08 | hogwarts.
Der Qualm der röhrenden Dampflok umwob Logan wie dichter Nebel, kaum war der laute Trubel im Londoner Kings Cross hinter ihr verschwunden.
Das Gleis 9 3/4 war erfüllt von den Wiedersehensfreuden junger Schüler, aufmunternden Rufen und dem Rattern metallener Kofferwägen.
Logan Ainsley surrte die Gurte ihres schwarzen Rucksacks strämmer.
Der Duft nach heiß laufenden Motoren, Karamell und Sommerschweiß vieler Menschen vermischte sich in der flimmernden Luft zu einer angenehmen Begleitung, während das Leder ihres Koffers bei jedem Schritt gegen ihre Wade schlug.
„Na wenn das nicht unsere neue Lieblingsravenclaw ist." George Weasleys Stimme übertrumpfte die kreischenden Beschwerderufe einer Schleiereule, die einer Erstklässlerin von ihrer Reisetasche gepurzelt war.
Noch bevor Logan sie in dem faden Nebel hätte ausmachen können, waren die beiden Zwillinge aus der Backsteinmauer aufgetaucht und zu ihren Flanken erschienen. Ambitioniert schleiften sie ihr widerspenstiges Gepäck hinter sich her. Arthur hatte ihre Koffer nur unter einem Ächzen in dem dunklen Van des Zaubereiministeriums verstaut und auf die Frage, ob sie nicht wieder drei ganze Feuerwerksmaschienerien darin versteckt hätten, hatte Fred nur verständnislos die Schultern gehoben – Dass du auch immer gleich ans Schlechte denkst; vielleicht sinds Bücher.
Daraufhin hatte keiner der Familienmitglieder weiter gefragt und nun zogen die beiden Zwillinge ihre abgewetzten Lederkoffer am Gleis entlang; so vollgestopft, dass sich die Nähte dehnten.
Der Abschied von ihren Begleitern, die wie eine ganze Kolonne hinter ihnen zum Stehen kamen, brachte Logan mit angespannter Haltung hinter sich und sie war für einen Moment bemüht, Remus so durchdringend anzustarren, dass er ihre versteckte Botschaft vielleicht doch verstand – Lass mich da nicht hin, ich meins ernst.
Doch der schwarze Hund hatte ihr schon ins Knie gezwickt und sie dazu gezwungen, ihn hinter den zotteligen Ohren zu kraulen.
„Ich such mir eine Eule, die fieser beißt als du, und mit der schick ich dir nen Brief", hatte sie ihm gedroht und wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie unter der Nase der Animagusgestalt ein Grinsen finden können.
Dabei wusste sie, dass sie keine andere Wahl hatte. Und nicht nur Remus' vielsagender Ausdruck sondern auch die Spiegelung ihres eigenen, fremden Aussehens an den Fensterscheiben erinnerte sie daran. Dieser Neustart war eine einmalige Chance. Ob sie ihn wollte, oder nicht.
In den Gängen der Wagons des Hogwarts Expresses war es voll. Schüler stoben durcheinander, winkten sich von einem Ende zum nächsten zu, platzten in Abteile, ruckelten an den Türen, rammten Käfige gegen die Holzwände. Logan beobachtete das Treiben, das sie viel zu hämisch an vergangene Jahre erinnerte, und bemühte sich, die Gewissheit gar nicht in ihren Hinterkopf zu lassen, dass Reed und Thormen fünfhundert Kilometer von hier nun in einem anderen Zug sitzen mussten, in dem ihr Abteil nun unangenehm still und der Platz am Fenster leer sein musste.
„Da würde ich nicht langgehen", hielt Fred sie plötzlich auf, kaum hatte sie die Tür zum nächsten Wagen beiseite geschoben. Unter dem ganzen Gewicht ächzend setzte sich die Dampflok in Bewegung und die Umrisse der vielen Familienmitglieder am Gleis, von Molly Weasley, Remus Lupin und diesem dunklen, schwarzen Hund, verschmolzen ineinander. Sie konnte nicht mehr zurück.
Logan sah Fred an. „Wieso?"
George nahm ihr die Entscheidung ab und schloss die Wagentür wieder, hinter der es vom Zischen des Dampfes immer lauter geworden war.
„Das ist der Slytherin-Wagon." Freds Blick huschte durch das kleine Glasfenster hindurch, hinüber zu dem Nachbarwagen, als trennte sie mehr als bloß ein schmaler Übergang. „Mit jedem Meter, den du dich näherst, sinkt dein IQ."
„Dann wart ihr wohl schon ziemlich oft dort drin."
George schnappte unter gespieltem Entsetzen nach Luft.
„Autsch", kommentierte Fred theatralisch und fasste sich an die Brust, was sein Bruder bloß bestätigte: „Ziemlich fies gegenüber deinen Beschützern."
Logan hob ihre Brauen und stellte den Koffer nieder, ihre Hand um den Plastikgriff war schwitzig geworden. „Wenn ich Beschützer bräuchte, wärt ihr wahrscheinlich nicht die ersten, an die ich mich -"
„Fred!"
Eine freudige Stimme erstickte Logans Konterversuch im Keim. Der Flur des Wagons hatte sich geleert, bloß vereinzelte Fußspuren waren auf dem roten Teppichboden zurückgeblieben und über den Köpfen zweier Viertklässler, von denen einer wild mit einer Kamera hantierte, winkte ihnen ein Mädchen mit dunkler Lockenpracht zu.
Freds Aufmerksamkeit hatte sich binnen weniger Sekunden verflüchtigt und kaum hatte er die paar Schritte zu ihr überwunden, hatte er die Person – bereits in Schuluniform und mit roter Krawatte – überschwänglich an sich gedrückt. Ihre dunklen Haare umhüllten ihn wie ein Umhang und sie konnte hören, wie Fred ihr irgendetwas zulachte, das Logan kaum verstand –
„Na der ist abgemeldet." Mit belustigter Miene sah George seinem Bruder hinterher.
„Liebenswürdig", pflichtete Logan ihm bei und beobachtete, wie sich Fred und das Mädchen umeinander verschlungen.
Aus irgendeinem Grund wirkte die Szenerie paradox. Als hätte sie sich die Zwillinge in der letzten Woche ihrer Bekanntschaft nicht außerhalb der Grimmauldplatz-Wände vorstellen können und nun, da Logan so unangekündigt in ihr sorgsam aufgebautes Schulleben gestolpert kam, fühlte sie sich äußerst Fehl am Platz.
„Du hast ja keine Ahnung", gluckste George in dem Moment und schnappte sich den Koffer, den Fred bei ihnen zurückgelassen hatte. Fred und das Mädchen hatten sich aus ihrer Umarmung befreit und schlenderten nun den Gang entlang, die Welt um sie herum vergessen.
Und hätte Logan es nicht besser gewusst, hätte sie hinter Georges sarkastischem Tonfall einen winzigen hauch Missbilligung gefunden.
Doch anstatt darauf einzugehen, hob sie nun auch ihr Gepäckstück vom Boden, sah den Gang mit all den geschlossenen Abteiltüren entlang und wieder zurück. Dann räusperte sie sich. „George, ist bei euch im Abteil noch was frei?"
Während der gesamten, beinahe achtstündigen Fahrt aus dem Herzen Londons hinaus ins nördliche Nirgendwo Schottlands sprach Logan Ainsley kaum ein Wort. Viel mehr beschäftigte sie sich damit, ihre Umgebung zu beobachten: Sie musterte die beiden brünetten Gryffindormädchen und den Jungen mit dem platzeinnehmenden Afro, die sich und ihren Freunden eine große Sitzecke im hintersten Teil des Zuges freigehalten hatten. Sie sah George, der mit einer der beiden, Katie Bell, über Zaubererschach diskutierte und musterte manchmal Fred, der mit dem Kopf gegen die ratternde Scheibe ruhend eingeschlafen war, die Hand beiläufig in Angelina Johnsons Lockenpracht vergraben, die sich über seinen Schoss ausgebreitet hatte wie eine warme, weiche Decke.
Keiner der Gryffindors, die sie in dieser Zeit kennenlernte, fragte zu viel oder war zu penetrant. Und nach dem Logan ihnen innerhalb der ersten zehn Minuten dieselbe Lüge aufgetischt hatte, wie auch schon den beiden Zwillingen und ihren Geschwistern vor anderthalb Wochen, fiel alle innere Last von ihr. Wie ein endlich in sich einstürzendes Ruin nach einem langen Kampf der Aufrechterhaltung. Ich bin Logan Ainsley, Nichte von Nypmhadora Tonks. Wechsle nach Hogwarts wegen den Bannflüchen. Gehe nach Ravenclaw. Nein danke, kein Lakritz.
Und dann: Ruhe. Wenn auch nur für einen kurzen Moment.
„Irland also?", rekapitulierte Alicia eine Weile nach Logans Erzählung, während sie einen Schokofrosch aus seinem Silberpapier schälte. Sie hatten den Londoner Umkreis gerade erst verlassen. Logan nickte und bemühte sich zu ignorieren, dass nahezu alle sechs Augenpaare ungeniert auf ihr lagen. „Wo genau?"
Sie war sich nicht sicher, aber Logan glaubte, Freds Augenlider flimmern zu sehen, als wäre er eigentlich wach und höre genau zu.
„Bray", antwortete sie und nahm dankend eine der Zuckerstangen entgegen, die George ihr reichte. Dann sah sie den Feldern hinter den Scheiben beim Vorbeirasen zu. In Bray hatte ihre Großmutter gewohnt, bis sie gestorben war.
„Und wie ist die irische Zauberschule so?" Angelina schielte aus verrenktem Kopf zu ihr empor, ohne sich auch nur irgendwie von Freds Schoß zu lösen.
„Windig", erwiderte Logan und war glücklich, nicht lügen zu müssen. „Und klein, aber familiär. Wir sind immer nur fünf Schüler pro Jahrgang in einem Haus. Dafür -"
„Kanntest du diese Bolton?"
Lee fragte es so ungeniert, dass Logan beinahe zusammenzuckte. Dabei war es nicht ihre Schulter, die krachend knackte, sondern die neuste Hexenwoche, die Katie quer durch das Abteil an Lees Kopf warf.
„Entschuldige", erwiderte Angelina an Logan gerichtet, „Taktgefühl haben die Jungs leider nie gelernt."
Dann fischte sie das Magazin vom Boden und setzte noch einen nach: Sie traf Lee direkt am Knie, doch der gackerte nur.
„Was? Man wird doch wohl fragen dürfen?" Lee wich einem erneuten Hieb von Angelina aus. Trotzdem warf er Logan einen entschuldigenden Blick zu.
„Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, was der Tagesprophet schreibt?" Katie hatte die Arme so streng vor der Brust verschränkt und der Blick, mit dem sie Lee traktierte, war schon beinahe angriffslustig.
„Natürlich nicht", trat Fred seinem besten Freund beiseite und schnappte Angelina das Magazin aus der Hand, das immer noch drohend durch die Luft geschwebt war. „Nichts, was der Tagesprophet schreibt, ist glaubwürdig."
Seine Augen waren weit aufgeschlagen. Er war hellwach und sah bedeutungsschwer zu Logan hinüber als hätte er nie wirklich gedöst.
Und aus irgendeinem Grund fühlte es sich an, als würde sich eine Halsfessel um Logans Kehle lösen und der Druck, der sich hinter ihren Augen aufgebaut hatte, verebbte. Langsam aber zäh. Angestrengt blinzelte sie das Brennen auf ihrer Netzhaut weg.
Dann wandte Fred sich an Lee: „Logan hat Maden nur vom Sehen gekannt. Hier hast du deine Sensation" - bei seinem zweiten Satz briet er Lee ein letztes Mal das Magazin über, bevor er es Katie zurück warf. Und dann sah er zu Logan. Und sie fragte sich, ob er ihren Ausdruck verstand - danke.
Doch lange blieb ihr nicht, denn auch Angelina schielte wieder zu Logan empor: „Also gut. Wie ist Irland sonst so?"
Sie brauchte einen Moment, um die aufgekeimte Panik wieder hinunterzuwürgen. Sie wünschte plötzlich, sie hätte sich in ein eigenes Abteil gesetzt. „Die Lehrer sind okay. Dafür - also, dafür sind die Festessen gut und es - naja, es gibt spannendes Quidditch."
Noch im selben Moment musste Logan sich auf die Zunge beißen, doch Alicia saß schon auf dem Rand ihres Sitzes: „Oh, hast du gespielt?"
Logan dachte an das Foto von ihr, das auf dem Tagesprophet die Runde gemacht hatte. Maden Bolton, Kapitänin ihrer Hausmannschaft, mit einem Quaffel in der Hand.
„Nein", log sie und ruckte mit den Schultern „nie die Zeit dafür gehabt. Aber mein Bruder Eric spielt." Sie überlegte kurz - war er jünger oder älter als sie, was hatte Tonks gesagt?
Doch niemand schien ihre Denkpause bemerkt zu haben, denn schon hatte Fred Luft durch seine Zähne gepfiffen: „Besser so." Herausfordernd grinste er Logan zu. „Das Team der Ravenclaws ist zwar nicht ganz so mies, aber in diesem Jahr stehts echt nicht gut um sie."
Alicia hätte sich fast an ihrem Schokofrosch verschluckt: „Bei Merlin ja! McLaggen ist beide Jäger los und muss sein ganzes Team neu aufstellen, er wird uns dieses Jahr nie schlagen können!"
Und ab da war der Fokus von ihr verschwunden, die Felder wichen hohen Fichtentannen und Fred gab nach einer Weile wieder vor, zu schlafen. Doch Logan sah, wenn seine Lider zuckten und sein Grün zu ihr hinüber wich. Sie sah es, weil seine Mundwinkel sich verzogen. So geheimnistuerisch und unauffällig, wie im Grimmauldplatz, als sie George den Verwirrdrop untergejubelt hatte.
Eine Weile lang erzählte ihr Lee Jordan alles über die englische Quidditschliga, den Saisonbeginn in wenigen Wochen und wieso sie - nachdem sie sich von dem Serviervagen ein wenig Proviant gesichert hatten - unbedingt auf die Falmouth Falcons setzen sollte. Alicia Spinnet hielt strengstens dagegen und hätte Logan wegen ihren Brüdern nicht längst alles über die englische Liga gewusst, hätte sie vielleicht auch ziemlich viel Neues gelernt. Doch anders, wie an den Tagen, an den Thormen mit ihr über die Hollyhead Harpies und ihr bestimmten Weg zum Erfolg diskutiert hatte, schwieg sie während der gesamten Unterhaltung als wäre sie eigentlich gar nicht da. Und irgendwie war sie das auch nicht. Irgendwie lag ein Teil von ihr immer noch in den Wiesen der Galway'er Wälder, in denen man Maden Boltons Leiche gefunden hatte. Und der Teil von ihr, der dort lag und zu dem sie nie wieder würde durchringen können, wurde von Tag zu Tag immer größer.
Als sie das Schloss von Hogwarts erreichten, war die Sonne längst hinter den Kuppen der Bäume um den Bahnhof verschwunden. Die Luft auf dem Weg zu dem großen, kahlen Steingebäude hinauf war kalt. Ein lauer Wind pfiff über die Ländereien und verließ sie selbst dann nicht, als sie sich, in Begleitung von einem noch immer gähnenden Fred und einem vor Hunger meckernden George in die große Halle begaben.
Und wäre Logan nicht so bedacht gewesen, in der Schülermasse unterzugehen und ihre Brillengläser nicht beschlagen zu lassen, hätte sie vielleicht auch Zeit gehabt, die Magie des Ortes wirklich wahr zu nehmen. Doch das tat sie nicht. Sie hatte das Gefühl, sie weiche eigentlich bloß der ganzen quasselnden Schülerschar auf einmal aus.
„Der Tisch der Ravenclaws ist dort drüben."
Sie hatten das Eingangsportal mit der großen Halle betreten und Georges Kopfrecken deutete nach Rechts. Seine Augen analysierten hingegen bereits die gut duftenden Essenstafeln.
„Falls dir da drüben zu langweilig wird, bist du bei uns immer herzlich willkommen", versprach Fred, noch bevor Logan sich von ihnen trennte.
Mit einer unwirschen Handbewegung löste sie sich aus dem Strom, der auf den linken Tisch zugesteuert war und wandte sich an den zweiten von rechts, wo bereits erste Schüler in tiefblauen Umhängen saßen. Lees Diskussion mit Angelina über neue Schulquidditchregeln verblasste.
Für einen Moment überlegte Logan, ob sie stehen bleiben und sich den taktisch klügsten Ort aussuchen sollte, um möglichst unbemerkt zu bleiben. Allerdings wusste sie, als sie sich dem Ravenclawtisch auch nur näherte, dass die Leute sie ansahen - als wäre sie jemand, von denen alle dachten, dass sie sich über die Sommerferien aber stark verändert haben musste und von der nun niemandem mehr einfiel, wie sie nun eigentlich hieß oder wer sie all die Jahre gewesen war.
Letzten Endes setzte sie sich neben eine Zweitklässlerin in eine freie Lücke des Tisches.
Es dauerte keine zehn Minuten, bis sich die Bänke bis an den letzten Platz gefüllt hatten und die vielen, aufgeregten Gespräche in dem Moment erstarben, als sich Professor Albus Dumbledore von dem höchsten Platz an dem Lehrertisch erhob. Bei seinem geduldigen Blick, der bedachtsam über die schweigende Masse glitt, spürte Logan einen Funken Sicherheit und Erleichterung in ihrer Magengegend ankern, als hätte sie bis zu diesem Augenblick die erste Etappe geschafft.
Er sah beinahe genau so aus, wie er es in dem Flur des Grimmauldplatzes getan hatte, allerdings lag nun noch viel mehr Ruhe und Besonnenheit um ihn, als wäre dies auch für ihn der beständigste Ort.
Während Dumbledore das Wort ergriff, bemerkte Logan aus dem Augenwinkel, wie sich um und neben ihr die letzten paar Schüler auf die Bänke drängten, ein Junge stieß ihr aus Versehen gegen den Oberarm und entschuldigte sich, doch Logan bemühte sich möglichst konzentriert, nicht hinzusehen. Dabei wusste sie genau, dass die Gestalt, die schräg gegenüber von ihr Platz nahm, sie genauestens beobachtete.
Doch Albus Dumbledores Eröffnungsrede erfüllte bereits die Ränge und Logan konnte sich getrost dem Schein hingeben, ihm wirklich ganz genau zuhören zu wollen, um nicht hinzusehen. Allerdings sah die Person nicht wirklich weg. Und alles, was Logan aus dem Augenwinkel erkannte, war kurzes, braunes Haar - sie starrte wieder nach vorne. Albus Dumbledores Präsenz hatte etwas unweigerlich Beruhigendes und jetzt, nachdem sie ihn fast vier Wochen nicht gesehen hatte, fühlte sie beinahe Erleichterung.
Nach seiner kurzen Vorstellung des neuen Kollegiums und der verbotenen Ländereiabschnitte eröffnete Albus Dumbldore, der nach den Willkommensworten einer bereits nun schon recht unsympathisch wirkenden Dolores Jane Umbridge äußerst pikiert drein sah, das Festessen.
„Sorry, dass ich so in deine Gedankenblase reinplatze", war das erste, was Logan danach hörte. Sie wusste, dass sie nicht mehr wegsehen konnte. Das Mädchen, das sie nun schon seit ihrem Eintreten scharf beäugt hatte, lehnte sich beinahe über den gesamten Tisch, die Ärmel ihres Gewandes hingen schon in der Soßenschüssel. Logan horchte auf.
Die Brünette mit den rasierten Seiten und dem langen Mittelhaarschnitt deutete mit ihrer Gabel auf sie. Zwar hatte Logan inständig gehofft, das Mädchen würde ihre Grübeleien schlucken und schweigen, doch nun sahen all die Personen, die um sie saßen, auch zu ihr hinauf. Die Tische um sie herum versanken derweil ganz ungeniert im Essen und die Gespräche schwollen an.
„Hab ich dich die ganzen letzten sechs Schuljahre ignoriert oder -"
„Ich bin neu." Logan streckte der, vor Bratfett bereits triefenden Gabel des Mädchens die Hand entgegen. „Ich bin Logan."
Die Brünette beäugte sie prüfend. Nichts desto trotz erwiderte sie die Geste. Sie waren ungefähr gleichalt. „Naome."
Plötzlich schob sich eine weitere Hand in Logans Blickfeld - das Mädchen, das ihr gegenüber saß, mit dunkelblonden Locken, starrte sie aus großen Christbaumkugelaugen an. „Hey, ich bin Anne -"
Naome überging sie: „Und in welchen Jahrgang gehst du?"
Logan war noch dabei gewesen, Anne zu zu lächeln, da antwortete sie schon: „In den Siebten."
Die Person neben ihr hätte sich fast an seinem Essen verschluckt: „Neu?", hustete er, „Im siebten Schuljahr?"
Ein Junge mit kurzgeschorenem Haar schielte zu ihr hinüber, geradewegs auf das Ravenclaw Zeichen auf ihrem Sweatshirt hinab, und klopfte sich gegen die Brust. Sein vor Kräuterdipp triefendes Baguette landete auf dem Teller.
„Ich dachte, das wär gar nicht erlaubt -", hastig langte er nach einer Serviette und rieb sein Kinn ab - „Sorry, bin übrigens Brixton."
Und dann erzählte Logan. Wieder Einmal. Von Eltern, die sie nicht hatte. Einem Bruder, den es nicht gab. Und irländischen Wurzeln, die sie vergessen musste. Und von Tonks, mit der sie nicht verwandt war, die hier aber auch niemand kannte. Das Kesselkuchenrezept erwähnte sie nicht. Und all die Ravenclaws, die um sie herumsaßen und sie begutachteten wie ein Goldfisch im Haifischbecken, hörten ihr genaustens zu. Bis sie tief Luft holte und endete: „ - wegen den Bannflüchen bin ich hier. Das wars."
Anne hatte die Finger unter ihrem Kinn gefaltet und Naome die Hand verrenkt, als läge ihr etwas brennend auf den Lippen, doch es war nicht sie, die das Wort ergriff.
„Mein Bruder hat seine Schulausbildung auch in Irland gemacht, wollte Heiler werden."
Das war das erste, was Logan hörte, als sie ihre Erzählung beendet hatte.
Und weil diese Stimme bisher noch nicht gesprochen hatte, folgte Logan ihrem Klang - und landete bei einem Jungen, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass er ihre Unterhaltung überhaupt verfolgt hatte: Mit einem sanften Lächeln auf seinem kantigen Gesicht hatte er sich an Naomes Seite gezwängt, um Logan besser sehen zu können. In dem Blick seiner grauen Augen lag etwas, das den Ausdruck aller umliegenden Schüler überstach, als gäbe es eigentlich sowieso nur ihn. Und als würde er selbst das gar nicht bemerken.
Denn er stemmte sich bloß ganz nonchalant auf seine Ellenbogen und reichte ihr quer über die Nudelschüssel ebenfalls die Hand, so dass Naome beinahe auf Annes Schoß ausweiche musste. „Corben McLaggen."
Naome stieß ihm gegen die Schulter und schubste ihn wieder zurück auf seinen Platz, bevor Logan seine Hand hätte nehmen können. Trotzdem ließ er sie nicht aus dem Visier. In der Halle war es mittlerweile so warm, dass sie sich einbildete, ihre Brillengläser müssten beschlagen.
McLaggen, den Namen hatte sie im Zug gehört. Und tatsächlich fand Logan dort das Kapitänsabzeichen auf seinen nachtschwarzen Umhang gepinnt. Für einen Moment fragte sie sich, auf welcher Position er spielte. Seine breiten, prankenartigen Hände waren nicht die eines Suchers und seine Schultern waren beinahe so breit, wie die von Gus es gewesen waren. Ihr Bruder war bei den Dubliner Dragons und jahrelang in der irischen Schule der Hüter gewesen. Doch Corben McLaggen sah auch nicht nach einem Hüter aus, er -
„Die Pinke da scheint mir ziemlich unsympathisch", sagte Namoe in die Runde, während sie energisch eine Käsestange teilte. Erst beim Krachen des Gebäcks merkte Logan, dass sie als vielleicht einzige Schülergruppe in der großen Halle geschwiegen hatten. Und, dass sie noch immer zu Corben hinübergeschielt hatte.
Naome deutete jetzt hinauf zum Lehrertisch, wo die soeben vorgestellte Dolores Umbridge in ihrem knalligen Gewandt saß und erhaben über die schnatternde Schülerscharr starrte.
„Wir hatten bisher nie wirklich Glück mit unseren Lehrern in Verteidigung gegen die dunklen Künste, musst du wissen", informierte Anne Logan. Ihr welliges Haar reichte ihr bis an die Ellenbogen und drohte sich immer wieder in ihrer Salatschüssel zu verfangen. „Jedes Jahr gabs wen neues."
„Lupin war damals eigentlich nicht schlecht", argumentierte Brixton, doch auch er hatte die hohe Stirn in Falten gelegt, als er zum Kopf der Halle empor sah.
„Das sagst du nur, weil er dir nen Zaubergrad mehr gegeben hat, als du eigentlich verdient gehabt hättest." Naome feixte und Brixton schnaubte, ließ es jedoch auf sich beruhen.
Stattdessen beugte sich der Junge mit dem breiten Kinn und dem durchdringenden Blick wieder zu ihnen vor. Corbens Augen lagen bloß auf Logen, doch er lächelte. „Also wenn du wirklich nur wegen der Bann-Spezialisierung hergekommen bist, kannst du mit der Lady da in Verteidigung gegen die dunklen Künste ziemlich Pech gehabt haben."
Logan schnalzte mit der Zunge und schob den leeren Teller von sich weg. Statt des Gefühls angenehmer Fülle hatte sie längst Schwere in den Eingeweiden erreicht, so dass sie seufzte: „Ja, das fürchte ich auch."
In Hogwarts anzukommen war, so befand Logan an dem Abend, als sie von ihrem neuen Bett aus in den wolkenverhangenen Nachthimmel starrte, wie in das Herrenhaus einer fremden, steinreichen Familie einzudringen und sich ganz ungefragt auf dem Dachboden breit zu machen.
Sie gehörte nicht hierher, dachte sie, während sie Naome beim Schnarchen lauschte und Anne sich in ihrem Bett wälzte. Ebenso wenig, wie sie in den Grimmauldplatz oder generell nach England gehörte. Und als sie den kleinen schwarzen Rucksack unter ihrem Bett hervor zog, in dessen Vordertasche der Kompass ruhte, fühlte sie sich, als hätte jemand ihr eine Faust bis in den Rachen gesteckt, um ihr jegliche Luft zum atmen zu entziehen.
Sobald sie konnte, das schwor sie sich, musste sie nach einer Antwort zu ihm finden. Und zu all den anderen Fragen, die offen geblieben waren. Denn was die Black'sche Bücherei verschwiegen hatte, mussten die großen Bücherhallen Hogwarts, von denen Thormen immer geschwärmt hatte, doch mit Sicherheit füllen können.
Doch bis jetzt war der Kompass in der pechschwarzen Dunkelheit genauso kalt und verheißungsvoll wie er im Grimmauldplatz gewesen war. Und wenn Logan ihn drehte, um ihn gen Fenster näher zu begutachten, schimmerte das Glas um das Ziffernblatt klar.
Die Nadel darunter zuckte. Fast so wie am Grimmauldplatz, nur diesmal etwas schneller. Von Süden nach Osten, Osten nach Süden, Süden nach Westen, als könne sie sich nicht entscheiden. Wie ein Sender ohne Empfang; das verbildlichte Rauschen eines alten Küchenradios.
Und so, als wäre es das Letzte, was ihr von ihrer Familie geblieben war, hielt Logan ihn fest in der Hand, bis sie endlich eingeschlafen war.
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ENDLICH kennt ihr sie alle. Alle wichtigen Personen, alle wichtigen Charaktere.
Erste Eindrücke bisher? Ideen, Einschätzungen, Hoffnungen?
Was haltet ihr von Angelina und Fred? Hättet ihr mit den beiden als Paar (oder was auch immer sie sind) gerechnet?
Die Widmung geht diesmal an die gute Jo, @numinouss-. Einfach, weil ich sie schon so lang auf Watty begleite und es immer noch nicht fassen kann, noch immer so tolle Rückmeldungen von ihr bekommen zu dürfen. Danke.
Da ich aktuell von meinem Job arg vereinnahmt werde, lade ich die Kapitel am Samstag den Oktober über nur unter Vorbehalt hoch. Samstag kommt was, wenn ichs schaffe, und sonst gibt's das nächste am Dienstag. Im November gehts wie gewohnt 2x wöchentlich weiter.
Ich würde sagen, beim nächsten Mal gehts ab in den Unterricht. Also alle schön die Hausaufgaben machen.
Ganz viel Liebe, Ally
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