//WILLKOMMEN IM TROPFENDEN KESSEL!//
»ICH BIN WIRKLICH erleichtert, dass du da bist, Tom. Allein hätte ich niemals zu dieser Winkelgasse gefunden. Ich habe mich auf dieser normalen muggeligen Zugfahrt schon gefühlt, wie der erste Mensch!«, gestand Amy ihre Freude, den Schulsprecher ihrer zukünftigen Heimat anzutreffen.
»Dumbledore hatte das befürchtet und mich gebeten, dich zum Tropfenden Kessel zu bringen«, antwortete dieser, wie stets, etwas unterkühlt.
»Oh, da kennt er mich anscheinend schon recht gut«, kicherte Amy verlegen. »Ist es sehr weit?«
»Das kommt darauf an, auf welche Weise man dort hingelangen möchte«, gab Tom preis und verzog den Mund zu einem süffisanten Lächeln.
»Du meinst zu Fuß oder per Straßenbahn?«, fragte Amy argwöhnisch, denn sie ahnte, dass es mal wieder eine magische Lösung geben würde.
»Natürlich könnte ich dich per pedes dorthin geleiten und dir dabei ein wenig meine Heimatstadt zeigen«, begann Tom zu erklären. »Aber da ich heute nicht besonders viel Zeit habe, würde ich vorschlagen, dass wir den direkten Weg nehmen.«
»Der da wäre?« Amys komisches Gefühl in der Magengegend verstärkte sich bei der Erinnerung an die letzte magische Reise, die sie mit Dumbledore und diesem als rostige Kanne getarnten Portschlüssel unternahm.
»Wir disapparieren«, verkündete Tom schließlich schulterzuckend und reichte Amy seinen rechten Arm. »Halt dich gut an mir fest.«
»Ähm, Moment!«, wollte Amy noch schnell ihre Frage dazu loswerden. »Ist das so was Ähnliches wie die Sache mit dem Portschlüssel, dieses Disapparieren?«
»Das kann man ungefähr vergleichen. Aber Apparieren wirkt sich gemeinhin unangenehmer auf den Körper aus. Die meisten Leute müssen sich nach dem ersten Mal übergeben. Ich hoffe also, du hast heute noch nicht allzu viel gegessen«, erklärte Tom die Situation und schaute Amy mit einem fast schon schadenfrohen Grinsen an.
»Nein, zum Glück hatte ich nur spärliche Kost. Da sollte bei aufkommender Übelkeit nicht viel passieren, schätze ich«, gab sich Amy optimistisch.
»Also, bereit?«, fragte Tom und deutete erneut auf seinen angewinkelten rechten Arm.
»Bereit. Los gehts.«
Amy klammerte sich fest an Toms Arm und bemerkte, dass er sehr gepflegt roch. Amy kannte diesen Großstadt–Leute–Geruch nicht. Sie war es gewohnt, dass die Menschen nach harter Arbeit riechen. Nach Schweiß, Öl, Stall, Vieh oder Holz. Außerdem bemerkte sie, dass Toms Jackett ziemlich wertig aussah.
Ob er heute wohl noch etwas Besonderes vor hat? Immerhin hat er ja nicht viel Zeit und –
Wuuuuusch
Amy konnte ihren letzten Gedanken nicht zu Ende denken, da begann sich Tom bereits, mit ihr als sein Anhängsel, im Kreis zu drehen, und Amy hatte das Gefühl, in einem furchtbar engen Gartenschlauch gepresst zu werden. Sie hielt sich krampfhaft an dem jungen Mann fest und nach einer gefühlten Ewigkeit, die in Wahrheit nur Sekunden dauerte, standen sie auf einer völlig anderen Straße.
»Oh, wow. Das war wirklich – rülps – nicht die angenehmste Art zu reisen – rülps.« Amy war es tatsächlich kotzübel. Ihrem fast leeren Magen war es zu verdanken, dass sie ihrem neuen Freund nicht vor die Füße kotzte.
»Das wird besser, irgendwann«, versprach Tom. »Aber wir sind am Ziel und das nach sehr kurzer Zeit. Was will man mehr?«
»Und wo ist dieses Ziel? Ich sehe hier weder den Tropfenden Kessel noch ein Hinweisschild auf diese Winkelgasse.« Amy schaute sich suchend um, konnte aber weder auf dieser noch auf der anderen Straßenseite etwas dergleichen entdecken.
»Gehen wir ein paar Schritte, dann siehst du es. Komm mit!«
Gezielten Schrittes ging Tom voraus und blieb vor einer vorspringenden, rundlichen Gebäudewand stehen. Er streckte einladend den linken Arm aus, wie ein Hotelboy, doch Amy sah keine Tür, in die sie hätte gehen können.
»Soll ich durch die Wand gehen? Ich sehe da nichts«, sagte sie verwirrt.
»Komm noch etwas näher, dann siehst du es!«, war sich Tom sicher und Amy blieb nichts anderes übrig, als seiner Aufforderung zu folgen.
Tatsächlich konnte die junge Frau auf einem eben noch völlig leeren Schild plötzlich die Aufschrift „Zum Tropfenden Kessel" lesen und als sie neben Tom stand, erkannte sie eine Tür in dem Gebäudevorsprung, die zuvor nicht da war.
Tom öffnete diese Tür und Amy fand sich nach dem Eintreten in eine Art Kneipe wieder. Die Menschen darin sahen für sie alle ein wenig verrückt aus. Nicht verrückt im negativen Sinn, aber dennoch ganz anders, als die Leute außerhalb dieses Etablissements. Das alles konnten nur Hexen und Zauberer sein! Amy schaute sich neugierig aber auch ein wenig schüchtern um.
Ob diese Leute merken, dass ich nie zuvor in ihrer Welt gewesen bin?
»So, Auftrag erfüllt«, merkte Tom neben ihr an und streckte sich zufrieden. »Es tut mir sehr leid, aber ich habe noch einen wichtigen Termin in der Winkelgasse. Ich muss dich jetzt verlassen.«
»Was, nein! Du kannst mich doch nicht so stehen lassen. Ich kenne mich hier nicht aus und überhaupt!« In Amy strömten erneut Angst und Panik. Was, wenn sie sich hoffnungslos verirren würde in dieser ihr unbekannten Gegend?
»Du verläufst dich schon nicht. Ich war elf Jahre alt, als ich hier zum ersten Mal war. Es ist alles gut ausgeschildert und was du brauchst, steht auf deinem Zettel«, schüttelte sich Tom seine Verantwortung ab. »Und wenn du doch nicht weiter weißt, hier sind mehr als genug Hogwarts-Schüler, die dir helfen können.«
Er deutete mit seinem dunklen Lockenkopf auf zwei junge Leute, die an der Theke standen und mit einem zwielichtig aussehenden Mann sprachen. Als Amy wieder etwas zu Tom sagen wollte, war dieser bereits in der Menschenmenge verschwunden. Ihr Herz fing erneut an zu rasen. Nun stand sie da, ganz allein und musste sehen, wie sie zurechtkam.
Sie entschied sich, Toms Vorschlag zu folgen, und ging zur Theke, um Kontakt zu den beiden Hogwarts-Schülern aufzunehmen.
»Dreh dich bloß nicht um, Olive. Manda steuert genau auf uns zu«, sagte der blonde Junge zu seiner Begleiterin.
»Was will die denn hier? Sie ist doch mit der Schule fertig oder muss sie eine Ehrenrunde drehen?«
»Sie kam mit Tom rein. Er scheint sie aber mal wieder abblitzen zu lassen.«
Amy, die nicht hören konnte, dass die beiden sie längst gesehen hatten und sie für ihre Doppelgängerin hielten, setzte sich auf einen Hocker neben dem dunkelhaarigen Mädchen.
»Ähm, hallo. Ist hier noch frei?«, fragte Amy zögerlich.
»Was ist Manda? Seit wann lässt du dich denn dazu herab, mit Ravenclaws zu reden?«, fauchte der junge Mann sie unsanft an. »Hat Tom jetzt endgültig die Nase voll von dir?«
Amy wusste nicht, was sie so schnell darauf antworten sollte. Offenbar war die andere Amanda nicht besonders beliebt bei den Schülern Hogwarts'.
»Entschuldigung, aber ich bin nicht Manda. Ich bin Amy und ich habe keine Ahnung, was Ravenclaw bedeutet«, sprach Amy und war von ihrer piepsigen Stimme überrascht, die sie ein wenig an Professor Dippet erinnerte.
»Du meine Güte! Das ist sie wirklich nicht«, stellte das Mädchen fest, die sich erschrocken zu ihr umdrehte.
»Nicht Manda? Aber wie ...« Der Junge kam auf Amy zu und beäugte sie argwöhnisch. Das war sie mittlerweile ja gewöhnt, dennoch hatte sie so langsam keine Lust mehr auf diese Fleischbeschau.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Amy und versuchte, möglichst freundlich und offen zu wirken. »Ich bin Amy. Amy Owens und Manda ist eine Betrügerin gewesen, vermutlich.«
»Was redest du da? Owens? Seid ihr verwandt?«, wollte das Mädchen wissen.
»Vielleicht auch das. Aber es ist anzunehmen, dass Manda in Wirklichkeit nicht Owens heißt.« Amy erzählte den beiden eine Kurzfassung der verwirrenden Doppelgängerinnen–Geschichte und blickte währenddessen in erstaunte Gesichter.
»So was gibts? Jemand klaut die Identität eines anderen und lebt dessen Leben? Das ist ja furchtbar!«, schlussfolgerte das Mädchen.
»Dann wusstest du bis vor Kurzem überhaupt nichts davon, dass du eine Hexe bist? Wie schrecklich«, ergänzte der Junge, der zwei Krüge von dem Wirt entgegennahm. »Oh, ähm, noch ein drittes Butterbier, bitte!«, sagte er und nickte Amy zu.
»Ähm, danke. Ich habe jetzt wirklich Durst. Und ja, so was gibt es. Ob es schrecklich ist oder nicht, muss ich selbst noch herausfinden. Ich weiß ja nicht, was ich alles versäumt habe«, gestand Amy und nahm ein Glas Butterbier entgegen.
»Oh man, du hast so viel verpasst! Das wirst du in einem Jahr niemals nachholen können«, sagte das Mädchen und sah mehr traurig als schockiert über Amys Geschichte aus. »Ich bin übrigens Olive Hornby. Ich bin im fünften Schuljahr und im Haus Ravenclaw«, stellte sie sich vor und reichte Amy freundschaftlich die Hand.
»Dionysos Lovegood, ebenfalls Ravenclaw. Sechstes Schuljahr. Nenn mich Dion«, folgte der Blonde dem Beispiel seiner Freundin.
»Schön, euch kennenzulernen«, freute sich Amy über die erste positive Kontaktaufnahme. »Also ist Ravenclaw so was wie Slytherin?«
»Ähm, na ja. Es sind zwei von vier Häusern, in die Hogwarts unterteilt ist. Es gibt außerdem noch Hufflepuff und Gryffindor. Aber die Slytherins, nun, die sind speziell. Halten sich für etwas Besseres«, erklärte Olive.
»Du hast Tom ja kennengelernt. Mehr muss man dazu nicht sagen«, ergänzte Dion.
»Ich finde ihn nett«, sagte Amy verwundert. »Er wirkt immer etwas verhalten, wenn ihr das meint.«
»Ja, er ist immer sehr höflich, besonders zu den Lehrern und stets bemüht auch bei uns nicht negativ aufzufallen«, erzählte Dion weiter. »Aber er ist auch manchmal ein Einzelgänger und Eigenbrötler. Und seine sogenannten Freunde benehmen sich ihm gegenüber eher wie Diener. Wenn wir im Sommer baden gehen, sitzt er in der Bibliothek oder irgendwo im Schatten. Also wundere dich nicht über seine blasse Haut. Ein richtiges Kellerkind eben.«
Olive und Dion verfielen in Gelächter und Amy war sich nicht mehr so sicher, ob sie mit den beiden die richtigen neuen Freunde gefunden hatte. Lästereien konnte sie noch nie leiden.
»Ich kann und möchte das nicht beurteilen. Ich kenne ihn noch nicht lange genug und kann nur das sagen, was ich bislang mitbekommen habe«, sagte sie und hoffte, möglichst diplomatisch geblieben zu sein. »Leider hat er heute einen Termin. Würde es euch etwas ausmachen, wenn ich mit euch zur Winkelgasse gehe, um meine Sachen zu besorgen?«
»Ganz und gar nicht!«, strahlte Olive. »Komm ruhig mit uns mit. Wir brauchen auch noch unsere neuen Schulbücher. Huch!«
Olive drehte sich plötzlich erschrocken um und schaute, als hätte sie einen Geist gesehen.
»Das war nur der alte Kniesel, Olive. Keine Panik«, beruhigte Dion seine Freundin und zeigte auf ein katzenähnliches Tier. Es hatte getigertes Fell und ihr Schwanz endet in einer Quaste, wie bei einem Löwen.
»Verzeihung. Ich, ich bin nur etwas schreckhaft seit, seit dem Vorfall«, sagte Olive und hielt sich völlig aufgelöst die Brust, als ob sie so ihr pochendes Herz beruhigen wollte.
»Irgendetwas verheimlichst du mir doch?«, fragte Dion und blickte seine Freundin besorgt an.
»Nichts, alles gut«, winkte diese ab und nahm einen großen Schluck Butterbier. »Trinken wir aus und dann gehen wir zur Winkelgasse.«
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