tief. Es war als laufe sie gegen eine zähe Gummimasse an, die in Nebelschwaden ihre Wirklichkeit verzerrte. Und jeder Schritt, den sie vorwärts tat, brachte sie doppelt so viele zurück.

Diesmal nahm Logan einen Umweg in den Ravenclawturm hinauf. Sie hatte die Große Halle schon zu oft passiert, dass sie sich nun wie eine teilnahmslose Zuschauerin fühlte; würde schallendes Schülergequassel und hohes Gelächter gar nicht ertragen. Denn dafür war die Welt um sie zu blass. Und ihr Kopf noch immer mit wabiger Denkarium-Erinnerungs-Watte gefüllt.

„Corbs. Halt dich raus."

Sie hatte grade erst die Verwandlungsklassenräume erreicht; war abseits jeglicher Schülerexistenz – und fror im Schatten einer Ritterrüstung fest.

„Was hast du vor?"

Corbens Stimme war wie in die Nebelluft gestanzt. Mit drängender Direktheit, die irgendwie um sie alle lag.

„Das geht dich nichts mehr an."

Das war Rob. Und noch im selben Augenblick bog er in den Korridor ein.

„Logan."

Das Leder um seinen Schultern wurde straff.

Logan blinzelte zu ihm als müsse sie eine Erinnerung verwischen. Den Gedanken daran, wie Rheinar Kalgan war. Der Märchenprinz, von dem so viel in Robs Gesten, aber nichts in seinem Äußeren lag.

Und Corben, der ihn hatte packen wollen, erstarrte.

„Logan. Wo kommst du denn her?"

Rob war schneller: „Du warst bei Dumbledore."

Sie spannte ihren Rücken. „Nein."

In Robs Miene tanzte etwas Undeutbares, als er die Hände in seine Taschen schob.

Dann reckte er sein Kinn: „Was Spannendes gesehen?"

Corben fuhr ihn von der Seite an: „Merlin, Rob, was ist mit dir?"

„Lass mich in Ruhe, Corbs, ehrlich", schnaubte Rob. So abweisend und kühl, dass es sich wie Säure in die Rüstung fraß, neben der Logan noch immer so deplatziert harrte. „Ist besser für dich."

Dann schenkte er Logan einen letzten Blick, der Junge mit den Muttermalen und fest verknotetem Haar, als müsse sie daraus irgendetwas verstehen, und schob sich an ihr vorbei in die Korridornacht hinein. Geradewegs in die Richtung, aus der Logan gekommen war, bis kein Fackelschein ihn mehr fand.

Corben sah ihm mit einem von zusammengepressten Lippen verschluckten Seufzer hinterher. Baute sich neben Logan auf.

„Ich hab wirklich noch nie 'nen Kerl mit 'nem größeren Dramatikkomplex gesehen", murrte er.

„Warst du nicht der Typ, der Konfettikanonen an die Stadionränge anbringen wollte, wenn wir den Hauspokal gewinnen?"

Corben hob nur die Brauen. „Das hat ja auch Stil."

Logan schnaubte und starrte gemeinsam mit ihm in den Flur hinein, der verschluckte, was ihr Bruch in die Realität gewesen war. Während Corben neben ihr atmete, hatte sie das Gefühl, zurück in die Wirklichkeit zu fallen.

„Warst du wirklich bei Dumbledore?", fragte er, nachdem sie ganze sieben Mal geatmet hatten. Logan hatte ihre Nägel durch den Umhangsaum bis an den Stoff ihrer Jeans gebohrt, vertrieb die Nebelschwaden, die Unwirklichkeit.

Wenn sie Corben im Fackelschein ansah, konnte sie sich beinah einreden, dass nichts der vergangenen zwei Stunden real gewesen war. Dass es den Kompass und dessen Bedeutung nicht gab. Das konnte nicht ihr Leben sein.

Für einen Moment überlegte Logan, ob sie wirklich antworten sollte. Was geschehen würde, wenn sie Corben ohne jeglichen Zusammenhang die Wahrheit sagte. Wenn es aus ihr hinausplatzte, so wie es gegen ihre Schädelwand pulsierte. In was für einen Strudel es sie zerren würde. Und ob er darauf bestehen würde, bei all dem immer noch irgendwie für sie da zu sein.

„Was hat Rob gewollt?"

Am Ende entschied sie sich für die Gegenfrage. Corbens Miene verfinsterte sich.

„Nichts, wie du merkst", erwiderte er und deutete eine abgehackte Geste an, bevor sie sich gemeinsam umwandten. Im Gemeinschaftsraum musste das Kaminfeuer brennen als wäre heute ein normaler Tag.

„Er heckt was aus", fügte Corben nach.

Ein wenig Watte blieb immer noch in Logans Hirn zurück.

„Ich hab keinen Schimmer, was er vorhat. Aber er benimmt sich als müsse er alles auf dieser Welt alleine tun."

Auf Logans Lippen hatte sich ein Lächeln geschlichen. Dabei verbarg sie nicht, dass es eigentlich ein gequältes war.

„Schonmal darüber nachgedacht, dass er dich schützen will?", fragte sie. Am Ende beruhigte es, dass sie vielleicht nicht die einzige war.

„Komm du mir nicht mit demselben Argument." Das erste Mal hörte Logan an Corben wirkliche Säuerlichkeit heraus. „Das zieht um Längen nicht."

Sie hatten die Wendeltreppe erreicht, die zu ihrem Gemeinschaftsraum führte. Und erst jetzt sah Logan, dass Corben seine Kiefer übereinander malmte. So wie er es immer tat, wenn er fest entschlossen war. In Kabinenumkleiden, bei Taktigbesprechungen und jetzt, wenn er die Wahrheit wollte.

„Du wirst es mir nicht sagen, oder?", tippte er. „Ob du wirklich bei Dumbledore warst?"

Logan starrte auf das Geländer hinab. Ihre im Fackellicht tanzenden Silhouetten zerflossen zu einem blassen Fleck. Ihr Nein war erübrigt.

Corben seufzte: „Hier."

Sie sah es nur aus dem Augenwinkel heraus. Schimmernd gold in der matten Nacht. Logan fischte es aus der Luft. Kalt, geriffelt. War lange nicht mehr warm.

„Die hast du beim Abendessen verloren."

Und ohne ihr zu beteuern, wie viel er womöglich ahnte, ging Corben in den Gemeinschaftsraum hinauf. Ließ Logan stehen. Mit nichts als der Gewissheit, dass sie nicht die einzige war, die ihn verletzte. Mit Schuldgefühlen, drückender Angst. Und mit Freds Galleone in ihrer Hand.

Eine Galleone, an der sich seit bald einer Woche nichts regte. Dabei war es an diesem Abend nicht Freds Herz, sondern Logans Leben, das brach.

Und als am kommenden Morgen die Sonne über den Ländereien emporstieg, sich die matten Frühlingsstrahlen über den kahlen Baumwipfeln reckte, fragte Logan sich zum ersten Mal, wie oft sie diesen Anblick noch sehen würde, bevor die Welt sie von immer von hier nahm.

Das Leben, was man ihr hätte geben können, hätte sie gerne gehabt, bedachte sie, als sie Naome und Anne beim Frühstück über Umbridge witzeln sah. Sie hätte gerne dazu gehört. Doch als Dumbledore an diesem Morgen das erste Mal seit Wochen in der Halle auftauchte, Rob nicht einmal bedeutungsschwer zu ihr sah und Corben bloß kommentarlos auf seinem Brötchen kaute, wusste sie, dass nichts davon möglich war.

Und fragte sich deshalb, wie viel Dumbledore davon geahnt hatte. An jenem Tag, an dem der Orden ihr dieses eine, neue Leben versprach.

Corbens Miene blieb beinah den ganzen Vormittag finster. Auch, wenn ihm die Verbissenheit, mit der er sich selbst zu ordnen versuchte, gar nicht stand. Weil er am liebsten etwas an seiner Lage ändern wollte, es aber doch am aller wenigsten konnte. Weil Logan und Rob ihm die Hände banden. Und beide sahen einander dabei tonlos zu, ohne dass sie sich verrieten.

Weil sie beide Corben McLaggen damit schützten.

Dabei ahnte Logan seit der vergangenen Nacht erstmals, wie wichtig das vielleicht wirklich war. Begriff aber erst, als sie Fred auf den Fluren traf, wie wichtig es auch noch werden würde.

„Du musst sie malmen. Nicht pressen."

Logan raunte das Corben hinter hervorgehaltener Hand zu, als sie vor dem Mittagessen gemeinsam an einer von Hagrids selbstgebastelten Stationen standen und Wildhuhnfutter rührten.

Vom gestrigen Regen war bloß der Schlamm geblieben, der sich durch ihre Schuhe sog.

Corben, der die Alraunenblätter mit einem Kolben bearbeitete, erstarrte.

„Logan", sagte er trocken, als sie ihn ihr abzunehmen versuchte.

„Ich meins ernst, du kannst –"

„Logan."

Sie ließ es bleiben.

„Schon gut."

Corben schmetterte den Krug auf den Tisch, Alraunenmatsch besprenkelte die Staudenblätter.

„Nein", befand er und milderte seinen Ton. „Nein, es tut mir leid."

Dann seufzte er. Fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn, schmierte etwas grünen Alraunenmatsch ab.

„Eigentlich ist es Rob. Ehrlich, er macht mich fertig."

„Ich weiß."

Corben schob den Mörser davon und nahm ergeben die Mischung, die Logan ihm reichte.

„Hast du nochmal mit ihm gesprochen?", fragte er sie und lugte so leger wie möglich unter seinem schwarzen Haar hervor. Es reichte beinah bis an seine Ohren hinan. „Weißt du vielleicht mehr?"

Logan schnaubte: „Was glaubst du?"

Corben schmunzelte. Doch mit dem Platschen des Alraunensaftes wurde auch sein Ausdruck wieder ernst.

Die Sonne, die durch die Wolken brach, stichelte wie heiße Nädelchen auf ihrer Haut.

Trotzdem nahm Corben am Ende der Stunde ihre Hand. Und gab ihr zu verstehen, dass er ihr, auch wenn er nicht beruhigt war, irgendwie doch verzieh.

Dabei sah Logan bloß die Endgültigkeit, die über ihnen thronte. Das Wissen, an was für einer Aufgabe sie gebunden war. Und mit ihr die Erkenntnis, dass niemand dieser Menschen um sie ihr folgen sollte. Und besonders nicht jemand, dessen Leben ohne sie am vollkommensten war.

Als wären Robert Pierce und Logan Ainsley sich wenigstens bei einer Sache einig: Dass sie Corben McLaggen raushalten wollten. Und das, was auch immer ihnen bevorstand, nicht sein Schicksal war.

„Turner hat zugesagt."

Am nächsten Tag war Corbens Stimme weit entfernt, gedämpft von einem Marmeladencrossaint und Naomes schallendem Gelächter, die mit Brixton in eine Partie Gobsteine vertieft war.

Logan sah auf. Sie hatte seit ihrem Gespräch mit Dumbledore keinen Hunger mehr besessen. Und erst durch Corbens drängenden Blick erinnerte sie sich, dass er etwas gesagt hatte.

„Super. Glückwunsch, Corbs."

Es war der Spätnachmittag vor dem nächsten Quidditchtraining und Corben saß bereits in Trainingspullover und mit Feuerblitz unter der Bank vor ihr, die Füße irgendwo in ihren verhakt.

„Sagst du es ihnen heute?", fragte Logan und lächelte, als Corben sich Marmelade von der Lippe leckte.

„Ich glaube, eine andere Wahl hab ich nicht", erwiderte er. „Wird schon auffallen, dass Turner nicht du ist. Der ist glatt doppelt so groß und viermal so breit."

„Hey."

„Das ist ein Kompliment. Für beide von euch."

Mit einem verstohlenen Blick den Tisch entlang fragte Logan sich, ob es zu viel verriet, dass sie als einzige in der Mannschaft noch nicht angekleidet war.

Dabei war Tina später die einzige, die schief grinste, als sie die große Halle entlang marschierte: „Hey Ainsley, willst du unbedingt zu spät kommen, damit Corben dich bei Strafrunden zu Zweisamkeit zwingt?"

Logan schlürfte gerade ihren Kürbissaft. „Wieso, möchtest du tauschen?"

Den Ausdruck auf ihrem Gesicht, wenn sie später erfuhr, dass Logan nie wieder überhaupt irgendwo hinrennen würde, sobald es um ihre Mannschaft ging, wollte sie nicht erleben. Das bedachte sie erst jetzt. Und war allein deshalb froh, Corben zu haben, der sie vielleicht besser kannte als sie sich selbst. Während Logan Fred besser kannte als er sich selbst und der Kreis sich niemals schloss.

Nachdem Corben sie mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedet hatte und in der aufflammenden Dämmerung hinter dem Eichenportal verschwand, fühlte Logan sich in der Eingangshalle verloren. So verloren, dass sie nicht einmal wusste, wo sie hinsollte. Im Gemeinschaftsraum würde sie Naome und Anne Rede und Antwort zu ihrer Trainingsabwesenheit stehen müssen und dazu war sie alles andere als bereit. Auch, wenn Corben nicht für immer ihren Schutzpatron mimen konnte.

Mit knirschendem Kiefer schielte sie auf die Münze hinab, die nun schon bald seit einer Woche regungslos in ihrer Umhangtsche lag. Das letzte Mal, dass Fred gegangen war, war sechs Tage her und seitdem hatten sie kaum die Zeit gefunden, auch nur irgendwie –

„Vergessen, wo das Quidditchfeld liegt?"

Georges Stimme hätte ihr fast die Münze aus der Hand geschnippt.

Logan fuhr herum und erkannte gerade rechtzeitig, wie er sich beim Verlassen der großen Halle so ergiebig streckte, dass ihm sein Pullover bis an den Nabel rutschte als wolle er der Welt verkünden: Gutes Essen, gutes Essen.

Fred war in ein Gespräch mit Lee vertieft, kam aber mit schief gelegtem Kopf zum Stehen: „Du hast doch Training. Wird bisschen knapp, oder?"

Seufzend sah sie zu George empor: „Lange Geschichte."

Der runzelte bloß die Stirn. „Hat McLaggen –"

„Bei Merlin, nein."

Logan hatte so energisch die Luft ausgestoßen, dass ihr auffiel, wie leer ihr Magen war. Auch, wenn ihr noch immer jeglicher Appetit fehlte.

Und dann wandte sie sich an Fred, weil das das Einzige war, das ihr noch einfiel: „Hast du Zeit? Gleich?"

Überrascht erstarrte Fred in der Bewegung, ließ die halb aufgezogene Krawatte zurück auf seine Brust fallen: „Wie?"

„Muss auch nicht. Ich dachte nur, wir könnten – mein Schutzwall war ja noch ein bisschen –"

Verstehend reckte Fred sein Kinn: „Wenn mein Brüderchen mich vom Testdienst befreit."

George zog eine Miene als wäre er verletzt: „Was? Du willst lieber mit Logan Schutzzauber üben als dir über unsere Nasenblutnougats die Seele aus dem Leib zu bluten?"

Fred ruckte die Schulter.

„Naja, eigentlich war das keine Frage, viel eher ein Beschluss." Und dann sagte er, so leise, dass fast nur Logan es verstand: „Bin in einer halben Stunde da."

Doch als Logan ging, rief George ihr schamlos hinterher, so laut, dass sich die Zweitklässler auf der Treppe umdrehten: „Ich bin übrigens der mit dem Aussehen, Logan, das weißt du schon, oder?"

Dabei war es ihr mittlerweile ein Leichtes, ihn mit einer wegwerfenden Geste zu ignorieren.

Dieser Abend war das erste Mal, dass Logan allein im Raum der Wünsche wartete. Die Sofakissen schmiegten sich um ihre Schuluniform, die sie noch nicht einmal gewechselt hatte, und das Kaminfeuer lullte sie in eine Schläfrigkeit, die ihr fast die Augen zufallen ließen.

Von hier aus war das Quidditchfeld nicht zu sehen. Und Logan tat gut daran, auch nicht hinüber zu starren. Stattdessen wand sie bloß die goldene Galleone in ihrer Hand und fragte sich, wie viel Zeit ihr noch blieb.

Als würde jedes sinkende Staubkorn gegen sie ticken. Als wette die Welt, dass sie am Ende alles verlor. Eines Tages werde ich dich bitten, ihm zu folgen.

Ein Teil in ihr wusste schon jetzt, dass es keine Ewigkeit war, die ihr blieb. Und aus irgendeinem Grund war es, als  könnte jeder Morgen der letzte sein. Dabei hatte sie seit Tagen all ihre Optionen durchgespielt. War alle Auswege durchgegangen, von denen es am Ende keinen einzigen gab.

Noch folgte sie einer Möglichkeit. Dabei würde es niemals halfen, wenn sie diesem Schloss entfloh  –

Fred betrat den Raum mit einem Gähnen.

„Verzeih die Verspätung. Ein Nasenblutnougat musste ich testen."

Logan fuhr hoch. Merkte erst jetzt, dass sie so verbissen in den Kamin gestarrt hatte, dass ihre Netzhaut brannte.

Fred merkte das nicht. Er verzog bloß das Gesicht als müsse er sich den Nachgeschmack noch immer von seinem Gaumen reiben. Sein weißes Hemd trug er nicht mehr, sondern hatte es gegen seinen Mannschaftshoodie getauscht, der sich mit seinen Haaren biss.

Energetisch klatschte Fred in die Hand, bis Logan sich aufschwang: „Bereit?"

Mittlerweile war er zu einem besseren Lehrer geworden. Geduldiger, erklärender. Dabei spannten sich die Adern in seinem Arm noch immer gleich, wenn er ihr gegenüberstand und der Blick seiner grünen Augen war noch immer gleichsam fordernd. Und Logan bildete sich ein, nichts davon abhaben zu können.

Mit ihren Übungsstunden hatte sie allerdings auch begonnen, sich sicherer zu fühlen. Eine Bindung zu dem Stab in ihrer Hand aufzubauen, die sie vorher nicht gekannt hatte und die einer Verlässlichkeit nahe kam. Denn wenn sie nun einen Schutzzauber in die Luft hinein jagte, wusste sie, dass er kam; wusste, dass immer genau das geschehen würde, was sie wollte, weil sie in Kontrolle war, weil sie es konnte, weil sie in sich selbst vertraute –

Freds Lachen echote durch den Raum, als es lange dunkel war, und übertraf beinahe das berstende Geräusch zerschellender Zauber, als sein letzter Spruch in der Luft verpuffte.

„Wir werden besser!", rief er, während zwischen ihnen das lilane Licht zerbarst. „Achtung!", warnte er jedoch schon im nächsten Atemzug, „Enervate."

Ein gleißend blauer Funkenstrahl schoss auf Logan zu. Doch diesmal kam ihre Antwort zu spät, die Reaktion zu langsam – ruckartig wich sie aus und der Fluch hämmerte einen Brandfleck in die Spiegelfront hinter ihr.

Fred feixte. „Okay, ich nehms zurück."

Keuchend richtete Logan sich auf, Gegenangriff - Stupor!

Es kostete ihn nur eine Handbewegung: „Protego."

Der rote Zauber verpuffte, Fred zuckte mit der Hand: „Levicorpus"

Doch mittlerweile war sie auch schnell – Protego!

Der Zauber barst in einen schallenden Funkenregen und Fred deutete eine Verbeugung an.

„Nicht schlecht!"

Logan ließ ihren Zauberstab sinken, rasender Atem: „Ich lerne vom Meister."

Auf Freds Miene breitete sich schamlose Selbstzufriedenheit aus. Und noch während die schwummrige Spannung der Duellierflüche um sie versiegte, wusste Logan, dass Fred vielleicht immer in schillerndes Chaos gehörte. So, wie Corben im Scheinwerferlicht zuhause war, nährte Fred sich von knallenden Farben, heiserem Lachen und einem gleißenden Lichtermeer.

„Super", gähnte er, während er sich in die Länge streckte und seinen Zauberstab durch die Luft warf, ihn wieder fing „Ich hab dir alles gezeigt, was ich dir zeigen kann." Er machte eine theatralische Geste. „Du bist gewappnet für die große, weite Welt."

Logan schulterte ihre Tasche.

„Und du?"

Fred kratzte sich am Hinterkopf. „Hm?"

Er wusste genau, wovon sie sprach.

„Möchtest du es noch lernen?"

Auf seine Miene war Ergebenheit getreten. Mit diesem würzigen Hauch Amüsanz, der seine schmalen Lippen kräuselte.

Er überlegte. Und lugte gegen das Kaminfeuer an.

„Ich bin einer der wenigen, der es noch nicht kann", sagte er. Und auch, wenn er belustigt dreinsah, schwang kein Hauch Sarkasmus in seinen Worten mit. „Wenn ich mich nicht beeile, ist sogar Longbottom vor mir."

„Wieso?"

Er hob die Schultern bis ans Kinn. „Was weiß ich?"

Dann machte er eine Geste als kickte er einen Pergamentball, der gar nicht da war.

„Reizt dich das nicht?", fragte er und wieder neckten sie seine Augen, machten das Ablehnen unmöglich. „Willst du es nicht selbst probieren? So 'nen richtigen Patronus?"

Logan surrte den Gurt ihres Rucksacks zurecht. Das brachte ihre Nüchternheit zurück.

„Ich weiß, dass ich keinen kann."

„Du hast es ja noch nicht mal versucht." Beinah glaubte sie, er stieße sie mit seiner Schulter an, doch dafür waren sie zu weit entfernt. Eine Armlänge, eine Berührung reichte nicht. „Vielleicht sieht er ja anders aus."

„Wie?"

„Na", Fred machte eine unschuldige Miene als hätte jeder über diesen Umstand schon tausendfach nachgedacht „er verändert sich, wenn wir zu anderen Menschen werden."

„Was?"

Logan spürte, wie etwas in ihrer Magengegend ballte. Eine menschengroße Faust, die sich um ihr Zwerchfell krallte.

Für einen Moment war etwas ungeahnt Verschwörerisches durch Freds Blick gehuscht. Ein flüchtiger Schatten, kaum zu sehen. Als hätte er eine Idee, als wisse er etwas – doch mit dem Flackern des Kamins verwischte es.

„Sag nicht, du hast dich seit deiner Ankunft hier nicht verändert."

Logan stieß den letzten Rest Kohlenstoffdioxid aus ihrer Lunge aus, der übrig geblieben war.

„Achso." Die Faust in ihr ließ los. „Doch."

Fred sah aus als hätte er das kalt durch ihren Körper schießende Adrenalin nicht gesehen.

„Na also", machte er nämlich und trat einen Schritt auf sie zu. Und Logan starrte unverblümt zurück. Versuchte, zu erkennen, ob irgendwo zwischen den geschwungenen Augenbrauen und den neckischen Sommersprossen irgendetwas anders war.

Doch Freds Ausdruck milderte sich, umso näher er ihr kam. Immer noch eine Armlänge. Immer noch für keine Berührung genug.

„Woran hast du gedacht?", fragte er und Logan musste blinzeln, um die letzte Gischt der Panik aus ihrem Verstand zu schwemmen. Er konnte nichts wissen. „Als er dir das erste Mal gelungen ist?"

Logan spannte ihre Lippen an. Wurde sich zum ersten Mal wieder des Gewichts ihres Rucksacks bewusst. Der Verwandlungsbücher, ihres Umhangsaumes. Und der eingebrochenen Frühlingsnacht.

„Mein Bruder." Sie blinzelte durch das Fenster hindurch. In der Ferne türmten sich die Kuppen der Bäume im gleißenden Vollmondlicht auf. „Er hat sein erstes Spiel in der Liga gehabt."

Wenn sie ihre Augen schloss, hätte sie dort sein können. Das Kaminfeuer wäre zur irischen Sommersonne, Freds Atem zu dem Wind in ihrem Haar und die Wollfasern ihres Socken zu frischem Wiesengras geworden. Reed hätte in der Ferne gelacht: Einen versuch noch Mads, du schaffst es doch!

Aber trotzdem war sie nach all dem hier. Und Fred starrte sie ganz ungeniert an.

„Dein Bruder ist –"

„Ligaspieler." Sie lächelte. Auch wenn der Gedanke daran in ihrer Halsschlagader ballte. „Ja. Und am selben Tag haben sie mich zur Trainerin meiner Hausmannschaft gemacht."

Wenn sie ihre Augen schmälerte, könnte der Kronleuchterschein zu einem Erinnerungsschauer werden. Goldene Schliere wie in jenem Fernen Moment, als in der Küche ihres Heimathauses die Konfettiknaller explodiert waren. Es kümmerte sie nicht, dass sie vielleicht zu viel verriet.

Denn auf die Art und Weise, wie Fred sie ansah, wusste sie, dass jeder Atemzug in diesem Raum versperrt blieb. In diesem Raum, und zwischen ihnen, nur für sie. Dass alles, was sie sagte, nur ihr gehörte. Und sie wusste mehr denn je, dass gegen alle Wahrscheinlichkeit ihr Leben bei ihm sicher war.

„Meine Mum hat diesen Kuchen gemacht."

Sie erinnerte sich noch an die blaue Lavendelbluse, die sie getragen hatte. Und den Zuckerguss, wie er auf ihrer Zunge zerfloss.

„Scheußlich eigentlich, aber mein Bruder mag ihn am liebsten."

Sie hörte Johns Lache beinah.

„Und Dad, er hat diesen Song gesungen – schrecklich, ehrlich, niemand kann so schrecklich singen wie –"

Sie hielt an. Und spürte das Holz ihres Zauberstabes unter ihrer Haut. Eines Zauberstabes, den ihre Familie nie kennen würde. Und die Worte, die sie zuvor vielleicht noch gedacht zu haben glaubte, verließen nie ihren Mund.

Stattdessen sanken ihre Lider zu. Und Dumbledores mitleidiger Blick kehrte vor sie zurück. Vertrieb das goldene Licht, die feierlichen Schlieren und alles schöne, was diese Erinnerung einst gewesen war. Vergiftete sie zu Schmerz.

Sie schmeckte das Salz in ihren Augen, ohne dass sie es weinte.

„Es tut mir leid", sagte Logan und fuhr sich über ihr eigenes Gesicht.

Fred hatte sich keinen Zentimeter wegbewegt. Sah sie einfach nur an als dachte er nach.

„Ich kann es wirklich nicht", befand sie mit einem Räuspern. „Ich kann keinen Patronus. Und ich werd dich nicht dazu zwingen, deine Zeit zu vergeuden."

Er lachte. Trocken und kehlig, beinah intim.

„Ist klar", befand er. Schulterte seine Tasche und tat noch einen Schritt geradewegs auf sie zu. „Weil du nicht gut genug duellieren kannst, um mich überhaupt zu irgendetwas zu zwingen."

Unmittelbar vor ihr blieb er stehen. Als könne er aus ihren Augen lesen, dass der Duft nach Karamell und Kaminwärme sie lockte.

„Aber ich werd hier sein, nächstes Mal", raunte er und machte es zu einem Versprechen.

Sie roch ihn beinah. Und stellte sich seine Berührung vor. Spürte, wie allein der Gedanke daran die Dunkelheit vertrieb.

„Es ist nämlich so, dass ich es wirklich können will." Das glaubte sie ihm. „Allein, um George eine reinzuwürgen." Das noch viel mehr. 

Was er danach sagte, glaubte sie ihm jedoch am allermeisten: „Wenn du also willst, bin ich da."

Als Fred diesmal ging, sah Logan ihm nicht nach. Stattdessen starrte sie in das prasselnde Feuer und fragte sich, ob es eine Sache gab, die es trotz des Verlustes wert wäre, besessen zu haben. Und ob sie es ertragen könnte, Fred Weasley je wieder loszulassen, wenn sie ihn jemals berührte.


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Hm. Nun gut, ein Übergangskapitel musste her. Wie gesagt: Logan muss das Treffen mit Dumbledore erst einmal sacken lassen.

Glaubt ihr, Rob heckt wirklich etwas aus? Und stößt er Corben wohl aus denselben Gründen von sich fort, aus denen Logan Corbs auf Abstand hält: Weil er ihn schützen will?

Out of curiosity: Wie stellt ihr euch eigentlich Freds und Logans ersten Kuss vor? Habt ihr eine Idee?

Mit dem nächsten Kapitel steuern wir übrigens auf den dritten Akt zu. Ein letztes Mal Luft hohlen, danach fließen all diese vielen Baustellen zusammen. Jetzt kommen all die Momente, auf die ich ewig gewartet habe.

Danke übrigens, dass ihr mit mir so geduldig seid. In meinem Leben passiert grade so viel Gutes wie Schräges wie Wildes und ich hoffe, dass ich euch irgendwann begeistert davon erzählen kann. Bis dahin hab ich abgedrehte Arbeitszeiten und beantworte Kommentare, wann immer ich die Zeit finde. Dabei machen eure Rückmeldungen wirklich immer meinen Tag. In einer Woche hört ihr von mir auch wieder regelmäßiger, versprochen!

Sonntag ist es aber erst einmal so weit: Da tun wir ganz viele Dinge zum letzten Mal. Zauberstab mitbringen, wir wagen uns an Patroni. Was wär euer? 

Ganz viel Liebe, Ally x


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