//VERWINKELTE GASSEN//

AMY KRAMTE IHRE Liste hervor, auf der Professor Dumbledore ihr alles aufgeschrieben hatte, was sie für ihr Jahr in Hogwarts benötigen würde.

»Ich brauche ein paar Klamotten, Uniformen. In Klammern steht gebraucht«, las sie ihren beiden neuen Freunden vor und hoffte, dass diese damit mehr anzufangen wussten, als sie selbst.

»Das ist kein Problem«, meinte Dion zu ihrer Erleichterung. »Riddle und einige andere Schüler, die nicht so viel Geld haben, kaufen ihre Uniformen auch in dem Gebrauchtwarenladen in der Winkelgasse.«

Amy kam der Gedanke, dass es Tom, den sie für sehr eitel hielt, sicher nicht unbedingt gefallen haben musste, seine Uniformen dort zu erstehen. Auch war sie sich nicht sicher, ob der Anzug, den er heute trug, ebenfalls Secondhandware war. Er wirkte auf sie nicht abgetragen oder in irgendeiner Weise aufgearbeitet, sondern ziemlich hochwertig. Gut möglich, dass er in den letzten Jahren zu ein wenig Vermögen gekommen war, doch schien es Amy, als würde Tom das vor seinen Mitschülern versuchen zu verheimlichen.

Vielleicht ist es deshalb so schnell wieder verschwunden? Oder hat er noch mehr Geheimnisse, von denen die anderen nichts wissen? Ach, was. Sicher hat er sich nur ein bisschen was zurückgelegt.

»Amy, bist du noch da?«, weckte Olive die Junghexe aus ihren Tagträumen.

»Was? Ja! In Ordnung, dann hole ich die gebrauchte Kleidung auch von dort. Aber ein Spitzhut? Wirklich?« Amy musste etwas kichern bei der Vorstellung tagsüber mit einem – wie es auf dem Zettel stand – einfachen Spitzhut herumzulaufen.

»Das ist reine Formsache«, sagte Olive augenzwinkernd. »Wir tragen die Hüte sehr selten. Meist nur zu festlichen Anlässen und bei der Begrüßungszeremonie morgen Abend. Du musst nicht den ganzen Tag mit dieser Tüte auf dem Kopf leben.«

»Da bin ich ja beruhigt. Obwohl das meiner Vorstellung von einer Hexe erschreckend nahegekommen wäre, muss ich zugeben«, gestand Amy etwas kleinlaut.

»Ja, wir kennen die Vorstellungen der Muggel über uns und unsere Welt«, sagte Dion und musste ebenfalls ein wenig darüber schmunzeln. »Allerdings liegen sie bei manchen Dingen gar nicht mal falsch.«

»Vermutlich, weil es auch noch Zeiten gab, da die Muggel uns nicht für Märchen und Hirngespinste hielten«, ergänzte Olive.

»Wie meinst du das? Ich denke, dass es einige gibt, die euch durchaus für real halten«, sagte Amy und dachte daran, wegen welcher Gründe man ihre Großeltern damals verfolgt und vertrieben hatte.

»Lass uns ein anderes Mal darüber sprechen. Heute haben wir viel zu besorgen«, sagte Olive und schaute auf Amys Liste. »So, was brauchst du noch alles? Lehrbücher. Können in der Schule ausgeliehen werden. Kauf nicht erforderlich, bei persönlichem Bedarf jedoch wünschenswert. Aha.«

Amy war erleichtert, dass sie die ganzen Bücher auf ihrer Liste nicht alle heute kaufen musste. Sie überlegte aber bereits, sich einige davon zu späterer Zeit anzuschaffen.

»Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind. Das klingt interessant. Stehen da so Tiere drin, wie mein Crup oder dieser, wie sagtet ihr, Kniesel?«, fragte Amy ihre Freunde.

»Du hast einen Crup? Wow!«, zeigte sich Olive begeistert. »Ich hätte auch so gerne einen.«

»Das merke ich mir. Ich kann ihn nämlich nicht behalten. Dumbledore hat ihn letztens mitgenommen und wollte ihn jemandem anvertrauen, der sich mit diesen Tierwesen auskennt«, erklärte Amy und dachte traurig an das fröhliche Winseln des hundeähnlichen Tieres zurück.

»Er hat ihn bestimmt zu Howie gebracht«, überlegte Dion und nickte Amy zu.

»Howie? Wer ist das?«, wollte diese wissen, war aber beruhigt, als sie sah, dass Dion und Olive beide lächelten.

»Howard Ogg ist unser Wildhüter«, erklärte Dion. »Er ist richtig nett und er hatte immer Verständnis für Rubeus' Vorliebe für all diese Geschöpfe.«

»Und wer ist Rubeus?«, wollte Amy gleich die nächste Frage beantwortet haben.

»Ein ehemaliger Mitschüler aus Gryffindor. Er wurde damals dabei erwischt, ein verbotenes Geschöpf in die Schule geschmuggelt zu haben. Man geht davon aus, dass dieses Vieh für ein paar Angriffe auf Schüler verantwortlich war«, erklärte Dion weiter.

Amy erinnerte sich daran, was Minister Spencer-Moon während der Verhandlung über Tom gesagt hatte. Er war es, der diesen Rubeus damals gestellt und den Unglücksfällen Einheit geboten hatte.

»Ich glaube trotzdem nicht, dass Rubeus etwas damit zu tun hatte«, warf Olive ein. »Er ist so ein lieber Kerl. Er könnte keiner Fliege was zuleide tun.«

»Aber eine Acromantula schon. Diese Biester werden nicht umsonst in Gefahrenstufe vier klassifiziert«, sagte Dion. »Rubeus sieht einfach nicht ein, dass das nicht alles Kuscheltiere sind. Und die Vorfälle haben seitdem aufgehört. Welche Beweise brauchen wir noch? Du weißt, ich halte nicht allzu viel von Riddle, aber dafür können wir ihm wirklich dankbar sein.«

»Ja, vermutlich hast du recht«, gab Olive zu und schaute traurig auf den Boden. »Ich wünschte nur, er hätte ihn etwas früher erwischt. Dann würde Myrte noch leben.«

»Damit du sie weiterhin ärgern kannst?«, fragte Dion und schaute seine Freundin mit einem seltsamen Lächeln an.

»Ich bereue das heute sehr. Wenn ich sie an diesem Tag nicht wegen ihrer Brille gehänselt hätte, dann wäre sie nicht tot und –« Olive sprach ihren Satz nicht zu Ende. Sie stoppte abrupt, als hätte sie fast etwas gesagt, dass sie nicht erwähnen durfte oder wollte.

»Es ist nicht deine Schuld, Olive. Das hatten wir doch das ganze letzte Schuljahr schon hundertmal besprochen«, sagte Dion und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Es war für uns alle ein großer Schock und ja, du hast sie gefunden und das war ein furchtbares Erlebnis für dich, aber –«

»Ist gut! Ist gut«, unterbrach Olive ihren Freund. »Ich spreche nicht mehr davon. Einverstanden? Dieses Schuljahr ist Schluss damit. Vielleicht hören dann auch ... ach, nichts.«

»Was wolltest du sagen?«, hakte Dion nach, der seit Langem das Gefühl hatte, dass Olive noch etwas zum Thema Myrte verschwieg.

»Nichts, nichts. Lass uns nicht mehr davon reden. Amy soll keine Angst haben, unser Schloss zu betreten.« Olive drehte sich wieder zu Amy um und versuchte, auffallend gekünstelt zu lächeln. Amy musste Dion jedoch recht geben. Irgendwas schien Olive zu beschäftigen. »Also, was musst du noch in der Winkelgasse besorgen?«

»Ähm, ach so! Ja. Besorgen. Moment.« Amy fuhr mit dem Zeigefinger über ihre Liste und blieb unterhalb der Schulbücher darauf hängen. »Einen Zauberstab brauche ich noch. Kann ebenfalls gebraucht erworben werden.« Amy stockte einen Moment. »Tauschen Zauberer ihren Stab auch mal um?«

»Manchmal verlieren sie ihn oder geben einen ab, den sie einem anderen Zauberer weggenommen haben. Es gibt viele Möglichkeiten, wie ein Zauberstab wieder bei Ollivanders landet«, erklärte Dion.

»Wie viele Galleonen hat dir Hogwarts für deine Einkäufe bereitgestellt?«, fragte Olive anschließend.

»Zweihundert«, antwortete Amy etwas verschämt über diese hohe Summe.

»Dann kaufe dir einen neuen, eigenen Stab. Der kostet nicht so viel und du hast mehr davon.«

»Da gebe ich Olive recht«, sagte Dion kopfnickend. »Nichts ist besser als ein eigener Zauberstab. So, was haben wir da noch?« Er nahm sich Amys Liste vor und schaute, was außerdem alles benötigt wurde. »Ein Zinnkessel in Normgröße 2. Auch nicht teuer. Ein Sortiment Glas– und Kristallfläschchen. Zu dieser Zeit immer im Sonderangebot, wegen Schulanfang. Ein Teleskop, schon etwas mehr. Eine Messingwaage bekommst du ebenfalls in sehr gutem Zustand gebraucht. Im Prinzip ist das dieselbe Liste, die wir vor dem ersten Schuljahr erhalten haben. Das sollte alles mit 200 Galleonen machbar sein.«

»Das hört sich gut an«, sagte Amy erleichtert. »Ich denke, mehr als ein Erstklässler werde ich auch nicht lernen, wenn überhaupt. Dippet und Dumbledore haben sich mit dem Minister darauf geeinigt, dass ich nur einen Schnellkurs durchlaufe und manche Fächer nicht belegen darf. Meine Hauptaufgabe soll es bleiben, Informationen über Manda zu sammeln.«

»Da wirst du wohl nicht drumherum kommen dich hauptsächlich bei den Schlangen aufzuhalten«, war sich Dion sicher und verzog angewidert das Gesicht. »Außerhalb des Hauses Slytherin hatte sie kaum Kontakte.«

Amy, die diese vorherrschende Rivalität der einzelnen Häuser Hogwarts' nach wie vor nicht verstehen konnte, war es egal, wen sie nach ihrer Doppelgängerin befragen musste. Hauptsache sie erfuhr etwas über diese Namensdiebin.

»Aber jetzt lasst uns losziehen und die Winkelgasse erkunden, auf gehts!« Olive trank den letzten Rest Butterbier und marschierte munter zum Hinterausgang des Tropfenden Kessels und hinaus auf einen kleinen, von Mauern umgebenen Hof.

»Ähm, das ist nur ein alter Hinterhof mit Mülleimern und ne Menge Unkraut«, stellte Amy enttäuscht fest, die etwas ganz anderes erwartet hatte.

»Warte ab!«, sagte Dion und stellte sich vor die Mauer.

Amy erinnerte das an den Eingang zum Kessel selbst, den sie auch erst erkennen konnte, als sie nah genug davor stand. Jetzt beobachtete sie Dion, wie er mit seinem Zauberstab an der Mauer herumklopfte.

»Drei nach oben ... zwei zur Seite und jetzt Achtung!«

An der bis eben noch so unscheinbaren Mauer bildete sich wie von Zauberhand ein kleiner Spalt, der immer größer wurde und letztlich einen Torbogen bildete. Er führte hinaus auf eine Gasse mit gepflasterten Wegen und einer engen Biegung.

»Willkommen in der Winkelgasse, meine Damen!«, sagte Dion feierlich und ging voraus.

»Das ist wirklich der Wahnsinn!«

Amy stand mit weit geöffnetem Mund mitten auf einer belebten Einkaufspassage. Um sie herum wuselten Hexen, Zauberer, Kinder und Jugendliche, einiges an sonderbarem Getier und viele bunte Schaufenster und Außenwaren luden ebenfalls zum Staunen ein.

»Mach den Mund zu, sonst fliegt dir noch ein Billywig in den Rachen!«, ermahnte Dion sie und knuffte ihr kichernd in die Rippen.

»Ein Billy– was?« Amy fühlte sich wie ein dreijähriges Kind. Ständig musste sie irgendwelche Dinge erfragen, die für ihre beiden neuen Freunde das Normalste der Welt zu sein schienen.

»Die gibt es doch nur in Australien, Dion. Mach ihr nicht schon wieder Angst.«

»Ach, Olive. Du bist zu naiv für diese Welt«, lachte Dion etwas hinterhältig. »Einige Schüler handeln bereits mit diesen Viechern. Ihr Stich ist, sagen wir mal, äußerst berauschend. Aber wehe, wenn sie erwischt werden. Ich denke nicht, dass Howie noch mehr Schüler zu Wildhütern ausbilden will.«

»Du meinst diese, ähm, Billy–Dinger sind so etwas wie Drogen?«, erkundigte sich Amy und erinnerte sich, dass es auch an ihrer Schule die ein oder anderen Spezialisten gab, die mit Kräutern und Substanzen experimentierten.

»Das hast du aber nicht von mir, hörst du!«, rief Dion und hob entschuldigend die Hände. »Ich tue so etwas nicht. Ich interessiere mich nur sehr für Tierwesen, die hierzulande kaum bekannt sind. Manche gelten sogar als Unfug, einfach, weil sie nur so wenige jemals gesehen haben. Ich bewundere Newt Scamander. Ich würde ihn gern mal auf seinen Reisen begleiten und vielleicht ein paar Berichte dazu für seine Bücher oder für den Tagespropheten schreiben.«

»Dion, hör auf zu träumen. Du musst noch zwei Jahre in Hogwarts bleiben. Dann kannst du eventuell einmal reisen. Aber geh' nicht davon aus, dass Scamander dich mitnimmt. Der hält dich am Ende selbst noch für ein verrücktes Tierwesen.« Olive lachte herzhaft und Dion lief rot an, was bei seiner hellen Haut und den hellblonden Haaren besonders gut zur Geltung kam.

Die drei Freunde gingen als Erstes in einen Laden, in dem es Kessel gab. Ein Schild über dem Geschäft versprach Kessel aller Art und aller Größen. Ganz neu waren demnach selbstumrührende Kessel im Sortiment.

»Ein wenig sollten auch wir noch unsere eigenen Muskeln bemühen, findet ihr nicht?«, fragte Olive, die skeptisch vor einem dieser neuartigen Kessel stand, der im Schaufenster seelenruhig einen giftgrünen Trank zusammenrührte.

Amy und Dion gingen in den Laden und steuerten sogleich auf einen großen Stapel mit Zinkkessel zu. Normgröße 2.

»Die wissen schon, welche Ansprüche Hogwarts hat. Sie bestellen im August immer mehrere Dutzend dieser Teile. Wie du siehst, hat man es als Schulanfänger nicht schwer, in der Winkelgasse alles zu finden.«

Dion griff einen der Kessel und schlenderte damit zur Kasse. Die Verkäuferin, eine typische Hexen–Hexe, wie Amy fand, mit spitzem Hut und einer Hakennase, schaute sie misstrauisch an.

»Fürs kleene 'Schwistersche, wa? Bischd ja schon 'n bissl zu alt für de erschte Klasse. Oder haschde'n Kessel 'putt'macht? Sach nüsch', dass ma hier schleschte Ware vrkoft.«

Nein! Ich meine, alles gut. Ich, ich –« Amy wusste mal wieder keine passende Antwort und spürte, dass ihr der Gedanke daran, mit einer buchstäblichen alten Hexe zu sprechen, doch mehr Angst bereitete, als gedacht.

»Zaubertränke ist ihr Lieblingsfach«, kam ihr Dion zur Rettung. »Manchmal braut sie mehrere Tränke gleichzeitig, auch in den Ferien. Da muss sie einfach ein paar Kessel mehr haben, als andere Schüler.«

»Aha. Streberin, wa? Na, hier. Nimm'n und viel Spaß beim Köcheln.«

Amy nickte freundlich und bezahlte den Kessel, dann verschwanden sie und Dion erleichtert aus dem Geschäft.

»Ich glaube, ich bin in dieser Welt fremder, als ich annahm«, sagte Amy und spürte, dass sie noch etwas zitterte. »Die merken bestimmt, dass ich nicht hier hergehöre.«

»Lass dich von der alten Harshman nicht einschüchtern«, beruhigte Olive sie und verdrehte die Augen. »Die ist immer so komisch drauf. Du gehörst hier her. Das hast du immer. Keiner hier sieht dir an, dass du zum ersten Mal in der Zaubererwelt bist und bislang bei Muggeln lebtest. Verhalte dich einfach ganz natürlich, so wie bei dir zu Hause auch.«

Amy hoffte, dass ihr dies gelingen würde. Sie war jedoch ein wenig erleichtert, zu sehen, dass vor allem die jüngeren Hexen und Zauberer durchaus muggelähnliche Kleidung trugen, wodurch sie selbst zumindest optisch nicht unbedingt aus der Reihe fiel. Dion führte sie weiter durch die verwinkelten Gassen und musste immer wieder daran erinnert werden, dass Amy dies alles zum ersten Mal sah. Sie blieb wie eine Elfjährige an jedem zweiten Schaufenster staunend und ehrfürchtig stehen, um sich an all dem Zauberzeugs zu ergötzen. Ein Laden faszinierte sie dabei besonders, denn sie liebte Tiere. Doch so viele Eulen hatte sie noch nie auf einem Haufen gesehen. Schon gar nicht bei Tag und erst recht nicht in einem Geschäft.

»Hier kann man sich Posteulen besorgen oder andere Haustiere. Es gibt auch Kröten und Ratten sind ebenfalls sehr beliebt«, erklärte Olive und stupste die Fensterscheibe an, hinter der eine kleine dicke Kröte saß und munter quakte.

»Ich denke, da war mir mein Crup bedeutend lieber. Wobei dieser Uhu dort wirklich ein beeindruckender Anblick ist«, sagte Amy und sah, wie der große Nachtvogel majestätisch seine Flüge ausbreitete.

»Schaut mal, wer dort vorne ist!«, rief auf einmal Dion zu ihnen herüber und deutete auf ein Geschäft, welches vermutlich für fleißige Hausfrauen gedacht war. Denn dort gab es Besen, nur und ausschließlich Besen.

»Na schau an, Joseph Attenborough. Wo sonst, wenn nicht vor dem Flugbesengeschäft?«, sagte Olive und schüttelte grinsend den Kopf.

»Warte mal – sagtest du, ähm, Flugbesen?«, flüsterte Amy kaum hörbar.

»Natürlich. Ein normaler Besen würde nicht viel – oh, richtig.« Olive stockte kurz und wurde sich wieder bewusst, dass Amy auch dieses alltägliche Detail ihrer Welt nicht kannte. »Dieses Klischee der Muggel über uns ist wahr. Wir Hexen und Zauberer fliegen auf Besen. Zumindest hierzulande. Im Orient zum Beispiel benutzen die Leute fliegende Teppiche.«

Amy nickte nur stumm und versuchte, auch diese kuriose Information zu verinnerlichen. Spitzhüte, fliegende Besen, Kessel mit komischem Gebräu, Ratten, Kröten und Eulen – ihre kindlichen Vorstellungen über Hexen wurden schlagartig Realität.

Während Amy noch darüber nachdachte, dass ihre leiblichen Großeltern ebenfalls so sonderbar aussahen und, dass sie damit den Unmut ihrer Mitmenschen auf sich zogen, gingen Olive und Dion schnurstracks auf das Besen–Geschäft zu und ein weiterer junger Mann drehte sich lächelnd zu ihnen um.

»Hey, Joe! Na, mal wieder auf der Suche nach einem guten Besen?«, fragte Dion und die beiden klopften sich zur Begrüßung gegenseitig auf die Schultern.

»Schau dir den an«, sagte der Kerl, der offenbar ein ganz spezielles Modell ins Auge gefasst hatte. »Der Comet–180 III. Der ist erst kürzlich auf der Messe für Sport– und Freizeitaktivitäten in Glasgow vorgestellt worden. Ist er nicht ein Traum?«

»Denkst du, damit hältst du den Quaffel besser als mit deinem alten Sauberwisch Zwei? Ich meine, der ist doch auch gut, oder?«, war sich Dion sicher.

»Ja, natürlich ist er das«, erwiderte Joseph und schaute träumerisch ins Schaufenster zurück. »Allerdings ist er im Standflug nicht besonders stabil und als Hüter muss ich mich auf meinen Besen verlassen können, um mich auf den Ball zu konzentrieren. Aber davon verstehst du nichts. Du suchst in den Büschen ja lieber nach irgendwelchen Tierwesen, um diesen Scamander einen Fanbrief mit deiner Entdeckung schicken zu können.«

»Warum hacken da heute alle drauf rum?«, beklagte sich Dion und schaute verschämt auf den gepflasterten Boden.

Olive und Amy kamen näher heran und so konnte auch Amy einen Blick in den Laden werfen. Sie konnte erkennen, dass diese Flugbesen sich tatsächlich ein wenig von normalen Besen unterschieden. Irgendwie schienen ihr die Borsten nicht besonders geeignet zu sein, um damit den Boden zu wischen, und was waren das für seltsame Zusätze, die hinten am Schaft zu sehen waren? Fast wie kleine Pedale, mit denen man allerdings, anders als bei einem Fahrrad, nicht treten konnte.

»Seit wann hängt ihr mit Manda ab?«, fragte Joseph, als er Amy sah und mal wieder erntete sie angewiderte Blicke.

»Hallo, Joe. Das hier ist nicht Manda. Oder besser gesagt, das ist die echte Amanda Owens«, erklärte Olive und aus dem angewiderten wurde ein verwirrter Blick.

»Die Echte? Was bedeutet das? Doch nicht, dass unser aller Lieblingsschlange auch noch eine Betrügerin war?«, sagte Joseph und ließ keinen Zweifel daran, dass auch er kein Freund von Amys Doppelgängerin war.

»So ist es. Aber das erklären wir dir alles in Ruhe. Am besten Morgen im Zug«, schlug Dion vor. »Du kannst dich zu uns ins Abteil setzen, Amy. Dann können wir dir noch ganz viele Fragen beantworten über Hogwarts und uns und, ach ja! Von Quidditch hast du ja bestimmt auch noch nichts gehört«, stellte Dion absolut zutreffend fest.

»Bist du bei Muggeln aufgewachsen? Wusstest du gar nicht, dass du eine Hexe bist?« Dieser Joseph schien ein kluges Köpfchen zu sein und ziemlich gut aussehend, wie Amy überraschend feststellen musste, als er zu ihr kam, um ihr die Hand zu reichen. »Hallo erst mal. Also ich bin Joseph Aidan Attenborough. Aber alle nennen mich Joe. Ich komme aus Schottland. Ziemlicher Quatsch ist das, erst nach London zu müssen, um dann neun Stunden mit dem Zug wieder nach Schottland zu fahren«, sagte er und lächelte ihr endlich zu.

»Äh, also. Ja. Finde ich auch«, stammelte Amy und dieses Mal lag es nicht am Thema, sondern eher an ihrem dunkelblonden Gesprächspartner, dass sie so verlegen wurde. »Ich komme aus Nordwales. Ich hätte es auch einfacher haben können, wenn ich gleich von Port nach –«, nun war es doch wieder ihr fehlendes Wissen, das sie stocken ließ. »Wohin eigentlich? Ich konnte meiner Mutter nur etwas von Schottland sagen. Ich durfte die Schule ja nicht beim Namen nennen. Aber mehr als Schottland und Hogwarts weiß ich eh nicht. Wo genau liegt Hogwarts?«

»In den Highlands. Gut versteckt vor neugierigen Muggel-Augen. Mehr müssen wir nicht wissen. Der Hogwarts-Express ist die einzige zulässige Verbindung dorthin. Und diese müssen alle Schüler Großbritanniens nutzen. Egal, wo sie wohnen«, erklärte Olive und es schien ihr nichts auszumachen, nicht genau zu wissen, wo sich ihre eigene Schule befand.

»Vor 1692 konnten die Schüler auf jede Art dorthin reisen, die ihnen gefiel. Aber das erklären wir dir auf der Fahrt. Dann haben wir ja mehr als genug Zeit dafür«, sagte Dion und bat Amy erneut, ihre Liste zu zeigen. »Ein paar Dinge brauchen wir noch. Vor allem die Uniform und so. Olive, das ist doch eher ein Mädchending. Geht ihr schon mal Klamotten kaufen und wir treffen uns nachher bei Ollivanders wieder, einverstanden?«, schlug Dion vor und ging dann zusammen mit Joe in den Besenladen.

»Mädchending. Na ja, wenn er meint. Komm, Amy. Dann suchen wir dir mal ein paar hübsche Hexenkleider!« Amy folgte Olive einige Gassen weiter und schon standen sie mitten zwischen Uniformen und Umhängen aller Art und Größe.

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