You're brave.
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Kᴀᴘɪᴛᴇʟ ₂₃ ﹕ Yᴏᴜ'ʀᴇ ʙʀᴀᴠᴇ
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!Trigger-Warnung!
Thematisieren von psychotherapeutischen Sitzungen und Triggerthemem
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„Wie geht es dir denn heute, Jungkook?" Mit dem immer gleichen, starren Blick betrachtete mich die Frau vor mir. Die Falten auf ihrer Stirn, die von dem ganzen überlegenden Runzeln tiefe Furchen in die weiße Haut warfen und die eingefallenen Wangen waren Zeugen davon, wie oft sie sich wohl den Kopf über ihre Patienten zerbrochen hatte und wie sehr ihr doch die Arbeit auf die Gemütslage drückte. Bestimmt war das Toben ihrer Kinder Zuhause auch kein Trost mehr, sondern nur noch eine größere Zumutung. Ihre dunkelbraunen Haare, die sie sich mit einer Haarklammer flüchtig zusammengesteckt hatte, wurden durch viele hellgraue Strähnen durchsetzt und die Brille, die sie sich soeben auf die Nase geschoben hatte, um die Buchstaben in der Patientenakte lesen zu können, ließ sie deutlich älter wirken, als sie eigentlich war.
Ratlos starrte ich in ihre bernsteinfarbenen Augen, die sie nun wieder von dem weißen Ordner angehoben hatte. Mit einem Seufzen legte sie die Mappe auf ihrem Schreibtisch ab und lehnte sich ein Stück in ihrem schwarzen Schreibtischstuhl zurück, überkreuzte ihre Beine und verschränkte ihre Hände in ihrem Schoß. „Du wirkst heute in Gedanken...", sprach sie dann mit ruhiger Stimme und ich wusste, dass ich irgendwann reden müsste. Zumindest wollte ich die Sitzungen, in denen wir uns knapp eine Stunde lang angeschwiegen hatten, nicht gerne wiederholen. Denn diese bedrückende Stille war noch unangenehmer gewesen als ihr meine Probleme und Gedanken anzuvertrauen.
„Ich habe meinen besten Freund angelogen." Hastig presste ich meine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und verzog gequält meine Augenbrauen, als ich bemerkte, dass mir erneut die Tränen in die Augen stiegen. „Dabei wollte ich genau das nie wieder tun...", wimmerte ich angestrengt auf und ließ meinen Blick auf meinen Schoß herabsinken. „Was gab es denn für einen Grund dafür, dass du ihn angelogen hast?", ertönte die Stimme der Therapeutin vor mir gefasst und verhinderte tatsächlich, dass mir die Tränen aus den Augenwinkeln rutschten. Schnell versuchte ich den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken und linste dann unsicher zu ihr herauf. Ich wusste, dass ich es ihr jetzt sagen müsste, denn ich hatte es schon in der letzten Sitzung verschwiegen, aber ich wollte es nicht. Ich fühlte mich so elendig, so schwach. Und dennoch kniff ich meine Augen für einen Moment zusammen, nur um ihrem bohrenden Blick danach standhaft zu begegnen.
„Ich hab' mir wieder weh getan." Trotz meiner Bemühungen war meine Stimme nicht mehr als ein schwaches Flüstern und keine Sekunde später musste ich den Blickkontakt zu meinem Gegenüber schon wieder abbrechen. Viel zu sehr schmerzte mich der plötzliche Schleier, der sich über ihre Seelenspiegel gelegt hatte und mir vermittelte, dass ich mit den paar Worten soeben all ihre Hoffnungen für mich zerstört hatte – Hoffnungen auf ein halbwegs gesundes und gutes Leben. Als hätten sich all ihre Bemühungen der letzten Wochen, gar Monate, in Luft aufgelöst.
„Wie oft, Jungkook?", fragte sie direkt weiter nach und ich konnte die Besorgnis aus ihrer Stimme heraushören. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so schlecht gefühlt, so schuldig und schwach. Ich war doch einfach nur erbärmlich. Nichts weiter als eine Enttäuschung für all meine Mitmenschen. Immer noch hatte ich meinen Blick auf meine Füße gerichtet und kämpfte mit den Worten. „So drei... vier Mal", murmelte ich dann und spürte wie die Leere in meinem Inneren, die ich so verzweifelt in die hinterste Ecke meines Kopfes gedrängt hatte, sich wieder über meine Gedanken legte. „Hmm", nickte sie meine Aussage stumm ab, schob sich die Brille mit dem Zeigefinger höher und begann etwas in der Akte zu notieren. Danach lehnte sie sich wieder zurück und betrachtete mich gutmütig: „Gab es denn einen bestimmten Auslöser dafür?"
„I-ich-", sofort verstummte ich wieder und biss mir angestrengt auf die Unterlippe, bevor ich meine Gedanken sortierte, „i-ich hielt es einfach nicht mehr aus... ich... es... alles tat so weh und dann, dann hatte ich keine andere Lösung als- als mich wieder zu schneiden." Nun schafften es die Tränen doch, sich ihren Weg über meine Wangen zu erkämpfen, obwohl ich in mir drinnen nichts, rein gar nichts spürte. „Und was hast du dabei gefühlt? Hat es dir geholfen?" Mit verschleiertem Blick sah ich zu der Frau herüber, schluchzte bitter auf und schüttelte dann hastig den Kopf. „N-nein es... es tut immer noch weh", wimmerte ich und begann wie automatisch meine Nägel durch meinen Hoodie auf die Wunden an meinem Unterarm zu drücken.
„Okay", nickte sie, keinerlei Verurteilung in ihrer Stimme, „ich kann nicht nachempfinden, was für innerliche Schmerzen du ertragen musst, Jungkook. Aber meinst du nicht, dass es andere Wege gibt, mit deinem Schmerz umzugehen?" „Nein, ich meine... nein ich weiß es doch auch nicht. Ich will einfach nur, dass das alles aufhört. Es soll endlich nicht mehr wehtun!", schwoll meine Stimme mit jedem Wort weiter an und triefte schlussendlich vor Verzweiflung. „I-ich will d-doch n-nur, dass e-es aufhört." Hastig vergrub ich das Gesicht in meinen Händen.
„Erinnerst du dich an unseren Vertrag, Jungkook?" Von jetzt auf gleich verstummte mein Schluchzen und ich blickte hastig zu meiner Therapeutin herüber. Wie in Zeitlupe ließ ich meine Hände zurück auf meine Oberschenkel sinken und blinzelte die Tränen überrumpelt fort. Nach einem Moment der Stille nickte ich ihr stumm entgegen, immer noch nicht ganz realisierend, was sie mit dieser Frage angesprochen hatte. „I-ich... ich würde doch nie-", ich verschluckte mich an meinen eigenen Worten und blinzelte einige Male völlig gedankenverloren. Ich meine... ich würde doch nicht... ich hatte es nie in Betracht gezogen. Außer vielleicht ganz am Anfang dieser Therapie. Aber jetzt, wenn sie es so sagte, dann hatte ich in letzter Zeit vielleicht doch schon öfter darüber nachgedacht, dem ganzen hier einfach ein Ende zu setzen.
„Das wäre auch keine Option", fuhr die Frau fort und kramte kurz in den Unterlagen nach einem weißen Blatt, was sie anschließend direkt vor mir ablegte, „immerhin hast du hier unterschrieben. Es war dein eigener Wille und wir haben uns beide dazu entschlossen das hier zusammen durchzuziehen, erinnerst du dich?" Für einen kurzen Moment ließ ich meine Augen über den Zettel fliegen und blieb schließlich an meiner Unterschrift unter dem Anti-Suizid-Pakt hängen. Still nickte ich ihr zu.
„Jungkook..." seufzte die Braunhaarige da erneut auf, bevor sie den Zettel wieder in ihrem Ordner verstaute und mir tief in meine Augen blickte, „ich weiß, wie schwer es für dich sein muss und dass deine Schmerzen unerträglich sind. Aber wie mutig ist es von dir, dass du jeden Morgen aufstehst und dich dem Leben stellst! Es ist mutig, dass du jeden Tag gegen den Schmerz ankämpfst und dich ihm stellst. Ich weiß, es gibt Tage, an denen möchtest du aufgeben... Tage, an denen du zur Klinge greifen möchtest, aber bitte erinnere dich dann daran, dass du noch nie aufgegeben hast und dass du mutig bist." Für einige Sekunden hielt sie inne und holte erneut Luft, während sich ein warmes Gefühl in mir ausbreitete und mich sogar flüchtig zum Lächeln brachte.
„Du bist mutig. Und an Tagen, an denen selbst der Mut dich verlassen hat, bist du niemals allein, okay?" Hoffnungsvoll betrachtete sie mich, mit einem Lächeln auf ihren Lippen, das ich schon lange nicht mehr gesehen hatte und sogar ihre Grübchen wieder zum Leben erweckte. Doch mit ihren letzten Worten nahm sie das gerade entstandene, warme Gefühl sofort wieder weg, verbannte es aus meinem Körper und ließ nichts als Leere zurück. Ihr Lachen war plötzlich wie ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht und ließ mein Herz so unerträglich schwer werden. Denn allein war ich schon lange und daran würde sich auch nichts ändern. Niemals.
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