27 | ausbildungserlass nr. 23

Als Naome am Abend in ihren Gemeinschaftsraum gestolpert kam, war ihre Nase rot, die Lippen rau und die Augen leuchtend vor schierer Begeisterung.

Sie hatte nicht einmal ihren mit Laub berieselten Stoffmantel ausgezogen und ihr Schaal hatte sich in ihren langen Ohrringen verheddert, als sie sich vor Logan und Anne, die die neuste Ausbeute aus dem Honigtopf besprachen, in den Sessel vor dem Kamin fallen ließ.

Logan ließ Annes prunkvolle Schokofroschkartensammlung sinken.

„Kommt noch was?", stieß sie hervor, weil Naome trotz glühender Miene keinen Ton ausstieß. Sie faltete bloß fröhlich summend ihren Schal.

„Wozu bitte?" Ihr Blick war unergründlich. Dann reckte sie ihre Arme über die Lehne, in selbstgefälligem Ton: „Ich hab rein gar nichts zu sagen. Ihr wart ja nicht im Eberkopf dabei."

Logan hatte gerade ansetzen und etwas Abfälliges kommentieren wollen, das Naome ihr süffisantes Grinsen von den Lippen gewischt hätte, da hörte sie das Knacken der Sofalehne hinter sich und eine warme Stimme schob sich an ihr Ohr: „Hey, kannst du mir bei Zaubertränke helfen?"

Corbens Lippen waren zu einem verhaltenen Lächeln gewandt und seine Hand, die ihr vielsagende Druckimpulse in die Schulter sandte, ließ sie verstehen. Logan hatte gar nicht bemerkt, dass er den Gemeinschaftsraum betreten hatte, geschweige denn, dass er aus Hogsmeade zurückgekehrt war.

Nun wieder beißend interessiert huschte Naomes Blick zwischen ihren beiden Hausgenossen hin und her. Doch Logan ignorierte sie geflissentlich, als sie Corben zu seinem Schreiblager folgte, das er sich in der Ecke unter den Schlafsaaltreppen aufgeschlagen hatte. Er trug seine Trainingshose mit dem königsblauen Quidditchsweater und sein zerzaustes Haar ließ nicht vermuten, dass er den Nachmittag über bei Jope war. Dabei hatte sie ihn und Rob doch deutlich durch das Tor am Waldrand davon schlendern sehen und den ganzen Nachmittag nach ihnen Ausschau gehalten.

Corben schlängelte sich zwischen den Stuhlreihen entlang und ließ sich ihr gegenüber nieder. Er hatte tatsächlich seinen Zaubertrankaufsatz und sein Schulbuch aufgeschlagen und Naomes Interesse folgte ihnen noch immer, auch wenn Anne ihr schon lange von den neuen Lakritzschnecken erzählte.

„Also", Corben reichte ihr den Pergamentstapel, den er vor sich ausgebreitet hatte. Dass es ihm nicht wirklich um Zaubertränke ging, sah Logan, als sie eine Seite hinter die anderen schob - der Aufsatz war zwei Wochen alt „wir haben mit Jope gesprochen."

Seine Brauen zogen sich zu einer schmalen Linie und Logan flutete Erleichterung. Sie hatte tausend Themen, über die sie mit ihm lieber sprechen würde, als Zaubertränke.

„Und?"

Galant ließ sie die einzelnen Seiten seines Aufsatzes umgleiten, an denen Snape am Rande schmierige Korrekturen hinterlassen hatte.

„Er war begeistert."

Corben sagte es mit so einer Nüchternheit, dass es Sarkasmus sein musste. Doch als Logan zu ihm empor starrte, lag bloß Ernsthaftigkeit in seinem Blick. Er setzte nach: „Ich meins ernst."

„Hat er nicht gesagt, dass wir ihn loswerden sollen?"

Beinahe hätte Corben mit den Augen gerollt. Nicht wegen ihr, viel eher war das der Ausdruck, den er immer trug, wenn die Gormocks zur Sprache kamen. „Naja, weil er das sagen musste."

„Und?", wiederholte Logan und ließ den Aufsatz sinken, sobald Naome sie nicht mehr beobachtete.

„Jope sagt, wir sollen ihn lähmen." Er sprach es mit einem Nachdruck, der nicht nach Skepsis klang. Das blasse Kaminfeuer brannte sein Gesicht aus und warf es zugleich in tiefe Schatten. Lediglich das Grau seiner Augen durchbohrte Logan wie festes Eis. „Er meint, das wär besser, bevor wir ihn abspalten, als ihn nur zu verlangsamen."

Logan dachte an den schweren Wälzer, den Corben ihr noch vor dem Frühstück zugeschoben hatte. Den ganzen Mittag hatte sie sich In Die Kunst des Zauberformens Vorgehensweisen dazu eingelesen, wie man zwei Zauber am besten spaltete. Mit einem mal kam sie sich seltsam entschlossen vor als besiegelten sie soeben einen Pakt.

„Also gehen wir quasi auf Nummer sicher?"

Corben nickte. „Solange wir nicht wissen, was für ein schwarzmagischer Zauber darin steckt, können wir auch nicht wissen, wie er reagiert, wenn wir ihn von dem Kompass trennen."

„Deshalb schalten wir ihn quasi stumm, bevor wir ihn extrahieren."

Auf Corbens Lippen schlängelte sich etwas, das verräterisch nach Zufriedenheit aussah. „Exakt."

Vierundzwanzig Stunden später saß Rob schon lange in ihrem Ruinenklassenraum, als Logan und Corben hinein schlüpften. Auf seinem schmalen Gesicht zog sich dieselbe Aufruhr, die Logan in ihrem Magen spürte.

„Ich habe alle Möglichkeiten aufgeschrieben." Diesmal war sie die erste, die sprach, und schob den Kompass bedeutungsschwer in ihre Mitte. „Impedimenta, Partificus, Locomotor, Surgito. Das sind alle Lähm- und Spaltungsflüche, die Flitwicks Buch erwähnt werden. Irgendeine Kombination davon muss funktionieren."

In Robs Augen flammte der Aktivismus. „Wie üben wirs?"

Hastig fischte Corben den Wegweiser von der Tischplatte, geradewegs aus seinem Visier: „Nicht daran." Das Gesicht des Slytherins schmälerte sich; Langweiler. „Ich werd das Ganze hier nicht Madam Pomfrey erklären."

Logan lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Wer von uns ist am besten in Lähmflüchen?"

Rob schnaubte - „Corben."

Überrascht hob Logan ihre Brauen. „Wirklich?"

„Nein." Corben sah drein, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er lieber Robs Grinsen oder den Schalk aus seinem Gesicht wischen wollte.

Doch der blieb vollkommen unberührt. „Naja", sagte er bloß so leger wie möglich, ruckte die Schulter. „Vor zwei Jahren hast du Zacharias Smith damit ziemlich -"

Über Corbens Wangen zog sich einen Rotschimmer, trotzdem blieb er rational: „Ich musste ihn still kriegen. Sonst hätte er uns die guten Trainingszeiten weggeschnappt."

Logan bemühte sich an einem wissenden Ausdruck, konnte sich das Grinsen aber nicht minder wie Rob verkneifen. Der zog prompt sein Metallfeuerzeug hervor.

„Also, Corben, dann mach." Er befand es mit einer Rob-typischen Selbstverständlichkeit. Das Metall klickte auf, eine kleine Flamme tänzelte durch die Luft. „Irgendwer muss anfangen. Probiers mit dem Feuer -", er zielte mit der Spitze seines Zaubers darauf - „Engorgio."

Und die Flamme schoss um einen halben Meter in die Höhe. Abrupt stießen sich Logan und Corben vom Tisch ab.

„Ich hasse dich", befand Corben entschieden, hatte aber genau so schnell seinen Zauberstab in der Hand - „Aguamenti." Ein Wasserstrahl schoss durch das Feuer, haarscharf an Robs Gesicht vorbei.

Das Feuerzeug klickte zu.

Selbstzufrieden rückte Corben an den Tisch zurück. „Wir müssen erst überlegen, mit welchem wir anfangen. Impedimenta lähmt ihn. Petrificus lässt ihn erstarren. Was ist besser?"

Den ganzen Rest der Stunde verstrickten sie sich in Argumentationen. Blätterten durch ihr Zauberkunstbuch, lasen die Kernfähigkeiten der Flüche nach und beugten sich erst Robs Unnachgiebigkeit, als sich die Ausgangssperre näherte.

„Also schön, ich probiers ja schon", hatte Corben am Ende gesagt und Rob hatte gleich drei Feuerzeuge aus seiner Tasche gezogen und auf dem Tisch platziert. Alle nebeneinander, jedes für einen von ihnen.

Der Impedimenta gelang Logan kein einziges Mal, nur Corbens Flamme glitt in Zeitlupe durch die staubige Luft, bis sie erstarrte. Robs Petrificus hingegen schoss sein Feuerzeug bis an die Klassenzimmerwand.

„Üben", war alles, was Corben am Ende sagte, als sie in die Schlafsäle schlichen.

Und trotzdem blieb dieses zuckrig süße Gefühl auf Logans Lippen zurück, etwas erreicht zu haben. Beflügelte jeden ihrer Schritte und machte die von Kälte erschwerte Korridorluft ungewohnt leicht.

„Wir könnten es schaffen, oder?", raunte sie, als sie den Gemeinschaftsraum betraten. Brixton und Tina schoben sich unter der Schlafsaaltreppe Gobsteine zu. Corben, der sich den ganzen Weg hinauf über Logans federleichten Gang amüsiert hatte, sah nun auf. „Die Antwort finden. Wir sind so nah dran."

„Ja", erwiderte Corben und vergrub die Hände in den Taschen, lehnte sich gegen die Marmortreppe. „Vielleicht."

„Danke", raunte sie ihm zu und meinte es so, spürte das erste Mal seit Monaten den dunklen Keim in ihrer Brust lichten, den Nebel klären, auch wenn es nur flüchtig war. „Ihr müsstet das nicht tun."

„Ich weiß." Corben sah sie an, die Lippen weich, und pflückte eine ihrer kurzen Haarsträhnen hinter ihrem Brillengestell hervor. Die Kuppen seiner Finger waren weich und der Hintergrundlärm des Gemeinschaftsraum schien hinter einer Trennwand zu verschwinden, kaum dass seine Haut sie berührte.

Zum ersten Mal fiel Logan auf, wie wenig eine Armlänge Abstand war.

„Aber ich könnte Rob sowieso nie davon abhalten", sagte Corben und das Schmunzeln auf seinen Lippen schien nur ihr zu gehören, bevor er einen galanten Schritt Richtung Marmortreppen tat. Die Stimme trotzdem noch rau und belegt, sein Blick befremdlich liebevoll. „Und außerdem schenkt es mir mehr Zeit. Die Trainingsstunden reichen einfach nicht."

Logan verstand erst, was er damit sagen wollte, als er schon lange im Jungenschlafsaal verschwunden war.

Der kommende Morgen brachte ihnen ein unliebsames Erwachen. Nur kam es diesmal nicht mit den Posteulen durch das Nordfenster geflattert. Stattdessen stand es auf dem schwarzen Brett des Gemeinschaftsraum angeschlagen. Kaum, dass sie sich auf dem Weg zum Frühstück hatten machen wollen, stolperten sie in die Schülertraube neben dem erloschenen Kamin herein.

Blasses Pergament, tiefschwarze Schrift. Ausbildunsgerlass Nr. 23.

Corbens Kiefer malmten, während er dicht an Logans Ohr flüsterte: „Steht sie drauf, uns das Leben schwer zu machen?"

Doch Logan umwob das schwummrige Gefühl, dass der neuste Ausbildungserlass der Großinquisitorin von Hogwarts rein gar nichts mit ihnen zu tun hatte. Und mit einem flüchtigen Seitenblick auf Naome, die sich angestrengt auf ihre Unterlippe biss, konnte sie sehen, dass auch ihre Gedanken in dieselbe Richtung stoben.

Professor Dolores Jane Umbridge hatte nämlich recht kurzer Hand entschieden, das Zusammenkommen mehrerer Schüler mit den Worten „unbefugte Verstöße werden mit einer Suspension bestraft" aus den Hallen von Hogwarts zu erodieren.

„Habt ihrs gesehen?", keuchte ihnen ein herbei gesprinteter Rob beim Frühstück zu und pflückte eine Weintraube aus der Tischmitte. „Am schwarzen Brett?"

Corben ließ sein Brötchen fallen. Erst auf dem Weg hinab in die große Halle war ihnen das Lichtlein aufgegangen, was das ebenfalls bedeuten sollte - Oh verdammter Schnarchkacklermist, ist damit auch Quidditch gemeint?

Seine Nasenflügel blähten sich. „Ja."

Rob rückte an sie heran und schirmte seine Worte mit einem Kräcker ab, während er zum Lehrertisch schielte.

„Meint ihr, Umbridge weiß was? Also Flint guckt immer derb schräg, wenn er mich Sonntags kurz vor knapp zurück in den -"

„Nein", fiel ihm Logan ins Wort, die schon erahnen konnte, worauf er hinauswollte. „Ich glaube, das hat mit was anderem zu tun. Nicht mit uns."

Rob hob überrascht seine Brauen. „Also machen wir weiter?"

Corben zwang seinen Bissen herunter. „Wir kriegen jetzt erst recht mächtig Probleme, wenn sie uns erwischt." Und für einen Moment glaubte sie dem Zweifel, der aus seiner gerunzelten Stirn sprach, bevor er zischte: „Aber ja, natürlich machen wir weiter."

Und auf Logans Lippen zog sich ein Grinsen. Auch, wenn es nur recht schwerfällig gegen den Knoten in ihrer Magengegend ankämpfte, den sie von nun an mit sich herum trug. Das Hochgefühl des vergangenen Abends war restlos erloschen.

Dieser Montag war einer der wenigen Morgende, an denen sie die Stunde mit Bins kaum erwarten. Vor allem, weil sie wusste, das Naome ihr aus Selbstgefälligkeit keine Antworten auf ihre Fragen zu Hogsmeade geben würde, konzentrierte sie sich darauf, auf George zu warten. Der plumpste zu ihrer dritten Stunde wie ein aufgequollener Sack Reis auf die Hinterbank.

Sie war sich ziemlich sicher, dass er kaum geschlafen hatte. An seinem Kinn sprossen rotblonde Bartstoppeln und die Krawatte, die er sonst eigentlich immer bloß lustlos trug, hatte er heute vollkommen vergessen. Ein seltsamer Geruch nach Kaugummi und Zuckerpaste hing an ihm, als er seinen Rucksack unter dem Tisch fallen ließ.

„Wie war Hogsmeade?", fragte sie.

Er hatte das Kinn auf die Tischkante gelegt, wühlte in seinem Rucksack und verzog das Gesicht.

„Eigentlich super." Das hätte Logan ihm nicht mal dann geglaubt, wenn er nicht seine Tasche unter den Tisch gickt hätte. „Hat - absolut - alles - geklappt."

Logan musterte die Narbe auf seiner Hand, sie war bloß noch ein Schatten auf seiner blassen Haut.

„Hat Umbridge was von eurem Treffen mitgekriegt?"

„Nun, eigentlich nicht." Er schnaubte. „Aber wär schon ein ziemlicher Zufall, ihr Ausbildungserlass, meinst du nicht?"

Wenn Logan sich ein wenig drehte, konnte sie Fred am anderen Ende des Klassenzimmers beobachten. Er flüsterte Angelina etwas unglaublich Witziges ins Ohr, doch Logan wandte sich ab, um ihre Reaktion nicht zu sehen. George, der sie beobachtet hatte, rümpfte die Nase.

„Wir lassen uns natürlich nicht einschüchtern", fuhr er fort und auch seine Augen huschten füchtig zu Fred hinüber. Allerdings verweilte er keine Sekunde an ihm. „Geht alles so, wie geplant. Kannst natürlich immer noch mitmachen. Nachzügler nehmen wir zu jeder Zeit."

Logan schüttelte den Kopf. Das konnte sie, nun erst recht, beim besten Willen nicht riskieren. Zumindest nicht zu dem, was sie Sonntags Nachts in ihrem Ruinenzimmer tat.

Auch wenn sie, überlegte sie, während ihr Blick wieder hinüber zu Fred wanderte, der sich nun zur Sitzreihe hinter ihm beugte und nach einem Tintenfass fragte, immer noch gerne würde.

Als er empor sah, grinste er ihr zu und Logan grinste zurück. Mit einem anderen Grinsen als sie es sonst immer tat. Einem verhaltenen, irgendwie. Und dem nun wieder gegen ihr Zwerchfell trommelndem Gefühl, unbedingt irgendetwas tun zu müssen, das ihr helfen würde, die Welt ein klein bisschen mehr zu verstehen.


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Bin zurück aus der einwöchigen Versenkung und so gespannt auf das nächste Kapitel. Ehrlich, Dienstag wird gut. 

Bis dahin aber: Glaubt ihr, Logan, Rob und Corben werden es problemlos schaffen, den dunklen Zauber von dem Kompass zu spalten, oder wird was schiefgehen?

Corben wird ja endlich auch ein bisschen offensiver, was Logan angeht. Ein bisschen. Deshalb wollte ich die Chance noch einmal nutzen und Corbens Theme oben verlinken. Liebs. Can't wait for you to understand.

Oh, und: Wenn ihr euch aus dem HP-Universum einen best friend aussuchen könntet, wer wäre es?

Dienstag gibts Post, also immer schön auf hereinflatternde Eulen achten. See you in der großen Halle. 

Ally xx

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