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Birmingham
„Bestellung für Tisch fünf ist fertig!", dröhnt Brian's laute Stimme aus der Küche zu uns.
Schnell flitze ich auf das Fenster zu, aus dem Essen heraus gegeben wird und greife nach den Tellern mit dem heißen Essen. Es war eine gute Entscheidung meine flachen Converse heute anzuziehen, anderweitig hätte ich ziemliche Fußschmerzen bekommen. Es ist Sonntag und vor einer Stunde waren eine Unzahl von Leuten direkt nach dem Sonntagsgottesdienst hierhin gekommen, um gemeinsam Mittag zu essen. Eliza und ich rannten seit einer Stunde wie die Irren durch das Diner.
Leicht erschöpft puste ich mir eine Haarsträhne, die aus meinem Dutt gefallen ist, aus dem Gesicht und mache mich mit den Tellern in der Hand schließlich auf den Weg zu Tisch fünf. An ihm sitzt ein junges Paar, welches mich abwertend anschaut, als ich das Essen vor ihnen auf den Tisch platziere. Das junge Mädchen trägt ihr bestes Sonntagskleid, ein hochgeschlossenes gelbes Kostüm mit Rüschen an den Ärmeln. Genervt rolle ich innerlich mit den Augen, als das Mädchen mich von oben bis unten mustert, als ich an ihren Tisch herantrete. Ihr Blick schweift dabei von meinem übergroßen T-Shirt auf dem „Classy as fuck" steht, zu meinem kurzen Jeansrock, bis hin zu meinen weißen, halbhohen Converse. Schließlich bleibt ihr Blick angewidert an meinen Haaren hängen, die durch einen Einfall meinerseits, seit zwei Tagen, mit billigen pinken Strähnchen durchzogen waren. Die Haarfarbe war im lokalen Drogeriemarkt im Angebot gewesen und meine innere Rebellin war seit Tagen ein wenig rastlos. Pinke Haarsträhnen waren kurzerhand die Lösung für meine innere Rastlosigkeit gewesen.
„Kann ich Ihnen noch etwas bringen?", frage ich sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht, obwohl ich alles andere als lächeln will.
„Ja!", blafft mich die junge Frau an, ihre blonden Locken fallen ihr dabei ins Gesicht.
Ich würde nie verstehen, warum einige Frauen meinten sie müssten ständig bei anderen Frauen ihre Krallen ausfahren. Durch solche Frauen, wurde überhaupt erst Neid und Missgunst erschaffen. Würden wir uns einfach alle gegenseitig unterstützen und respektieren, wäre die Welt eine viel friedvollere.
„Wäre es möglich, dass wir jemand anderen als unsere Bedienung bekommen? Jemanden, der vielleicht ein wenig schneller ist", ihre Stimme trieft vor Gift.
Bitte was?!
Ich stemme meine Hand in die Hüfte und schaue der Frau bei meinen nächsten Worten direkt in die Augen. „Hören Sie mal Miss...", beginne ich. „Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten, ist es heute ziemlich voll hier und ich....", doch weiter komme ich nicht, denn meine Worte werden augenblicklich von ohrenbetäubend, lauten Gitarren- und Schlagzeugklängen unterbrochen, die von irgendwo draußen ins Diner dröhnen. Kurze Zeit später ertönt die rauchige, rockige Stimme von Dave Grohl, dem Frontmann der Foo Fighters, durch den Raum.
„Too alarmin' now to talk about...", beginnt er zu singen.
"Was ist das für ein schrecklicher Lärm?", faucht die junge Frau mich augenblicklich an, so als ob ich etwas dafür könnte, dass irgendwer draußen die Foo Fighters spielt.
Ich zucke die Schultern. „Vermutlich ein vorbeifahrendes Auto", sage ich knapp.
Ihr Partner schaut mich mit einem entschuldigenden Blick an, weil ihm das Auftreten seiner Freundin mittlerweile auch peinlich ist.
Als die Musik schließlich immer lauter wird und Dave Grohl mit seinem Gesang fortfährt, wird mir klar, dass es kein vorbeifahrendes Auto ist. Jemand muss sich auf dem Parkplatz befinden und sich dazu entschlossen haben eine Foo Fighters Party zu veranstalten. Was unter normalen Umständen kein Problem wäre, wenn er sich nicht vor einem Diner befinden würde, in dem die Gäste ruhig ihren Sonntagslunch verbringen wollten.
„Einen Moment, bitte", entschuldige ich mich schließlich bei dem Paar und laufe zurück hinter die Theke, an der sich Joanne und Eliza befinden. Sie sind in ein angeregtes Gespräch vertieft, während Joanne zwischenzeitlich besorgt aus dem Fenster des Diners blickt.
„Da ist schon wieder dieser Junge", sagt Joanne mit schüttelndem Kopf.
„Was für ein Junge?", frage ich sie verwirrt, werfe einen Blick über meine Schulter und suche das Diner nach besagtem Jungen ab.
„Nicht hier, Ariel. Draußen", sagt sie sanft, ihr Blick wandert dabei erneut aus dem Fenster des Diners.
Mein Blick folgt ihrem und ich erkenne augenblicklich einen schwarzen, alten Jeep, der draußen parkt. Auf der Motorhaube sitzt eine männliche Gestalt, die Kapuze seines Pullovers tief ins Gesicht gezogen, den Kopf gesenkt.
„Er heißt Blake", höre ich Elizas, melodische Stimme neben mir ertönen. „Seit drei Wochen kommt er jeden zweiten Tag ins Diner. Er ist dieses Jahr von meiner High-School abgegangen. Er war eine Klasse über mir."
Bei dem Namen des Jungen werde ich plötzlich hellhörig. Mein Blick wandert wieder nach draußen zu seinem Wagen. Ich kann das Gesicht, des Jungens unter seiner Kapuze nicht erkennen, weshalb ich nicht weiß, ob es sich um denselben Blake handelt, der sich vor ein paar Tagen in unseren Club geschmuggelt hatte.
„Wenn er die Lautstärke der Musik nicht ein wenig runterschraubt, dann muss ich leider die Polizei rufen", wendet Joanne seufzend ein, während Dave Grohl's Stimme nun verzweifelter durch das Diner dringt. „Die zwei Damen von Tisch 15, die gerade erst das Diner betreten haben, sind bereits wieder gegangen", sagt sie seufzend. „Er vergrault mir die Kundschaft."
„There goes my hero, watch him as he goes...", hallt Dave Grohl's Stimme nun immer lauter durch das Diner. Immer mehr Kunden stehen von ihren Plätzen auf und blicken aus dem Fenster.
Etwas zieht bei den Worten des Songs an meinem Herzen. Plötzlich sehe ich Blake's trauriges, leicht hilfloses Gesicht von vor ein paar Tagen, vor meinem inneren Auge. Kein normaler 19 Jähriger trug so eine Verzweiflung und Trauer in sich, wenn ihm nicht irgendwas widerfahren war.
„Würden Sie sich vielleicht mal darum kümmern, dass diese schreckliche Musik ausgeschaltet wird?!", schreit plötzlich ein Kunde von Tisch drei zu uns herüber. „Wir gehen nicht in ihrem Diner essen, um an unserem Sonntagnachmittag von so einem Krach belästigt zu werden!"
„Ich mach das schon", presse ich schnell hervor, während ich gleichzeitig meine Schürze abnehme und sie hinter den Tresen schmeiße.
„Bist du dir sicher?", fragt mich Joanne besorgt, woraufhin ich nur nicke.
„Okay Darling, aber wenn er irgendwie handgreiflich werden sollte..."
„Er wird nicht handgreiflich werden", unterbreche ich Joanne bestimmend und schüttele den Kopf dabei. „Bis gleich", füge ich noch hinzu und laufe anschließend zur Tür des Diners.
Als ich nach draußen trete, trifft mich ein sofortiger Hitzeschlag, weil ich die letzten Stunden in einem klimatisierten Raum verbracht habe und es jedes Mal ein Schock war, von so einer kalten Temperatur in eine so warme zu treten. Schnell erhole ich mich jedoch wieder und mache mich auf den Weg zu Blakes Jeep, der in der Mitte des Parkplatz vor dem Diner steht. Das Fahrerfenster, sowie das Beifahrerfenster seines Jeeps sind beide heruntergerollt, während die Musik, aus seinem Radio, über den gesamten Parkplatz dröhnt. Als ich näher komme, hebt Blake plötzlich seinen Kopf und lehnt ihn leicht nach hinten. Er scheint vollkommen in Gedanken versunken zu sein, nimmt mich noch nicht einmal wahr, als ich mich ihm nähere. Seine grünen Augen sind rotgerändert, so als ob er geweint hätte. Ein kleiner Stich bohrt sich, bei dem Anblick, in mein Herz. Schon als kleines Kind konnte ich Menschen nicht weinen sehen. Es brach mir jedes Mal das Herz, denn es bedeutete, dass die Person an einem Punkt war, an dem der Schmerz in dessen Inneren nicht mehr erträglich war.
In seiner rechten Hand hält er einen Joint, den er sich nun mit leicht zitternden Händen an die Lippen hält und anschließend einen tiefen Atemzug davon nimmt. Er schließt kurz seine Augen, verweilt so für eine Weile, während „My Hero" zu „Everlong" von den Foo Fighters wechselt.
Er hat seine Augen immer noch geschlossen, als ich neben ihn auf die Motorhaube klettere und mit meine weißen Converse auf dem Kühlergrill des Jeeps aufkomme. Mein Inneres schmerzt für Blake. Ich kann den Schmerz, der von seinem Körper vibriert, förmlich spüren. Er schwingt in Wellen zu mir, scheint mich mit sich zu reißen. Ich war schon immer eine Person gewesen, welche die Schmerzen von anderen Personen aufnahm, so als ob es ihre eigenen waren. In meinen Teenagerjahren war mir dies oft zum Verhängnis geworden, weil es mich emotional verzehrte, die Probleme und Emotionen von anderen Personen anzunehmen und mir neben meinen eigenen, noch Sorgen um die der anderen zu machen. Meine Mutter hatte immer gesagt, dass ich ein sehr großes Herz hatte und deshalb mehr fühlte, als die meisten Menschen es taten.
„Harter Tag?", frage ich Blake nach einer Weile über die Musik hinweg. Bei meinen Worten öffnet er langsam seine Augen und schaut mich leicht überrascht an. Er fängt sich aber schnell wieder und nickt schließlich.
„Ich hatte schon Bessere", gibt er mit krächzender Stimme von sich und hält mir anschließend seinen Joint hin. Ich schüttele ablehnend meinen Kopf, woraufhin er sich den Joint wieder an die Lippen legt, einen erneuten Zug nimmt und schließlich ausatmet. Rauschwaden steigen in die Luft, gefolgt von einem süßlichen Geruch, der in meine Nase steigt.
„Willst du drüber reden?", frage ich ihn sanft, während mein Kopf leicht zur Musik mit wippt.
Er schüttelt verneinend seinen Kopf und für eine kurze Weile, sprechen wir Beide nicht, einzig allein die Stimme von Dave Grohl zwischen uns, die durch die stickige Nachmittagshitze dringt. Er singt von Liebe, was mich fragen lässt, ob Blakes Schmerz vielleicht von einem gebrochenen Herzen, das von einem Mädchen verursacht wurde, herrührt.
„Weißt du, was ich immer mache, wenn ich traurig bin?", frage ich ihn nach einer Weile über die Musik hinweg.
Blake hebt langsam seinen Kopf bei meinen Worten und schüttelt diesen kaum merklich, sein hellbraunes Haar fällt ihm dabei in die Stirn. Wie von selbst strecke ich meine Hand aus und streiche ihm die Haarsträhnen aus der Stirn.
„Ich stell mir vor, dass es da draußen irgendwelche Trottel gibt, die an Türen drücken an denen groß und breit Ziehen steht."
Blakes Mundwinkel ziehen sich leicht nach oben bei meinen Worten. Der Joint scheint seine Wirkung zu zeigen, denn kurze Zeit später entspannt sich sein Körper sichtlich.
„Danke...", er hält inne und scheint für einen kurzen Moment zu überlegen. „Du hast mir nie wirklich deinen Namen gegeben", stellt er schließlich fest.
„Ariel", gebe ich ihm meinen Namen, mit einem Lächeln auf den Lippen.
Seine Lippen ziehen sich leicht nach oben, obwohl seine grünen Augen immer noch ein Pool von Traurigkeit sind. In ihnen ein Ausdruck, als ob eine schwere Last auf seinem Herzen liegen würde. Er streckt mir schließlich seine Hand entgegen. „Hi Ariel", krächzt er, gleichzeitig nehme ich seine Hand entgegen und schüttele sie.
Der Ausdruck in seinem Gesicht ist so verletzt, dass das Bedürfnis, in mir, ihn zu umarmen immer größer wird. Ich war ein Einzelkind, aber vom Alter her könnte er mein kleiner Bruder sein, wenn ich einen hätte.
„Was machst du hier Ariel?", fragt er mich schließlich, während er meine Hand loslässt und einen erneuten Zug seines Joints nimmt.
„Ich arbeite hier neben dem Tanzen", sage ich mit einem Lächeln auf den Lippen, während die Musik immer noch laut über den Parkplatz dröhnt.
„Mit Eliza?", fragt er mich auf seinem Gesicht erscheint auf einmal ein weicher Ausdruck, der für einen kurzen Moment all den Schmerz, der in seinen Augen liegt, überschattet.
Oh nein. War Eliza eventuell der Grund, warum er hier mit so einem verletzten Ausdruck auf dem Gesicht saß?
Ich nicke. „Ja mit Eliza. Ihr seid zusammen auf die High-School gegangen oder? Seid ihr.... befreundet?", frage ich vorsichtig.
Blake schüttelt seinen Kopf. „Nein nicht wirklich..." seine Stimme bricht ab, während er seinen Joint auf den Boden wirft und ihn mit dem Absatz seiner weißen Nikes ausdrückt. Sein Blick wandert nun zurück zum Diner, in seinen Augen ein Ausdruck von Wehmut. „Ich bin nicht gut für sie", sagt er schließlich mit so einer Überzeugung in seiner Stimme, dass ich das Bedürfnis habe ihn in meine Arme zu ziehen und ihn ganz fest zu umarmen.
„Das stimmt nicht Blake", sage ich entschlossen und schüttele meinen Kopf dabei. Ich greife nach seiner Hand und halte sie fest umschlossen, während ich weiterrede. „Ein bisschen wild zu sein, heißt nicht, dass man gleich ein schlechter Mensch ist", gebe ich sanft von mir. Ich weiß nicht, was es mit Blake auf sich hat, aber auf eine merkwürdige Art holt er einen noch nie vorhandenen Beschützerinstinkt in mir hervor.
„Doch", sagt er schließlich weiter mit einer so traurigen Stimme, das diese an meinem Herzen zieht. „Du kennst mich nicht Ariel, aber ich reiße alle Leute mit mir in den Abgrund. Alle Menschen, die ich liebe."
Ich sehe, wie seine grünen Augen sich mit Tränen füllen. Er reißt seinen Blick von meinem und blickt wieder nach unten, sein Kopf hängt nun zwischen seinen Schultern.
„Blake...", beginne ich mit belegter Stimme, weil es eines der schlimmsten Dinge für mich war, einen Jungen weinen zusehen. Vielleicht kam es daher, weil Jungen nicht oft weinten und ich deshalb oft davon ausging, dass es sich um etwas besonders Schlimmes handeln musste, wenn diese dann mal weinten.
„Geht es um ein Mädchen? Hat dir ein Mädchen so weh getan?", frage ich ihn sanft, obwohl mein Inneres bei seinem Anblick schmerzt. Er schüttelt bei meiner Frage kaum merklich den Kopf, hat ihn weiterhin zwischen seine Schultern gesenkt.
Für einen kurzen Moment bin ich ratlos und weiß nicht was ich tun soll, doch dann entschließe ich mich dazu, meinem inneren Bedürfnis nachzugeben und Blake kurzerhand in eine Umarmung zu ziehen. Sein Körper versteift sich kurz an meinem, bevor er sich schließlich entspannt und sich von mir umarmen lässt. „Ich mag dich nicht richtig kennen, aber ich weiß... vergiss es. Ich fühle, dass du ein guter Mensch bist", flüstere ich in sein Ohr, damit er mich auch über die Musik hinweg hören kann.
Ich weiß, es muss verdammt komisch sein, weil Blake und ich uns kaum kennen, aber manchmal gibt es merkwürdige Momente im Leben, in denen man auf Leute traf und automatisch eine Verbindung zu ihnen spürte, so als ob man sie schon jahrelang kennen würde. Man traf auf sie und auf einmal wurde einem klar, dass man mit dieser Person auf eine komische Art und Weise verbunden war. Als Liebhaber, als Freund oder als Familie. Du und diese Person passten einfach zusammen. Man spürte einfach eine Ruhe und Vertrautheit zwischen dir und diesem Menschen. Und das spüre ich in diesem Moment, hier mit Blake.
Die Musik wechselt nun von den Foo Fighters zu Guns n' Roses. Eine Akustikversion von „November Rain", dringt laut aus den Lautsprechern seines Jeeps. Axl Roses rockige Stimme, dringt über den Parkplatz und erfüllt mein Inneres mit Wehmut, wie jedes Mal, wenn ich den Song hörte. Ich werfe über Blakes Schulter einen Blick auf das Diner, aus dessen Tür nun ein paar Kunden treten. Joanne steht immer noch ungeduldig wartend am Fenster und beobachtet uns.
„Cupcake?", frage ich ihn sanft. „Wäre es möglich, dass du deine Musik ein wenig leiser drehst?". Ich spüre nur ein schwaches Nicken an meinem Oberkörper. Meine Mundwinkel ziehen sich nach oben zu einem kleinen Lächeln, während ich mich aus der Umarmung löse und in sein jugendliches Gesicht blicke.
„Danke" sage ich, rutsche von der Motorhaube herunter und springe in einer flinken Bewegung vom Wagen. Dann umrunde ich den Jeep, öffne die Beifahrertür und drehe das Radio ein bisschen leiser, so dass Axl Roses Stimme nun nur noch in halber Lautstärke durch das Radio dringt.
„Weißt du, was meine Mom mal zu mir gesagt hat cupcake?", der Kosename verlässt fast schon automatisch meine Lippen, als ich vor Blakes Motorhaube wieder zum Stehen komme.
Ich weiß nicht warum ich in diesem Moment plötzlich an meine Mom denken muss. Vermutlich, weil sie mich mein Leben lang geführt hatte und einer der weisesten Personen war, die ich gekannt hatte.
Blake hebt seinen Kopf und blickt mich erwartungsvoll an.
„Das Herz ist eine wilde Kreatur, deshalb ist unser Brustkorb auch eingeschlossen", sage ich. „Und deins ist halt besonders wild", sage ich lachend und zwinkere ihm zu, um die Stimmung aufzuheitern. Alles was ich wollte war, dass Blake wieder lachte. Es hilft ein wenig, da Blakes Mundwinkel sich bei meinen Worten leicht nach oben ziehen.
„Hast du Jemanden, der dich nach Hause fahren kann?" frage ich ihn schließlich, weil ich ihn nicht alleine hier auf dem Parkplatz lassen konnte.
„Ich kann selbst nach Hause fahren", seine Stimme kommt in einem tiefen Krächzen über seine Lippen, während er mit seinen Schultern zuckt. „Der Campus ist nicht weit von hier entfernt", fügt er noch hinzu.
Ich stemme meine Hand in die Hüfte und werfe einen Blick auf den Joint und dann wieder auf sein Gesicht. Das bringt Blake zum Lachen. Meine Mundwinkel ziehen sich bei dem Geräusch nach oben und die Schwere, die sich um mein Herz gelegt hat, hebt sich ein wenig.
„Du glaubst doch nicht, dass ich dich in deinem Zustand nach Hause fahren lasse!", rufe ich aus. „Warte hier, cupcake. Ich regele das", sage ich bestimmend und will mich umdrehen, um zum Diner zu laufen. Doch nicht, bevor ich Blake sehe, der kurz mit den Augen rollt.
„Ich bin ein Mann Ariel und nicht einer deiner Freundinnen. Kannst du mir nicht einen anderen Spitznamen, als cupcake geben?", fleht er mich an.
Seine Worte bringen mich zum Lachen. Größtenteils, weil er sich mit gerade mal 19 als Mann betitelt. Ich schüttele meinen Kopf.
„Okay tocinito", bezeichne ich ihn lachend auf Spanisch als Honigschnute, zwinkere ihm spielerisch zu und drehe mich im selben Moment um, um zum Diner zurück zu laufen.
„Warum hab ich das Gefühl, das ist auch kein männlicher Spitzname?!", höre ich Blake hinter mir fragend rufen. Ich werfe meinen Kopf lachend über meine Schulter.
„Weil es keiner ist cupcake!"
♥♥♥
Fünfzehn Minuten später komme ich zurück zu Blakes Jeep. Er sitzt immer noch auf der Motorhaube, während leise Rockmusik im Hintergrund läuft. Als ich auf ihn zulaufe, hebt er seinen Kopf und blickt mich mit seinen grünen Augen traurig an. Sein Gesicht verzieht sich vor Verwirrung, als er auf das blickt, was ich in meiner Hand halte. Ich zucke mit den Schultern.
„Eliza hat mir den in die Hand gedrückt und gesagt ich soll ihn dir geben", ich hebe zur Verdeutlichung den chocolate malt Milchshake hoch.
„Und gegen Pommes kann niemand was sagen", füge ich noch hinzu.
Ein weicher Ausdruck huscht nun über sein Gesicht, als er aufs Diner blickt. Ich sehe für einen kurzen Moment die Sehnsucht in seinen Augen.
„Vielleicht solltest du sie mal nach einem Date fragen", sage ich sanft. Er reißt abrupt seinen Blick vom Diner und schüttelt seinen Kopf.
„Ein Mädchen wie sie, würde niemals auf ein Date mit einem Jungen wie mir gehen. Dafür verbring ich viel zu viel Zeit mit Mary Jane" sagt er nüchtern und zuckt mit den Schultern. Er springt leichtfüßig von der Motorhaube des Jeeps und nimmt mir schließlich den Milchshake und die Pommes aus der Hand. Mit seiner Hand greift er nach ein paar der gesalzenen Pommes und stopft sie sich in den Mund.
„Weißt du, der Kosmos ist in uns. Wir sind aus Sternenstaub gemacht. Wir sind da, damit das Universum sich selber kennt", beginnt Blake auf einmal, von der einen zur anderen Sekunde, zu philosophieren.
Und das ist der Moment in dem ich weiß, dass Mary Jane anfängt richtig zu wirken.
Ich beobachte auf einmal, wie er sich nun heißhungrig Pommes immer gieriger in den Mund schiebt und abwechselnd Schlucke von seinem Milchshake nimmt.
„Komm cupcake, ich fahr dich", sage ich nur sanft, weil er eindeutig nach Hause musste.
Ein schlürfendes Geräusch dringt über die Rockmusik hinweg, während ich den Jeep umrunde, um schließlich vor der Fahrertür zum Stehen zu kommen. Ich öffne sie, hieve mich den Sitz hoch und setze mich anschließend hinters Lenkrad. Der Schlüssel steckt bereits im Zündschloss, weil das Radio immer noch Musik spielt. Keine Sekunde später öffnet sich die Beifahrertür und Blake steigt neben mir ein. Er hat inzwischen den Milchshake ausgetrunken und die Pommes fast aufgegessen. Achtlos wirft er den leeren Milchshake Behälter auf die Rückbank des Jeeps, bevor er die Beifahrertür zuzieht.
Ich schnalle mich an, drehe den Zündschlüssel um und starte den Wagen. Bevor ich jedoch vom Parkplatz fahre, werfe ich einen kurzen Blick auf Blake, um sicherzustellen, dass er sich auch angeschnallt hat.
„Deine eine Augenbraue ist ja höher als deine andere, Ariel", gibt Blake auf einmal erstaunt von sich, sein Blick ruht dabei konzentriert auf meinem Gesicht.
Ich muss mir auf die Lippen beißen, um nicht laut loszulachen. „Ich weiß cupcake", sage ich leicht amüsiert und wende meinen Blick von ihm um den Wagen vom Parkplatz zu lenken. „Manchmal kann man nichts dagegen tun. Augenbrauen sind Schwestern, keine Zwillinge", erkläre ich ihm, während ich den Wagen vom Parkplatz lenke.
„Ach so", sagt Blake, aus meinen Augenwinkeln kann ich sehen, dass er verständnisvoll nickt.
„Du musst hier abbiegen", sagt er auf einmal, als wir an einer großen Kreuzung ankommen. Ich biege links in eine Straße ab, die auf einen braunen, großen Gebäudekomplex führt. Durchs Radio dringt nun ein Song von Linkin Park, als ich auf das Campusgelände seiner Universität fahre. Blakes Hand schießt augenblicklich nach vorne und dreht die Musik lauter. Chester Benningtons qualvolle Stimme dringt ohrenbetäubend durch den Wagen. Keine Sekunde später höre ich Blake, der in den Song einstimmt.
„Trying not to break, but i'm so tired of this deceit, everytime I try to make myself get back on my feet... ", singt er, in seiner Stimme solch eine Qual, dass ich schlucken muss.
Ich versuche mich auf den Verkehr vor mir zu fokussieren, während er weiter singt.
„Take everything from the inside and throw it all away , cause I swear ...." , singt Blake nun laut und herzzerreißend durch den Wagen. Ich muss schlucken.
Nachdem ich um den Campus rumgefahren bin, bedeutet mir Blake an einem hohen, braun-weißen Gebäude anzuhalten. Ich parke den Wagen in eine Parklücke am Straßenrand und schalte schließlich die Zündung aus. Chester Benningtons Stimme verstummt und für einen kurzen Moment breitet sich Stille zwischen mir und Blake aus.
„Hier wohn ich", sagt er schließlich, öffnet die Beifahrertür und steigt aus.
„Ich begleite dich noch", sage ich, steige rasch aus und umrunde den Wagen. Ich fühle mich nicht wohl dabei, ihn in seinem Zustand alleine nach oben laufen zu lassen.
Im Gebäude angekommen, nehmen wir den Aufzug und fahren in eine der obersten Etagen hoch. Oben angekommen laufen wir einen schmalen Gang entlang an dem sich Zimmertür an Zimmertür reiht. Eine Scharr von Jungs kommt uns entgegen. Sie beäugeln mich offensichtlich und einer von ihnen pfeift mir hinterher.
„Halt die Fresse!", ruft Blake ihm laut hinterher, bevor er sich wieder umdreht und weiter vor läuft.
„Blake!", schalle ich ihn.
„Was denn? Ich kann nichts dafür, dass ihre momma ihnen nicht beigebracht hat, dass man Frauen nicht hinterherpfeift. Das ist respektlos", sagt er schulterzuckend, bevor er am Ende des Gangs an einer Tür ankommt und diese mit einer Karte, die er aus seiner Hosentasche fischt, öffnet.
„Und deine mom hat dir das beigebracht?", frage ich ihn, als wir schließlich sein Zimmer betreten.
Es ist nicht groß, dennoch ist das Nötigste vorhanden. Meine Augen wandern kurz über ein ungemachtes Bett, das links oben an der Wand steht, dahinter ein Kleiderschrank. Über dem Bett erkenne ich ein Poster von Babe Ruth. Auf der anderen Seite des Zimmers steht ein kleiner Tisch, darüber hängt ein kleines Hängeregal. Ich kann erkennen, dass sich einzelne Baseballpokale in ihm befinden.
„Nein", antwortet Blake mir nach einer Weile. „Meine ma hat uns bei meiner Geburt verlassen"
Bei seinen Worten muss ich schlucken. „Das tut mir leid", sage ich aufrichtig, als ich weiter ins Zimmer trete. Auf dem grauen Teppichboden liegt ein Haufen von Kleidung zerstreut. Blake schmeißt sich sofort auf sein Bett und starrt an die Decke. Seine Füße baumeln vom Bettende.
„Geht's dir gut?", fragt er mich auf einmal sanft. Die Frage bringt mich für einen kurzen Moment vollkommen aus dem Konzept. Ich wurde nicht oft gefragt, wie es mir ging. Verwirrt rümpfe ich die Nase.
„Ja. Warum sollte es mir nicht gut gehen?", frage ich ihn erstaunt und schenke ihm ein Lächeln.
„Weil du so einen komischen Gesichtsausdruck auf dem Gesicht hattest, als ich meine mom erwähnt habe", sagt er, seine Stimme klingt plötzlich leicht schläfrig.
Ein Blick auf sein Gesicht, verrät mir, dass er seine Augen geschlossen hat.
„Nein, alles gut", lüge ich, weil ich es nicht mochte über meine Mutter zu reden. Es war zwar schon fast ein Jahr her, seit sie gestorben war, trotzdem war ihr Tod immer noch ziemlich präsent. Ich vermisse sie mit jeder einzelnen Faser meines Herzens.
Meine Augen wandern schließlich durchs Zimmer, bleiben an einem Bild, in einem Bilderrahmen hängen, das auf dem Tisch steht. Es zeigt zwei Jungen, der größere von Beiden muss ungefähr zehn oder elf sein. Sein dunkles Haar geht ihm bis zu den Schultern während er in die Kamera strahlt, in seinen blauen Augen kindlicher Schalk. Auf seinem Schoß sitzt ein kleinerer Junge, den ich sofort als Blake erkenne. Er muss ungefähr zwei Jahre alt sein. Ein warmes Gefühl dringt durch mich hindurch bei dem Anblick. Der kleine Blake grinst ebenfalls schief in die Kamera, seine kleinen, weißen Zähne kommen dabei zum Vorschein, sein hellbraunes Haar steht leicht von seinem Kopf ab.
„Glaubst du, dass man Menschen so sehr lieben kann, dass man sein komplettes Leben für sie aufgeben würde?", dringt auf einmal Blakes Stimme gedämpft zu mir. Ich weiß, dass es vermutlich, dass Marihuana ist, das spricht, dennoch trifft mich seine Frage, weil ich sofort an meine Mutter denken muss, für die ich mein komplettes Leben aufgeben hatte. Aus Liebe.
„Es kommt drauf an...", beginne ich mit leicht brüchiger Stimme. Ich hoffe Blake befindet sich inzwischen in einem Zustand, in dem er es nicht mehr mitbekommt.
„Manchmal bleibt einem keine andere Wahl, als sein Leben für die Person, die man liebt, aufzugeben", sage ich sanft und schlucke.
Für einen kurzen Moment ist es komplett still zwischen uns und ich glaube schon, dass Blake eingeschlafen ist, bis seine Stimme plötzlich ein weiteres Mal in einem benommenen Flüstern zu mir dringt.
„Er hat mir an meinem zehnten Geburtstag meinen ersten Baseballschläger gekauft."
„Er?", frage ich ihn, doch ich bekomme auf meine Frage keine Antwort, stattdessen dringt ein weiterer Satz aus seinem Mund, der verursacht, dass sich ein Stich in mein Inneres bohrt.
„Ich vermiss dich Kenai", flüstert er ein letztes Mal, bevor er endgültig einschläft.
Mit Tränen in den Augen blicke ich auf Blakes weiches Gesicht, das nun vollkommen friedlich aussieht.
Kenai und Koda. Die Bärenbrüder.
Für einen kurzen Moment hab ich das Gefühl, dass ich nicht atmen kann, meine Kehle schnürt sich zusammen. Ich schlucke die Tränen herunter und lasse meinen zittrigen Körper auf den Stuhl sinken, der sich an seinem Schreibtisch befindet. Hatte Blake eventuell seinen Bruder verloren? Ich schließe die Augen und versuche den aufkommenden Emotionen keinen Nährboden zu schenken.
Als ich mich nach ein paar Minuten wieder halbwegs beruhigt habe, stehe ich von dem Stuhl an seinem Schreibtisch auf, laufe durch sein Zimmer und hebe die, achtlos auf den Boden geschmissene, Kleidung auf und hänge sie über seinen Schreibtischstuhl. Mein Blick fällt auf Blake, der ruhig schlafend auf seinem Bett liegt. Er trägt immer noch seine weißen Sneaker. Rasch laufe ich zum Ende des Bettes und ziehe ihm behutsam die Schuhe von den Füßen.
Dann laufe ich zurück zum Schreibtisch, greife nach einem Stück Papier und kritzele meine Handynummer drauf. Ich lasse das Stück Papier neben dem Bilderrahmen liegen und laufe schließlich zur Tür, öffne sie und trete nach draußen auf den Flur.
♥♥♥
Es ist kurz nach drei, als ich aus dem Club komme. Es ist eine sternenklare Nacht und keine einzige Wolke befindet sich am Himmel. Meine Tasche eng an meinen Körper gepresst, laufe ich den Weg vom Club zu meinem Leihwagen. Ich trage immer noch meine Perücke. Meine weißen Stiefel hallen auf dem Bordstein wieder, als meine Gedanken wie so oft in den letzten Stunden zu Blake wandern. Ich mache mir Sorgen um ihn.
An meinem Wagen angekommen, öffne ich die Fahrertür mit meinem Autoschlüssel und lasse mich erschöpft auf den Sitz fallen. Kurz schließe ich die Augen und überlege mir die Schuhe von den Füßen zu streifen, weil sie schmerzen. Ich entscheide mich dafür, bücke mich und ziehe sie von meinen Füßen. Achtlos schmeiße ich sie in den Fußraum des Wagens und greife, in Gedanken versunken, nach meiner Perücke und ziehe sie mir vom Kopf. Erleichtert seufze ich auf.
Plötzlich dringt ein vibrierendes Geräusch durch den Wagen. Mein Blick fällt auf meine Handtasche. Ich greife nach ihr, öffne sie und ziehe erst meine Pistole aus der Tasche, bevor mein Handy zum Vorschein kommt.
Der Display zeigt mir an, dass ich eine Nachricht bekommen habe. Als ich auf sie klicke, erkenne ich, dass es eine unbekannte Nummer ist.
Danke, Ariel.
Es ist ein einziger Satz, dennoch weiß ich sofort von wem die Nachricht ist.
Keine Ursache, cupcake. , schreibe ich zurück und verschicke die Nachricht schließlich.
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Das Kapitel war echt ein Emotionales zu schreiben. Ich kann nicht in Worten beschreiben, wie sehr Blake mir am Herzen liegt. Ich kann es einfach nicht.
Ich hoffe er gefällt euch auch genauso sehr, denn ich hab wirklich mein Herz in ihn reingesteckt. Ich glaube aber auch, dass es durch mein Schreiben ersichtlich wird. Ich mag zwar nicht die wortgewandteste und beste Schreiberin sein, aber Gefühle stecken immer in meinem Schreiben.
After all I'm a scorpio ;)
Last but not least: Der Song am Anfang ist einfach ein so wunderschöner. Ich liebe die Foo Fighters einfach und der Song ist so passend.
Ihr wisst, Musik inspiriert mich immer fürs Schreiben und meistens hat sie auch eine tiefere Bedeutung, wenn sie in meinen Kapiteln vorkommt.
Ich wünsche euch noch eine schöne Woche, genießt die Sonne und bleibt gesund!
Und vorallem vergesst nicht zu lachen. Egal wie schwer diese ganze Pandemie ist, es wird besser werden.
Es wird besser. Da bin ich mir sicher.
<3
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