32 | ein weg.

Bis zum Mittag vernebelte die Undurchsichtigkeit, zu der Robert Pierce mit Naomes einfachen Worten geworden war, Logans Verstand.

Als sie zu Pflege Magischer Geschöpfe lief und dem Gras bei seinem Tanz im Winterwind zusah, dachte sie an ihn. Als man zum Mittag in der Großen Halle Kartoffelgratin servierte, hielt sie nach ihm Ausschau. Und als sie mit Corben in ihrer Freistunde auf einer Bank im Innenhof saß, dem vereinzelten Platschen dumpfer Schneeregenflocken lauschte und halbherzig über mögliche Spielzüge der Slytherins sprach, lag es ihr auf der Zunge. Doch sie brachte es nicht über sich.

Viel zu omnipräsent hallten Naomes Worte durch ihren Hinterkopf. Rob ist nicht auf der falschen Seite. Und viel zu krampfhaft wollte sie das auch selber glauben.

Also hielt sie das Meer aus Möglichkeiten in ihrer Gedankenwelt versperrt und ließ stattdessen zu, dass Corben sie in seinen Bann zog, wann immer es ihm gelang, sie von den Erinnerungen an Freds piercendem Ausdruck loszureißen. Etwas, das sie selbst nun, zehn Tage später, nicht wirklich vergaß.

Dabei war der Frust schon lange aus seinem Ausdruck geflogen und auch Logans brodelnde Wut gegen die Zwillinge drohte zu versiegen. Auch, als sie noch am selben Tag in Zauberkunst quer durch den Klassenraum schielte.

„Sieht aus, als hätten sie ihr Nachsitzen gehabt", mutmaßte Naome und fiel auf ihren Sitzplatz. So tief, wie sich ihre Augenringe kerbten, hatte sie in der vergangenen Nacht wirklich nicht geschlafen.

Am anderen Ende des schmalen Raumes steckten Fred und George gemeinsam mit Lee Jordan die Köpfe zusammen. Allerdings lachte keiner von ihnen. Und die Hände der Zwillinge waren gemäß alter Gewohnheit in dicke Mullbinden bandagiert.

Als Professor Flitwick ihnen später auftrug, ein Weinglas in der Luft auszugießen und den Inhalt selbst aufzufangen, ohne etwas zu verschütten, verzogen beide Zwillinge allein beim Heben ihrer Zauberstäbe das Gesicht. Als Georges Glas dann später so schwungvoll herumwirbelte, dass es Cho Changs Glas nebenan zerbarst, lachte nicht einmal jemand.

Lediglich auf Freds Lippen zeichnete sich ein verräterisches Zucken.

„Vielleicht lernen sie ja aus ihren Fehlern", mutmaßte Anne, ohne den Blick von ihrem Weinglas zu nehmen. Undurchsichtig, was genau sie meinte.

An diesem Morgen hatte bloß sie wirklich wach ausgesehen und klammheimlich fragte Logan sich, ob es entweder an ihrem Himbeertee lag oder daran, dass sie sich in ihrer Gutmütigkeit um zu wenige Dinge Sorgen machte.

„Hast du mitbekommen, dass Naome noch ziemlich lange wach war?", fragte Logan, während Professor Flitwick Chos Umhang trocknete.

Jetzt zuckte Annes Iris von dem schwebenden Glas davon. Doch sie fing sich und erwiderte so leise, dass Naome, die sich mit Brixton gegenseitig Weinschlücke zuwarf, sie nicht hörte: „Ja. Sie hat was geschrieben."

„Wie, was geschreiben?"

„Ich weiß nicht." Anne ließ ihren Zauberstab sinken und zerrieb beiläufig einen blutroten Tropfen, der sich in ihren Locken verfangen hatte. „Ich fürchte, sie macht sich Sorgen um Rob. Er und sie haben sich früher immer Briefe geschrieben, musst du wissen. Bevor das alles zuende ging."

Als sie den Klassenraum keine zwanzig Minuten später verließen, hatten sie nicht bloß einen massigen Berg neuer Hausaufgaben bei sich, sondern Brixton auch eine vom Rotwein triefende Krawatte. Nachdem sein Glas doch noch mit dem von Naomes kollidiert war, hatte Flitwick ihnen glatte zehn Hauspunkte abziehen müssen.

„War doch alles gar nicht so wild", beteuerte Brixton und hinterließ eine tropfende Weinlache auf dem Korridorboden, als sie das Klassenzimmer verließen. „Nur weil -"

„Logan."

Er erwischte ihren Oberarm, bevor er ihren Namen sprach. Und obwohl seine Finger kaum durch den losen Stoff ihres Hemdes drangen, waren sie sicher genug, dass sie herumfuhr.

Fred Weasleys Haut war blass und die Ränder seiner Augen Schlaf unterlaufen. Überrascht folgten Brixton, Naome und Anne der Bewegung.

Und Fred, der eben noch glatt etwas hatte sagen wollen, würgte es seine Kehle hinunter. Verdrossen schielte er über die neugierigen Ravenclaws hinweg, geradewegs in Logans Blau: „Ohne Publikum?"

Und schon ließ sie sich von ihm beiseite ziehen, weg von Annes Visier und Brixtons weiteren Beschwerden. Stattdessen tauchten sie in den nächsten Korridor.

Logan schob sich an die Steinwand. Freds Finger ließen sie so abrupt los als hätte er sich verbrannt. Sie wusste, dass er sie ansah. Dass das Grün seiner Iris sie durchdrang und dass dort nichts mehr von dem Zorn war, den sie am Samstag noch so beißend fest gesehen hatte, als sie von Filch aus der großen Halle geführt worden waren. Doch anstatt den Kloß in ihrem Hals zu sammeln, fixierte sie bloß seine rechte, in einen weißen Verband umwobene Hand.

„Ihr musstet schon wieder nachsitzen", war das erste, was ihr einfiel. Auch wenn es nicht so hart klang, wie es hätte sein können. Vielmehr war es eine Feststellung und Freds Lippen zuckten zu einem vagen Lächeln.

„Ja" Noch im selben Atemzug nahm er die bandagierte Hand, die er neben Logans Kopf gestützt hatte, aus ihrem Blick. „Aber -"

„Wieso könnt ihr beide nicht einfach -"

Fred entwich ein Seufzen. Ein belustigtes. Ein widerwilliges.

„Darüber wollte ich eigentlich nicht mit dir sprechen", beteuerte er und als Logan es wagte, zu ihm zu sehen, war sein Gesicht nur einen halben Meter weit entfernt. Ein getrockneter Rotweinfleck klebte in seiner Braue.

Sie konnte die Wärme spüren, die er radierte wie eine Einladung; seit dieser einen Nacht vor diesem einen Spiel, wann immer sie alleine waren. Als teilten sie ein Geheimnis, das nicht einmal sie selber kannten.

„Und worüber dann?"

Fred sah sie an. Hielt der Herausforderung in ihrem Blick stand. Ohne Wut, ohne giftigen Schmerz.

„Was ist es, das dich Corben so misstrauen lässt?", fragte sie, als er noch immer nichts gesagt, sondern sie einfach unerbittlich angesehen hatte.

„Ich glaube, dass du ein falsches Bild von ihm hast", erwiderte er und es war eine der wenigen Male, an denen er die Dinge einfach so sagte. Ohne Spott, ohne Herausforderung, ohne Hohn. Sogar ohne Witz, er sagte es einfach und seine Stimme war klar. „Hör mal, Logan, ich will ihn dir nicht ausreden. Ich will nur, dass du weißt, was du tust."

„Ich weiß, dass Rob letztes Jahr verschwunden ist." Es verließ ihren Mund mit derselben faktischen Nüchternheit. Und auf Freds Ausdruck zog sich ein Schatten der Verwunderung. Ein Schatten, der ihre Vermutung bewies: „Weißt du davon?"

Für einen Moment sah es so aus als wisse Fred, was er sagen wollte. Für einen Moment glaubte Logan, und ein beflügelter Teil in ihr sehnte sich danach, dass er nun all ihre Sorgen um Corben und Rob revidieren würde. Dass er mit einem Atemzug die Zweifel ersticken konnte und alles besser machte. Dass er sich entschuldigen würde. Einen Moment.

So lang, bis der Augenblick erstarb.

„Hey Logan, ich -" Die Stimme hallte vom anderen Ende des Korridors und erstarrte so abrupt, wie ihr Kopf herum geschossen war.

Freds Distanz verdoppelte sich um eine weitere Armlänge.

„Sorry, ich wollte euch nicht stören."

Und so ertappt, wie er drein sah, war er auch wohl. Corben McLaggen war hinter der nächsten Ecke erschienen, die Schultasche grob über die Schulter geworfen und mit rasant ablflachender Aufregung im Blick, die ihn zuvor noch getragen hatte als als hätte ihn soeben ein Geistesblitz getroffen.

„Nein, alles gut", versicherte Fred und mit jedem Zentimeter Entfernung versiegte die Chance. „Ich lass euch allein."

„Hey nein -" Logan machte Anstalten, nach seinem Umhangsaum zu greifen, erwischte jedoch bloß einen warmen Schwall an Luft. „Fred, hör auf, immer zu verschwin -"

Doch er hörte sie nicht. Wollte es gar nicht. Grinste viel lieber neckisch als wären sie soeben wieder zu Freunden geworden. Dabei war er im nächsten Augenblick schon verschwunden, ein letzter bleiern schwerer Satz auf den Lippen: „Vielleicht musst du ihn einfach selber fragen."

Also starrte sie ihm nach, bis die einbiegende Schülertraube ihn verschluckte.

„Merlin", seufzte sie und schluckte, was pulsierendem Frust gleichkam, „ist der ein Vollidiot."

Corben runzelte die Stirn, hatte bloß ein Achselzucken.

„Reg dich lieber gar nicht erst auf."

Logan ließ die Schultern fallen.

„Er ist aber wirklich ein Vollidiot."

Corben feixte. „Letzten Monat hat er dir noch ein Klatscher-K.O. erspart."

Pikiert zog sie die Unterlippe vor. „Ich mein ja nur - er führt sich auf -" Sie musste es aussprechen, hob wegwerfend die Hand „- als könnte er nicht mal im selben Spektrum existieren wie du."

Auf Corbens Ausdruck schlich sich ein Hauch Selbstzufriedenheit. Trotzdem drückte er Logans auffahrende Gesten nieder.

„Sorry." Sie stöhnte. „Ich bin nur so tierisch wütend. Auf alles."

Corben spannte seine Lippen so sehr, dass er beinah nicht grinste. Ganz konnte er es sich trotzdem nicht verkneifen. 

„Er nervt aber. Und sein Bruder genau so. Und der Kompass, und dass wir nicht vorankommen und -"

„Schleppst du das Ding etwa immer mit dir rum?" Überrascht starrte Corben auf das ratternde Gehäuse in ihrer Hand, das sie aus Gewohnheit hervorgezogen hatte. Unschuldig ratterte es in ihrer Hand und spiegelte Corbens strengen Blick.

Sie verzog die Lippen, doch Corben blieb standhaft. Er streckte die Hand aus. „Gib mal her das Teil."

Doch als sie sich nicht regte und ihre Augen bloß von seinen zu ihren Fingern tanzten, forderte er wesentlich strenger: „Gib schon her, du solltest es nicht - na geht doch."

Noch während es aus ihrer Handfläche fiel, konnte Logan die Erleichterung spüren, die sie flutete. Und für einen Moment war ihr als wenn der Wind des Innenhofs all die bleierne Schwere verblies.

Aufmerksam sah sie dabei zu, wie Corben den Kompass in seine Hosentasche steckte, musterte ihn und die Erde an seinem Kinn - „Was gibts?"

Er holte tief Luft und Logan konnte schwören, dass seine Brust spannte. Die Aufregung, mit der er um die Ecke gebogen war, fand zu ihm zurück.

„Das Spiel dieses Wochenende", sagte er, wesentlich angespannter als beim Quidditchtraining.  Das Grau seiner Iris war mittlerweile der einzige Prüfstand, dem Logan nicht entweichen wollte. „Gehst du mit mir hin?"

Irgendwo schrecklich weit entfernt läutete es zur nächsten Stunde. Sie sah ihn an.

Ihn und seine breiten Lippen, das kantige Gesicht und die Fältchen um seine Mundwinkel; das länger werdende Haar und der Geschmack, den er versprach.

„Ich würd dich abholen. Also -", er verlagerte sein Gewicht auf die Ballen. „Ich mein, wir gehen zusammen hin und - sehen uns das Spiel an und -" der nächste Satz kostete ihn alle Kraft - „reden."

Und das, so wusste Logan, hätte der Moment sein können. Der Moment, in dem die dröhnene Selbstkontrolle über ihren rebellierenden kleinen Teil gewann. Wo sie den Wunsch nach Corben McLaggens Nähe und einem zweiten, fordernden Kuss in ihrer eigenen Schicksalsergebenheit erstickte. In dem sie auf Fred Weasley hörte und sich von ihrem Drang nach einer Heimkehr distanzierte.

Doch aus irgendeinem Grund tat sie es nicht. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich leicht. Und nichts tat ihr weh.

„Ja", beschloss sie also, mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ja gern."

„Perfekt." Er grinste. „Aber ich würde früh - also ich würde gute Plätze sichern. Naja, damit wir auch trotzdem sehen -"

Logan ahnte es.

„- wie die Slytherins spielen?"

Heiser lachte er. „Ja."

Sie zog die Gurte ihres Stoffrucksacks zurecht und ein Hochgefühl, das süßer schmeckte als Annes Tee von gestern Nacht duftete, flutete ihren Verstand.

„Geht klar", versicherte sie ihm.

„Geht klar", akzeptierte er, bevor er mit einem Lächeln und dieser allumfassenden Präsenz in seinen nächsten Unterricht verschwand. Nichts zurücklassend, außer neuartige Wärme in Logans Brust und den seltsamen und ewig vermissten Eindruck, sich auf etwas freuen zu können.

Für den Rest des Tages war es genau diese Leichtigkeit, die sie um sich trug wie ein Schutzmantel, so dass nicht einmal der Abschreibunterricht von Dolores Jane Umbridge sie aus ihren Wogen der Freude reißen konnte.

Und als Logan selbst dann, bevor es am Abend zum Quidditchtraining ging, noch immer leise vor sich hin summte, hatte Naome bloß eine skeptisch gehobene Augenbraue für sie über. Und einen Kommentar, der noch nie leichter zu übergehen gewesen war:  „Na Ainsley, zu viel Amortentia geschnuppert?"

Draußen träufelte seichter Winterregen gegen die Schlosswände. In die Korridore kroch bereits die frühe Dunkelheit, als Logan an der großen Halle vorbeieilte, den Mannschaftspullover bis ans Kinn gezogen, die Sportsachen im Gepäck und angelockt vom warmen Zimtgeruch.

Es war einer der Tage, an dem es mit Dezembereinbruch Winter ward und die Nacht sich zu früh in den Nachmittag verirrte. Am Rande der Kerkerklassenzimmer kratzten noch immer zwei Drittklässler festgetrockneten Schleim von den Tischen und Logan starrte ihnen so fasziniert hinterher, dass sie beinahe mit der Person hinter der nächsten Korridorecke zusammengestoßen wär - Pass auf!

Amanda Patrice strafte sie mit einem scharfen Blick, auch wenn sie ihr grade rechtzeitig auswich, um zwei Reagenzkolben voll grellroter Flüssigkeit nicht auf dem Boden zu verteilen. Ihr Haar war in dem üblich straffen Zopf hochgeschlossen und hinter ihr, mit verzogener Miene und fest verzahnten Fingern, stand Rob.

„Merks dir", zischte Amanda und schob sich grob an Logan vorbei; das rote Gesöff schwappte gefährlich. Doch Rob starrte bloß widerborstig in ihr pferdeartiges Gesicht. „Wir kriegen noch raus, was du vorhast, Pierce."

Und mit dieser Warnung verschwand sie um die Ecke gen slytherinschen Gemeinschaftsraum.

Logan, die rückblickend beinahe vergessen hatte, wie sie in dieser Situation gelandet war, hob eine Braue und wartete ab. Rob, der die Aufforderung verstand, wandte sich jedoch bloß kommentarlos zum Gehen. Hastig holte sie zu ihm auf.

„Eh, Rob. Was war das grade?"

Ein Schnauben prallte gegen seine zusammengebissenen Zähne, während er tief in seiner Umhangstasche nach einer vorgedrehten Zigarette kramte, bevor sie zwischen seinen Lippen landete.

„Ach", nuschelte er gegen den Filter und ließ sein Feuerzeug drohend klicken. Die Flammen bisschen sich mit seiner Zornesröte. „So ein blöder Anstecker, 'nen idiotisches Inquisi-wasauchimmer-Komando und die glauben alle, sie wären die neuen Zaubereiminister."

Weil er erkannte, wie weit sie noch vom Schlossportal entfernt waren, fischte er das Tabakstäbchen wieder aus seinem Mund und schob es stattdessen hinters Ohr.

„Flint hat mitbekommen, dass ich Sontags immer zur selben Zeit weg bin."

Logan zog die Gurte ihrer Sporttasche strämmer. „Naome und Brixton haben auch schon was geahnt."

„Naome und Brixton wollen uns aber nicht an Umbridge verraten, oder?"

Es hatte vielleicht nicht so bissig klingen sollen, denn selbst er hatte abrupt die Mundwinkel verzogen. Anstatt sich jedoch zu entschuldigen, raufte Rob seine Ledertasche zurecht.

„Wir sollten uns was ausdenken", befand Logan und versuchte, seine miese Laune selbst hinunterzuwürgen. „Ein Alibi, damit sie uns nicht hinterher schnüffeln."

„Kannst du gerne versuchen." Wieder ließ Rob das Metallfeuerzeug aufploppen. „Das wird bei denen leider gar nichts bringen." Doch vermutlich, weil Logan ihn jetzt genau so verbissen anstarrte, hielt er inne und ließ die Hände wieder sinken. Erneut, bevor die Flamme das Zigarettenende erreichen konnte. „Was?"

Logan straffte ihre Schultern. „Wieso sind sie so hinter dir her?"

„Das kannst du nicht verstehen."

„Du könntest versuchen, es mir zu erklären."

Er zeigte eine wegwerfende Handbwegung. „Viel zu anstrengend."

Ihre Brauen strafften sich - 

„Logan, das ganze verdammte Haus giert danach, mir auch nur das kleinste Fehlverhalten unterzujubeln. Könnten mich mit einem Fingerschnippen loswerden, wenn sie was finden würden."

„Wieso?" Sie starrte in sein eingefallenes Gesicht. Und überlegte gar nicht, ob es das wert war - „Weil du hier quasi auf Bewährung bist?"

Rob erstarrte. Die Zigarette fiel ihm fast aus dem Mund. „Was meinst du?"

Im Grunde gab es keinen Weg zurück. Also holte sie Luft. Und versuchte kein wenig anschuldigend zu klingen. 

„Ich weiß, dass du letztes Jahr abgehauen bist."

Kalter Wind begrüßte sie, als sie auf die Brücke zu den Ländereien traten und die Dämmerung verschluckte längst die Türme des Schlosses.

Rob hingegen starrte bloß Logan an. Die Zigarette war auf halbem Wege festgefroren und es dauerte einen Atemzug, bis er sich in seiner Realität wieder fand. Dann stopfte er den Glimmstängel zurück in die Umhangtasche und das Feuerzeug hinterher. Er sah nicht mehr danach aus, als würde er nun noch frische Luft brauchen - Weil du letztes Jahr abgehauen bist?

„Gegebenenfalls." Die Gleichgültigkeit in seiner Stimme war hohl. Auch wenn die eisigen Temperaturen an ihren Wangen brannten.

„Warum?", hauchte Logan und abrupt hob Rob den Kopf, blinzelte gegen das durch die spärlichen Holzgiebel brechende Dämmerungslicht.

„Warum was?"

„Warum bist du abgehauen?"

Für einen Moment glaubte sie, ein Grinsen würde sich auf seine Lippen schleichen, doch dann erkannte sie, dass es nichts weiter als plumper Zynismus war.

„Glausbt du mir, wenn ich dir sage, dass ich so gar kein Bock mehr aufs Trimagische Turnier hatte?"

Sie hob die Brauen. Und diesmal lachte er wirklich.

„Dacht ichs mir." Sein Blick glitt die menschenleere Passage entlang. Lediglich von den Gängen hinter ihnen ging vereinzeltes Stimmenwirrwarr in pfeifenden Windböen unter. Gemeinsam mit dem verlockenden Duft nach Abendessen. 

„Du wärst fast von der Schule geflogen." Es auszusprechen war nicht ganz so schlimm, wie darüber nachzudenken. Doch stattdessen echoten jetzt Freds Worte vom Morgen durch ihren Kopf; Vielleicht musst du ihn einfach selber Fragen. „Und Corben auch."

Rob schnaubte. „Corben hätte sich nicht erwischen lassen dürfen."

„Wie bist du überhaupt aus dem Schloss gekommen?"

Der Winter kam heute mit einer Endgültigkeit. Und auch, wenn sich die Kälte bis auf ihre Knochen fraß, konnte Logan Rob nichts an seiner Undurchsichtigkeit nehmen. Die Lippen, die er im Ruinenzimmer sonst immer zu diesem freien Lachen verzogen hatten, wirkten nun seltsam trocken und hart. Als hätte die Luft die Bräune aus seiner Haut, die Sonne von seinem Körper und die Unbeschwertheit zwischen ihnen vertrieben. Ein wenig fühlte es sich an, als sähe sie ihn nun zum ersten Mal.

Robs Brust spannte sich. Und er starrte über das schmale, steinerne Tal hinweg. 

Als überlege er, was er sagen konnte. Als wäge er grade genaustens sein Vertrauen ihr gegenüber und all dessen Folgen ab.

„Rob, wie seid ihr aus dem Schloss gekommen?"

Er kickte einen Stein die Dielen entlang. Ruckte den Kopf.

„Die Weasley Zwillinge."

Die Luft wurde fahl.

„Was?"

Rob grinste. Aber es war kalt. Reue in kargem Spott auf sich selbst.

„Die Weasleyzwillinge kennen tausend Wege überall hin. Und natürlich auch einen hier raus."

Er blies die Luft aus seiner Lunge als hätte er geraucht. Dabei entflog ihm nur sein Atemduft nach Minze.

Zum ersten Mal wurde Logan davon schlecht. Sie dachte an Corben und seinen zerknirschten Gesichtsausdruck vor Monaten noch, an fast exakt ein und demselben Ort, als er ihr genau das gesagt hatte: Die Zwillinge. Frag sie. Sie kennen einen Weg hier raus, garantiert.

Rob spannte seine Brust. Blinzelte in die Dunkelheit. 

„Man konnte durch einen Tunnel am Rande des Verbotenen Waldes."

„Aber ich dachte, es gibt nur einen einzigen Weg -", entgegnete Logan und fand noch immer, dass der Begriff Weasley Zwillinge aus Robs Mund schrecklich entrüstend klang. „An der buckligen Hexe, und der führt -"

„Naja", Rob zuckte die Achseln. „Letztes Jahr gab es noch zwei."

Und Logan verstand. „Ihr seid erwischt worden."

„Corben ist erwischt worden." Rob hatte den Zeigefinger erhoben als bessere das etwas. Aber noch immer waren seine Lippen trocken. Vor Zynismus kalt. Dagegen war der Winter warm. Bis er das erste an diesem Tag sagte, das Logan wirklich zum lachen brachte - allerdings aus Frust: „Die Zwillinge hatten keine Ahnung, worum es ging. Bereuen glaube ich bis heute, dass sie mir geholfen haben."

Und sie verstand.

Die untergehende Sonne war eisern und das ferne Stundenleuten in den zurückliegenden Korridoren fremd, aber sie verstand. Freds Blick, seinen Ausdruck, seine Wut. Sein Misstrauen, Georges Unbehagen - Vergiss das. Sie verstand. Auch, wenn sie zeitglich nichts verstand.

„Was hast du gemacht, außerhalb des Schlosses?"

Jetzt trug Rob einen Ausdruck, der Logan wissen ließ, dass  ihr Gesprächs zu einem Ende kam.

„Das ist kompliziert", sagte er nämlich und musterte eine Traube Hufflepuffs, die ihnen mit geschulterten Besen entgegenkamen. Seine Stimme dämpfte sich. „Eine lange Geschichte. Und keine schöne obendrein."

Er ruckte seine Tasche zurecht, spannte das Kreuz. Sah Logan nicht an.

„Vielleicht erzähl ich's dir mal bei 'nem Butterbier. Oder sieben." Die Dämmerung war zur Nacht geworden. „Wenn die Welt eine andere ist."

Und mit diesen Worten trieb er sich hinter der Traube an Hufflepuffs davon. Und ließ sie in dem schwerer werdendem Schneeregen zurück.

Das gesamte Training über konnte Logan keinen Fokus fassen. Verlor viel zu oft den Quaffel und hörte viel zu wenig von dem, was man ihr sagte. 

Trotzdem war Corben fast so gut gelaunt wie an dem Tag, nachdem er die Zusage für sein Stipendium in York erhalten hatte. So gut gelaunt, dass er nicht einmal schimpfte, als Tina ihm beinahe den Schädel mit einem Klatscher spaltete und dabei eine Delle in die Torringe schmetterte.

„Da ist aber jemand zufrieden", feixte Gordon ihm während ihres Abschlusspiels zu, nachdem er ihn mit einer Täuschung hatte stehen lassen.

Er grinste, ganz unverhohlen. „Glaub mir, Wamsey, ich hab allen Grund dazu."

Und am Ende ihrer Einheit musste er nicht vor den Kabinen warten, bis Logan zum Schloss aufbrach. Denn diesmal war sie es, die im Schutz des einsetzenden Fisselregens für ihn verharren blieb.

Den gesamten Abend verbrachten sie mit Anne und Brixton in den Sesseln vor dem prasselnden Kamin und Logan genoss das schmerzliche Auftauen ihrer ausgekühlten Finger, während sie vorgab Corben und Brixton beim Zauberschach zuzusehen. 

Dabei war alles, woran sie dachte, Robs fahles Gesicht. Die Ausdruckslosigkeit darauf. Die Art und Weise, wie er Weasley Zwillinge sagte und etwas, das sie am aller wenigsten begriff - Corben ist erwischt worden. 

Allerdings ergab nichts davon wirklich Sinn. Zumindest nicht in der Welt und dem Bild, das sie sich in den vergangenen Wochen von Hogwarts gemacht hatte. Und so angestrengt sie da saß und zuzusehen versuchte, wie Corben lachte, Brixton grübelte und Anne las, bemühte sie sich, sich auch nur irgendetwas davon vorzustellen. 

So lange, bis Corben kläglich verlor, Anne sich mit einem herzhaften Gähnen in die Schlafsäle verabschiedete und auch Brixton seine Schachfiguren zusammenklaubte - Wenn ich jetzt nicht schlafen geh, penn ich morgen in Wahrsagen weg.

Im Gemeinschaftsraum war es still, als er die marmorne Schlafsaaltreppe emporstieg, doch Logan machte keinerlei Anstalten, sich von ihrem Sitzplatz zu erheben. Ihre linke Seite war im Flammenschein längst so warm geworden, dass ihr Auge tränte, aber dennoch fand ihr Blick einzig und allein Corben.

„Naome hat mir von Rob erzählt."

Das auszusprechen kam einer unglaublichen Erleichterung gleich.

Corben, der grade dabei gewesen war, seine Klemmbretter voller Spielzugnotizen zusammenzuraufen, hielt jedoch in gebeugter Haltung inne. Für einen Moment sah er aus, als hätte sie ihm in den Magen geboxt.

„Ich weiß, dass er letztes Schuljahr verschwunden ist. Warum?"

Und beinah überkam Logan Übelkeit. Übelkeit, die Verlustangst war. Und die ihr das Gefühl gab, dass sie dieses Gespräch eigentlich gar nicht führen wollte. Dass sie sich wünschte, die Anschuldigungen vergessen und Corben einfach vertrauen zu können.  Doch dafür ließ Robs kaltes Schnauben sie viel zu wenig los.

Mit auf ihr Knie gestütztem Kinn sah sie dabei zu, wie Corben einen Stapel Pergamentblätter auf die Tischplatte gleiten ließ.

„Es ist -", setzte er an, hielt dann jedoch inne und sah durch sein zerzaustes Haar zu ihr hindurch - „ne ziemlich komplizierte Sache."

Logan rutschte in den weichen Polstern zurecht.

„Naome meint, er hätte nach seinem Vater gesucht." Für einen Moment glaubte sie, Corben die Lider einen Sekundenbruchteil zu lang schließen zu sehen; dass sich seine Nasenflügel blähten. „Hat er ihn nie kennen gelernt?"

„Hör zu, Logan." Er ließ sich in den nächstgelegenen Sessel fallen und stemmte die Ellenbogen auf die Knie. „Das ist für Rob ein -" sein Blick huschte zur Decke, als läge die Antwort dort - „naja, ein kompliziertes Thema. Du solltest das mit ihm klären. Wenn er's dir erzählen will, wird er's dir sagen."

Sie musterte ihn. Im flackernden Licht des stöbernden Feuers, mit dem ausdruckslosen Gesicht und der Vorsicht in seinem Ton. Und dann entschied sie sich.

„Ich hab euch reden gehört."

Corben hatte sich gerade wieder abwenden und nach seinen Klemmbrettern greifen wollen, da hielt er um ein Neues inne.

„Am Anfang in der Bibliothek. Er hat befürchtet, dass jemand in Askaban sitzt." Jedes Wort, das ihre Kehle verließ, erschien einen noch größeren Stein in ihrem Hals zurückzulassen und die Hitze aus dem Kamin hatte sich mittlerweile über ihr gesamtes Gesicht ausgebreitet. „Ging es da auch um seinen Vater?"

Corbens Lippen waren so fest aufeinander gepresst, dass kurzzeitig das Blut aus ihnen wich, während er eine von Brixton vergessene Schachfigur unter dem Tisch hervorfischte.

„Ich -"

„Was hat er getan, um nach Askaban zu können?"

Ein schweres Seufzen verließ Corbens Lippen und mit einem Mal, als sein Blick sie nicht mehr fand, sondern nun den Springer zwischen seinen Fingern fixierte, wusste sie, dass sie zu weit gegangen war.

„Logan, ehrlich, das ist -" Er umschloss die weiße Figur mit seiner vollen Handfläche und ließ sie verschwinden. „Rob wird es dir selber sagen müssen. Dazu habe ich einfach nicht das Recht." Dann stand er auf und nahm seine Notizen mit sich.

Aufmerksam folgte Logan seiner Bewegung. Das orangene Licht neben ihnen zeichnete einen matten Schein auf seinen nachtblauen Pulli.

„Aber bis dahin -", setzte er nach einem kurzem Moment an, in dem Logan geglaubt hätte, er würde nun einfach verschwinden - „hier, vergiss ihn nicht."

Sie fing es aus der Luft, bevor sie erkannte, was es war. Der Kompass war eisig kalt als hätte er draußen im Tau der Wiesen gelegen. Dabei konnte sie noch genau die Konturen an Corbens Hosentasche erkennen, die er gerade erst verlassen hatte.

Logan drehte ihn im grellen Schein.

„Und wie war's damit?"

Corben zuckte die Achseln.

„Unangenehm." Er kratzte sich am Kinn. „Ist ständig kalt. In Verwandlung dachte ich, mir friert der Oberschenkel ab."

Und dann, bevor er sich abwandte, die Pergamentrollen, Federn und Bretter eng an seine Brust gepresst, hauchte er: „Wenn wir uns Samstag treffen -" sein Blick lag einen Moment zu lange auf dem Wegweiser, bevor er ihre Augen fand „- hab ihn nicht dabei, bitte. Lass ihn einfach mal zurück."


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Aaaaahhh da haben wirs. Jetzt wissen wir, wo Freds Misstrauen herkommt. Hätten er und George Corbs und Rob damals bloß nicht geholfen. Aber wait, wo wären wir dann nun? Nun ja, bestimmt nicht hier.

Deshalb, folgende Fragen: 

Was glaubt ihr, was Rob in der Finalwoche des Trimagischen Turniers außerhalb des Schlosses zu suchen hatte? 

Und denkt ihr, Fred und George kennen den Grund, oder haben sie uninformiert geholfen? 

Am wichtigsten aber: Was kann es wohl mit Robs Vater auf sich haben? Und wer zum Geier soll das sein? Bisher sind schon Tipps von Barty Crouch Jr. über Andrew Bolton (Madens Dad) bis zu Voldemort eingegangen. Was glaubt ihr?

Oben gibt's übrigens meinen neuen Profilbanner, weil ich das starke Verlangen hatte, Fred und Corben mal ein wenig mehr zu würdigen.

Wir haben übrigens wieder die Widmungs-Zeit in dieser Geschichte erreicht, und diesmal möchte ich für die liebe Alina ( theartistress ) werben. Sie hinterlässt nicht nur mega Kommentare, sondern schreibt auch eine Story über George. Ein nettes Gegenstück zur Fred-Dröhnung, die uns hier noch bevorsteht. Und auch sehr empfehlenswert für alle, die von Frenemies to lovers nicht genug kriegen können. 

Dienstag geht's weiter, wir treffen uns in der Bibliothek. Mit jemandem, der da eigentlich so gar nicht hingehört. See you there, Ally. 

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