41 | weihnachtsglanz.
Weihnachten war noch nie so hämisch herangekrochen wie in diesem Jahr. In der letzten Woche, bevor die Ferien über die Schlossgänge einbrechen und sich befremdliche Stille in die große Halle legen würde, fühlte sich jeder umspringende Zeiger wie ein Irrtum an.
Denn trotz all der umher sausenden Wichtel in Rentierkostümen, dem von der Decke nieder rieselnden Pulverschnee und dem Elfenchor, der von jeder Wand wiederhallte, fühlte es sich für Logan kein bisschen danach an als könnte in diesem Jahr wirklich Weihnachten sein. Nicht nach dem, was geschehen war. Nicht, solange der Kompass irgendwo rotierte, solange Rob am Tisch der Slytherins fehlte und eigentlich sowieso nie wieder, weil ihr Vater nie mehr einen verbogenen, alten Tannenbaum aus Mitleid vom Müllberg des irischen Ministeriums rettete.
Nie wieder und in diesem Jahr erst recht nicht.
Nichts desto trotz zog sich der Geist des Festes wie eine Grippe durch die Luft und bereits am Montag gab es kaum ein anderes Thema außer duftendes Essen, beschenken und beschenkt werden und die grässlichsten Pullis der Familie. Mit Symptomen der Aufregung und Vorfreude, die Logan nicht erreichten, weil ihre Hausaufgaben trotzdem nicht weniger wurden und sich der Knoten in ihrem Magen, der nun ganz klar Robs Signatur trug, erst recht nicht verschwand.
„Ich weiß, dass es das letzte Training vor den Ferien ist", spie Corben am Montag über das Stöhnen ihres Teams hinweg, als er Sprints statt lockere Abschlussspiele und Feuerwhiskypunsch anordnete. „Aber wenn wir zurück sind, haben wir nur vier Einheiten, bis wir wieder auf dem Platz stehen." Sein strenger Blick schien den Widerspruch von Tinas Miene wischen zu wollen, doch es gelang ihm kaum. „Die Hufflepuffs sind keine leichten Gegner. Außerdem müssen wir gewinnen, wenn wir überhaupt noch eine Chance auf den Pokal haben wollen."
„Wir könnten auch einfach 'ne andere Taktik fahren", rief Tina trotzdem, als sie sich brav in eine Schlange reihten und Logan hörte ihr Feixen gegen den Winterwind. „Corbs könnte den Hufflepuffs denselben Schrecken einjagen wie Flint."
Gegen ihren eigenen Willen lachte Logan.
Und für einen Moment glaubte sie, dass auch Corbens Mundwinkel zuckten, als er sie mit einem warnenden Blick zur Stille zwang.
Was in der vergangenen Woche im Schlossportal vorgefallen war, hatte sich nämlich genau so penetrant wie der Zimtduft durch die Schulflure gezogen und wenn das Ganze eine gute Tatsache mit sich brachte, dann den Nebeneffekt, dass sich niemand mehr um Robs Abtauchen kümmerte. Sondern viel mehr um die Duell-Sensation, vor der Marcus Flint geflohen war.
„Das ist schon ein bisschen hart gewesen."
Der einzige, bei dem diese immer wiederkehrende Geschichte keine Euphorie auslöste, war Corben selber und auch an diesem Abend kickte er einen Stein über den Feldweg, als sie beim Halbmonddunkel zum Schloss zurück spazierten.
„Ehrlich Corbs?", kam es dann zumeist immer von Naome, immer mit exakt derselben Betonung und am energischsten war es, als sie am Dienstagmorgen in der letzten Schulwoche zu Zauberkunst aufbrachen. „Dem geschieht's recht, der ist 'n Slytherin."
Anne pflückte sich eine Spange aus ihrem Haar. „Außerdem ist es fünf Tage her."
„Und Flint ist ein Arschloch."
„Und er hats sowas von verdient."
Selbstzufrieden zog Naome ihren Umhangsaum zu.
Logans Geflüstertes „Und, du sahst ziemlich gut dabei aus", hörte aber nur Corben.
Einen Moment lang glaubte sie, dass sich ein matter Rotschimmer auf seine verkrampften Wangen schlich, doch vielleicht war es auch nur der Mittagsschein.
„Ehrlich, wenn ich nicht so gutherzig wär, hätt ich ihm die Zunge im Hals umgedreht", randalierte Naome und bemerkte gar nicht, dass Logan und Corben sich hinter ihr fallen ließen.
„Sag das nicht", raunte Corben Logan zu und seine Stimme klang wie Raspelholz „sonst mach ich's nachher noch öfter."
Sie verkniff sich ein Grinsen, „Alles klar, alles klar", schielte dann zu ihm hinauf, nicht überzeugend: „War 'ne ganz miese Nummer, Corben, tu's bloß nie wieder."
Am liebsten hätte er sie in diesem Moment geküsst. Das konnte Logan in seinen Augen sehen. Die Tatsache, dass Rob aus den Gängen verschwunden blieb und Rheinar Kalgans ehemalige Existenz über ihnen schwebte wie ein donnerndes Todesomen, vertrieb sein Blick allerdings trotzdem nicht aus ihrem Hinterkopf.
„Denkst du drüber nach?", fragte er sie nämlich noch am selben Abend, als sie die Besen in der Besenkammer am Platzrand ordneten - Diese Gryffindors machen mich noch wahnsinnig.
„Hm?" Logan hatte aufgesehen und blinzelte nun gegen das grelle Scheinwerferlicht an. Ihr heißer Atem verpuffte in der Dunkelheit und vereinzelte Schneeflocken sickerten zart wie Wimpernschläge um sie auf der Erde.
Aus der Kabine neben ihr überschoss Tinas Coverversion einer Muggelband das Duschengeprassel - Corben lachte unwillkürlich, bevor er wieder ernster wurde.
„Rob", sagte er nämlich und drückte ihr zwei Sauberwischs in die Hand. „Ob du dich dran aufhängst. Sieht nämlich sehr danach aus."
„Vielleicht." Logan wusste, dass sie ihm selbst im Halbdunkel der Tribünen nichts vormachen brauchte. „Ein wenig."
„Er wird okay sein", befand Corben und es war offensichtlich, dass er das nicht nur für sie sagte. Sich selbst musste er genauso überzeugen.
„Corben, es tut mir -"
„Nein." Er unterbrach sie, bevor sie sich ihm zuwenden konnte. Jedes Mal ließen ihn die Scheinwerfer unwirklich aussehen, ein klein wenig so als habe er sich bloß flüchtig in ihre Nähe verirrt. Trotzdem lächelte er ihr zu als bewiesen er: All dies könne gar kein Irrtum sein. Und nahm ihr den Schlüssel zur Besenkammer aus der Hand. „Ich hab dir gesagt, dass du dich nicht bei mir entschuldigen brauchst. Wenn, dann bei Rob."
Dann schloss er die Holztür zu, wischte sich Schneepflaum aus den Haaren. Und auch jetzt wünschte Logan sich, dass er sie einfach küssen würde, damit sie nicht mehr denken brauchte. Allerdings hatten sie beide verstanden, dass die Welt nicht ganz so einfach war und Corben musste an Logans geschmälerten Lippen erkennen, dass sie sich eine Frage verkniff.
„Sag es", verlangte er und sein salziger Körperduft unterstrich jedes Wort. „Oder frag es, was auch immer -"
„Hat Rob es dir je erklärt?" Also tat sie es. Und sah Corbens Stirn beim Faltenwerfen zu. „Was er außerhalb des Schlosses vorhatte?"
Ihr verschwitztes und gefrierendes Trikot hing ihr wie bleierne Schwere über den Schultern. Und trotzdem hatte sie diese Überlegung noch immer nicht aus ihrem Verstand streichen können. Sie nun mit ihrem diesigen Atem in die Freiheit zu entlassen machte das beklemmende Gefühl in ihrer Brust kaum leichter.
Corben überlegte einen Moment, starrte in die Dunkelheit hinein, bevor er wieder zu ihr sah. Mit derselben Offenheit und Ruhe, wie vor dem Kamin in ihrem Gemeinschaftsraum, als er sie an die Hand genommen und es ihr gesagt hatte: Ja, ich weiß dass Robs Das Rheinar Kalgan ist.
„Nein. Er hat es mir nie gesagt. Nie ganz", sagte Corben schließlich und in seinen Ausdruck schob sich eine ferne Undefinierbarkeit, von der Logan ahnte, dass sie sie vielleicht nie durchdringen würde. „Aber dass er zu seinem Vater wollte, das hat er mir erzählt."
„Und du hast es gewusst?"
„Was?"
„Dass er ein Todesser ist?"
Jedes Mal, wenn Corben in den vergangenen Tagen ihre Hand genommen hatte, hatte Logan sich gefühlt, als würde sie stechende Holzkohle umfassen. Als wolle sie festhalten und gleichzeitig gehen und mit genau demselben Ausdruck sah nun auch Corben sie an. Und nickte stumm.
Logan inhalierte die stechende Eisluft. „Du hast gewusst, dass Robs Vater ein Todesser ist?"
Corben blinzelte gegen die Wirklichkeit, doch er bestritt sie nicht. Mit keiner Faser seines Körpers wehrte er sich gegen diese Schuld und Logan wünschte, das hätte ihr mehr Sicherheit gebracht.
„Du hast es gewusst, und du hast ihn trotzdem gehen lassen?"
„Ja." Corbens Schultern spannten sich, und Logan sah ihm zu. Seinem malmenden Kiefer, dem stobenden Grau -
„Wieso?"
- bis er sie ansah. Und Logan spürte, was er spürte. Und ihm all das glaubte.
Denn Corben inhalierte die Luft. Tief und konzentriert, dass sein Shirt sich dehnte und Logan gar nicht wahrnahm, dass die Kabinentür irgendwo hinter ihnen aufging. Alles, was sie sah, war Corben. Und alles, was sie fühlte, war seine Ergebenheit.
Und all die Dinge, die es mit sich brachte, für jemanden da sein zu wollen, dessen Schmerz man niemals wirklich auf sich nahm.
„Denkst du nicht, dass ich mir selbst deshalb nicht die größten Vorwürfe mache?"
Davon glaubte sie ihm jedes Wort.
Irgendwo in der Ferne heulte Tina ihren Muggelgesang. Und Logan berührte Corbens Kinn.
„Vertraust du Rob?", flüsterte sie und wünschte sich, sie könnte etwas von der Zerrissenheit nehmen, die ihn spaltete. Dabei verstand Corben, was die eigentliche Frage war: Bist du dir wirklich sicher, dass sein Dad kein Todesser ist?
Sanft nahm er ihre Hand von seiner Haut und legte sie stattdessen an seine Brust, wo sie seinen Herzschlag spürte. Als wäre das Einsatz genug.
„Ja."
Logan umklammerte den Stoff. Ein letztes Hindernis gab es noch: „Warum hat Rob dir dann nie irgendwas Genaues erzählt?"
Corben atmete fest. Damit sein Brustkorb gegen ihre Kuppen drückte. Und sagte dann etwas, das Logan schon einmal gehört hatte. Stunden, bevor ihre Familie ermordet worden war: „Umso weniger man weiß, desto sicherer ist man manchmal."
Und damit glaubte Logan ihm.
In den letzten Tagen, bevor die Stille über Hogwarts fiel, nahm Logan sich ganzen Herzens vor, Rob zu vergessen. Und stattdessen Corben zu vertrauen. Damit, wann immer er ihre Hand in seine nahm, keine Holzkohle mehr unter ihren Fingern brannte und sie sich einreden konnte, bei ihm sicher zu sein. Auch, wenn sie sich beinah wünschte, er gäbe ihr bloß einen Grund, es nicht zu tun. Damit es ihr leichter fallen würde, sich von dem Sicherungsanker, zu dem er geworden war, zu trennen, wenn sie am Ende womöglich sanken.
Also versuchte Logan, sich letzten Endes doch auf den Schneefall zu konzentrieren. Die lallenden Elfen und die umherfliegenden Zuckerstangen. Und verbrachte deshalb jede freie Minute, die ihr zwischen die Finger kam, mit den Weasley Zwillingen. Wenn es nämlich jemanden gab, die im Weihnachtsnebel aller Ferienleichtigkeiten heller strahlten als die Zimtschnecken zum Frühstück und der Orangenpunsch zum Mittag, dann waren das Fred und George, die sich nicht einmal bei Snapes Aufsatz über Bezoare beschwerten.
Und während Logan das Gefühl hatte, die Ermüdung läge nach und nach all ihre Glieder lahm, sprach Fred in einer Weihnachtslied heischenden Singsangstimme, als sie ihm und George nach Pflege Magischer Geschöpfe in die Quere kam.
„Es sind sieben, sag ich dir."
„Niemals, es sind zwölf."
„Ach was weiß ich, was die Muggel sagen." Fred machte eine wegwerfende Handbewegung und verkündete, feierlich und absolut aufmerksamkeitsheischend an Logan gewandt: „Du siehst aus wie zwölf Tage Regenwetter."
George zog eine Grimasse. „Nah, ich glaub, es sind doch sieben."
Logan schnaubte, wenn auch trocken, und schielte an den Zwillingen hinab.
„Euer Weihnachtsgeschäft läuft, nehme ich an?"
Die Taschen ihrer Umhänge quollen nur so über mit Galleonensäckchen und Bonbonpapieren.
„Oh, es könnte kaum besser", sinnierte Fred und vergrub seine Kostbarkeiten trotzdem mit seinen Händen, bevor er wieder zu Logan sah, immer noch ganz offiziell: „Was aber nicht für dich gilt. Du guckst mieser, als Umbridge beim Frühstück."
Diesmal lachte sie wirklich. „Autsch."
Verschwörerisch beugte Fred sich an sie heran: „Ist es wegen Pierce? Brauch Flint 'ne zweite Schreckladung?"
Doch George war ungenierter: „Wenn ihr jetzt aufgeflogen seid, heißt das dann eigentlich, dass du 'nen neuen Platz für illegale Aktivitäten frei hast?"
Mit einem geschwisterlich herzhaften Augenrollen stieß Fred seinem Bruder in den Oberarm. George fluchte - Logan hingegen kam der Themenumschwung ausnahmsweise gelegen.
„Seid ihr schon bei Patroni?"
Fred zeigte eine wichtigtuerische Geste. „Seit gestern."
Von George hingegen kam nur ein Schnauben.
„Na", machte er, hatte sich jedoch lange auf Zehenspitzen gestellt um über die Schülermasse zu schielen. Sie hatten das Brückenende erreicht und lehnten in der Korridormündung.
„Ich mach Patroni", George feixte über seine Schulter, „Fred macht - irgendwas anderes."
„Merlin, wenigstens sieht meiner nicht aus wie Dads trocknende Unterwäsche."
George machte eine galante Drehung und gab ihnen zu verstehen, dass er sich dematerialisieren würde.
„Verdammt graziöse Unterwäsche, wenn ich bitten darf", beteuerte er jedoch noch, bevor er in der Menge verschwand.
Mit erhobenen Brauen sah Logan ihm nach - und verfolgte ihn lange genug, um zu sehen, wen er in dem Umhangwirrwarr anvisiert hatte.
„Wie war sein Date?", fragte sie, weil sie gerade noch erkannte, wie Georges Arm sich um energisch wippendes Lockenhaar schwang. Fast bildete sie sich ein, Tracie Warwick und ihr schallendes Gelächter über die Schülerschar zu hören.
„Ganz gut, denke ich." Fred war ihrem Blick gefolgt. „Ich mein, sie ihn dir an."
Jetzt tat George etwas, das beinahe wie eine dramatische Verbeugung aussah.
Fred machte ein Gesicht als könne er sich nicht zwischen Ekel und Belustigung entscheiden.
„Er ist so -"
Logan lachte: „Verknallt?"
Fred plusterte die Wangen. „Findest dus auch so schräg?"
„Nein."
Dann schnaubte auch er. Stieß sie mit dem Ellenbogen an, während sie sich in die entgegengesetzte Richtung wandten, um George und seine größer werdenden Augen nicht länger anstarren zu müssen.
„Sag nicht, du bist Romantikerin", witzelte Fred und zupfte Lametta vom Torbogen, als würde das seine Worte unterstreichen. Dann zog er es genüsslich über Logans Gesicht: „Oder ist das der Weihnachtsduft?"
Flink zog sie ihm die Girlande aus der Hand.
„Ich hab nur keine Angst vor Gefühlen, Weasley."
Fred rollte dramatisch die Augen.
„Das ist ein minimaler Unterschied."
„Du unterschätzt mich, Logan", höhnte er und fuhr an dem Geländer herum, bevor sie die Haupttreppen erreichen konnten. Jedes Mal, und jetzt erst recht, spaltete er die Schülermassen wie Moses das Meer. In solchen Momenten gab es immer nur ihn. Genau so wie jetzt, wo seine beißende Amüsanz so nah vor Logan schwebte, sie schmeckte fast den Zuckerguss aus seinen Worten hinaus. „Und das nur, weil ich weiß, wie man nicht die Kontrolle verliert."
„Ach ja?", war alles, was ihr einfiel, als Fred ihr herausfordernd näher kam. Sie musste die Augen schmälern, um seine Sommersprossen zu sehen.
Sein lockend heißer Atem war Herausforderung und Beweis zu gleich: „Ja."
Denn schon im nächsten Moment riss er sich fort. Oder er wollte es zumindest, das sah Logan ihm an. Aber die eine, minimale Sekunde, die es zwischen ihnen gab, in der bloß eine Handbreit ihr Feixen trennte, ließ er zwischen ihnen stehen. Als wäre er von ihrer plötzlich so ungenierten Nähe selber überrascht.
Aber trotzdem zog Fred sich am Ende los, binnen eines einzigen Atemzuges. Und Logan blinzelte als wisse sie nicht, ob dieser flüchtige Moment real gewesen war - und warum ihr Puls in ihren Lippen raste.
Schließlich stand Fred bloß da, in seiner schelmischen Selbstsicherheit, und bot ihr stattdessen seinen Arm an. Ungeniert, als stünden sie nicht inmitten des Schlosses: „Mittagessen?"
Eigentlich hatte Logan wirklich geglaubt, von da an Georges unerträglich schwärmerisches Gesicht bis zum Ferienbeginn pausenlos ertragen zu müssen. Und während des ganzen Auflaufs rätselten Fred und sie in schonungslosem Sarkasmus, wie sie ihn zur Vernunft bringen könnten, falls er je anfangen sollte, in säuselnder Liebesstimme zu reden - Ich schmeiß ihn mit Boxteleskopen ab, gar keine Hemmung, bin schließlich sein Bruder.
Am Ende kam es jedoch nicht dazu. Denn Georges liebestrunkener Ausdruck tauchte nicht wieder vor Logans Nase auf. Eigentlich tauchte er gar nie mehr wo auf und auch von Fred fehlte plötzlich jede Spur, nachdem sie sich von ihm mit einem "Es war mir eine Ehre, oh Herr der Kontrolle" vom Gryffindortisch zu verabschieden.
Der Platz neben ihr bei Binns blieb am nächsten Tag nämlich leer. Und niemand grinste ihr quer durch die große Halle zu. Auch, wenn Logan noch eine kurze Weile lang glaubte, dass sie sich darum nicht all zu große Sorgen zu machen brauchte.
„Jedes Jahr gibt's bei uns diesen wahnsinnigen Punsch", schwärmte Anne am Donnerstagnachmittag, als sie zum Unterricht aufbrachen. Ihre tellerrunden Meeresaugen funkelten vor Begeisterung und reflektierten das vom Tor baumelnde Lametta. „Und ich glaube, dass ich von meinen Eltern diesmal diesen Festumhang kriege, den ich mir schon seit Jahren wünsche."
Naome neben ihr grinste mürrisch. „Dafür müssen wir erstmal unseren Abschluss machen." Und weil sie Annes Wunschliste nicht aufs neuste vorgebetet bekommen wollte, schwenkte sie das Thema um: „Und was tust du hier Feierliches, Lo?"
Logan zuckte die Achseln. In den vergangenen Tagen hatte sie jeden Gedanken, der sie auch nur irgendwie zu Weihnachten hingetrieben hatte, aus ihrem Kopf verbannt.
„Mit nem guten Buch über Verwandlung meine Defizite aufarbeiten", sinnierte sie und ergänzte, als ihre Wahrsagelehrerin an ihnen vorbeizog: „Und mit Trelawny auf 'nen Kochsherry anstoßen."
Naome schmunzelte, doch Logan konnte genau sehen, wie sich ein Ausdruck der Träumerei vor ihre Iris schob.
„Wisst ihr", erklärte sie, während sie drei Drittklässler an ihnen entlangsprinten ließ „mein Dad macht immer guten Vanillepudding."
Und ab dem Moment, ab dem sogar Naome von der Weihnachtstrance heimgesucht wurde, wusste Logan, dass es bloß noch zwei Tage waren, bis sie sich in ihrem einsamen Schlafsaal verkriechen und an gar nichts mehr denken musste. An gar nichts mehr, das ihr die Zeit nehmen konnte, um sich aufs Wesentliche zu konzentrieren: Auf Rheinar Kalgan, auf einen Kompass, den sie nicht mehr besaß, und auf Jolanda Pierce, von der sie noch nicht wusste, was sie in dieser Geschichte bedeutete.
„- und mein Bruder macht irrsinns Zuckertee", schloss Naome zwei Etagen später, als sie Flitwicks gut besuchte Klassenzimmer, erreichten.
Logans Blick schoss augenblicklich an das andere Ende des Zimmers, doch jegliche Erwartung brach ein. Und während sie ihre Bücher ausräumten und das Geplapper um sie herum bei Professor Flitwicks Eintreten erstarb, fragte sie sich ernsthaft, ob sie nicht ein unerwartetes Nachsitzen bei Umbridge übersehen haben könnte.
„Hey Alicia", raunte sie dann während den Schutzwall-Übungen und Alicia erschreckte sich so sehr, dass ihr Kelch, um den sie einen silbrigen Wall errichten sollten, zur Ratte wurde - „Oh, sorry. Hast du was von Fred und George gehört? Hab sie seit Tagen nicht im Unterricht gesehen."
Flink fing Alicia ihr ungewolltes Haustier ein, tippte mit der Spitze ihres Zauberstabs dagegen - „Nein, leider nicht."
Dann schielte sie quer durchs Klassenzimmer, wo Lee Jordan lustlos in seinem Kelch rührte.
„Aber Lee meint, man hätte sie vor zwei Tagen aus dem Jungenschlafsaal geholt. Mitten in der Nacht. McGonagall hat toternst ausgesehen."
„Die haben sie doch nicht von der Schule geworfen, oder?", tönte Anne von der Seite und ihr Schutzraum, der eher einer Glaskugel glich, zersplitterte.
Alicia verzog das Gesicht. „Ich glaube kaum. Aber Angelina ist auch nicht hier. Hat nach dem Mittag bei McGonagall nachfragen wollen und seit dem -"
„Aber die anderen Geschwister", jetzt mischte sich auch Naome ein, die mit einer lockeren Handbewegung ihren vorbildlichen Schildzauber aufhob, „waren heute auch nicht beim Mittag. Ist das Zufall?"
Doch dieses Gedankenspiel zwischen ihnen erstarb, als Flitwick die Tafel am Kopfende des Raumes quietschen ließ. Und weil Angelina auch nicht zum Abendessen auftauchte, Lee nicht auch nur den blassesten Schimmer hatte und selbst beim nächsten Frühstück noch immer alle Weasley-Geschwister fehlten, blieb Logan in Unwissenheit.
„Ich bin mir sicher, dass ich irgendetwas vergessen hab", tönte Anne dann in einem hellen Ton der Verzweiflung am Freitag Morgen durch die große Halle, während sie sich geschlossen über die Sitzbänke schwangen. Sie alle trugen ihre Mäntel, Schals und Mützen unter den Armen und Corbens Hand verließ für den gesamten Weg hinab aus ihrem Gemeinschaftsraum Logans Rücken nicht.
Draußen, in einem schneefreien Halbkreis vor dem hohen, halboffenen Eichenportal türmten sich die vielen Lederkoffer all jener Schüler, die es über die Ferien nach Hause trieb und auch der Lehrertisch am Stirnende der Halle war voll besetzt und guter Stimmung. Wenn Logan sich nicht irrte, glaubte sie sogar tatsächlich Dolores Jane Umbridge lächeln zu sehen. Das war allerdings vermutlich vor Erleichterung.
„Ich wünsch dir trotzdem schöne Ferien", flüsterte Corben schließlich über Naomes lautstarke Versicherung hinweg, dass Anne wohl zwei Wochen ohne ihre Lieblingshandschuhe überstehen konnte – Nein, ich geh nicht wieder mit dir in den Gemeinschaftsaal hoch!
Logan wandte sich ihm zu. Auch, wenn ihr nun, wo sie die gesamte Halle in Aufbruchsstimmung sah, der Gedanke nicht mehr gefiel, allein zu sein. Es brachte sie zwar einer ruhigen Reflektion nieder, doch wer rettete sie vor den tosenden Gedanken, wenn sie in den stummen Gängen alleine war?
„Du kannst mir jeder Zeit schreiben", beteuerte Corben als hätte er ihre Gedanken gelesen und tat ihr ein dampfendes Croissant auf. „Ich antworte eulenwendend, versprochen."
„Es sind zwei Wochen, Corbs, die werd ich überstehen", erwiderte sie, doch sie wusste, dass er nicht die wichtigste Person war, die sie von dieser Tatsache überzeugen musste. Und klammheimlich wünschte sie sich, sie hätte sich heute Morgen an Chos Stelle über den peniblen Weihnachtsbrief ihrer Mutter aufregen können. Oder in Panik verfallen, weil das Geschenk für ihren Bruder zu Bruch gegangen war. Doch in ihr regte sich gar nichts. Außer das Unwohlsein, das die verstreichende Zeit ihr brachte.
„Ich werd Glühwein trinken, mit Dumbledore Schach spielen und Hagrid die Bowtruckle aus den Barthaaren zupfen."
Corben verschluckte sich fast an seinem Kürbissaft - „Klingt spaßig."
Logan bemühte sich an einem überzeugenden Grinsen, während die Posteulen zum letzten Mal in diesem Jahr über ihre Köpfe rasten. „Kannst du dir etwa ein schöneres Weihnachten vorstellen?"
Eine besonders dicke Ausgabe des Tagespropheten klatschte vor Naomes Teller.
Heute, vor dreihundertfünfundsechzig Tagen, war sie mit Thormend und Reed gemeinsam im Zug unterwegs nach Dublin gewesen. Nach Dublin, wo ihre Mutter am Gleis gewartet hatte, gemeinsam mit Gus in seinem viel zu dicken Sportpullunder der Dublin Dragons und mit diesem schrecklichen Hut, den John hatte stöhnen lassen. Heute, vor dreihundertfünfundsechzig Tagen, hatte sie ein anderes Leben gehabt. Ein besseres, irgendwie.
„Wenn ich übrigens von Rob höre" - sie war derart in Gedanken versunken gewesen, dass sie sich bei Corbens gedämpften Worten beinahe erschrak - „schreib ich dir. Er wohnt nur drei Häuser weiter, er kann sich nicht vor mir verste -"
„Hey Logan!" Naomes Stimme klang schriller als es üblich war. „Ey Logan -", eine Doppelseite flog über den Tisch hinweg und landete auf ihrem Schoss, „- sieh dir das an."
Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, was Naome von ihr wollte. Einen Moment, in der Logan in Naomes sorgenvolles Gesicht starrte, dann auf die Zeitung in ihrem eigenen Schoß zurück. Naomes erschrockenes Braun, dann das Bild vor ihr. Und damit Arthur Weasleys Gesicht.
Als Logan die Überschrift des Artikels las, blieb ihr fast die Luft in der Kehle stecken – Arthur Weasley (Missbr. Mag. Muggel-Art.) lebensgefährlich verletzt.
In ihrem Kopf dröhnte es.
„Was ist das?" Brixtons Stimme echote nur aus weiter Ferne.
Denn Logan bemühte sich wirklich, die Worte in schwarzer Tinte unter dem Foto zu entziffern, doch es gelang ihr nicht. Sie verschwammen und verloren an Sinn.
„Wir hatten doch gestern noch überlegt, wo die ganzen Weasleys sein könnten", erklärte Naome, während sich Corben über Logans Schulter beugte. „Sie sind bestimmt zuhause. Ihr Vater ist angegriffen worden. Er liegt im St. Mungos." Und das nächste, was sie sagte, ließ den Raum rotieren: „Er schwebt in Lebensgefahr."
[...] Arthur Weasley war vergangene Dienstag Nacht um halb eins verwundet in einer Abteilung des Ministeriums aufgefunden worden. Die Ursachen seines Aufenthalts zu dieser späten Stunde, genau so wie Details zu dem möglichen Angreifer, bleiben unklar. Aufgehalten hatte er sich nahe der Mysteriumsabteilung und der -
„Mysteriumsabteilung?", raunte Anne und lehnte sich wieder zurück. Ihre Stirn zog sich kraus. „Was soll das denn sein?"
„Die Ecke im Ministerium, in die eigentlich keiner hin soll", erklärte Corben und seine Augen folgten der Zeitung, die Logan mit verkrampften Fingern zurück über den Tisch gleiten ließ. Und beinahe so als erhoffte sie sich einen Widerspruch zu dieser Tatsache, sah sie zum Gryffindortisch hinüber. Doch weder Fred und George, noch Ginny oder Ronald waren da.
Brixton schnappte sich den Artikel. „Wieso, was haben die da?"
Corben zuckte mit den Achseln. „Alles Mögliche an schwarzmagischen Kram." Und dann fügte er hinzu, so leise, dass niemand außer Logan es hören konnte und was eigentlich vielleicht nur ein Scherz sein sollte: „Ich weiß nicht. Vielleicht auch Wegweiser?"
Und ab da wollte der Morgen niemals enden. Und egal, wie hilfesuchend ihr Blick über die schnatternde Schülermasse zum Lehrertisch empor schoss – zu Dumbledore, oder McGonagall, oder Snape, jemand musste es doch bemerken – bekam sie keine Antwort. Alles, was sie beobachtete, war deren Munterkeit und die vor ihnen unberührten Tagespropheten.
Für den Rest des gesamten Frühstücks war ihr Gaumen taub und jeder einzelne Bissen ihres Crossaints schmeckte nach bitterer Schuld. Und während sie die glänzenden Gläserrender um sie herum musterte, wunderte sie sich, ob sie Arthur Weasley nur aus diesem Grund begegnet war. Als hätte sie sich bloß für diesen Augenblick seine sorgenvolle Miene und die bedachten Gesten eingeprägt. Für diesen Moment, in dem alles aussichtslos wirkte und in dem ein tiefer, schmerzender Schlag ihre Eingeweide traf.
Und vielleicht, dachte sie, als sie sich nach dem Essen erhoben und zu den Kutschen vor dem Eichenportal schlenderten, war es wirklich nur für diesen Moment gewesen. In dem Moment, in dem die Sonne auf der Schneeschicht an den Kieferzweigen glitzerte. Als ein Vogel über den klaren Himmel zog. Für den Moment, in dem sie an Fred und George Weasley dachte, während Corben sich den Rucksack überwarf. An die Zwillinge, ihre Familie und an die Möglichkeit, dass sie in genau diesem Augenblick, irgendwo weit fern von ihr, vielleicht ein klein wenig wie Logan wurden. Dass sie irgendwo vielleicht begannen, ein Teil ihres Schicksals zu teilen. Dass Arthur Weasley vielleicht im Sterben lag.
„Ich schreib dir, wie versprochen, okay?" Corbens Stimme war eine Unwirklichkeit, auch wenn sie sie hatte kommen sehen. Seine Finger glitten ihre Wange hinab.
Sie lächelte, doch an dem Schmerz in ihrem Kiefer erkannte sie, es gelang ihr nicht.
Corben warf einen Blick über die Schulter. An ihnen strömten die Schüler vorbei und Brixton und Naome hievten Annes Reisetasche in einen freien Kutschenraum.
Und dann, Logan wusste nicht, warum sie es sich so herbei sehnte, küsste Corben sie. Er küsste sie, das erste Mal in einer Menge. Einfach so. Wenn auch nur flüchtig und wenn auch nur mit halb so viel Intensität wie in diesen verlassenen Gängen und leeren Klassenräumen. Er küsste sie und doch gab es ihr nicht die Erlösung, die sie nun gerne fühlen würde; dennoch reichte es nicht, dennoch machte es sie nicht wieder ganz.
„Ich werd dich vermissen", versicherte er ihr, bevor er sich der Kutsche zuwandte.
„Ich dich auch", versprach sie zurück.
Und als sie sie davon gleiten sah, durch den Tannenbogen in die schneeige Unendlichkeit hinein, hatte sich die Panik wie in einem stummen Hilfeschrei schrecklich fest um Logans Brust geschnürt.
„Professor."
Sieben Minuten später war der Verwandlungsklassenraum im dritten Stock verlassen. Bloß die Kreidenotizen einer vergangenen Unterrichtsstunde füllten noch die Tafeln und das Echo ihrer Schritte peitschte noch immer durch die plötzlich ausgestorbenen Gänge. Der Duft angesengter Rattenhaare lag in der Luft.
Professor McGonagall, die einen Stapel Pergamente auf ihrem Pult beisammen klopfte, sah auf. Die strenge Falte zwischen ihren Brauen lichtete sich, als sie Logan im Licht des Flures die Tür hinter sich zuziehen sah.
„Professor, Arthur Weasley -"
Der Hauslehrerin der Gryffindors entfuhr ein Seufzen. Und für einen Moment glaubte Logan, dass Professor McGonagall auf sie gewartet hatte.
„Es geht ihm den Umständen entsprechend gut."
„Die Weasleys -"
„Sie sind im Grimmauldplatz, Miss Ainsley", erklärte sie geduldig und sah sie über die unüberbrückbare Distanz zwischen ihnen an. Dennoch schwang ein Hauch der Gutmütigkeit in ihrer Stimme und Logan fand, dass auch sie bei diesen Worten Erleichterung durchzog.
„Aber Professor", flüsterte sie. „Arthur Weasley war im Ministerium, ich habs im Tagespropheten gelesen. Was hat er da - hat er für den Orden -" Für einen strengen Atemzug fixierte sie die Spitzen ihrer Finger, dann sagte sie es: „Hat er wegen meiner Geschichte -"
„Mr. Weasley war in einer Sache des Ordens unterwegs, in der Tat", gestand Professor McGonagall und für eine zehrende, alles zerfressende und in sich vernichtende Minute hörte sich diese Tatsache wie eine Bestätigung ihrer Befürchtungen an. Und so spannten sich in Logans Brust alle Muskeln der Schuld, bevor diese Panik doch noch brach: „Aber es hatte nichts mit Ihnen zu tun."
Ihr Atem schoss aus ihrer Lunge und das Zimmer um sie schien sich wie bei all ihren Gesprächen in eine Unendlichkeit zu ziehen.
Trotzdem drohten die Fassung und die Unnahbarkeit ihrer Verwandlungslehrerin eine Rückkehr an.
„Die Weasleys werden ihr Weihnachten beim Orden in London verbringen, die ganze Familie", ergänzte Professor McGonagall nämlich nach einer kurzen Pause, in der Logan sie einfach nur angesehen hatte. Und sagte dann, was sie nicht hatte kommen sehen: „Sie sollten nicht hier alleine sein."
Der Stapel an Aufsätzen glitt nieder und Professor McGonagall faltete ihre Hände ineinander. Beinahe glaubte Logan, ein Lächeln zu sehen.
„Mr. Black wird sich über ein weiteres, lange nicht gesehenes Gesicht freuen."
In Logan bäumten sich die Unmöglichkeiten und doch stürmte diese Chance. Und sie gewann, in einem letzten Klang und einem vielsagenden Blick McGonagalls, über den Rand ihrer Brille hinweg: „Er hört sich auch gerne Quidditchgeschichten an."
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Ui, für Logan gehts also zum Grimmauldplatz. Und wir steuern auf Weihnachten zu. Perfekt, ausgerechnet im April.
Trotzdem hoffe ich, dass ihr die kommenden Kapitel mit dem Orden genießen könnt. Gibts was, das ihr erwartet? Irgendwelche Ideen, was neben Weihnachtspunsch und Neujahrsjubel auf uns zukommen könnte?
Oben ein Song, der mich so arg an Corben und Logans Beziehung erinnert, dass ich ihn euch nicht vorenthalten wollte. Our favourite set of starcrossed lovers who might just aren't meant to be.
Die Widmung heute geht übrigens an LeeshyBee, weil ich mich jedes Mal so freu, wenn ihr User bei meinen Benachrichtigungen auftaucht. Danke für die wunderbare Unterstützung.
Dieses Update war nur ein kleiner Lückenfüller, Samstag schliddern wir dann durch das Flohnetzwerk in den Grimmauldplatz. Also alle bitte deutlich sprechen, wenn wir bei Minnie im Kamin stehen.
See you on saturday, Ally x
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