25

San Antonio

Alles um mich herum verschwimmt. Mein einziger Fokus auf Jay. Mein gebrochener, schöner Jay.

Meine Arme halten ihn fest. Fest an meine Brust, wo er die Wärme meines Körpers spüren kann. Ein kehliger Laut verlässt seinen Mund auf einmal, sein Körper zittert dabei. Plötzlich lassen seine Beine nach und er zieht mich mit sich zu Boden. Auf den kalten Boden vor unserem Apartment.

Als wäre es seine zweite Natur, zieht er mich direkt auf seinen Schoß. Seine Arme schlingen sich fest um meinen Rücken und halten mich an sich gedrückt. Mein Herz schmerzt, als er seinen Kopf langsam auf meine Brust sinken lässt, sein Gesicht in den Stoff meines Kleides vergraben. Instinktiv bewegt sich meine Hand zu seinem Nacken und presst ihn näher an mich, hält ihn an mein Herz gepresst, während meine andere Hand zu seinem leicht feuchten Haar wandert. Meine Finger gleiten in sanften Bewegungen durch seinen dunklen Haarschopf, während ich uns langsam schweigend hin und herwiege. Mein Kinn ruht auf seinem Kopf, während ich uns beide in einen warmen Kokon einhülle. Der Stoff auf meiner Brust fühlt sich feucht an und ich weiß, dass es Blut ist.

Schmerz zerreißt mein Herz und macht mich fast atemlos. Sie haben ihm wehgetan. Ihn geschlagen und ihn entstellt. Wie lange würde es dauern, bis sie ihn töten würden?

Der Gedanke an einen toten Jay lässt eine eisige Kälte über mein Herz hereinbrechen. Mein Magen dreht sich um und plötzlich fühlt es sich an, als würde mir jemand die Kehle zuschnüren.

Fast schon verzweifelt fahre ich mit dem Finger seinen Hals entlang und fühle seinen Puls. Er ist hier. Hier bei mir, versuche ich mich zu beruhigen. Ich kann seinen Herzschlag spüren. Die Wärme seines Körpers an meinen gepresst.

„Halt mich einfach fest.", krächzt Jay plötzlich mit schmerzverzerrter Stimme hervor. „Halt mich einfach fest, Sweetheart." , widerholt er, seine Stimme ist dabei eindringlich und klingt fast verzweifelt.

„Immer, Jay. Immer.", bringe ich mit belegter Stimme hervor, während ich meine Lippen auf sein Haar presse und ihn fester an mich drücke.

Er ist hier.

Aus meinem Blickfeld erkenne ich Blake, der nun auf uns zukommt. Cian hält ihn jedoch zurück. Mein Blick landet auf Blakes Gesicht und schaut in seine grünen Augen, in denen Verzweiflung liegt. Ich halte seinen Blick stand und schüttele stumm meinen Kopf.

Blake nickt als Antwort nur stumm und schlüpft wenige Sekunden später mit Cian in unser Apartment. Die Tür fällt hinter den beiden ins Schloss und lässt mich und Jay alleine zurück. Eine weitere Minute halte ich Jay einfach nur in meiner Umarmung fest. Meine Finger fahren wie der Rhythmus eines ruhigen Wiegenliedes durch die dichten Strähnen seines fast schwarzen Haares, bis hinunter zu den weichen Stoppeln in seinem Nacken.

„Lass mich einen Blick auf deine Wunde werfen.", bringe ich schließlich sanft über meine Lippen.

Ich spüre sofort, wie Jay sich an meiner Brust versteift und mit seinem Kopf schüttelt. „Nein, ich will nicht, dass du mich so siehst.", bringt er mit erstickter, tiefer Stimme hervor. Der Klang seiner Stimme zerrt an meinem Herzen und löst in mir den Wunsch aus, in ihn hineinzukriechen und sein Herz an mich zu schmiegen. Um es vor allem zu schützen, was kommen könnte.

„Wie was?", frage ich ihn schließlich mit belegter Stimme.

„Gebrochen und vernarbt. Hässlich.", seine Stimme zittert bei dem letzten Wort und reißt ein Stück aus meinem Herzen heraus.

„Jay...", bringe ich hervor, sein Name voller Emotionen auf meinen Lippen. „Ich weiß, dass du gebrochen bist, aber ich habe keine Angst davor.", flüstere ich nun, während Emotionen meine Kehle umhüllen. „Ich werde nie Angst davor haben. Denn ich kenne dich. Ich kenne dein Herz und für mich bist du der schönste Mann, den ich je kennengelernt habe.", meine Worte kommen in einem Schwall voller Gefühle von meinen Lippen.

„Ich liebe dich und es ist mir egal, ob du eine Narbe im Gesicht hast.", presse ich die Worte, die ich schon so lange in mir trage, schließlich in einem Schluchzer von meinen Lippen. Meine Zunge wollte meinem Herz nicht gehorchen und mein Herz konnte meine Zunge nicht darüber informieren, dass dies wahrscheinlich nicht der richtige Zeitpunkt war, Jay meine Gefühle zu gestehen.

Mit tränenumrandeten Augen schaue ich auf Jay herab. Auf meinen wilden, starken Löwen. Keine Sekunde später hebt er seinen Kopf. Seine eisblauen Augen treffen mich mit einer Wucht, die mir den Atem raubt. Eine grässlich aussehende Wunde ziert seine linke Gesichtshälfte und trübt die Schönheit seines Gesichtes ein wenig. Aber das ist mir egal. Alles was ich sehe, ist die Wärme in seinen Augen. Augen, welche die Farbe des eisigsten Winters hatten.

Ein zitternder laut verlässt meine Lippen, als Jays Daumen plötzlich unter mein Auge wandert und eine kleine Träne auffängt, die meinem rechten Auge entglitten ist.

„Du solltest mich nicht lieben.", stößt er mit tiefer, rauer Stimme hervor. „Das solltest du wirklich nicht.", fügt er mit einem Kopfschütteln hinzu, seine blauen Augen schließen sich dabei und halten mich davon ab, sein Inneres zu lesen.

„Jay...", beginne ich mit einem Zittern in der Stimme, rohe Gefühle toben in meinem Körper. In der Mitte von ihnen kratzt Verletzlichkeit an meinem Inneren.

Jay war der erste Mann, für den ich jemals so intensive, rohe Gefühle empfunden hatte. Er verstand mich wie kein anderer. Und wenn es jemals einen Mann gab, dem ich gehörte, dann war es Jay. Denn er hatte mich nie darum gebeten. Er hatte es nie verlangt. Er ließ mich einfach sein. Sein fürsorgliches, starkes, sexy und leidenschaftliches Herz ließ mich ihn einfach wählen.

Ein leises Keuchen entweicht meinen Lippen, als sich seine Augen wieder öffnen. Eisblaue Kristalle senken sich in mich, als seine Hand plötzlich nach meinem Kinn greift und meinen Kopf still hält. Einer seiner Daumen streicht sanft über meine Wangenknochen, während sein tiefblauer Blick sich in solch einer Intensität in meinen senkt, dass ein Inferno in meiner Seele entfacht wird. „Aber verdammt, ich liebe dich auch, Sweetheart!", bringt Jay plötzlich mit kehliger Stimme hervor. Seine Worte setzen meinen Geist in Brand und lassen mein Herz anschwellen.

Jays andere Hand wandert nun zu meiner silbernen Perücke und zieht meinen Kopf sanft nach hinten. Seine Lippen schließen den Abstand, bis sie nur noch Millimeter über meinen schweben. Sein warmer Atem gleitet durch meine Lippen, vermischt sich mit meinem eigenen.

Ein paar quälend lange Sekunden lang sieht er mich nur an. Der einzige Laut zwischen uns, der meines wilden, ungehemmten Herzschlages. Bis sich schließlich seine Lippen auf meine pressen und mich küssen. So intensiv, dass ich vergesse, wessen Luft ich atme.

♥♥♥

„Jay, was ist passiert?", frage ich sanft, während ich mit meinem Handschuh bedeckten Finger über seine unverwundete Gesichtshälfte wandere.

Das Licht in der Küche ist grell und bringt jeden Teil seines Gesichtes zum Vorschein. Auch die klaffenden Wundränder seiner Schnittwunde. Er musste zum Arzt das war klar. Aber Jay war stur und es bedurfte wohl einiger Überredungskunst, um ihn zu einem Arztbesuch zu bewegen. So lange versuche ich das Blut seiner Wunde mit einem Verband zu stillen, den ich im Badezimmerschrank des Apartments gefunden hatte. Es war vermutlich nicht der Richtige, aber irgendwie musste ich die Blutung stoppen.

Jay schweigt, während sein Arm sich jetzt um meine Taille legt und mich zwischen seinen Beinen festhält. Sein Kopf ist nach unten gesenkt, während ich kniend zwischen seinen Beinen den Verband auf seine blutende Wunde lege.

„Ich werde sie umbringen.", durchdringt plötzlich eine aufbrausende Stimme meine Gedanken an Jay. Denn so sehr ich es auch leugnen wollte, er war im Moment der Hauptbewohner meines Gehirns. „Sie haben dir schon genug angetan, Jay! Ich kann das nicht mehr ertragen!", Blakes Stimme überschlägt sich bei seinen Worten und aus meinen Augenwinkeln kann ich sehen, wie er nun wütend von seinem Sitz am Küchentisch aufspringt.

„Beruhig dich, Tiger.", dröhnt Cians lauter irischer Akzent durch den Raum. „Ich weiß, dass es schlimm ist, was mit deinem Bruder passiert ist, aber du kannst froh sein, dass es nur sein Gesicht ist, das sie zerschnitten haben.", fährt Cian fort. „Diese Leute sind zu weitaus schlimmeren Dingen fähig."

„Was meinst du mit noch schlimmeren Dingen?", keuche ich hervor, meine Frage an Cian gerichtet, während meine Augen derweilen kein Stück von Jays Gesicht abweichen. Sein Gesicht ist nun mit einem Stirnrunzeln bedeckt, während Blut sich am Verband abzeichnet.

„Entführung. Mord. Letzten Monat wurde ein Teenager gefunden, dem die Augäpfel herausgeschnitten wurden. Auf seinem toten Körper lag eine Nachricht, die besagte: ,Damit du dich nicht mehr an anderen Jungen aufgeilst, du Schwuchtel!'"

Ein erschrockenes Keuchen kommt über meine Lippen, ich drehe meinen Kopf leicht zur Seite und schaue Cian mit geweiteten Augen an. Blake ist nun ebenfalls zu einer Salzsäule erstarrt. Aber ich kann immer noch sehen, wie sich sein Kiefer bewegt, seine Zähne die aufeinander knirschen.

„Nur ein weiterer Grund mehr, ihnen wehzutun!"

„Blake!", zische ich und werfe ihm nun einen mahnenden Blick zu. „Dein Bruder und ich machen uns schon genug Sorgen um dich. Du musst jetzt nicht auch noch herumlaufen, Dummheiten machen und dich dabei in Gefahr bringen!", rufe ich etwas lauter aus.

„Aber rocket, sie haben ihn verletzt! Siehst du nicht, was sie mit ihm gemacht haben? Dir mag es egal sein, aber es ist mein Bruder!", die letzten Worte purzeln in einem aufgebrausten emotionalen Schwall aus seinem Mund. Sie treffen mich wie ein Messer und veranlassen mich dazu einen Schritt zurück zu machen. Doch Jays Arm hält mich immer noch in meiner Position fest. Er schüttelt nur stumm seinen Kopf. Ich stoße einen kurzen Atemstoß aus, um mich zu beruhigen.

Als ich mich etwas beruhigt habe, wendet sich mein Kopf wieder Blake zu. Cian, der ein paar Meter von ihm entfernt steht, ist unheimlich still. In dem Moment in dem mein Blick wieder auf Blakes Gesicht fällt, überzieht Reue sein Gesicht.

„Tut mir leid rocket, das war nicht fair.", bringt er nun etwas kleinlauter hervor, seine grünen Augen ernst auf mich gerichtet.

„Schon okay.", gebe ich etwas sanfter von mir. Blake schüttelt seinen Kopf bei meiner Antwort und fängt dabei erneut an zu sprechen, sein Kopf ein wenig nach unten gesenkt.

„Du liebst meinen Bruder, rocket. Jeder, der das nicht sieht, ist dumm! Es tut mir leid, ich bin einfach so wütend auf diese Leute, auf diese...!", er formt seine rechte Hand zu einer Faust. „Ach keine Ahnung!", ruft er schließlich aus. „Ich weiß, noch nicht mal, wer diese Leute sind."

„Einige russische Einzelpersonen, die eine Gruppe gebildet haben, die es sich als Aufgabe gemacht haben Homosexualität auszurotten. Unter anderem fangen sie homosexuelle Jungen ein und halten sie in ihrer Gefangenschaft, um sie später gegen ihren Willen mit Frauen zu verheiraten.", antwortet ihm Cian.

„Was? Stimmt das, Jay?", bringe ich hervor und wende meinen Blick wieder zu Jay. Er hebt leicht seinen Kopf und will mich anschauen. Ich drücke seinen Kopf allerdings sanft wieder nach unten.

„Deine Blutung...", murmele ich.

Jay nickt mit gesenktem Kopf. „Ja. Und leider ist es nicht die einzige Begegnung, die ich mit ihnen haben werde.", bringt er kaum hörbar hervor.

„Was? Wann?", keuche ich hervor.

Jay schüttelt nur seinen Kopf bei meiner Frage. „Heute nicht Sweetheart. Ich bin zu erschöpft und diese verdammte Wunde muss aufhören zu bluten!"

Ich atme einmal kurz ein, bevor ich trotz der Blutung seinen Kopf kurz anhebe und erneut beginne zu sprechen. „Babe, deine Wunde ist ziemlich tief, du musst zum Arzt gehen.", sage ich sanft und schaue Jay dabei tief in die eisblauen Augen. „Er öffnet seine Lippen, um zu protestieren, aber ich bringe ihn sofort mit einem Kuss zum Schweigen."

„Nein, Jay.", sage ich kopfschüttelnd, nachdem ich mich wieder von ihm gelöst habe. „Heute nicht.", füge ich etwas sanfter hinzu. „Hör auf, stark sein zu wollen. Nur für heute.", beende ich meinen Satz und drücke ihm sanft meine Lippen auf die rechte Stirnseite.

♥♥♥

„Sweetheart?", Jays Stimme klingt träge von den Schmerzmitteln, welche der Arzt ihm verabreicht hatte. Seine Augen folgen ,vom Bett aus, jeder meiner Bewegungen. Eine lange Naht ziert seine linke Gesichtshälfte, aber trotzdem breitete sich Wärme in meinem Inneren aus, als ich ihn ansehe. Er trägt nur schwarze Boxershorts, sein riesiger Oberkörper ist nackt und es juckt mich in den Fingern seine Muskeln entlangzufahren.

„Mm?", gebe ich geistesabwesend von mir.

„Kannst du es noch mal sagen?", murmelt er nun schläfrig, seine Augenlider nun halb geschlossen.

„Was?", frage ich ihn sanft, bevor ich mich neben ihn lege, mein Kopf in seiner Armbeuge.

„Die Worte, die du mir draußen vor der Tür gesagt hast.", murmelt er, während sein Atem ein wenig schwerer wird. Emotionen zerren an meinem Herzen und lassen mich mit den Fingerspitzen über seine weiche Haut fahren.

„Ich liebe dich Jay.", flüstere ich leise, ziemlich sicher, dass er mich nicht mehr hören kann, weil er bereits schläft. Doch plötzlich überrascht er mich, als einer seiner Arme mich ein wenig zur Seite dreht und mich nun noch enger an seinen Oberkörper zieht. Mein Gesicht schmiegt sich jetzt an seinen Hals. Die Position ist derart innig, dass mir die Tränen kommen.

„Ich liebe dich auch, Sweetheart.", raunt er mir leise zu, bevor sein Atem ruhiger wird und ihn in ein Land voller Träume führt. 


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Ich weiß, das Kapitel ist ziemlich kurz für meine Verhältnisse, aber Wörter können nicht beschreiben, wie sehr ich dieses Kapitel liebe. Es ist für mich persönlich, das bis jetzt Schönste und Beste, was ich je geschrieben habe. Mein Herz zerspringt fast, wenn ich es lese und ich musste mehrfach weinen beim Schreiben, weil es mich wirklich emotional gemacht hat. 

Ich danke wirklich den paar Leuten, die immer für diese Geschichte Voten und mein Geschriebenes nicht als eine Selbstverständlichlichkeit ansehen. Ich finde es schön, dass ihr mir und meiner Geschichte auch eine Chance gibt, obwohl meine Geschichte vielleicht nicht über 100 K reads hat oder in einem Paid program  ist <3 

Ich wünsche euch noch einen schönen Montagabend :) 


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