10


Los Angeles

Ariel


Ein Heulen durchdringt die Stille. Ein Heulen wie das eines wilden Tieres, das in einen Käfig gesperrt wird. In seine persönlichen Hölle. So sehr, wie ich nun in meiner eigenen persönlichen Hölle gefangen bin.

Er hat den Anruf beendet. Er will nicht mehr mein Prinz sein. Als hätte ich ihn nie geliebt. Als ob mein Herz nie ein zuhause ihn ihm gefunden hätte.

Meine Kehle schnürt sich zusammen, während salzige Tränen über mein Gesicht rinnen. Das Handy an meine Brust gedrückt wie ein Anker, an dem ich mich festhalte. Verzweifelt, in der Hoffnung, er würde wieder anrufen. Nur um mich ein letztes Mal „Sweetheart" zu nennen.

Aber er würde nicht mehr anrufen.

Mein Brustkorb bricht bei dem Gedanken auf und zerspringt in eine Millionen Stücke. Millionen Stücke, die nun durch die Luft schweben und mein Herz als einen hohlen, einsamen Platz zurücklassen.

Eisige Kälte nimmt von meinem Inneren überhand und rinnt in weitere Teile meines Körpers, bis alles was ich spüre Schmerz ist. Üble Kälte, die meinen Körper in ihren Klauen hält. Mein einst lebhafter Körper verwandelt sich innerhalb weniger Minuten in einen Eispalast.

Ich sinke zu Boden und mein Körper beginnt unwillkürlich zu zittern. Er war weg. Er war endgültig weg.

Tränen vernebeln meine Sicht, während mir herzzerreißende Schluchzer über die Lippen kommen. Sie reißen meine Mauern herunter, bis jede Schicht meines Selbst heruntergerissen ist und das Einzige was zurück bleibt, meine rohe, ungefilterte Seele ist. Eine rohe ungefilterte Seele, die nicht mehr dieselbe ohne ihn war.

Ein schmerzverzehrender Laut dringt über meine Lippen, während mein Kopf mich mit den grausamsten Visionen straft. Von seinen eisblauen Augen, die in meine blickten, kurz bevor er in mich eindrang. Von ihm, wie er mich besitzergreifend beanspruchte, als ob ich ihm gehörte. Und ihm immer gehören würde. Sein.

Er hatte mir etwas gegeben, ohne das ich nicht leben konnte.

Ich wünschte ich könnte die Zeit zurückdrehen, um es noch einmal zu erleben. Nur noch ein einziges Mal. Nur noch einmal spüren, wie seine Augen in meine blicken, während sich unser Körper auf diese intime Weise berühren, wie es nur bei uns möglich ist. Nur noch ein einziges Mal, um ihm zu sagen, dass ich ihn liebe. Denn das ist es, was ich tat, tue und immer tun werde.

Ein zittriger Atmen verlässt meine Lippen und ich hab das Gefühl ich kann nicht mehr atmen. In Panik greife ich an meine Kehle und versuche meinen Puls zu fühlen. Er pocht leise unter meinen Fingern, was mir weitere Tränen in die Augen treibt.

Ich fühle mich als sei ich nur noch kaum am Leben, denn mein Herz ist nicht mehr da. Es ist verschwunden, weil er es mit sich genommen hat.

Meine Augen brennen, als ich mich mit schweren Atemzügen schließlich vom Boden aufstütze. Ich trage immer noch sein Shirt. Warum trage ich immer noch sein verdammtes Shirt?

Wütende Schluchzer dringen über meine Lippen, als ich meine Finger in den Stoff kralle. Ich ziehe daran. Einmal. Zweimal. Ich versuche es in Stücke zu reißen, so wie er unsere Liebe in Stücke gerissen hat.

Für eine kurze Sekunde halte ich inne, der weiche Stoff seines Shirts gleitet durch meine Hand. So weich wie seine Berührung. Ich könnte schwören es riecht noch nach ihm. Ein wimmernder Laut dringt von meinen Lippen, als ich meine Nase nun in den Ausschnitt schiebe und inhaliere.

„Verdammt noch mal, ich liebe dich, du stures Arschloch!", krächze ich gebrochen und verzweifelt hervor und fahre anschließend mit dem Stoff seines Shirts über meine Augen.

Es hilft nicht, denn mir laufen immer noch die Tränen übers Gesicht. Mein Körper zittert und eine Nadel sticht tief in meine Magengrube, sodass mir schlecht wird.

„Fuck!", atme ich aus, während ich nun mit hektischen Atemzügen zur Tür stolpere und sie mit zitternder Hand öffne.

Warum liebe ich ihn? Warum liebe ich ihn immer noch?

Ein Schluchzen entweicht meinen Lippen. Ich versuche es mit meiner Hand zu unterdrücken, die ich nun auf meine Lippen presse. Stolpernd bewege ich mich durch die Wohnung, sein Gesicht alles was ich sehe. Seine scharfen Wangenknochen. Seine vollen Lippen. Seine Berührung, die immer noch auf meiner Haut verweilt.

Meine Finger beginnen zu kratzen. Hektisch versuche ich seine Berührung auszulöschen. Das Gefühl von ihm auf meiner Haut wegzukratzen. Meine Haut fängt an zu brennen. Ein weiteres Beben durchfährt dabei meinen Körper und lässt meine Hand schließlich von meiner Haut fallen.

Ich muss atmen. Ich muss verdammt noch mal atmen, denn es tut zu sehr weh. Es tut zu sehr weh, nicht mehr atmen zu können.

Alles verschwimmt ineinander, als ich anfange zu laufen. Ich weiß nicht, wie lange ich laufe. Das Konzept von Zeit entgleitet mir komplett, stattdessen fühlt es sich an, als ob jemand mein Inneres niederbrennen würde, sodass ich langsam und qualvoll zu Asche werde.

In meinem Kopf läuft Jays Gesicht in einer endlos Schleife. Ich liege auf seiner nackten Brust, seine Arme um mich geschlungen.

Du bist viel zu stark um zu weinen.

Ein qualvoller Schluchzer dringt aus meinem Mund, als seine tiefe Stimme in meinem Kopf ertönt.

„Nein, das bin ich nicht.", würge ich hervor. „Ich bin nicht stark. Ich bin nicht stark, sonst würde ich das hier überleben."

Meine Sicht ist völlig verschwommen und meine Kehle schmerzt. „Ich würde auch in der Lage sein ohne dich zu leben, Jay, aber...", stoße ich hervor und breche erneut in einen heftigen Schluchzer aus. „Ich kann es einfach nicht.", weine ich unverständlich hervor, Schluckaufs dringen nun über meine Lippen.

Ich ziehe meine Knie an mich und rolle mich schließlich zu einem Ball zusammen. Ich weiß nicht, wo ich bin. Aber das spielt keine Rolle, denn in meinen Gedanken bin ich immer noch mit Jay zusammen. Alles verblasst, nur seine Vision in meinem Kopf und der Schmerz in meinem Herz bleiben.

Die Zeit vergeht. Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem Boden liege. Sein Gesicht verschwindet allmählich, einzig allein der Schmerz in meinem Herzen bleibt. Eine Erinnerung, dass er nicht mehr hier war.

„Ariel?", ruft jemand meinen Namen.

Ich weiß nicht, ob es in meinen Träumen oder in der Realität ist. Die Grenze zwischen Traum und Realität war schon seit Langem verwischt.

„Ariel?", ertönt die Stimme erneut, nun noch eine Spur sanfter.

Ich blinzele. Meine Augen schmerzen wie die Hölle, als ich meinen Kopf hebe und plötzlich Rider entdecke.

„Was...?", meine Kehle schmerzt, als hätte ich eine Tonne Kies verschluckt.

Meine Augen huschen zur Seite und erblicken ebenfalls Kiki und Snake, die neben Rider an Snakes Harley thronen.

„Was macht ihr hier?", meine Stimme hört sich nicht wie meine eigene an.

Fremd, als würde nicht mehr ich sprechen, sondern jemand Anderes. Etwas Anderes.

„Prinzessin...", Rider beginnt als Erster zu sprechen, seine Worte klingen dabei belegt.

In seinen bernsteinfarbenen Augen liegt ein Pool von Emotionen, als er nun zwei große Schritte auf mich zumacht, seine Hände behutsam unter meinen Körper schiebt und mich vom Boden hochhebt. Wärme umhüllt mich, als er mich an seine Brust drückt, als wäre ich ein Baby. Er wiegt mich sanft in seiner Umarmung, einer seiner Hände liegt dabei auf meinem verknoteten Haar.

„Bitte hör auf zu weinen, Prinzessin. Ich kann verdammt nochmal keine Frauen weinen sehen. Es bricht mir das Herz.", fleht er, während seine Hand durch mein Haar streicht, der weiche Stoff seines Tanktops schmiegt sich dabei an meine Wange. Er riecht nach Sandelholz und nach warmen Leder.

Mein Herz zieht sich zusammen und ein weiterer Schwall Tränen rinnt über mein Gesicht.

„Sch, Prinzessin.", flüstert Rider leise, bevor er sich in Bewegung setzt und mich schließlich mit dem Gesicht zu ihm auf dem Sitz seiner Harley niederlässt.

Wenigstens will einer, dass ich seine Prinzessin bin.", stoße ich gebrochen hervor, ein zittriger Schluchzer entweicht anschließend meinen Lippen.

Riders Augen verflüssigen sich, bevor er sich langsam vor mich in die Hocke sinken lässt und mein Gesicht in seine Hände nimmt. Augenblicklich wandern seine Daumen zu meinen Augen und trocknen meine Tränen. Die Wärme in seinen bernsteinfarbenen Augen vertieft sich nun und verwandelt sich in eine Hitze von wildem Beschützerinstinkt.

„Sag mir, was passiert ist, Prinzessin.", fordert er mich flüsternd auf, seine Hand berührt jetzt meine Wange. „Sag mir welche Drachen dir wehgetan haben und ich werde sie für dich erschlagen.", fügt er mit so ernster Stimme hinzu, dass ein Wimmern meine Lippen verlässt.

„Ariel, ich schwöre dir....", beginnt er erneut, verstummt aber augenblicklich, als Kiki einschreitet und ihm ihre Hand auf die Schulter legt.

Sie nennt ihn sanft bei seinem Namen, was ihn dazu bringt seine Schultern zu sinken. Schwer ausatmend erhebt er sich schließlich von seinen Knien. Anschließend beißt er sich nachdenklich auf die Lippen, bevor er schließlich von mir zurücktritt und neben Snake zum Stehen kommt. Er sinkt seinen Kopf, hebt seine Cap hoch und greift sich mit einer verzweifelten Geste an die Haare im Nacken. Dann setzt er sich seine Cap wieder auf den Kopf. Sein Gesichtsausdruck ist zerrissen.

Kiki tritt weiter auf mich zu, gleichzeitig hält sie ihre Hand mit der Handfläche nach oben hoch. Auf ihrem Gesicht ein wartender Ausdruck. Ohne zu sprechen zieht Snake den Schlüssel seiner Harley aus seiner Westentasche, macht einen Schritt nach vorn und legt ihn in Kikis Handfläche. Seine dunklen Augen fahren dabei über mich, mein Gesicht absuchend. Für eine flüchtige Sekunde sehe ich einen weichen, besorgten Ausdruck über sein Gesicht huschen, bevor er seinen Blick schließlich wieder auf Kiki richtet.

„Fahrt vorsichtig.", antwortet er mit rauer Stimme, seine dunklen Augen dabei auf Kiki gerichtet.

Er unterhält sich für eine Weile mit ihr, ohne etwas zu sagen. Ihre Augen blicken nur intensiv in die des Anderen , so wie es Menschen tun, die sich nahe stehen. Die verliebt sind.

Schließlich macht Kiki einen Schritt auf ihn zu und erfasst sein Kinn. Ihre Finger streichen liebevoll durch seinen dunklen Bart, bevor sie ihre Lippen auf die seinen presst.

„Danke.", entgegnet sie ihm zärtlich und sieht ihm ein letztes Mal in die Augen, bevor sie sich mir zuwendet.

„Komm her, Zuckerschnecke", ruft sie mir sanft zu und streckt mir ihre Hand entgegen.

Ich nehme sie und spüre erneut wie ich zusammenbreche.

♥♥♥

Es heißt, Sonnenschein ist die Grundvoraussetzung dafür Leben auf der Erde zu erhalten. Aber was geschah mit den bereits toten Dingen? Mit den Blumen, die bereits verwelkt waren? Fühlten diese Dinge noch die Sonne? Brachte der Sonnenschein sie aus ihrem toten Zustand zurück oder glitt er nur über deren Haut, wie die Berührung eines Phantoms? Genauso wie die Sonne, die nun durch die Spitzen des rot -und orange getränkten Himmels bricht und über meinen Körper gleitet? Über meinen betäubten Körper, der nichts mehr fühlt. Nicht einmal warmen Sonnenschein.

Wind wirbelt durch mein Haar, als Kiki Snakes Harley über den Sunset Boulevard hinunterführt. Sie zieht an einer Reihe von geparkten Autos vorbei, einer ihrer Lederstiefel kuppelt hoch, während sie anschließend mit ihrer Hand beschleunigt. Die Harley wird schneller und schießt geradewegs die schmale Straße hinunter. Wir ziehen an einer weißen Limousine vorbei, der laute Motor des Motorrads bringt mehrere Leute auf dem Bürgersteig zum Anhalten. Kiki kümmert sich nicht darum, stattdessen gibt sie noch mehr Gas. Sie bricht definitiv das Geschwindigkeitslimit, die Enden des Schals in ihrem Haar fliegen mir ins Gesicht. Das große, weiße Hollywood-Schild in der Ferne verhöhnt mich.

Hollywood, der Ort an dem Träume war wurden, hieß es. Aber was waren Träume, wenn sie ihn nicht enthielten?

Mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen. Ich wende mein Gesicht vom Hollywood- Schild ab und drücke mein tränenverschmiertes Gesicht an Kikis Rücken. Das warme Leder ihres Bustiers spendet mir Trost und saugt meine Tränen auf. Ihr Haar riecht nach Jasmin und erinnert mich an warme Sommertage, als ich noch ein Kind war. Als meine Mutter noch am Leben war.

Die Zeit vergeht, während wir die Straßen entlangrollen. Der Himmel wechselt von Rot- und Orangetönen zu Lila und letztlich lösen blinkende Lichter, die untergehenden Sonne ab und erhellen die Dunkelheit.

Wir umfahren weitere Autos und passieren Ampeln, die von Gelb auf Rot wechseln. Ein paar Autos hupen uns an, als wir sie überholen. Wir fliegen an ihnen vorbei, wie zwei Sternschnuppen, die an Millionen von anderen Sternen vorbeiziehen.

Schließlich erreichen wir die kleineren, kurvigen Abschnitte des Sunset Boulevards, die entlang des endloslangen Pazifiks führen. Meeresrauschen dringt durch die Nacht, gefolgt von dem Geruch von Salzwasser, der in meine Nase dringt. Die frische Meeresluft beruhigt das Stechen in meiner Nase und lässt mich zum ersten Mal seit gefühlten Stunden wieder richtig durchatmen.

Ich hebe meinen Kopf und blicke auf den dunklen Ozean, der sich neben uns scheinbar endlos weit ausdehnt. Der Himmel über uns pechschwarz und voller Sterne. Hier fernab von den Lichtern der Stadt, konnte man sie sehen. Sie funkeln über uns und lassen uns hoffen und träumen.

Aber ich war keine Träumerin mehr.

Wir fahren noch ein Stück weiter, bis Kiki die Harley schließlich entlang der Straße parkt. Sie klettert vom Motorrad herunter und nimmt anschließend meine Hand ohne etwas zu sagen. Meine nackten Füße streifen über den noch immer heißen Asphalt, die Absätze von Kikis Lederstiefeln klicken neben mir. Das Geräusch bringt mich dazu, mich für einen Moment auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die rasenden Gedanken an ihn, die meinen Kopf in den letzten Stunden beschäftigten.

In der Ferne kann ich die kleinen Hügel der Küste erkennen, als wir uns auf dem Weg zum Strand machen. Kikis rosa Haar schimmert im Mondlicht, während wir Hand in Hand die Treppen hinuntergehen.

Sobald meine Füße den Sand berühren, lässt sie meine Hand los. Die salzige Luft des Pazifiks umspült mein Gesicht, während sanfte Wellen gegen das Ufer schlagen. Ich mache ein paar zögernde Schritte vorwärts, weicher Sand streift dabei meine Zehen. Der Saum von Jays Shirt wirbelt um meine Beine, als ich mir die Arme um die Brust schlinge.

Ich liebe dich, Sweetheart. Vergiss das nie.

Seine verdammte Stimme. Ich höre sie jetzt laut und deutlich in meinem Kopf. Das Atmen fällt mir schwerer, als ich die gleichen Worte wieder in meinem Kopf höre. Jetzt noch eine Spur lauter. Das Rauschen des Ozeans vermischt sich mit seiner Stimme, aber sie ist lauter. Ein Schluchzen entweicht meinen Lippen. Ich versuche es mit meinem Ellenbogen, den ich nun an meine Lippen presse, zu ersticken.

Weil ich kein verdammter Prinz bin, seine Worte werden jetzt grausamer, während das Wasser des Pazifiks über meine nackten Füße läuft. Ich laufe weite in die Flut hinein, meine Beine werden nun vom dunklen Ozean verschlungen. Jays rauer, dunkler Bariton spielt immer noch laut in meinem Kopf. Es ist wie ein Stich einer Säge in meiner Brust. Wenigstens weiß ich, dass im Meer Monster leben.

Sweetheart, wenn mein Leben anders wäre, würde ich dich heiraten. Ich würde deinen süßen, kleinen Körper in Weiß auf mich zukommen sehen...und du wärst meine sexy Babymama.

Ein weiterer lauter Schluchzer komm über meine Lippen, der nun den Ruf meines Namens übertönt. Ich sinke weiter in den Ozean. Das Wasser tränkt den Stoff von Jays Shirt und sorgt dafür, dass es wie eine zweite Haut an meinem Körper klebt.

Ich lehne meinen Kopf zurück, schließe meine Augen und versuche die Stimme von Jay zu übertönen. Die Spitzen meiner Haare streifen die Wasseroberfläche, als seine Stimme weiterhin durch meinen Kopf hallt. Ein verärgerter kleiner Lufthauch verlässt meine Lippen, anschließend hole ich tief Luft und drücke meinen Kopf unter Wasser. Mein Körper sinkt langsam nach unten, meine Augen geöffnet. Ich sehe nichts als eine unbekannte Schwärze vor mir.

Hier im Unbekannten, in der Stille, finde ich zum ersten Mal seit Wochen Trost. In der Dunkelheit finde ich Ruhe.

Meine Augen beginnen zu brennen. Das Salzwasser macht es mir schwer sie weiterhin offen zu lassen. Kleine Luftstöße dringen über meine Lippen, mein Atem wird dünner, aber ich will noch nicht loslassen. Ich kann noch nicht loslassen.

Ich brauche noch etwas mehr Ruhe. Ruhe vor seiner Stimme, denn diese würde ich hören, sobald ich die Oberfläche wieder durchbrechen würde.

Meine Lunge brennt, aber ich halte mich noch zurück, meine Füße paddeln Unterwasser. Nur noch eine Sekunde.

Ein plötzlicher Ruck an meinem Arm lässt mich die Augen öffnen. Er zieht mich nach oben, weiter in Richtung Oberfläche. Ein lautes Schnappen nach Luft verlässt schließlich meinen Mund, als ich wenige Sekunden später die Wasseroberfläche durchbreche. Nässe läuft mir über das Gesicht, während ein hoher, wütender Schrei die Nacht durchdringt.

„Was zum Teufel, Ariel?!", Kikis wütende, grüne Augen sind auf mich gerichtet, während sie völlig durchnässt auf mich zu schwimmt.

Vor mir angekommen wickelt sie ihre Finger wie Stahl um mein Handgelenk und zieht mich mit sich. Sie lässt mein Handgelenk erst los, als wir wieder seichtere Gewässer erreichen. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich unregelmäßig dabei.

„Was hast du dir gedacht?", schreit Kiki nun noch eine Spur lauter, ihre Stimme wie die einer wütenden Sirene.

„Ich... ich wollte nicht...", krächzt meine Stimme, aber Kikis grüne, lodernde Augen durchbohren mich und bringen mich augenblicklich zum Schweigen.

Ich senke meinen Kopf beschämt. Meine Brust hebt und senkt sich unregelmäßig, während Wasserperlen meinen Körper herunterlaufen.

„Wenn du sterben willst, bitte sehr. Tue dir keinen Zwang an.", ihre Stimme dringt auf einmal, ohne jegliche Emotionen mir gegenüber, zu mir.

Durchbohrt von ihrer nun eisigen Stimme, hebe ich meinen Kopf und starre plötzlich in den Lauf ihrer rosa Waffe, die sie nun auf mich gerichtet hat. Ihre Hand liegt fest auf dem Abzug, nasse rosa Haarsträhnen umrahmen ihr Gesicht. Mit den nackten Füßen im Wasser, ist sie bereit den Abzug zu betätigen. Den Abzug, um mich zu töten.

„Sag es einfach, Ariel. Es gibt weitaus schnellere Möglichkeiten, sich umzubringen, als zu ertrinken. Sag es mir einfach.", ihre Stimme nimmt nun einen groben Ton an, als sie einen weiteren Schritt in meine Richtung macht.

Ihr roter Lippenstift ist an den Rändern ihrer Lippen verschmiert, Schlieren von Wimperntusche laufen über ihr Gesicht.

„SAG ES EINFACH!"; schreit sie mir mit schrecklich, zorniger Stimme entgegen.

Als Antwort kommt ein herzzerreißender Schrei über meine Lippen. Ich breche zusammen. Mein Körper sinkt, aber bevor er ins Meer fällt, ist Kiki da. Ihre Arme schlingen sich um mich und sie hält mich aufrecht. Ein qualvoller Schluchzer verlässt meine Lippen, während ich mein Gesicht jetzt an ihrer Schulter vergrabe. Unsere durchnässten Körper klammern sich aneinander.

„Ich hab ihn in mein Herz gelassen. Ich hab ihn verdammt noch mal hereingelassen und er hat mich völlig zerstört.", presse ich die Worte heulend hervor, während ein weiterer heftiger Schluchzer meinen Körper durchrüttelt.

Kiki lässt mich einfach an ihrer Schulter weinen, während sie mich festhält. Ihre Hand streicht in beruhigenden Bewegungen über meinen Rücken. Ein Schauer läuft über meinen Körper, als eine Brise Wind über uns fährt.

„Er tut so, als ob ich ihn niemals geliebt hätte, als ob unsere Herzen niemals ein Zuhause gehabt hätten.", weine ich zusammenhanglose Worte in ihre Halsbeuge.

Sie sagt nichts, sondern hört nur zu, während ich beginne zu sprechen. Ich beginne am Anfang und erzähle ihr alles. Es interessiert mich nicht mehr, ob jemand anderes es wissen würde. Es interessiert mich nicht mehr. Ich erzähle ihr alles. Das Gute, das Schlechte, aber vor allem über die seelenverzehrende Liebe, die wir geteilt haben. Meine Stimme ist mehr ein Weinen als Worte, die meine Lippen verlassen, während ich nach und nach meine Seele aufschlitze und unsere Geschichte ausspucke.

Als ich fertig bin, löst sich Kiki von mir und tritt einen Schritt zurück. Im gleichen Atemzug nimmt sie mein Gesicht in ihre Hände und blickt mir tief in die Augen.

„Babe, das ist scheiße!", ist das erste, was sie sagt, ihre Augen blicken mich ernst dabei an.

Ich stoße einen erstickten Laut zwischen einem Lachen und einem Weinen aus. Kikis Mundwinkel ziehen sich sanft nach oben, bevor ihre Handflächen zu meinem Gesicht wandern und meine Tränen trocknen.

„Manchmal ist es nicht einfach, sich zu lieben.", entgegnet Kiki, auf ihrem Gesicht Mitgefühl. „Manchmal teilt sich das Herz in zwei Hälften und eine Seite stirbt mit der Person, die man geliebt hat, während sich die andere Seite mit Erinnerungen füllt.", flüstert sie, während sie mir weiterhin fest in die Augen blickt.

„Aber, weißt du was?", fragt sie mich nun, während ihre grünen Augen nun aufleuchten.

Ich beiße mir auf die Lippen und schüttele meinen Kopf. Mir laufen immer noch Tränen übers Gesicht.

„Wir sind Frauen und das ist unsere Stärke. Wir werden herumgeschubst, diskriminiert, belächelt und Männer brechen uns das Herz, aber was uns von ihnen unterscheidet ist, dass wir uns immer wieder aufrappeln und stärker werden. Denn jede von uns ist mit dem Herzen einer Löwin geboren.", sagt Kiki nun mit einer Heftigkeit in der Stimme, die mich erneut in Tränen ausbrechen lässt.

Sie zieht mich wieder in ihre warme Umarmung und eine Zeit lang stehen wir einfach mitten im Meer. Wasser umspült meine Beine, während der Wind über mein Gesicht streicht und meine Tränen trocknet.

„Rider ist sehr beschützend.", beginnt Kiki plötzlich, hebt ihren Kopf dabei und macht einen Schritt zurück.

Ich reibe mit meiner leicht salzigen Handfläche über mein Gesicht und folge Kiki, die nun durch das Wasser auf den Strand zuläuft. Sie lässt sich auf den feuchten Sand sinken und ich folge ihrem Beispiel. Meine Zehen sinken in den Sand . Es hätte ein schönes Gefühl sein sollen, aber es erinnert mich nur an Jay. An unseren intimen Moment in Miami.

„Du weißt, dass du nur ein Wort sagen musst und er wird dich zu seiner Old Lady machen.", fährt Kiki fort und wendet mir dabei ihren Kopf zu, auf ihrem Gesicht ein weicher Ausdruck.

Ihr nasses Haar weht durch die milde Abendbrise, als sie wieder zu sprechen beginnt.

„Rider ist ein guter Kerl.", ihr Tonfall ist ruhig, aber in ihren grünen Augen liegt eine Intensität, die mich meine Augenbrauen nun fragend zusammenziehen lässt.

„Und...?", beginne ich zögerlich.

„Du bist hübsch und er mag dich.", seufzt Kiki und greift dabei nach meiner Hand.

„Ich meine, falls du dich einsam fühlst...ich weiß, es ist nicht dasselbe, aber Rider wird sich gut um dich kümmern. Er wird dir einen warmen Körper geben, an dem du dich festhalten kannst, starke Finger, die dich streicheln wenn du willst und den Rücksitz seiner Harley, so lange du willst. Aber vor allem wird er dich beschützen, denn das ist es was der Club tut.", beendet sie ihre Ansprache leise.

Einen Moment lang bin ich unheimlich still. Ich starre nur auf den Ozean. Auf die dunklen, sanften Wellen, die ans Ufer rollen.

„Ich kann nicht, Kiki.", sage ich mit heiserer Stimme.

Kiki seufzt und drückt dabei meine Hand.

„Ich weiß, Babe. Ich weiß."

♥♥♥

Seine bernsteinfarbenen Augen finden meine. Heftig und schützend halten sie mich fest, sogar durch die schwarze Sonnenbrille, die er nun trägt. Noch nicht ganz trocken, klettere ich von Snakes Harley herunter. Kiki folgt mir. Der Himmel über uns ist pechschwarz, die Lichter der Barschilder rund um Kiki und Snakes Apartment tauchen die Straße jedoch in neongrüne und pinke Farbtöne.

„Ich bin oben.", stürmt Kiki hinaus, sobald sie Rider erblickt, der an seiner Harley steht.

Auf ihren Absätzen stalkst sie die Treppe zu ihrem Apartmentkomplex hoch. „Ruf mich, wenn du mich brauchst.", ruft sie mir noch über ihre Schulter hinweg zu, bevor sie die Tür ihres Apartmentkomplexes öffnet und hinter ihr verschwindet.

Das leise Klicken durchdringt die Nacht, unmittelbar gefolgt vom Aufheulen eines Krankenwagens. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, die Sirene ein kontinuierlicher, hoher Ton, der durch die Nacht schallt.

Endlich hört es auf und lässt uns beide nur noch mit den niemals schlafenden Geräusche der Stadt alleine zurück. Rider lehnt an der Seite seiner Harley, seine Snapback hat er jetzt gegen ein schwarz-weißes Bandana getauscht. Ohne etwas zu sagen, klopft er mit seiner Handfläche auf den Rücksitz seiner Harley und bittet mich somit näher zu kommen.

Zögernd überbrücke ich den Meter den Rider und mich trennen und steige schließlich auf den Rücksitz seiner Harley, Kikis Worte hallen dabei in meinem Kopf wider. Ich bin erschöpft vom Weinen und meine Gefühle sind noch ganz durcheinander. Mein Herz ein leerer Ort. Ich zupfe am Saum von Jays Shirt, bevor ich meinen Kopf hebe und meine Augen mit denen von Rider kollidieren. Meine Stimme bricht als ich zu sprechen beginne.

„Rider....", krächze ich hervor.

Beim Klang meiner Stimme setzt dieser sich sofort in Bewegung und schwingt seine Beine ebenfalls über das Motorrad. Sein Gesicht nun zu mir gerichtet, schaut er mich durch seine schwarze Sonnenbrille an. Ich beiße mir auf die Unterlippe und schüttele den Kopf.

„Bitte, Rider.", beginne ich erneut, „Du kannst mich nicht retten.", flüstere ich ihm flehend zu.

„Und ob ich das kann, Prinzessin.", entgegnet er mir sofort und greift nach meiner Hand.

Ein Keuchen entweicht meinen Lippen, als er plötzlich etwas Kaltes und Schweres über meinen Ringfinger schiebt. Ich blicke auf meine Hand hinunter und sehe, dass es ein schwarzer Totenkopfring ist. Er passt zu meinen schwarzen Nägeln, die jetzt abgesplittert sind.

„Jeder, der zu dem Dullahan MC gehört, trägt diesen Ring. Ich biete dir meinen Schutz an, Prinzessin. Jetzt und solange du ihn willst.", spricht er mit rauer, ernster Stimme, während er weiterhin meine Hand dabei hält.

Er ist jetzt so nah, dass ich sehen kann, wie sich seine Augen durch seine Sonnenbrille in meine bohren.

„Und wenn... wenn du willst.", beginnt er zu stottern, während seine Ohren nun rot werden. „Biete ich dir meinen Körper und mein Herz an.", beendet er entschlossen seinen Satz.

Meine Lippen ziehen sich ein Stück nach oben, obwohl mein Lächeln nicht echt wirkt. Meine Brust fühlt sich zu schwer an, um wirkliche Gefühle aufzubringen.

Er war ein guter Kerl.

„Rider, liebst du mich?", frage ich ihn schließlich ohne Umschweife.

Seine Augenbrauen ziehen sich verwirrt zusammen und er schüttelt den Kopf.

„Nein aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das eines Tages tun werde, wenn es das ist, was du willst.", beginnt er „Ich meine, du bist das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen hab, Ariel.", fügt er leise hinzu und streicht mit seinem Finger dabei über meine Hand.

„Rider.", beginne ich erneut. „Es gibt eine Menge hübscher Frauen auf diesem Planeten."

Er seufzt und schiebt seine Sonnenbrille nach oben, sodass ich jetzt seine warmen braunen Augen sehen kann mit denen er mich fixiert. In ihnen steckt Akzeptanz.

„Gut.", ein akzeptierender Seufzer verlässt seine Lippen. „Aber du trägst ihn trotzdem.", fügt er jetzt ziemlich streng hinzu, seine Finger schlingen sich um meinen Zeige- und Ringfinger.

„Rider....",fange ich erneut an zu sprechen, dieser unterbricht mich aber augenblicklich mit einem Kopfschütteln.

„Nein, Prinzessin. Du stehts jetzt unter dem Schutz des Clubs. Als meine Old Lady oder nicht. Wir kümmern uns um dich.", sagt er streng, jedes seiner Worte von Aufrichtigkeit geprägt.

Dann hebt er meine Hand an seine Lippen und küsst meine Finger.

„„Keine Sorge, Prinzessin, du hast mir nicht das Herz gebrochen. Es gibt viele hübsche Mütter mit hübschen Töchtern da draußen. Und eine von ihnen wird meinen Körper und mein Herz teilen.", sagt er schließlich mit einem Augenzwinkern, bevor er mich in eine Umarmung zieht.

„Denk daran, wenn du es dir anders überlegst, Prinzessin, bin ich für dich da." 

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