02 | der grimmauldplatz.

Die Nacht auf den 7. Juli jenen Jahres waren Stunden gewesen, in denen unzählige Dinge zur selben Zeit geschehen waren. Und vielleicht hatte die Welt von der Bedeutsamkeit des Ganzen geahnt, denn nicht einmal die Vögel sangen, als die Dämmerung einbrach.

Schließlich war der Morgen jenen Tages ein grauer, zäher seiner Art, der sich bloß schleichend über den Osten Londons erstreckte. Dünne Nebelschwaden verblassten im Angesicht der aufgehenden Sonne und obgleich der Juli lang begonnen hatte, hüllte sich der Grimmauldplatz Nummer 12 in selten dagewesene Dunkelheit.

Noch immer versprachen die morschen Dielenböden Verwesung und noch immer waren die mottenzerfressenen Vorhänge wie erstarrt. Alles, was die stickige Stille durchbrach, war das Patschen der hornigen Fußsohlen eines Hauselfen, der durch das Treppenhaus watete.

Albus Dumbledore saß an dem Kopfende des langen, mit einer ewig währenden Staubschicht überzogenen Tisches und hatte die knochigen Finger in seinem Bart verborgen, der irgendwo in seinem nachtblauen Umhang ein Ende fand. Seine wachsamen Augen verloren sich im Nichts. Und obgleich sich seine Lippen bewegten, entwich ihnen kein Ton.

Die Ausgabe des heutigen Tagespropheten wanderte durch die Reihen aller Anwesenden, die in diesem Salon ruhten. Und wann immer einer von ihnen die Titelseite überwunden und das große in Trümmern liegende Haus gesehen hatte, wurde sie beiseite gereicht.

„Wann ist Ihnen seine Eule erschienen, Professor?"

Remus Lupin saß ebenfalls dort, in einem braunen Mantel, der dieser Jahreszeit widersprach, und hatte binnen der vergangenen Momente kein einziges Mal damit aufgehört, die Nägel in die eigenen Handballen zu stemmen. Nur, damit seine Stimme ruhig war: „Wann hat Andrew Bolton versucht, Kontakt aufzunehmen?"

„Keine drei Stunden vor seinem Tod." Albus Dumbledore war sachlich und sah dabei zu, wie Kingsley Shacklebot den Zeitungsartikel weiter schob, ohne ihn anzusehen. „Vizeminister Bolton bat mich um tiefste Diskretion in Angelegenheiten, die bloß privat übermittelt werden konnten."

„Er war der zweitmächtigste Mann des irischen Ministeriums", wisperte Kingsley. In seinem Bick tanzte Fassungslosigkeit, während er aus dem Augenwinkel die Frontseite musterte, die Sirius Black neben ihm gewissenlos ausbreitete. „Er war zu einem langen Besuch hier in London."

Es lag etwas um sie, das einer stummen Unruhe erschreckend nahe kam. Und Albus Dumbledores abrupter Versammlungsaufruf hatte sich ziemlich tief unter die Haut aller Anwesenden gebrannt. Noch immer hing der letzte Hauch des Phönix-Patronus, der seine Ankunft angekündigt hatte, in der Luft. Und noch immer hatte niemand der Gestalten, die um den langen Tisch saßen, auch nur die Mäntel abgelegt.

Die Dame mit einem strengen, grauen Dutt raffte ihre Schultern. „Meinen Sie, Professor, es hat etwas mit -"

„Das habe ich auch überlegt, Minerva." Dumbledore lächelte, höflich. „Ob Andrew Boltons Tod etwas mit der Hinrichtung von Rheinar Kalgan zu tun hat. Beides ist keinen Tag voneinander entfernt."

„Deswegen war er hier in London, unter anderem." Kingsley schien angesichts der vielen Falten auf seiner sonst so angespannten Stirn ausgiebig nachgedacht zu haben. „Die Iren haben Kalgan vor zwei Tagen an uns ausgeliefert, nachdem sie ihn irgendwo in den südlichen Wäldern aufgegriffen haben. Bolton war Teil der Sicherheitseskorte. Bis die Dementoren Kalgan geküsst haben, haben wir nicht erfahren können, was er in den fünfzehn Jahren seiner Flucht getan hat."

„Kalgan war ganz offenkundig ein Todesser", kam es von der Seite und Remus, der den unterstützenden Blick von Sirius Black suchte, lehnte sich nach vorne. „Aber der Prozess gegen ihn wurde schon vor mehr als zehn Jahren fallen gelassen. Er hatte eigentlich keinen Grund mehr, immer noch zu fliehen."

Der Mann mit ergrautem Schnäuzer und dunklen Locken, die sein Gesicht umhüllten wie ein elder Rahmen ein altes Gemälde, räusperte sich: „Keinen Grund seitens des Ministeriums."

Für einen Moment blitzte das Grau seiner Iris aus seinen Augenhöhlen hervor.

„Kalgan ist nicht vor dem Gesetz geflohen, nicht vor einer Strafe in Askaban." Sirius Blacks abgemagerten Finger glitten die Holzmaserung des Tisches nach, bevor er die Titelseite des Tagespropheten umschlug und dann wieder aufsah. „Rheinar Kalgan ist vor den Todessern selbst geflohen, vor Seinesgleichen. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Vielleicht hat er zu viel über sie und ihre Pläne gewusst, und vielleicht hat Bolton das nach ihrer Begegnung in Askaban auch getan." In seinen Worten lag Endgültigkeit. „Kingsley, sagtest du nicht selbst, Kalgan habe vor seinem Tod um ein Gespräch mit Bolton gebeten?"

„Andrew Bolton war ein guter Mann", entgegnete Kingsley, kein Zweifel durchzuckte seine Miene. „Er war kein Teil der dunklen Seite."

„Nichts desto trotz wird er etwas gewusst haben." Sirius Black starrte wieder auf das schwarz-weiße Bild der Ruine über dem Artikel als müsse darin eine Antwort liegen - Familiendrama in Turles, Vizeminister Irlands tot. „Vielleicht hat Kalgan es ihm kurz vor seinem Dementorenkuss erzählt. Wenn sie Boltons gesamte Familie auslöschen, muss es einen Grund geben. Etwas, das für uns wichtig sein könnte -"

„So oder so", das abrupte Schnarren, das Sirius jäh unterbrach, bewies die körperliche Anwesenheit eines weiteren Mannes, der zwischen zwei Strähnen über eine Hakennase hinweg in die Runde sah „ist Bolton nun tot. Und Kalgan verlor den Verstand." Für eine Sekunde hätte man meinen können, dort läge etwas Süffisantes in seinen Zügen „Wohl kaum wird jemand der beiden ihr Geheimnis nun noch offenbaren können, sollten sie jemals eines geteilt haben. Wieso sollte das weitere Vorgehen der Iren noch in unserem Belangen liegen?"

„Nun, Bolton mag durchaus tot sein, Severus", Albus Dumbledore sprach in voller Ruhe und ohne den schneidenden Tonfall, den ein Sirius Black ihm nun entgegengebracht hätte, wäre er vor ihm zu Wort gekommen „doch seine einzige Tochter lebt."

„Sie wird für den Mord an ihrer gesamten Familie gejagt", schloss Severus Snape und sein Ausdruck verriet nicht auch nur den Hauch kleinsten Interesses. „Sie ist für uns unerreichbar und ich denke, es ist nur gut so, wenn sie das auch bleibt."

Für einen Moment war es wieder still an der langen Tafel inmitten des Grimmauldplatzes. Nebliges Licht fiel durch die Vorhänge in den Raum und warf Remus Lupins narbiges Gesicht in einen blassen Schein.

Kurz sprach niemand, doch dann - „Und wenn sie etwas weiß?"

Sirius Black schob den Artikel wieder in die Mitte des Tisches, nun mit der anderen Seite empor gerichtet, von wo aus ihnen das Bild eines jungen, siebzehnjährigen Mädchens entgegen starrte. Sie trug einen schimmernden Quidditchumhang, hielt einen Quaffel fest unter ihrem Arm und lachte munter in die Kamera. Ihr langes, dunkles Haar stob ihr aus dem weichen Gesicht - Jüngste Tochter und einzige Überlebende auf der Flucht. „Was ist über das Mädchen bekannt, Kingsley?"

Kingsleys Miene war gequält. Die Schlaflosigkeit hatte sich in die Kerben unter seine Augen gebrannt und erzählten von dem Weckruf, der ihn zum Morgengrauen nach Irland beordert hatte und von dem er erst im selben Moment wiedergekehrt war, als auch Albus Dumbledore im Grimmauldplatz erschienen war.

„Sie besucht die irische Schule für Hexerei und Zauberei", rekapitulierte er, was der irische Aurorenvorsitz an seine Zentrale übermittelt hatte; seine Pupillen erschienen phantome Dokumentzeilen entlang zu huschen. „Durchschnittliche Noten, niemals Auffälligkeiten, höchstens vielleicht im Quidditch-Team ihres Hauses -" mit einem raschen Kopfnicken deutete er auf das Bild, das niemand wirklich anzusehen wagte; es verlieh dem Opfer aller Gräueltaten und dem Mädchen, das sie gerade im Stich zu lassen debattieren, ein Gesicht - „Kein einziger Kontakt zur dunklen Seite."

„Lässt der irische Minister sie suchen?" Remus Lupin stemmte die Ellenbogen auf die mit Spänen übersäte Tischkante, der Stoff seines Umhangs dehnte sich gefährlich.

Kingsley Shaklebot seufzte als missfiele es ihm, der Überbringer dieser Tatsache zu sein. „Ein Haftbefehl gegen sie ist bereits raus, es ist bloß eine Frage der Zeit, bis sie sie finden. Sie hat keinerlei Verwandten in der Nähe. Sie kann nirgendwo hin."

Severus Snapes Stimme schnarrte durch die angespannte Luft: „Die Spur ruht noch auf ihr, bis zum Mittag werden sie sie haben."

Nun entwich Albus Dumbledore ein Seufzen. Der schlaffe Zauberhut, unter dem er sein glänzend graues Haar verbarg, war ihm weiter über den Scheitel gerutscht und er tippte nun ein wenig ungeduldig mit seinen Fingern auf die Tischplatte. Ein wenig so, als hätte er diese Unterhaltung schon einmal verfolgt, als wäre ihm ihr Ausgang schon lange klar. Vielleicht lächelte er deshalb auch als läge die Lösung zu all ihren Fragen, all ihren Problemen, längst offenbart. Er richtete sich auf, sah sie an, alle nacheinander, und schloss dann: „Nun, Severus, das Ministerium verurteilt sie nicht, wenn wir sie vor ihnen finden, oder?"

Auf Snapes Gesicht breitete sich nur zu deutliches Unbehagen aus und sein schmaler Mund verzog sich zu einer beißenden Grimasse. „Das ist unmöglich, Sir. Sich in die Machenschaften des irischen Ministeriums einzumischen -"

„Sie ist ein Kind, Merlinnochmal, Severus", herrschte ihn Minerva McGonagall von der Seite an und die Falten um ihre Wangen bebten. „Sie wird -"

Doch weiter kam sie nicht. Denn zum ersten Mal seit Ewigkeiten, zum ersten Mal, seitdem Sirius eingekehrt war und der Schutz um das verborgene alte Familienhaus der Blacks lag, zum ersten Mal seit dem Voldemort wieder existierte - da klopfte es.

Wenn Albus Dumbledore sie später fragte - und das würde er unzählige Male tun -, wie sie auf den Stufen des Grimmauldplatzes gelandet war, würde Maden immer das selbe sagen. Und es würde sich immer das selbe, verschleierte Bild vor ihr Sichtfeld bahnen:

Ihr rasselnder Atem war in der Stille zerrissen. Und mit einem Mal hatte Sauerstoff ihre Lungen geflutet wie Säure. Dabei war sie frisch gewesen, beinahe unberührt, eine fremde Morgenluft.

Maden hatte nicht geglaubt, dass ihre Beine sie tragen würden, doch genau das hatten sie getan. Und sie war gegen ein Geländer getaumelt, rostig und rau. Niemand anders war dagewesen, sie war allein. Der Portschlüssel in ihrer Hand hatte sich unter ihre Nägel gebohrt und der Kompass war sich sicher gewesen: Seine Nadel hatte ihre Position geändert. Vor ihr war eine Tür. Groß und Schwarz, Grimmauldplatz Nummer 12.

Sie hatte nicht sofort klopfen können. Hatte sich an den abblätternden Lack gepresst und ihre Umgebung gescannt, ihr Puls hätte fast ihre Adern platzen lassen. Doch niemand war dagewesen. Die Straße totenstill, der Morgenhimmel gleißend orange. Ein Auto, in der Ferne, das in eine Parklücke einbog. Eine Mutter, die nach ihrem Sohn rief.

Erst war sie in den Park gelaufen, zu dem schmalen Grünfleck hinter dem hohen Eisenzaun, war gerannt - hatte sich hinter die Büsche geschlichen, zwischen einer Steinmauer auf die warme Erde; und hatte sich auf die dicken Wurzeln einer Eiche übergeben. Doch niemand war dagewesen.

Sie konnte nicht sagen, wie lange sie dort gewesen war. Warum sie ihren Griff um den Portschlüssel partout nicht lösen konnte. Ihr Körper tat nicht, was ihr Kopf ihr sagte. Sie begriff nicht, verstand nicht, wartete. Wartete, ob vielleicht noch jemand kam. Ob noch ein Portschlüssel auf dem Treppenvorsprung mündete. Doch nichts geschah. Und von Gus, John, oder ihren Eltern fehlte jede Spur. 

Also saß sie bloß da, atmete schnell, schwer, langsam, laut. Las immer und immer wieder das Straßenschild zwischen den Baumkronen: Grimmauldplatz. Und der Kompass in ihrer Hand war sich sicher gewesen: Nummer 12, die schwarze Tür.

Dabei war die Stimme ihres Vaters in ihrem Kopf nachgehallt - Die Portschlüssel bringen euch in Sicherheit, zu Dumbledore.

Und genau dieser Mann war es nun, unter dessen Schritten die Dielen des hohen, dunklen Salons ächzten. Sein Umhang wehte in den raschen Drehungen, die er schlug. Sein silbriger Bart folgte ihm wie ein Wirbelsturm, die Augen aller Anwesenden verbohrten sich in ihm.

„Und wie sagst du, bist du hierher gekommen?"

Es war nicht Dumbledore, der sprach, sondern Remus Lupin. Er klang vorsichtig. Das Braun seiner Iris brannte sich tief in die blasse Gestalt, die nun am Kopfende des Tisches saß. Dort, wo Dumbledore selbst vor wenigen Momenten noch gesessen und gebannt den Flur entlang gestarrt hatte, als es klopfte.

Das Mädchen sah müde aus, ihre Finger hatten sich so fest in den Stoff ihres schwarzen Rucksackes gebohrt, dass ihre Kuppen lange taub geworden waren und die begierigen Musterungen der vielen Fremden erschienen sie bloß noch mehr in sich zusammensinken zu lassen. Der Schutt auf ihrer linken Wangenhälfte war getrocknet und der gerade Schnitt, der sich über ihren Wangenknochen zog, blutete nicht mehr.

„Portschlüssel." Ihre Stimme war ein Hauchen, mehr nicht. „Mein Dad gab ihn mir." Das Objekt, von dem sie sprach, lag vor ihr. Sie hatte es fest umkrallt gehalten, als Remus sie etwas zu grob in den staubigen Flur gezerrt und sie mit dem Licht seines Zauberstabs geblendet hatte. Das dunkelblaue Wollknäuel war zerfleddert, die einzelnen Fäden fielen lose auf den staubigen Tisch. „Er hatte gewusst, dass was passieren würde. Er hat es Gus gesagt und Gus hat dann -"

„Maden." Albus Dumbledore unterbrach den in ihr aufbrausenden Wortschwall, denn sie hätte sich fast an ihrem eigenen Atem verschluck - „So heißt du, nicht wahr?" Geduldig wartete er ihr Nicken ab. „Was ist heute Nacht bei dir zuhause passiert?"

Sie erzählte es ihm. Mit gepresster Stimme und verkrampften Muskeln. Sie erzählte von dem Abendessen, dass ihre Mutter gekocht hatte, von dem Duft nach Karotten und cremiger Soße und vor sich hin köchelnden Kartoffeln. Von ihrer und Johns Diskussion über die Quidditchsaison, dass sie ihren Verwandlungsaufsatz schreiben musste, auch wenn sie das doch so sehr hasste. Davon, dass ihr Vater gekommen war, mitten in der Nacht. Von ihrem Bruder, Gus, den sie ewig nicht gesehen hatte, weil er aus Dublin nie zu ihnen kam. Sein Training sei zu streng und er hatte so anders ausgesehen, im dunsenen Deckenlicht mit den geschorenen Haaren. Von dem Murmeln ihrer Mutter in der Ferne aus Johns Zimmer und wie es dann plötzlich erloschen war. Wie die Kälte durch die offene Tür pfiff. Wie ein Lichterregen ihre Augen blendete. Wie Schreie in ihren Ohren wiederhallten. Von Dunkelheit. Von Stille. Von dem Rucksack unter ihrem Bett, dem Portschlüssel, dass sie auf den Treppenstufen gelandet war, dass sie hier nicht her gehörte. Und das Abendessen in der Küche, das stand vielleicht noch immer da -

„Es waren Männer in deinem Haus?", schlussfolgerte Albus Dumbledore und umgriff die Lehne von McGonnagals Stuhl, die Maden mit einem Ausdruck berstenden Mitleids begutachtete.

„Zwei Männer", antwortete Maden, sah ihre langgezogenen Schatten noch immer auf dem Treppengeländer tanzen. „Ich habe ihre Gesichter nicht gesehen. Sie waren verborgen."

„Hinter Kapuzen?" Remus Lupin sah sie unverwandt an.

„Nein, hinter Masken. Silbrigen Masken."

In der Mitte des Tisches lag die neueste Ausgabe des Tagespropheten. Abwesend begutachtete Maden ihr jüngeres Selbst, das, gedruckt auf eine fast schon zerknitterte Titelseite, unverwandt zu ihr empor lächelte. Doch die jetzige Maden lächelte nicht zurück, dachte nicht an den Tag, an dem sie im vergangenen Jahr den Pokal gewonnen hatten, dachte nicht an ihr Bild, was es bedeutete, daran, wo sie nun war, warum es sich überhaupt dort befand.

Denn das Umherschnellen vielsagender Blicke entging ihr nicht.

„Hat dein Vater dir etwas gesagt?" Albus Dumbledore war der Einzige unter ihnen, dem es gelang, ihre aktuellen Umstände zu ordnen. „Warum er fürchtete, ihr könnten in Gefahr -"

„Nein." Sie versuchte, standhaft zu klingen, doch sie war es nicht. „Wenn etwas geschehen würde, sagte er, brächte mich der Portschlüssel in Sicherheit. Zu Albus Dumbledore." Und erst jetz fiel es ihr wieder ein, glasklar - Die Botschaft ist in deinem Rucksack. Dumbledores Augen bohrten sich auf sie - „Und dann müsste ich Ihnen etwas geben."

„Und was wäre das?" Zum ersten Mal seit den vergangenen Stunden zeigte sich ernsthafte Sorge auf seinem Gesicht.

Maden sah zu ihrer Tasche, dann wieder hinauf. Sie wusste nicht genau, weshalb sie zögerte. Sie wusste bloß, dass sie die Situation und die sich um sie neu formende Realität nicht verstand. Und dass der kleine, zerknitterte Zettel, den eigentlich jemand anders hatte überbringen sollen, auf einmal fest in ihrem Griff lag.

Sie spürte das kalte Glas des Kompasses in ihrer Jackentasche, doch sie zuckte nicht danach. Den Kompass ließ sie dort, wo er war: Verborgen.

Lediglich den Zettel hob sie aus dem Rucksack empor. Er war klein, ganz schmal. So dass die dunkle Tintenschrift schon bald durch das bleiche Pergament hindurch schimmerte, als Dumbledore es entgegennahm: Sie können die Geheimnisse der dunklen Künste verbergen, Albus, doch jemand teilt sie durch sich selbst.

Albus Dumbledore regte sich nicht und das Blau seiner Augen verbiss sich in den Worten. Seine Hakennase schien im einbrechenden Morgenlicht noch viel gebogener, doch eine Regung entglitt ihm nicht.

Und auch, wenn niemand sonst verstand, wenn niemand irgendetwas begriff: Für Albus Dumbledore war es genug, um seinen Blick unsagbar gefasst sinken zu lassen. Dabei konnte nicht einmal das ehrfurchtsvolle Wispern der Frau mit den eingefallenen Wangen etwas bewirken - Was ist es, Professor?

Denn Albus Dumbledore sah nun bloß noch das Mädchen an, die freie Hand fest um die hölzerne Stuhllehne gegriffen. Und in den ganzen, vergangenen Minuten seit Maden Boltons Ankunft hatte er nicht derart alt ausgesehen.

„Hast du deinen Zauberstab dabei?" Er klang als hätte diese kleine Notiz ihn gar nicht erst aus der Besinnung bringen können, doch der verzerrte Ausdruck auf seinem Gesicht erzählte eine andere Geschichte.

„Nein." Mit jedem Wort, das Maden sprach, erschien ihr Mund trockener zu werden. Er hatte etwas verstanden, hatte etwas aus der Notiz lesen können, was sie nicht erkannt hatte. „Ich hab ihn dort vergessen."

Sie können die Geheimnisse der dunkelsten Kunst nicht verbergen, Albus -

„Das irländische Ministerium ist vor zwei Stunden vor Ort erschienen." Dumbledore erschien nun ganz bedacht darauf, nicht auf den Zeitungsartikel zu sehen und gab auch Maden keine Gelegenheit dazu. „Weißt du, was mit deiner Familie geschehen ist?"

- jemand teilt sie durch sich selbst.

Maden Bolton schluckte nicht und auch sonst rührte sich kein Muskel ihres gesamten Körpers. Bloß ein unerträgliches Brennen zog sich über ihre Netzhaut und Salz grub sich in ihre Augenwinkel. Sie wusste, dass ihre Finger zu zittern beginnen würden, wenn sie sie von dem Stoff ihres pechschwarzen Rucksacks lösen würde und die Blicke aller Anwesenden erschienen plötzlich äußerst unbehaglich auf ihr zu liegen; als wäre dieser Moment zu privat, als gehörte keiner von ihnen hier her. Und das taten sie auch nicht. Sie alle und Maden, sie gehörten nicht hierher, nicht in diesen Augenblick, all das war falsch.

Sie wusste nicht genau, warum sie in einer halbherzigen Bewegung ein Kopfschütteln andeutete; warum sie hoffte, Albus Dumbledore würde nun lächeln, seine langen knochigen Finger auf ihrer Schulter schlingen, fest drücken und behaupten, alles würde gut werden, allen ginge es gut. Sie wusste, was geschehen war, sie hatte es selbst aus dieser schrecklich schnarrenden Stimme hinter der blättrigen Silbermaske gehört – Alle tot.

Albus Dumbledores Blick fiel nicht von ihr, er hielt ihr stand. Er ertrug ihr Leid und den Schmerz. Und doch zwang er sie nicht, es aussprechen zu müssen. Das, was er tat, war beinahe noch schlimmer: Er brachte ihr Gewissheit.

„Hattest du zwei Brüder?", fragte er nämlich und brauchte das Nicken nicht abwarten, brauchte gar nichts Weiteres sagen. Er sprach in der Vergangenheit und allein das war Indiz genug für das Grauen, das langsam in Madens Bewusstsein sickerte. „Das Ministerium hat keine Überlebenden in dem Haus gefunden, es tut mir leid."

Maden schwieg. Sie saß bloß dort wie erstarrt und klammerte sich an den Stoff ihres Rucksacks wie an den letzten Anker aus einem Leben, das mit jedem vergehenden Atemzug mehr und mehr vor ihrem geistigen Auge verblasste.

„Werden sie nach ihnen suchen?", hörte sie sich selber flüstern, vollkommen tonlos. Und das einzige, was sie in diesem Moment empfand, war Wut. Wut auf ihre eigene Verständnislosigkeit. Wut auf Albus Dumbledore, der vor ihr stand als könne er nichts tun, dabei war er doch der mächtigste Zauberer ihres Jahrhunderts, obgleich er doch verstand: Sie können die Geheimnisse der dunklen Künste verbergen, Albus, aber jemand teilt sie durch sich selbst. „Nach den maskierten Einbrechern, suchen Sie nach ihnen?"

„In dem Bericht des Tagespropheten spricht das irische Ministerium nicht von Eindringlingen." Wieder war es als versuche Dumbledore durch das Blau seiner Augen mehr zu sagen als er aussprechen konnte. „Sie haben keine Indizien für äußerliche Gewaltein -"

„Unser ganzes Haus ist zerstört! Meine Mutter liegt ermordet auf dem Küchenflur und mein Bruder -", Maden unterbrach sich selbst, hatte viel zu lange vergessen zu atmen, in ihrer Kehle rasselte es – „Wer soll das sonst getan haben, wenn nicht irgendein -"

„Du."

Es kam aus dem Schatten des Wandvorsprungs am anderen Ende des Tisches. Es kam leise und doch war es bestimmt. Es war kein Vorwurf, es war Erbitterung, und Dumbledores Augen schlossen sich zu einer schmalen Linie.

Der Mann, der zu ihr gesprochen hatte, verbarg sein aschfahles Gesicht hinter einem langen Schleier schwarzer, lockiger Haare, die nicht zu dem mottenzerfressenen Umhang passten, den er trug, und irgendetwas an ihm war ihr unangenehm bekannt.

„Sie haben deinen Zauberstab", erklärte Sirius Black und das erneute Einsetzen seiner Stimme erinnerte Maden brachial daran, zu atmen. „Mit ihm wurden all die Flüche ausgelöst, die deiner Familie das Leben nahmen." Er griff die Zeitung vom Tisch und vergrub sie unter seinem Arm. „Es ist überall. Sie suchen nicht nach Einbrechern. Sie suchen nach dir. Sie wollen allen weiß machen, du allein hättest deine Familie -"

„Das ist genug, Mr. Black!" Die Frau, die zu Madens Linken saß und deren Dutt nun unter den Erschütterungen ihres schmalen Kiefers bebte, ließ ihn verstummen. Ihre hohe Stimme verflog aus dem Raum.

„Maden", es sprach wieder Albus Dumbledores Worte, doch der Schleier aus Unwirklichkeit und Trance, der sich um Maden geschlossen hatte und sie umgab wie eine undurchdringbare Kuppel, ließen ihn kaum zu ihr hinan. „Dein Vater hat dich hierher gebracht, weil er wusste, dass du hier sicher bist. Und das stimmt. Wir werden -"

„Ich hab das nicht getan", unterbrach sie ihn, mit einem unerlässlichen Beben in jeder Silbe. Das Brennen auf ihrer Netzhaut, es war verschwunden und geblieben war ein Schleier aus Tränen, der sie jetzt nicht mehr hielt, der sich auf ihren Wangen erstreckte. Hier saß sie nun, vor all diesen Fremden in - „Ich schwöre es! Ich habe nicht, ich könnte nie -"

Minerva McGonagall war aufgestanden und war nun da, ihre dünnen Arme umschlangen sie wie eine Stütze, die gar nicht dorthin gehörte und doch waren es Madens dürre Finger, die sich um den Stoff ihres Mantels schlangen; ihre Nase, die ihren Duft nach Pergament inhalierte und ihre Tränen, die sich auch in ihre Schulter fraßen.

„Albus, ich denke, es ist genug für heute", hörte sie sie appellieren und bei jedem Ton vibrierte ihr Oberkörper mit. „Lassen wir sie hier, lassen wir sie schlafen."

„Ich hab sie nicht getötet", wisperte Maden jedoch bloß, starrte auf die Naht am Kragen eines Umhangs der ihr fremd war, wollte aufwachen, entfliehen, nicht hierher gehören. „Es ist meine Familie, ich habe nicht – das ist mein Bruder."

Und während sie so da saß, ohne jegliche Kontrolle über sich selbst, das Geschehen und alles, was sie kannte, starrte sie auf Minerva McGonagalls Umhang, die kleinen Blumen in dem Stoff und dachte daran, wie sehr sie dies an die Kissenbezüge ihrer Großmutter erinnerte. Großmutter Jen, die vergangenes Jahr gestorben war und ihr Vater, der jetzt auch dazu gehörte. Sie dachte an ihn und an seine ziellos starrenden Augen, an die Schwärze darin, die gestern Nacht fast so ausgesehen hatten wie am Tag von Grandma Jens Beerdigung. An Johns verknotetes Haar, an den Ring in Gus' Ohr, der nun bestimmt fehlte und an die Vorhänge ihrer Mutter, die nicht mehr so neu waren, es nie wieder werden würden. Und an die Blumen, die man wohl auf ihrer aller Grab legen würde.


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Ich liebe übrigens Sirius. Auch, wenn er nicht ganz so viele Auftritte haben wird: Ich mag ihn fast so gern wie die Weasley Twins in dieser Geschichte. Fast. 

Jetzt sind wir ja schon ein bisschen tiefer im Geschehen, also, eure Meinung: 

1. War es richtig, dass Maden den Kompass erstmal für sich behalten hat? 

2. Was glaubt ihr, was hat es mit dem Ding auf sich? 

3. Könnt ihr euch was zu der mysteriösen Botschaft denken, die Maden Dumbledore von ihrem Vater überreicht hat? 

4. Und: Kapitellänge so okay? Ist ein recht langes. Wir pendeln uns auf ca. 2.000 - 3.500 Wörter pro Kapitel ein. Hier sind es  3.800.

Heute kommt das Kapitel am Sonntag, weil Wattpad den Post gestern aus irgendeinem  Grund nicht von der App aus senden wollte. Dienstag gehts weiter. Bis dahin immer schön Obst und Gemüse essen.

Unendlichen Dank und genau so viel Liebe an euch, Al

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